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PRESSEKONFERENZ/958: Kanzlerin Merkel zum Europäischen Rat am 20. März 2015 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Brüssel - Freitag, 20. März 2015
Abschließende Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Europäischen Rat am 20. März 2015

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, wir haben heute den Europäischen Rat fortgesetzt - wir haben Sie letzte Nacht ja bereits über unsere Aussprache zur Energieunion, zur Östlichen Partnerschaft und zur Ukraine informiert.

Im Mittelpunkt der heutigen zweiten Arbeitssitzung stand das Thema der Wirtschaftspolitik. Es gab hier einen Austausch zum Europäischen Semester, wobei die länderspezifischen Betrachtungen ja erst im Juni-Rat zur Debatte stehen werden. Außerdem wurden wir von Jean-Claude Juncker über den Stand der Verhandlungen zum Transatlantischen Freihandels- und Investitionsabkommen informiert, und wir haben darüber auch diskutiert. Des Weiteren hatten wir das Thema Außenpolitik, und hier insbesondere das Thema Libyen. Wir haben dazu auch eine Information von Federica Mogherini bekommen. Wir haben außerdem noch einmal den schrecklichen Anschlag in Tunesien verurteilt und haben Tunesien auch unsere Hilfe in Aussicht gestellt.

Zur Wirtschaftspolitik gab es eine sehr umfassende Diskussion. Neben Jean-Claude Juncker hat auch Mario Draghi noch einmal darauf hingewiesen, dass es um verschiedene Aspekte geht. Mario Draghi hat sehr deutlich gemacht, dass angesichts der niedrigen Zinsen, angesichts des gefallenen Ölpreises und auch angesichts der Politik der Europäischen Zentralbank nunmehr die Mitgliedstaaten mit Strukturreformen in der Pflicht sind. Es wurde auch eine breite Diskussion geführt, die sich mit der Frage auseinandergesetzt hat: Was sind die Hindernisse, die dazu führen, dass Europa nicht so gut wächst wie zum Beispiel die Vereinigten Staaten von Amerika? Insofern war die Diskussion schon sehr hilfreich. Es war ein klares Bekenntnis zu dem Investitionsprogramm der Kommission, von Jean-Claude Juncker, es war eine klare Unterstützung für die Verhandlungen zum Freihandels- und Investitionsabkommen mit den Vereinigten Staaten von Amerika - auch mit dem durchaus anspruchsvollen Zeitplan, bis zum Ende des Jahres fertig zu werden -, und es war ein klares Bekenntnis zu höchstmöglicher Transparenz - soweit damit nicht unsere eigenen strategischen Verhandlungserfolge infrage gestellt werden.

Wir haben noch einmal betont, dass die Verabschiedung der Digitalen Agenda, der Bürokratieabbau, der von Kommissar Timmermans geleitet wird, und vieles andere uns helfen kann, die Wettbewerbsfähigkeit Europas voranzubringen. Ich glaube, die Einlassungen von Mario Draghi wurden insgesamt doch unterstützt. Es war auch sehr interessant, dass der irische Premierminister darüber berichtet hat, dass Irland im Augenblick mit fast fünf Prozent das höchste Wachstum in Europa hat und dass auch erhebliche Zugewinne an Arbeitsplätzen festzustellen sind. Auch Portugal und Spanien haben von ihren Erfolgen berichtet, und zwar sowohl was die Haushaltskonsolidierung anbelangt, als auch was die Wirtschaftswachstumsraten und auch erste Schritte zum Abbau der Arbeitslosigkeit anbelangt - auch wenn die Arbeitslosigkeit im Augenblick immer noch sehr hoch ist.

Wir haben dann, wie gesagt, über Außenpolitik gesprochen. Der Europäische Rat hat sich intensiv über die Krise in Libyen ausgetauscht. Wir unterstützen die Bemühungen des UN-Bevollmächtigten, eine Einheitsregierung zustande zu bringen. Wir haben aber auch sehr intensiv darüber gesprochen, wie vielfältig das Land Libyen ist und wie schwierig es ist, eine solche Regierungsbildung mit allen Teilnehmern hinzubekommen. Es wird aber so sein, dass sich Federica Mogherini, aber auch Donald Tusk als Ratspräsident sehr intensiv mit dieser Frage beschäftigen; denn der Einfluss der IS in Libyen wächst. Libyen ist die Grenze zu Europa, und wir wissen, dass, wenn die Probleme in Libyen nicht gelöst werden, auch die Europäische Union insgesamt ein großes Problem hat.

Alles in allem waren es also sehr konstruktive Beratungen mit einvernehmlichen Verabschiedungen der Texte. Wenn man die Tagesordnung von gestern mit dazu nimmt, kann man konstatieren, dass es doch eine beachtliche Breite an Themen war, mit denen wir uns beschäftigt haben. - Herzlichen Dank!

Frage: Tut mir leid, ich muss Sie noch einmal mit Griechenland behelligen, weil ich gerne wissen würde, was wirklich gilt. Sie haben heute Nacht gesagt, dass Sie sich gestern in dem Gespräch mit Herrn Tsipras darauf verständigt hatten, dass der Beschluss der Eurogruppe vom 20. Februar gilt. In diesem Beschluss steht, dass weitere Zahlungen erfolgen, wenn Griechenland Reformen beschlossen hat und begonnen hat, sie zu implementieren. Der griechische Regierungssprecher hat heute gesagt: Die nächsten Zahlungen erfolgen, wenn die Liste vorliegt, die Sie heute Nacht mit Herrn Tsipras vereinbart haben. Was von beidem ist richtig?

Herr Tsipras hat heute Nacht auch gesagt, dass nicht die Reformen aus dem laufenden Programm, das ja verlängert worden ist, für ihn bindend seien, sondern dass er andere Reformen machen könne; die fünfte Überprüfung der Troika sei für Griechenland nicht gültig, er müsse sie nicht mehr beachten. Stimmt das, oder ist das eine falsche Interpretation dessen, was heute Nacht vereinbart wurde?

BK'in Merkel: Es gilt das, was ich, glaube ich, auch heute Nacht gesagt habe; das können Sie ja auch in der Erklärung des Präsidenten des Europäischen Rates, der Kommission und der Eurogruppe nachlesen. Der erste Satz dieser Erklärung lautet: "Wir halten vollumfänglich an der Vereinbarung der Eurogruppe vom 20. Februar 2015 fest." Diese Vereinbarung sagt sehr klar: "Jedwede Auszahlung der ausstehenden Tranche des EFSF-Programms und die Überweisung der SMP-Gewinne 2014 ist nur möglich, wenn die Institutionen dem Abschluss der Überprüfung der verlängerten Vereinbarung zustimmen. Beide Maßnahmen müssen von der Eurogruppe genehmigt werden."

Da dies ein Teil des Eurogruppen-Beschlusses vom 20. Februar ist und wir vollumfänglich an der Vereinbarung vom 20. Februar festhalten, gilt das genau so, also in der Kombination, wie ich es eben gesagt habe. - Was war Ihre zweite Frage?

Zusatzfrage: Das laufende Programm ist ja verlängert worden. Herr Tsipras hat gesagt, das gelte jetzt nicht mehr, sondern er könne seine eigenen Reformen dagegensetzen und müsse sich daran nicht halten.

BK'in Merkel: Da will ich noch einmal darauf verweisen, dass wir im Grunde auch ein Dokument vom 10. Dezember haben, in dem es um eine Bestandsaufnahme des fünften Reviews des zweiten ökonomischen Anpassungsprogramms geht. Darin ist ja festgelegt worden, was schon geschafft worden ist und was noch getan werden muss. Wir haben gestern gesagt: Die griechische Regierung wird innerhalb des Rahmens der Vereinbarung der Eurogruppe vom 20. Februar - und dieser Rahmen bezieht sich eben genau auf das, was das zweite Anpassungsprogramm und was der letzte dazu vorliegende Review-Bericht umfasst - Eigenverantwortung für die Reformen tragen und in den nächsten Tagen eine umfassende Liste spezifischer Reformen vorlegen. Das heißt, dass die griechische Regierung die Möglichkeit hat, einzelne Reformen, die am 10. Dezember als noch ausstehend galten, durch andere Reformen zu ersetzen, wenn sie im Rahmen dieser Vereinbarung - deshalb haben wir "innerhalb des Rahmens der Vereinbarung" gesagt - den gleichen Effekt erbringen. Ob sie den gleichen Effekt erbringen, müssen wiederum die Institutionen feststellen, und sie müssen dann der Eurogruppe entsprechende Vorschläge machen.

Wir hatten schon in Irland die Situation, dass die neu gewählte Regierung von Enda Kenny aus dem damals schon laufenden Programm einige Maßnahmen genommen hat und gesagt hat: Die möchten wir nicht umsetzen, aber wir ersetzen sie durch andere Maßnahmen. Wenn es zum Beispiel um eine Pensionsreform oder eine Reform im öffentlichen Dienst geht, dann kann diese Reform so oder so machen; man kann auch eine Steuerreform in verschiedenen Ausprägungen machen. Wichtig ist, dass das Ganze zum Schluss finanziell aufgeht; denn Teil der Erklärung vom 20. Februar war ja auch, dass sich Griechenland - mit einer gewissen Einschränkung für das Jahr 2015 - verpflichtet, die zur Gewährleistung der Schuldentragfähigkeit gemäß der Erklärung der Eurogruppe vom November 2012 erforderlichen angemessenen Primärüberschüsse beziehungsweise Finanzierungserlöse sicherzustellen. Auch das ist Teil des Statements vom 20. Februar.

Frage: Ich hätte eine ganz kurze Anschlussfrage: Schließen Sie nach dem heutigen Briefing in der Eurogruppe und dem Meeting heute Nacht jetzt endgültig aus, dass es einen "Graccident", also einen versehentlichen Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone geben könnte, der ja wegen nicht steuerbarer Prozesse jetzt doch im Gespräch war?

BK'in Merkel: Ich habe mich an diesen Diskussionen sowieso nicht beteiligt, und ich werde das auch jetzt nicht tun. Unser ganzes Tun ist darauf gerichtet, einen Weg zu weisen und zu erarbeiten, der Griechenland - so wie das auch in den letzten Jahren immer wieder gelungen ist - weiterhin Teil des Euro sein lässt. Dazu haben wir gestern gearbeitet. Jetzt kommt es darauf an - das habe ich heute Nacht auch gesagt -, dass das, worüber wir gestern gesprochen haben, in Kombination mit dem Statement der Eurogruppe vom 20. Februar auch umgesetzt wird. Der nächste Schritt ist jetzt die Vorlage einer Liste. Das muss jetzt, anders als im Februar, eine umfassende Liste sein, die sozusagen den Rahmen abbildet. Diese Liste wird bewertet werden, und von den Institutionen wird es dann einen Vorschlag geben. Das, was wir gestern noch einmal vereinbart haben, ist, dass die politischen Gespräche, also die Bewertung der Liste - so kann man das sagen - in Brüssel stattfinden wird und durch die drei Institutionen vorgenommen wird. Die Mission zur Erhebung der Fakten - damit man überhaupt bewerten kann, muss man ja auch eine gewisse Faktengrundlage haben - findet weiter in Athen statt.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, wenn die Institutionen bewerten und die Finanzminister beschließen, ist dann damit auch sichergestellt, dass Griechenland tatsächlich nur Geld für Taten und am Ende nicht vielleicht nur für Worte bekommt?

Zweitens. Hat es heute noch Diskussionen darüber gegeben, dass man sich in diesem Rahmen in der Nacht getroffen hat und andere damit ausgeschlossen hat?

BK'in Merkel: Nein, es war ja gestern schon vereinbart, dass der Ratspräsident heute informieren wird. Diese Information ist erfolgt; sie ist deshalb auch noch einmal schriftlich gefasst worden. Es hat dazu überhaupt keine Diskussion mehr gegeben, sondern es gab eine große Übereinstimmung, dass das jetzt der richtige Weg ist.

Ich weiß nicht, ob ich es jetzt noch einmal sagen soll, aber ich tue es noch einmal: Da die Erklärung vom 20. Februar vollumfänglich - wie wir hier jetzt, glaube ich, auch geschrieben haben - gilt, gilt jeder Paragraf dieser Erklärung, und damit auch der Paragraf, in dem steht: "Jedwede Auszahlung der ausstehenden Tranche des EFSF-Programms und die Überweisung der SMP-Gewinne 2014 ist nur möglich, wenn die Institutionen dem Abschluss der Überprüfung der verlängerten Vereinbarung zustimmen. Beide Maßnahmen müssen von der Eurogruppe genehmigt werden."

Frage: Frau Bundeskanzlerin, erhoffen Sie sich schon für Montag eine erste Liste mit Vorschlägen von der griechischen Seite, oder was gäbe es sonst bei dem Treffen mit Herrn Tsipras zu besprechen?

Könnten Sie kurz auch noch etwas zu Ihrem Vierergespräch zum Iran sagen?

BK'in Merkel: Der Besuch Montag ist ein bilateraler Besuch, so wie Ministerpräsident Tsipras ihn auch in anderen europäischen Hauptstädten getätigt hat. Das ist nicht der Platz, an dem irgendwelche Listen mit Reformvorschlägen abgegeben werden; denn die müssen ja, wie gesagt, bei den Institutionen abgegeben werden, und nicht in Deutschland. Es wird sicherlich dennoch Gesprächselemente geben, in denen wir über die griechische Reformagenda sprechen. Es gibt aber zum Beispiel die Möglichkeit - und das wird sicherlich eine Rolle spielen -, die bilateralen Hilfen, die Deutschland Griechenland gegeben hat, noch einmal zu thematisieren und darüber zu sprechen, inwieweit sie von der neuen Regierung aufgenommen werden. Wir haben die Maßnahmen auf der kommunalen Ebene, die Herr Fuchtel immer wieder besprochen hat; wir haben die Hilfe der GIZ für die Reform des Gesundheitswesens; wir sind im Rahmen der Aufgabenteilung der verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union für Griechenland auch dafür verantwortlich, daran zu arbeiten, dass die Lokalverwaltung beziehungsweise die Kommunalverwaltung verbessert wird. Da haben wir einige Schritte gemacht, die aber alle nicht abgeschlossen sind. Deshalb müsse n wir mit der Regierung jetzt darüber sprechen, ob sie möchte, dass diese bilaterale Kooperation so fortgesetzt wird oder nicht. Insofern glaube ich: Es wird uns nicht an Gesprächsinhalten mangeln.

Zum Iran: Das ist praktisch ein Gespräch der EU-Teilnehmer an den 3+3-Verhandlungen gewesen. Wir haben uns über die Frage des Standes der Verhandlungen informieren lassen und haben noch einmal bestätigt, dass es wünschenswert ist, dass ein erfolgreicher Abschluss dieser Iran-Verhandlungen stattfindet. Wir haben einige Elemente, die jetzt noch gelöst werden müssen, näher diskutiert und damit einfach noch einmal eine Botschaft an die Verhandlungen auf Sachebene und Detailebene, die in den nächsten Tagen fortgesetzt werden, gegeben. Ich glaube, das Wichtige war ein politisches Bekenntnis dazu, dass es aus vielerlei Gründen sehr positiv wäre, wenn man zu einem Abkommen kommen würde. Es muss allerdings auch ein glaubwürdiges Abkommen sein. Es geht darum, dass die nukleare Bewaffnung des Iran eingedämmt wird, und das muss sich im Verhandlungsergebnis natürlich glaubwürdig widerspiegeln.

Frage: Noch einmal zu Griechenland: Wenn sich - wider Erwarten, muss man wahrscheinlich sagen - ergeben sollte, dass alles, was bis Juni verlangt wurde, tatsächlich früher umgesetzt würde, also alle Bedingungen schon früher erfüllt würden, würde Griechenland dann auch schon früher Geld bekommen können?

Zweitens. Griechenland hat ja erkennbar Geldnot, deshalb drückt die griechische Regierung jetzt ja auch aufs Tempo und will die Sachen schneller umsetzen. Wurden in irgendeiner Form Möglichkeiten eruiert, beispielsweise über die EZB noch einmal Notkredite, kurzfristige Anleihen oder Ähnliches zu geben, damit man Griechenland irgendwie helfen kann, Geld in die Hand zu bekommen - und zwar schneller als bestenfalls Ende Juni?

BK'in Merkel: Die Europäische Zentralbank hat gestern in dem Gespräch sehr deutlich gemacht, dass ihre Politik unabhängig ist, dass ihre Politik vom Board der EZB und nicht in einer solchen Gesprächsrunde entschieden wird; das hat Mario Draghi auch mit unserer Zustimmung noch einmal gesagt.

Zweitens ist die Verlängerung nicht so angelegt, dass man gesagt hat: Der letzte Tag der Verlängerung ist der Auszahltag für eine mögliche Tranche. Vielmehr ist es so, dass der Verlängerungsrahmen bestimmt wird, und wenn man innerhalb dieses Verlängerungsrahmens schneller fertig wird und alle Auflagen erfüllt sind - nach dem Schema, das wir vereinbart haben -, dann kann natürlich auch Geld ausgezahlt werden. Darüber entscheidet die Eurogruppe.

Man muss allerdings noch wissen, dass wir hier gesagt haben: "Jedwede Auszahlung ... ist nur möglich, wenn die Institutionen dem Abschluss der Überprüfung der verlängerten Vereinbarung zustimmen." Es ist ja bisher immer so gewesen - das wissen Sie -, dass es nach der Vorlage der geplanten Reformen, nach der Bewertung durch die Institutionen, nach dem Vorschlag an die Eurogruppe "prior actions", also vorgezogene Aktionen gibt, über die auch noch Beschlüsse gefasst werden müssen. Es gibt immer auch einen Teil an Maßnahmen, die auf einer Zeitachse vereinbart werden, sodass nicht alle diese Maßnahmen sofort umgesetzt werden müssen; es ist aber eigentlich immer so gewesen, dass mit Blick auf einige Maßnahmen nicht nur auf dem Papier steht, dass man sie erwartet, sondern dass man auch erwartet, dass sie - eben in Form dieser vorgezogenen Aktionen - durch Parlamentsbeschlüsse auch schon rechtlich umgesetzt sind, bevor die Auszahlung erfolgt.

Frage: Ich hätte eine Frage zum Thema Migration. Sie haben Libyen erwähnt. Im europäischen Mittelmeer spielt sich in diesem Zusammenhang jetzt eine humanitäre Krise ab; das ist jetzt also auch eine Sicherheitsfrage. Was kann Europa hier anders oder besser machen?

BK'in Merkel: Wir haben über die verschiedenen Operationen, die sich mit der Sicherheit von Flüchtlingen auf dem Meer beschäftigen - Frontex und anderes -, gesprochen. Ich glaube, was heute noch einmal gesagt wurde, ist, dass Europa die einzelnen Aktivitäten sicherlich noch mehr verzahnen kann. Federica Mogherini hat deutlich gemacht, dass die Außenminister jetzt nach einer langen Zeit zum ersten Mal wieder über Migrationsfragen gesprochen haben und dass man auch darauf hinarbeitet, die Innen-, die Justiz- und die Außenminister enger zusammenzubringen, um eine gemeinsame Strategie zu entwickeln; denn das ist ja nicht allein eine innenpolitische Frage, sondern das hat viel mit den außenpolitischen Gegebenheiten zu tun. Ich glaube, das ist ein sehr guter Ansatz, der dort vorbereitet wird.

Frage: Ich habe eine Frage zu den Russland-Sanktionen: Die russische Regierung hat ja schon reagiert und den Beschluss der EU als destruktiv bezeichnet und mit Gegenmaßnahmen gedroht. Befürchten Sie, dass diese Sanktionsspirale jetzt wieder in Gang kommt?

Zweitens noch einmal zu dem Besuch von Herrn Tsipras am Montag: Erwarten Sie und hielten Sie es für sinnvoll, dass das Thema Entschädigung für NS-Opfer in Ihrem Gespräch eine Rolle spielen wird?

BK'in Merkel: Ich kann nicht sagen, ob das eine Rolle spielen wird. Wir haben dann ja noch eine Pressekonferenz; dann können wir darüber sprechen. Wir haben uns ja vielfach zu diesem Thema geäußert.

Was Russland und die Sanktionen anbelangt, so ist dieser Beschluss, glaube ich, doch in der Logik unseres Vorgehens. Wir haben gesagt: Sanktionen werden verhängt, wenn es einen bestimmten Anlass gibt, und sie können nur aufgehoben werden, wenn der Anlass nicht mehr existiert.

Der Anlass für die Sanktionen vom Juli und September war, dass wir in den Regionen Donezk und Lugansk separatistische Angriffe mit russischer Unterstützung hatten. Nur wenn sichergestellt ist, dass die Ukraine wieder ihre territoriale Integrität hat, ist der Anlass immer noch nicht vollständig, aber immerhin behoben. Deshalb ist es ja eigentlich in sich völlig logisch, dass wir das miteinander verbinden und dass damit für alle Beteiligten ein Anreiz besteht - jeder möchte ja, dass diese Sanktionen auch wieder aufgehoben werden können -, alles daranzusetzen, die Vereinbarungen von Minsk auch umzusetzen.

Zusatzfrage: (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)

BK'in Merkel: Ich habe jetzt das erklärt, was wir machen. Wie ich so oft schon sage: Angst ist ja nun kein guter Ratgeber.

Ich glaube, wir sollten uns darauf konzentrieren, die Vereinbarungen von Minsk umzusetzen. In der Logik der Sanktionen ist das in sich schlüssig und deshalb auch keine überraschende Schlussfolgerung.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, entschuldigen Sie, dass ich noch einmal kurz den Rücksprung zu Griechenland und auf den Vertrag mache.

BK'in Merkel: Sie müssen sich nicht immer entschuldigen.

Zusatz: Doch, mache ich gerne.

BK'in Merkel: Ich verstehe das gar nicht.

Zusatz: Ich habe diese klassische Erziehung genossen.

BK'in Merkel: Ach so? Wenn Sie meinen, sich für jede Frage entschuldigen zu müssen, ist das aber ein komisches journalistisches Verständnis. Es ist doch Ihre Aufgabe zu fragen.

Zusatzfrage: Nein, es ist etwas anders. Sie haben ja durch das zweimalige Zitieren des Vertrages suggeriert, das Thema wäre damit abgeschlossen - zumindest in diesem Punkt. Aus meiner Sicht bleibt aber eine Frage offen: Warum haben Sie am 20. Februar, als Sie diesen Vertrag aufsetzten, nicht sinngemäß hineingeschrieben: Das Geld fließt erst dann an Athen, wenn erstens die Institutionen, zweitens die Eurogruppe und drittens das griechische Parlament zustimmen?

BK'in Merkel: Das ist ja nicht so. Wir haben hineingeschrieben, dass erstens die Institutionen eine Empfehlung abgeben und dann die Eurogruppe diese Empfehlung genehmigt, und das griechische Parlament muss nur so weit befasst werden - sonst ist der Verhandlungspartner ja die griechische Regierung -, wie für einen Teil eventuell festgelegt wird - das machen die Institutionen dann mit der Eurogruppe zusammen -, was die sogenannten vorgezogenen Maßnahmen, also die "prior actions", sind. Insofern wäre das, was Sie sagen, eine Abweichung von unserem normalen Verfahren.

Wir haben doch immer darauf Wert gelegt - das hat auch gestern in unseren Gesprächen eine Rolle gespielt -, dass mit Griechenland nichts Besonderes gemacht wird. Das, was mit Griechenland ist, war auch mit Irland so, das war mit Spanien beim Bankenprogramm so und das war mit Portugal so; das ist immer dieselbe Prozedur.

Wir haben gestern sogar darüber gesprochen, dass Länder, die gar kein Programm haben, wie zum Beispiel Deutschland - - Wenn die routinemäßigen IWF-Berichte gemacht werden, dann kommen die IWF-Mitarbeiter zu uns nach Deutschland, gehen in die Ministerien und sind dort tagelang damit beschäftigt, Fakten zu erheben. Daraus entstehen dann die Länderberichte des IWF. Jeder von uns macht das, das ist eine ganz normale Prozedur. Insofern ist hier nur das niedergelegt, was ganz normal abläuft.

Der Verhandlungspartner der Eurogruppe ist die griechische Regierung, und soweit es um Umsetzungen geht, muss das natürlich dann in dem normalen parlamentarischen Verfahren erfolgen.

Zusatzfrage: Gestatten Sie mir die Zusatzfrage: Das heißt konkret, die griechische Regierung kann etwas zusagen, zum Beispiel die Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Ex-Troika findet das gut, die Eurogruppe auch, das Parlament lässt es scheitern, und trotzdem fließt das Geld?

BK'in Merkel: Es ist doch immer so gemacht worden, dass man die Dinge zum Teil schon hat umsetzen lassen. Die von Ihnen genannte Maßnahme - das ist jetzt ein gegriffenes Beispiel - kann man ja relativ schnell umsetzen; die könnte also auch zu den "prior actions" gehören.

Bei Abschluss eines Programms muss man sicherlich auch ein hohes Maß an Erfüllung ins Auge fassen, aber es bin nicht ich, sondern es sind die Eurogruppe und die drei Institutionen, die das genau festlegen.

Wenn Sie sich noch einmal anschauen, wie in dem Papier vom 10. Dezember argumentiert wurde, dann sehen Sie ja, dass immer auch gleich geschrieben wird, wie man sich den Zeitplan vorstellt. Ich kann diese Arbeit jetzt aber wirklich nicht für die Institutionen und die Eurogruppe vorziehen. Es ist aber immer dasselbe - für Portugal, Spanien, Griechenland und Irland.

Frage Spiegel: Danke, Frau Bundeskanzlerin. Ich möchte noch einmal auf die Frage der Europäischen Zentralbank und ihre Rolle eingehen. Premierminister Tsipras war sehr klar in seinen Worten. Er hat gesagt, dass Sie die griechische Wirtschaft strangulieren. In einem anderen Fall der Krise vor einigen Jahren war es so, dass Sie, Premierminister Monti und Herr Sarkozy gesagt haben, es wäre nicht gut, wenn man in der Öffentlichkeit in Sachen EZB sozusagen Forderungen stellt. Möchten Sie dies dem griechischen Premierminister am Montag sagen? Er stellt ja immer wieder öffentlich solche Forderungen und macht solche Bemerkungen.

BK'in Merkel: Ich glaube, dass die Europäische Zentralbank selber für ihre Politik spricht und auch mit der griechischen Regierung spricht.

Der Besuch in Deutschland dient dem bilateralen Kennenlernen. Ich habe einige Punkte aufgeschrieben und werde mich auf das konzentrieren, was aus deutscher Sicht zu sagen ist.

Frage: Ich entschuldige mich ausdrücklich nicht für den Rücksprung nach Russland. - Wenn Sie das Abendessen gestern noch einmal Revue passieren lassen, haben Sie dann den Eindruck, dass es im Kreise Ihrer EU-Kolleginnen und -Kollegen schwieriger wird, Sanktionen gegen Russland durchzusetzen?

Es wird jetzt vielleicht ein bisschen spekulativ, aber vielleicht mögen Sie trotzdem antworten: Gesetzt den Fall, es passiert ein weiteres Mariupol, wäre dann eine Verschärfung der Sanktionen in der derzeitigen Situation überhaupt denkbar?

BK'in Merkel: Mariupol ist ja in dem Sinne nicht passiert, sondern Mariupol ist unter ukrainischem Einfluss. Insofern kann ein "weiteres Mariupol" jetzt ja nicht passieren.

Wenn sich die Lage ändern sollte, dann würde man darauf auch wieder reagieren. So steht das auch in unserem Beschluss, den ich gerne noch einmal heraussuchen kann; jedenfalls habe ich es so in Erinnerung. - "Der Europäische Rat steht bereit, um weitere Maßnahmen zu unternehmen, wenn das notwendig ist." Das ist der letzte Satz unseres Beschlusses.

Was die Diskussion über die Verknüpfung - das war ja jetzt die politische Diskussion - zwischen der Erfüllung des Minsker Abkommens und den Sanktionen von Juli und September anbelangt, so gab es keine dramatischen Fragestellungen, weil das eigentlich jedermann irgendwo einleuchtet. Dass es immer wieder unterschiedliche Haltungen - und auch unterschiedliche Schwerpunktsetzungen und unterschiedliche Betroffenheiten - zu den Sanktionen als solches gibt, ist keine Frage; aber das war diesmal nicht anders, als es sonst auch war.

Freitag, 20. März 2015

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Quelle:
Abschließende Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Europäischen Rat am 20. März 2015 in Brüssel
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/03/2015-03-20-merkel-er.html;jsessionid=B894BE524A3AD55144B7E83BB1C5493C.s3t2
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2015

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