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PRESSEKONFERENZ/953: Merkel und Vorsitzende der Wirtschafts- und Finanzorganisationen, 11.05.15 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift Pressekonferenz in Berlin - Mittwoch, 11. März 2015
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und den Vorsitzenden der internationalen Wirtschafts- und Finanzorganisationen

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Christine Lagarde (IWF), Jim Yong Kim (Weltbank), Angel Gurría (OECD), Roberto Azevêdo (WTO), Guy Ryder (ILO)

(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)


BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, ich freue mich, dass wir heute wieder die Möglichkeit haben, mit den internationalen Organisationen unser jetzt schon traditionelles Treffen durchzuführen. Ich bedanke mich bei allen, die gekommen sind: den Vorsitzenden der OECD, des IWF, der Weltbank, der ILO und der Welthandelsorganisation.

In diesem Jahr ist für uns die Diskussion von besonderer Wichtigkeit, weil Deutschland die G7-Präsidentschaft hat und damit eine Vielzahl von Themen auf der Tagesordnung stehen, die gerade auch von diesen internationalen Organisationen sehr bearbeitet werden. Wir bekommen von den einzelnen Organisationen auch sehr hilfreiche und wichtige Zuarbeit für unsere Themenschwerpunkte.

Dennoch haben wir uns als erstes, wie in jedem Jahr, mit den Fragen der Weltwirtschaft und vor allen Dingen auch der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit beschäftigt. Die Einschätzung ist, dass wir unterschiedliche Situationen haben: In den entwickelten Ländern sehen wir doch ein gewisses Wachstum; gerade auch die Europäische Union steht besser da als in der Vergangenheit, allerdings noch nicht ausreichend gut. Auf der anderen Seite können wir sagen, dass geopolitische Risiken das Wachstum nach wie vor fragil gestalten. Von meiner Warte aus ist natürlich zu sagen, dass die politische Arbeit darin besteht, diese geopolitischen Risiken möglichst zu überwinden, wenngleich das - wenn man an den Kampf gegen IS denkt und wenn man an die Lösung der Ukraine-Krise denkt - natürlich gewaltige Aufgaben sind.

Dieses Jahr ist ein zentrales Jahr für die internationale Zusammenarbeit. Es wird in New York bei der UN im Herbst um die Zukunft der Entwicklungsziele gehen. Es wird im Juli bei der Konferenz in Addis Abeba darum gehen, die notwendige Finanzierung dafür zusammenzubekommen. Es wird um die Klimakonferenz am Jahresende in Paris gehen, und auch hier um die Bereitstellung der Finanzierung. Es wird natürlich auch um die Frage gehen: Welche Lektionen haben wir aus der Ebola-Epidemie gelernt und wie muss die Welt darauf reagieren?

Hier setzt auch einer der Schwerpunkte an, die Deutschland für seine G7-Präsidentschaft gesetzt hat. Ich bin gerade Herrn Kim sehr dankbar, der hier als Weltbank-Präsident sehr eng mit uns zusammenarbeitet und uns auch wesentliche Hilfestellungen gibt. Wir haben von deutscher Seite zusammen mit Norwegen und Ghana angeregt, dass die UN sich damit beschäftigt. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen hat dies sehr positiv aufgenommen. Wir wollen hierbei in den nächsten zwei Jahren auch aktive Schritte gehen.

Wir haben darüber gesprochen, dass gerade im Handelsbereich wichtige Fortschritte zu erzielen sind. Wir haben eine Reihe bilateraler Abkommen, aber auch eine wichtige Agenda für das multilaterale Handelssystem, was Deutschland unterstützen möchte.

Wir haben über die Frage der Arbeitsstandards gesprochen. Die Frage von Arbeitsstandards, von Sicherheit im Arbeitsleben ist ein Wachstumsfaktor beziehungsweise kann Wachstum reduzieren. Gerade heute hat in Berlin mit den Ministern Müller und Nahles eine Konferenz stattgefunden, an der einige von uns hier auf dem Podium auch teilgenommen haben, wofür ich sehr dankbar bin.

Wir haben außerdem das Thema Frauen auf die Tagesordnung gesetzt, wobei uns nicht nur Christine Lagarde - weil sie auch eine Frau ist - unterstützt, sondern wobei uns zum Beispiel auch die OECD unterstützt, wenn es um die Selbstständigkeit von Frauen und die Beteiligung von Frauen geht. Alle waren sich hier heute einig, dass die Rolle der Frauen sehr viel damit zu tun hat, wie produktiv und auch wie effizient Wirtschaftssysteme sind, und dass wir hier noch vieles mehr tun müssen.

Insgesamt ist dies also ein wichtiges, ein entscheidendes Jahr für die internationale Zusammenarbeit, bei der jede der hier anwesenden Organisationen ihren Beitrag leistet. Ich bin sehr dankbar, dass wir mit ihrer Unterstützung rechnen können. Wie immer war es ein spannendes Treffen. Sie werden am Ende ein gemeinsames Kommuniqué von uns erhalten, das auch noch einmal wesentliche Punkte der Zusammenarbeit zusammenfasst. - Herzlichen Dank!

Lagarde: Herzlichen Dank, Frau Bundeskanzlerin! Guten Abend, guten Nachmittag an Sie alle! Es ist sehr schön, dass ich wieder im Herzen Europas sein darf und einmal nicht in Brüssel bin - also vielen Dank für diese Einladung. Dies ist eine sehr gute Gelegenheit, Meinungen auszutauschen, der Bundeskanzlerin zuzuhören, welche Haltung sie zu internationalen Themen, zu Wirtschaftsthemen, zu Handelsthemen einnimmt.

Ich kann nur sagen: Von meinem Standpunkt, also vom IWF aus betrachtet, war es für mich sehr nützlich, dass ich mitteilen konnte, wohin unserer Auffassung nach die Weltwirtschaft geht. Wir sind der Ansicht, dass es eigentlich tatsächlich bessere Nachrichten gibt, gerade im Bereich der Industrieländer und deren wirtschaftlicher Entwicklung. Das ist seit einiger Zeit mal wieder eine Gelegenheit, bei der wir sagen können: Es gibt gutes Wachstum, zum Beispiel im Vereinigten Königreich. Auch, dass der Euro so dasteht, wie er dasteht, ist eine bessere Entwicklung. Im vierten Quartal des letzten Jahres gab es bessere Entwicklungen, und das, was wir an Indikatoren gesehen haben, hat uns dazu geführt, dass wir sagen: Die europäische Wirtschaft wird offensichtlich ein besseres Jahr erleben als erwartet. Es gibt also marginal verbesserte Ergebnisse für die Industrieländer.

Leider gibt es in den Schwellenländern ein deutlich bescheideneres Wachstum und ganz sicherlich auch langsameres Wachstum, als wir es erwarteten. Das ist auf jeden Fall der Fall in China - wobei das dort bewusst so gemacht wird -, das ist in Brasilien der Fall, wo es weniger als minus zehn Prozent Wachstum gibt, und das ist auch in den meisten der Länder, die Rohstoffe exportieren und die jetzt aufgrund der niedrigeren Rohstoffpreise besonders negativ betroffen sind, der Fall. Es gibt drei Faktoren, die wir vor einem Jahr noch nicht gesehen haben, die jetzt ganz klar zu erkennen sind. Zum einen ist dies der Ölpreisverfall. Dieser führt zu unterschiedlichsten Ergebnissen, aber wir sehen das insgesamt eigentlich als einen positiven Faktor für die Weltwirtschaft. Zweitens ist dies die Variation bei den Währungen: Der Dollar ist ganz klar aufgewertet worden, und sowohl der Yen als auch der Euro sind abgewertet worden. Das hat ganz eindeutig Auswirkungen auf die Exportaktivitäten der betreffenden Länder. Der dritte Faktor ist, dass nach wie vor - und das ist wichtig für die Investitionen - relativ billig Finanzierungen, relativ billig Darlehen zu erreichen sind. Das alles stärkt die Weltwirtschaft und vor allen Dingen die Industrieländer, die natürlich auf diese Weise davon profitieren, dass sie wenig für das Öl bezahlen müssen, dass die Währungsvariationen ihnen in die Hand spielen und dass sie eben auch niedrige Zinsen haben.

Gibt es keine Risiken? Doch, die gibt es. Die Kanzlerin hat hier gerade die geopolitischen Risiken genannt - ich will gleich noch auf das Thema Ukraine eingehen. Es gibt aber natürlich auch Risiken, die vor allen Dingen etwas mit den momentanen Währungspolitiken, den Geldpolitiken zu tun haben. Wir werden seitens der Fed offensichtlich zu traditionellerer Geldpolitik zurückkehren; seitens Japans und der Europäischen Zentralbank gibt es aber moderatere Politiken. Das wird zu mehr Volatilität führen, und es wird auch zu Auswirkungen auf die jeweiligen Währungen führen; denn die Länder, die hohe Darlehen aufgenommen, die in Dollar bewertet werden, werden natürlich darunter leiden, und sie werden die Last dieses sehr hohen Dollars dann eben auch in ihren Bilanzen wiederfinden.

Insgesamt kann man also sagen: Es hat seitens der Industrieländer Fortschritte gegeben - nicht großartige Fortschritte, sondern begrenzte Fortschritte, aber da sind wir optimistischer -, langsameres Wachstum bei den Schwellenländern und sehr niedriges Wachstum bei den sehr armen Ländern, die allerdings immer noch bessere Entwicklungen als viele andere Länder haben, was die Wachstumsländer angeht. Es sind aber natürlich auch geopolitische Risiken zu bewerten. Wir hoffen, dass die Politik, die all diese Länder - die natürlich unterschiedliche Situationen haben, wo auch immer sie sein mögen - zu entscheiden haben, einfach etwas besser koordiniert wird. Deutschland hat eine Wirtschaft, die gut funktioniert, die besser funktioniert als viele andere. Es war sehr positiv zu verzeichnen, wie vor allen Dingen Investitionen im Bereich der Infrastruktur aufgenommen wurden, die hier ja beschlossen worden sind. Der Beitrag des Privatsektors bei diesen Investitionen wird auf jeden Fall dazu führen, dass auch der Binnenkonsum gestärkt wird.

Der letzte Punkt, Frau Bundeskanzlerin, den ich gerne noch anfügen möchte, ist, dass vor etwa einer Stunde das Board des IWF das Programm für die Ukraine gebilligt hat. Das bedeutet, für die nächsten vier Jahre werden zusätzliche Finanzmittel bereitgestellt. Das wird dem Land hoffentlich helfen, seine Situation zu verbessern - vorausgesetzt natürlich, dass die Minsker Vereinbarungen zum Waffenstillstand eingehalten werden und die Lage sich stabilisiert. Das ist ja von einer Reihe von wichtigen politischen Führern - einschließlich einer, die direkt neben mir sitzt - so vereinbart worden.

Gurría: Danke sehr, Frau Bundeskanzlerin, für die Einladung.

Lassen Sie mich feststellen, dass wir der Ansicht sind, dass sich der Ausblick auf jeden Fall verbessert hat. Wir werden eine Reihe unserer Wachstumsvoraussagen nach oben korrigieren, wenn wir unseren Interimsbericht vorlegen. Aber vielleicht darf ich hier ein paar der Herausforderungen und Risiken herausstellen; denn das sind natürlich die Dinge, denen wir uns in der nahen Zukunft stellen müssen.

Es gibt immer noch relativ niedriges Wachstum, hohe Arbeitslosigkeit, wachsende Ungleichheiten, und wir haben einen sehr schwerwiegenden Verlust an Vertrauen. Das ist eben, leider Gottes, eine der Folgen der vorangegangenen Krise.

Etwas, worauf wir uns konzentrieren müssen, ist auch die Frage der Produktivität. Die Produktivität ist schon seit einiger Zeit nicht mehr angestiegen; sie ist in einigen Fällen sogar zurückgegangen. Bei den entwickelteren Ländern, also denjenigen, die eigentlich die anderen ziehen sollen, also der Motor der Erholung sein sollen, ist das zum Teil auch so. Die Produktivität ist natürlich absolut unverzichtbar, um wieder Wachstum zu erschließen und Beschäftigung zu schaffen - dafür ist Produktivität absolut wichtig. In der Vergangenheit war es so, dass wir Lohnzuwächse zugelassen haben, die weit über das hinausgingen, was an Produktivität vorhanden war; das hat eine ganze Reihe von Staaten so gemacht. In Deutschland war das anders: Hier hat man über fünfzehn Jahre eine höhere Produktivität gehabt, als Lohnzuwächse da waren, und deswegen haben Sie eben eine bessere Wettbewerbsposition erlangen können. Das muss in den anderen Ländern angegangen werden. Das hat natürlich auch dazu geführt, dass man größere Ungleichheiten hat.

Ich denke, das, was wir in den letzten Jahren erfahren konnten, war eben: Reformen funktionieren. In Spanien zum Beispiel hat man Reformen durchgeführt und hat dann auch die Beschäftigungspolitik verbessert. Man hat gedacht, dass man das Defizit von etwa zehn Prozent nicht mehr beseitigen konnte, aber das ist gelungen. Auch in Italien hat es ganz erhebliche Reformen im Bereich der Arbeitsmarktpolitik gegeben. Hier gibt es jetzt erhebliche Verbesserungen, und man zielt nun auch auf ehrgeizigere Ziele. Portugal und Irland, die ja sehr, sehr stark unter Druck kamen, sind jetzt aus dem Programmstatus herausgekommen. Es gibt ein einigermaßen zufriedenstellendes Wachstum, das allmählich ansteigt; auch die Beschäftigungszahlen steigen an. Das bedeutet: Reformen zahlen sich aus, Reformen funktionieren.

Worauf müssen wir uns jetzt konzentrieren?

Wir müssen uns ganz eindeutig auf die Frage der Innovation konzentrieren. Sie nennen das hier die zweite industrielle Revolution beziehungsweise Industrie 4.0 - ja, das ist ein guter Name -, wir nennen es die nächste Produktionsrevolution - was auch immer für ein Etikett man dafür findet.

Der zweite Bereich, auf den wir uns konzentrieren müssen, ist natürlich der Dienstleistungssektor. Der Dienstleistungssektor macht nicht nur 70 bis 80 Prozent unserer Wirtschaft aus, sondern ist auch ganz, ganz wichtig für den herstellenden Sektor.

Drittens geht es natürlich auch um Fähigkeiten, um berufliche Qualifikationen. Das geht auch über Bildung hinaus; es geht um eine Mischung aus dem Bildungssystem, Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt, dem Berufsbildungssystem und auch der Fähigkeit, jede Fabrik in eine Universität umzuwandeln, jeden einzelnen Arbeitsplatz in einen Platz umzuwandeln, an dem gelernt wird. Die Deutschen wissen besser, wie das funktioniert, als viele andere; jeder will hierher kommen, um die Deutschen zu fragen, wie sie das gemacht haben - ich könnte mir vorstellen, dass das auch gut für den Tourismus ist. Die Frage ist aber: Wie ist in der Zusammenarbeit zwischen den Tarifpartnern, der Regierung und den einzelnen Arbeitern und Angestellten eigentlich diese Kultur zu entwickeln? Das ist etwas, was ganz wichtig ist, das muss man verändern.

Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben ja noch ein Thema angesprochen, nämlich die Frage der Gleichberechtigung, der Gleichstellung, der Teilhabe von Frauen am Arbeitsmarkt. Die Lücke, die da besteht - nicht nur, was die Teilhabe am Arbeitsmarkt angeht, sondern auch die Lücke bei der Bezahlung und den Chancen - muss geschlossen werden.

Schließlich und endlich geht es auch um die Frage eines offenen Handels- und Investitionsklimas. Es ist sicherlich keine große Überraschung, dass wir kein robustes Wachstum haben können, wenn der Handel nicht wächst, wenn ihm nicht Raum gegeben wird. Auch die Investitionen können dann nicht entsprechend wachsen und auch Darlehen können dann nicht gegeben werden. Das sind die kritischen Elemente, die wichtigen Elemente, die Wachstum schaffen können. Wenn der Motor auf diesen Zylindern nicht voll läuft, dann kann man auch kein wirkliches, zufriedenstellendes Wachstum erwarten.

Zum Schluss möchte ich noch sagen: Herzlichen Glückwunsch, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie uns hier heute auch eine Konferenz liefern konnten, bei der es auch um die Frage von Standards bei den Wertschöpfungsketten ging. Das ist etwas, was wir nicht mehr auf die lange Bank schieben können; dieses Produktivitätspuzzle ist etwas, was wir angehen müssen. Das ist zwingend notwendig, um Erfolge zu haben. - Herzlichen Dank!

Azevêdo: Herzlichen Dank an alle! Das Gespräch, das wir heute hatten, war, denke ich, ein sehr gutes Gespräch.

Wir haben ja über die Tendenzen im Handel gesprochen - der Handel wächst nicht so schnell, wie er das könnte. Wir haben uns zunächst einmal die Zahlen angesehen: Im letzten Jahr ist der Handel um etwa drei Prozent gewachsen; dieses Jahr hatten wir etwa vier Prozent Wachstum im Handel. Das liegt immer noch sehr unter dem Durchschnitt von 5,2 Prozent. Die Frage ist: Liegt das an zyklischen Gründen oder an strukturellen Gründen? Das müssen wir erst noch herausfinden.

Was die WTO angeht, so haben wir dieses Jahr eine ganze Reihe von Risiken, von Herausforderungen, aber auch von Chancen zu gewärtigen. Zunächst einmal müssen wir das "Trade Facilitation Agreement", das wir in Bali abgeschlossen haben, auf den Weg bringen. Wir brauchen die Zustimmung von zwei Dritteln der Mitglieder der WTO, um das zu ratifizieren - wir hoffen, dass uns das vor Ende des Jahres gelingen wird. In diese Richtung sollten wir auf jeden Fall arbeiten.

Wir machen auch Fortschritte bei der Doha-Entwicklungsagenda. Wir möchten diese Runde so schnell wie möglich abschließen. Wir haben in der Tat in den letzten drei, vier Wochen mehr Erfolge erzielen können als im ganzen vergangenen Jahr. Da muss noch einiges getan werden. Das wird sehr schwierig werden, aber es ist definitiv möglich.

Dann gibt es noch eine Reihe von anderen Verhandlungen, die gerade im Gange sind, zum Beispiel das Informationstechnologie-Übereinkommen, an dem wir zurzeit arbeiten. Dabei geht es um ein Handelsvolumen von einer Billion Dollar.

Des Weiteren gab es die zehnte Ministerkonferenz in Nairobi - das war das erste Mal, dass wir eine solche Ministerkonferenz in Afrika abhalten.

Wir haben auch ein bisschen über regionale Handelsabkommen gesprochen. Diese werden immer weiter gefasst, es geht dabei um immer mehr Themen und sie sind immer tiefgreifender. Das ist eine sehr begrüßenswerte Entwicklung, aber auch eine, die eine Reihe von Herausforderungen hervorbringt. Es gibt inzwischen 90 andere Handelsabkommen allein im Rahmen der G20, die außerhalb der WTO laufen. Das ist eine Entwicklung, die wir sehr sorgfältig beobachten müssen.

Handel kann dem Wirtschaftswachstum natürlich aufhelfen. Viele der Instrumente, um Wachstum vorwärts zu bringen, sind eingesetzt worden, und der Handel ist eben ein weiteres Instrument, das eingesetzt werden kann. Natürlich ist die Bundesrepublik hier sehr wichtig; sie ist ein "global player" und kann uns dabei helfen, in all diesen verschiedenen Bereichen Fortschritte zu erzielen. - Herzlichen Dank!

Ryder: Vielen Dank, Frau Bundeskanzlerin. Jedes Jahr haben wir sehr konstruktive und produktive Gespräche. Auch bei dieser Gelegenheit war dies der Fall. Was unsere Diskussion sicherlich noch einmal etwas mehr auf den Punkt gebracht hat, war, dass das alles vor dem Hintergrund des G7-Vorsitzes stattfand, den Deutschland innehat.

Gestern und heute standen unsere Gespräche unter dem Vorzeichen: Wie können wir jetzt anständige Arbeitsbedingungen und Lieferbedingungen in den weltweiten Lieferketten fördern? Wir wissen heutzutage: 80 Prozent allen Welthandels findet in diesen weltweiten Wertschöpfungsketten statt, und unsere Wertschöpfungsketten sind immer stärker miteinander verknüpft. Jetzt ist es notwendig, aus diesen Gegebenheiten die notwendigen politischen Konsequenzen zu ziehen. Ich begrüße es daher sehr, dass die deutsche Regierung gezeigt hat oder angedeutet hat, dass sie das auf die Tagesordnung des G7-Vorsitzes setzen wird und dass sie ebenfalls ein "Vision Zero"-Programm umsetzen werden. Dabei geht es darum, dass man nicht akzeptable Arbeitspraktiken in den Wertschöpfungsketten nicht akzeptiert. Ich denke, das ist eine sehr begrüßenswerte politische Initiative. In der ILO ist uns klar geworden, dass wir hier innovativ tätig sein müssen. Wir können uns nicht auf traditionelle Herangehensweisen beschränken, wir können uns nicht nur auf nationale Regierungen konzentrieren; denn internationale Akteure und Unternehmen sind die Haupttreiber der Wertschöpfungsketten. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit Deutschland in den nächsten Monaten des G7-Vorsitzes, die dazu führen soll, dass diese Initiative erfolgreich sein kann.

Der zweite Aspekt, den ich ansprechen möchte, ist die Beschäftigungskomponente des eher günstigen, moderat günstigen Wirtschaftsklimas, das wir weltweit erleben. Dieses Klima ist sehr gut für weltweites Wachstum, aber aus unserem Kommuniqué geht auch hervor, dass wir noch darüber hinausgehen müssen: Wir müssen weitere Maßgaben ergreifen, um Beschäftigung zu schaffen, und wir müssen uns insbesondere auf die Situation der Jugendarbeitslosigkeit konzentrieren. Wir haben es nach wie vor mit einem hohen Maß an Arbeitslosigkeit zu tun, aber wenn man unter 25 ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass man arbeitslos wird, sogar dreimal höher als bei anderen Mitgliedern der Gesellschaft. Dies war sicherlich sehr wichtig.

Kim: Vielen Dank! - Wir sind der Bundeskanzlerin sehr dankbar, dass sie uns hier zusammengebracht hat. Bundeskanzlerin Merkel hat eine sehr visionäre Agenda für die G7-Treffen dieses Jahres aufgestellt. Ich möchte kurz auf einige der Themen eingehen, die sie mir empfohlen hat - zum Beispiel im Zusammenhang mit Ebola.

Lassen Sie zuerst einmal sagen: 2015 ist sicherlich ein bahnbrechendes Jahr. Es ist vielleicht das wichtigste Jahr in der Geschichte der internationalen Entwicklung; denn wir begehen das Ende des Abschnitts der Umsetzung der MDG, der Millenniumsentwicklungsziele, und es geht hier jetzt um die Umsetzung einer neuen Reihe von Millenniumsentwicklungsziele. Für mich und das IWF geht es jetzt auch darum, dass wir jetzt die richtigen Mittel für die Finanzierung dieser weiterreichenden Entwicklungsziele, der "Sustainable Millennium Development Goals", finden müssen. Hierbei geht es auch um Werkzeuge jenseits der herkömmlichen Entwicklungspolitik: Es geht hier um neue Finanzierungsmöglichkeiten, effektivere Ressourcenmobilisierung in sich entwickelnden Ländern und die Abschaffung von fossilen Subventionen - so hat man mehr fiskalischen Spielraum. Offizielle Entwicklungspolitik und Unterstützung muss sehr viel stärker geleveraged werden, gehebelt werden, und auch in den multilateralen Entwicklungsbanken können wir sehr viel mehr mit an den Tisch bringen, indem wir unsere eigenen Bilanzen mehr hebeln. Hierbei geht es um Billionen von Dollars und nicht nur um Milliarden von Dollars, die wir freisetzen können.

Wir bereiten uns auf die Konferenz in Addis Abeba vor und freuen uns auf eine hoffentlich sehr erfolgreiche Versammlung der VN. Auf dieser Konferenz geht es in erster Linie auch um den Klimawandel. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, die notwendigen Finanzmittel freizusetzen, um hier Fortschritte zu erzielen.

Lassen Sie mich jetzt auf Ebola zu sprechen kommen: Ebola hat mehr als 10.000 Menschen betroffen; das ist bei Weitem die schlimmste Epidemie, die wir erlebt haben, und wir haben feststellen müssen, dass wir vollkommen unvorbereitet waren. Vielleicht können Sie sich in Europa noch daran erinnern: Ihre Urgroßeltern haben vielleicht über die Auswirkungen der Spanischen Grippe 1919 gesprochen. Diese Pandemie hat 25 Millionen Menschen in 20 Jahren umgebracht - bis 1918 ist man nur sehr wenig beziehungsweise überhaupt noch nicht mit dem Flugzeug gereist. Die Wahrscheinlichkeit, dass so etwas noch einmal eintritt, ist aber sehr hoch - wir wissen, dass noch einmal eine Pandemie von einer solchen Tragweite eintreten wird; wir wissen nur nicht, wann sie eintreten wird. Deswegen arbeiten wir mit den unterschiedlichsten Akteuren zusammen, damit wir die notwendigen Mittel freisetzen, um eingreifen zu können und dem Ganzen begegnen zu können. Es geht dabei um die Zusammenarbeit zwischen VN-Organisationen, multilateralen Entwicklungsbanken und dem Privatsektor. Diese Koalition gibt es so noch nicht, sie war noch nie da. Wir freuen uns sehr, dass Bundeskanzlerin Merkel das auf die G7-Agenda gesetzt hat. Wir werden im Juni bekanntgeben, welche Maßnahmen wir ergreifen wollen, um einer solchen Pandemie gewappnet zu sein. Die Auswirkungen einer solchen Pandemie nicht nur auf die Volkswirtschaft, sondern auf die Menschheit insgesamt werden einfach unbeschreiblich sein. Daher müssen - und das können wir - Mechanismen einrichten, um einer solchen Pandemie begegnen zu können.

Frage: Frau Lagarde, ich habe eine Frage zu dem Beschluss des IWF, ein Hilfsprogramm von 17,5 Milliarden Euro aufzulegen: Ab wann kann die Ukraine mit den ersten Mittelzuflüssen aus diesem Programm rechnen? Ist das abhängig der Beteiligung der Gläubiger, die ja noch nicht gesichert ist?

Lagarde: Das 17,5-Milliarden-Programm ist eine erweiterte Fonds-Fazilität für vier Jahre. Der größte Teil davon wird im ersten Jahr ausgegeben, denn wir wollen innerhalb der ersten zwölf Monate 10 Milliarden Euro freisetzen. Das sollte natürlich im Folgejahr auch überprüft werden. Ich kann Ihnen nur sagen, dass die Ukraine alle Maßnahmen ergriffen hat, die wir von ihr erwartet und verlangt haben, damit sie für Mittelausschüttungen infrage kommt. Zu Anfang des Programmes werden also sehr viele Mittel ausgegeben - im ersten der vier Jahre 10 Milliarden Euro. Die Mittelausschüttungen finden statt, sobald die Voraussetzungen erfüllt sind und die entsprechenden Behörden das überprüft haben. Die Ausgangsvoraussetzungen dafür sind aber sehr gut.

Frage: Herr Kim, letzte Woche haben Sie gesagt, dass Sie erhebliche Probleme im Zusammenhang mit der Weltbank und mit den Umsiedlungsprogrammen feststellen müssen. Vielleicht haben Sie das heute Nachmittag auch noch einmal thematisiert. Warum ist es so schwierig für die Weltbank, sich an ihre eigenen Regeln und Standards oder Normen zu halten?

Kim: Sie sprechen hier das Problem der Resettlements an. Wir sprechen hierbei über einen 20-Jahres-Zeitraum, in dem wir verschiedene Infrastrukturprojekte finanziert haben, im Rahmen derer es zu Zwangsumsiedlungen gekommen ist - das ist nun einmal so gewesen. Wir haben 2009 einen Prozess in Angriff genommen, um zu eruieren, ob wir alle notwendigen Daten zur Verfügung haben, die wir benötigen. Wir haben im Zusammenhang mit den Zwangsumsiedlungen alle notwendigen Maßnahmen ergriffen, und wir haben festgestellt, dass es innerhalb der letzten 20 Jahre zu vielen Fällen gekommen ist, in denen wir nicht die notwendige Datenlage hatten und in denen wir nicht die notwendigen Maßnahmen ergriffen haben.

Welchen Ansatz haben wir ergriffen, seitdem ich übernommen habe? Nun, wenn wir auf diese Probleme stoßen, dann machen wir sie öffentlich und stellen einen Plan auf, der dafür sorgt, dass das nicht noch einmal eintritt. Diese Maßnahmen haben wir auch jetzt ergriffen. Im Moment ist es einfach so, dass in den Entwicklungsländern ein hoher Bedarf an Infrastrukturprogramm besteht - dabei geht es um mehr als drei Billionen Dollar pro Jahr. Unter den aktuellen Umständen ist es so, dass das Kapital nur dann in diese Infrastrukturprojekte fließen kann, wenn wir bestimmte Möglichkeiten haben. Deswegen werden wir es mit einer Mittelknappheit zu tun haben; die Weltbank wird eingreifen müsse. Infrastrukturprojekte erfordern nun einmal oft Zwangsumsiedlungen. Wir wollen dafür sorgen, dass nach der Zwangsumsiedlung der Lebensstandard mindestens genauso hoch wie vorher beziehungsweise vielleicht sogar noch höher als vorher ist. Nach unseren Regeln versuchen wir, die betroffenen Menschen - selbst wenn sie nicht die Landrechte, die Grundrechte besitzen - zu entschädigen.

Das sind sehr hohe Standards, und an diese Verfahrensweise werden wir uns auch künftig halten. Wir setzen in den ärmsten Ländern der Welt komplexe Projekte um, aber wenn wir auf diese Probleme - die unweigerlich eintreten werden - stoßen, dann werden wir sie publizieren und werden Ihnen mitteilen, welche Maßnahmen wir ergreifen, um sie auszuräumen.

Mittwoch, 11. März 2015

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und den Vorsitzenden der
internationalen Wirtschafts- und Finanzorganisationen in Berlin am 11. März 2015
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/03/2015-03-11-bk-finanz-wirtschaft-org.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. März 2015

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