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PRESSEKONFERENZ/939: Kanzlerin Merkel zum Europäischen Rat, 12.01.2015 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Im Wortlaut
Mitschrift der Pressekonferenz in Brüssel - Donnerstag, 12. Februar 2015
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Europäischen Rat am 12. Februar

Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel


StS Seibert: Guten Abend, meine Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin gibt Ihnen einen kurzen Bericht über diesen informellen Europäischen Rat.

BK'in Merkel: Meine Damen und Herren, wir hatten heute drei Schwerpunkte, kann man sagen, unseres Europäischen Rates:

Der erste war die Ukraine. Staatspräsident Poroschenko war da. Der französische Präsident François Hollande und ich haben über die Minsker Vereinbarungen gesprochen, genauso wie Staatspräsident Poroschenko.

Wir haben dann zweitens zu den Fragen der Terrorismusbekämpfung gesprochen. Gerade durch die schrecklichen Anschläge von Paris, genauso wie durch die Vorkommnisse in Belgien, sind wir noch einmal gefordert, innerhalb der Europäischen Union zu überlegen, wie wir die Herausforderungen bewältigen. Es war auch interessant, dass der Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, heute darüber berichtet hat, dass zum Beispiel die Fragen der Fluggastdatenspeicherung noch einmal neu durch das Europäische Parlament bewertet werden.

Wir haben dann auch gesprochen über die Fortentwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion. Hier galt es ja noch einmal, die drei Präsidenten zu bitten, uns einen Überblick zu geben, wie die Analyse von bestimmten Schwachstellen innerhalb der Europäischen Währungsunion zu bewerten ist. Sowohl Jean-Claude Juncker als auch Mario Draghi als auch Herr Dijsselbloem haben das gemacht. Wir werden diese Diskussion fortsetzen.

Das Thema Griechenland hat eine nur sehr kleine Rolle gespielt. Der griechische Premierminister hat seine Vorstellungen kurz dargelegt, aber wir waren uns alle einig, dass die Diskussion vertieft im Rahmen der Finanzminister, speziell in der Eurogruppe, fortgeführt werden muss.

Zum Thema Ukraine/Russland habe ich heute schon ausführlich Stellung genommen. Wir haben heute noch einmal darüber gesprochen, dass es gut ist, dass es jetzt auch ein IWF-Programm gibt, um die ökonomische Entwicklung der Ukraine zu begleiten. Ich wiederhole noch einmal, was ich heute auch schon gesagt habe: Es ist ein Hoffnungsschimmer. Den Worten müssen Taten folgen. Dabei gibt es auch viele Möglichkeiten dafür, dass es zu Schwierigkeiten kommt. Es gab im Europäischen Rat heute eine ganz allgemeine Einschätzung der Unterstützung dieser Initiative des französischen Staatspräsidenten und mir, dass wir es versuchen müssen, diesen Friedensprozess voranzubringen. Auch der ukrainische Staatspräsident hat gesagt, dass das für sein Land sehr wichtig ist. Wir sind uns aber sehr wohl dessen bewusst, dass es vieler Anstrengungen bedarf. Deshalb halten wir uns auch alle Reaktionsmöglichkeiten offen. Wenn es gut geht, werden wir diesen Prozess erfreut begleiten; wenn es Schwierigkeiten gibt, schließen wir auch weitere Sanktionen nicht aus.

Das ist das, was ich heute zum Verlauf des heutigen informellen Europäischen Rates sagen kann.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, dank Ihrer unermüdlichen Anstrengungen haben wir jetzt das neue Minsker Abkommen, und wir haben heute in Brüssel bereits Kritik gehört, dass eigentlich wichtige Punkte bei der Grenzsicherung doch nicht vereinbart worden sind. Vielleicht können Sie erläutern, woran das liegt?

Zweitens. Wird für den Fall, dass es nicht gut läuft, bereits an weiteren Sanktionen gearbeitet? Weiß man, welche Sanktionen es dann geben wird?

BK'in Merkel: Kommen wir zu Beginn gleich zu den Sanktionen: Man weiß es noch nicht. Wir haben die Europäische Kommission gebeten, weitere Vorbereitungen für solche Sanktionen zu tätigen.

Zu Ihrer ersten Frage: Wir haben kein neues Minsker Abkommen beschlossen, sondern wir haben ein Paket von Maßnahmen zur Implementierung des Minsker Abkommens beschlossen. Wenn Sie sich das heute noch einmal anschauen: Das Minsker Abkommen und das Minsker Protokoll - das sind ja zwei Dokumente - sind im Grunde in Teilen - nicht überall - sehr allgemein, und es wird nicht genau gesagt, wer was macht. Wir haben versucht, diese Schwierigkeiten des Minsker Abkommens jetzt durch dieses Maßnahmenpaket zu beheben, mit all den Unsicherheiten, die wir dabei haben, weil wir immer auf den guten Willen aller angewiesen sind, die das implementieren müssen.

Sie haben jetzt über die Frage der Grenze gesprochen. Dazu will ich Sie auf den Punkt 9 in Zusammenhang mit Punkt 11 dieses Maßnahmenpakets hinweisen: In Punkt 11 wird darüber gesprochen, dass die Ukraine eine Verfassungsreform machen will. Das ist übrigens eine Verfassungsreform, von der die ukrainische Regierung schon seit geraumer Zeit spricht. Es gab schon bei der Venice Commission erste Entwürfe zu dieser Verfassungsreform. Das Thema Dezentralisierung hat dort immer eine Rolle gespielt - im Gegensatz zu dem Thema Föderalisierung, das in Deutschland einen sehr guten Ruf hat, aber in der Ukraine einen sehr schlechten Ruf hat. Deshalb ist Dezentralisierung hier auch das Kernelement. Da wird gesagt: Wir brauchen eine Dezentralisierung in der Verfassungsreform und gleichzeitig für die speziellen Gebiete von Donezk und Lugansk auch spezielle Regelungen. Wenn diese umgesetzt werden, dann ist bis Ende 2015 auch die Kontrolle über die Grenze durch die ukrainischen Grenzbeamten sicherzustellen. Das war ein relativ langer Gang der Verhandlungen. Das bleibt auch in der Implementierung kompliziert, aber immerhin ist es, wie ich finde, auch im Sinne der ukrainischen berechtigten Erwartungen - und auch der berechtigten Erwartung, dass das, was der russische Präsident sagt, nämlich dass er die territoriale Integrität des ukrainischen Staates gewährleisten möchte, umgesetzt wird - v ernünftig niedergelegt. Um das alles umzusetzen, brauchen wir noch viel Kraft.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, der heutige Gipfel war der erste EU-Gipfel, an dem der neue griechische Ministerpräsident teilgenommen hat. Könnten Sie freundlicherweise ein bisschen beschreiben, wie Ihre erste Begegnung war und wie Sie das empfunden haben?

BK'in Merkel: Wir haben uns freundlich begrüßt. Ich habe ihn zu seiner Wahl beglückwünscht und habe ihm gesagt, dass von meiner Seite aus alle Bereitschaft besteht, gut zusammenzuarbeiten. Er hat das erwidert. Wir werden jetzt die verschiedenen Punkte sehen, an denen wir auch gemeinsame Entscheidungen treffen müssen. Aber es war sehr freundlich.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, noch einmal zurück zum Thema Ukraine: Vielleicht können Sie noch einmal erklären, warum der Waffenstillstand erst am Sonntag kommen soll? Denn das ist ja dafür anfällig, dass bis dahin noch größere Kampfhandlungen stattfinden.

Haben Sie eine Rückmeldung aus den USA bekommen, dass die Debatte über Waffenlieferungen mit dieser Erklärung nun erst einmal vom Tisch ist, oder woran könnte die Neuauflage der amerikanischen Debatte geknüpft sein?

BK'in Merkel: Naja, die Aufnahme ist an die Implementierung der Verabredungen geknüpft, das ist ja vollkommen klar.

Bezüglich des Waffenstillstands gab es ein hartes Ringen. Unsere Meinung und die ukrainische Meinung war: Je schneller, desto besser - das liegt ja auf der Hand. Ganz offensichtlich haben auch gewisse taktische Gründe eine Rolle dabei gespielt, dass andere Teilnehmer der Verhandlungen dem so nicht zustimmen konnten. Dann haben wir eben einen Kompromiss gefunden. Ich hätte eine noch schnellere Waffenruhe also durchaus auch akzeptieren können, aber das beruht ja immer auf Gegenseitigkeit. Da ich persönlich nun auch keine Konfliktpartei bin, mussten wir gucken, wie die Konfliktparteien sich darauf einigen.

Frage: Wie beurteilen Sie im Lichte der Ereignisse der vergangenen Tage eigentlich die Verhandlungsstrategie der neuen griechischen Regierung?

BK'in Merkel: Mit Verhandlungsstrategien beschäftige ich mich nicht. Wir müssen ergebnisorientiert verhandeln, und da ist die Situation einfach so, dass das bestehende griechische Programm bis zum Monatsende gilt. Wenn es verlängert werden soll, dann wünsche ich mir, dass möglichst bald auch die Anträge auf die Verlängerung erfolgen. Und wenn es bis Ende Februar erfüllt wird, dann wünsche ich mir, dass bald vorgelegt wird, dass es erfüllt wird. Nur diese zwei Möglichkeiten gibt es ja.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, die Einigung, die Sie heute unterzeichnet haben, bedeutet, dass zunächst einmal russische Separatisten eine Amnestie bekommen. Würde das auch auf die Separatisten zutreffen, die das malaysische Flugzeug abgeschossen haben?

BK'in Merkel: Das wurde heute noch einmal vom niederländischen Ministerpräsidenten angesprochen. Soweit ich das verstanden habe, gibt es da keine allgemeine Verbindlichkeit, dass es alle umfasst - also zum Beispiel nicht diejenigen, die dafür schuldig wären. Aber wir brauchen ja erst einmal noch die Untersuchungsergebnisse.

Frage: Haben Sie auch darüber gesprochen, welchen Beitrag die EU leisten kann, um die Ukraine wirtschaftlich und politisch zu stabilisieren?

Zweitens zu dem Vortrag des griechischen Ministerpräsidenten: Haben Sie jetzt ein klares Bild davon, was er genau will, und halten Sie das für einigungsfähig?

BK'in Merkel: Ich glaube nicht, dass es heute im Europäischen Rat - dazu noch einem informellen - notwendig war, dass der griechische Ministerpräsident über die Frage, wie ein Programm verlängert oder erfüllt wird, bei uns vorträgt; dazu haben wir die Eurogruppe, dazu haben wir die Troika mit ihren drei Institutionen. Insofern habe ich das auch gar nicht erwartet. Er hat eine allgemeine Darlegung gemacht, und jetzt muss das spezifiziert werden. Ich glaube, dass die entsprechenden Institutionen darauf warten, dass das nicht zu spät erfolgt.

Zweitens zu der Frage, wie die Ukraine wirtschaftlich unterstützt wird: Wir haben im augenblicklichen IWF-Programm die makrofinanzielle Unterstützung von, ich glaube, 1,8 Milliarden Euro. Der ukrainische Präsident hat uns noch einmal gebeten, alle Reserven, die wir gegebenenfalls haben, auch zu nutzen. Es gab aber heute auch nach dem Vortrag des ukrainischen Präsidenten eine große Klarheit darüber, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine natürlich besser vollziehen kann, wenn es keine weiteren militärischen Auseinandersetzungen gibt. Alle Wirtschaftsprognosen werden im Lichte militärischer Auseinandersetzungen auch durchaus immer wieder verschlechtert. Deshalb ist auch aus ökonomischen Gründen das Eintreten für einen Waffenstillstand von größter Bedeutung.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, ich habe noch zwei Fragen zu den Sanktionen. Erstens: Tritt die Erweiterung der Personenliste, die kürzlich beschlossen wurde, jetzt wie geplant am 16. Februar in Kraft?

BK'in Merkel: Ja.

Zusatzfrage: Zweitens zu den Wirtschaftssanktionen, die im Juni oder Juli, glaube ich, auslaufen: Wenn der Kreml jetzt sämtliche Punkte des jetzigen Abkommens erfüllen sollte, stellt sich dann im Juli die Frage, ob diese Wirtschaftssanktionen nicht mehr verlängert werden?

BK'in Merkel: Erstens. Wir haben heute entschieden, dass die Sanktionen, auf die sich die Außenminister geeinigt haben, aufgrund schon vorgefallener Vorkommnisse in einigen Tagen in Kraft treten sollen.

Zweitens. Über Fragen nach dem Motto "Was wäre, wenn" kann ich heute Abend wirklich keine Auskunft geben. Sanktionen können immer nur dann aufgehoben werden, wenn die Ursache, aus der sie verhängt wurden, auch obsolet geworden ist.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, hätten Sie es präferiert, dass die Erweiterung der Sanktionen am Montag noch nicht eintritt?

Zweitens: Wie geht es Ihnen eigentlich nach dieser Woche?

BK'in Merkel: Mir geht es nicht schlecht, ich bin konzentriert - und die Woche ist ja noch gar nicht zu Ende, morgen ist ja noch ein Arbeitstag.

- Na das ist ja so. Es gibt durchaus auch innenpolitische Herausforderungen - keine besonderen; nicht, dass Sie gleich denken, da gäbe es irgendetwas Spezielles; aber man muss sich ja auch kümmern, es ist ja Vieles im Fluss.

Zur Erweiterung der Sanktionen: Nein, wir haben sehr entspannt darüber diskutiert. Die Außenminister haben einen Tag des Inkrafttretens vereinbart und wir haben abgewogen. Es gab ja eine Ursache für diese Erweiterung der Sanktionen, nämlich den Angriff auf Mariupol. Dieser Angriff hat ja stattgefunden. Das ist eigentlich entkoppelt - beziehungsweise nicht eigentlich, sondern es ist entkoppelt von dem, was wir heute zur Implementierung des Minsker Abkommens beschlossen haben. Insofern hat dann überwogen, dass das einfach eine Entscheidung der Vergangenheit ist. Und für den Fall, dass die heutigen Vereinbarungen - die, wie gesagt, wirklich allgemein begrüßt wurden - nicht implementiert werden, halten wir uns offen, dass wir dann weitere Maßnahmen ergreifen müssen.

StS Seibert: Ich danke Ihnen herzlich! Einen schönen Abend noch.

Donnerstag, 12. Februar 2015

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Quelle:
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel zum Europäischen Rat am 12. Februar
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2015/02/2015-02-12-pk-eu-rat.html;jsessionid=C9C7B6C8B12CE3BB55A89F9EE8CDBC9C.s2t2
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2015

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