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PRESSEKONFERENZ/559: Regierungspressekonferenz vom 18. Februar 2013 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Mitschrift der Pressekonferenz - Montag, 18. Februar 2013
Regierungspressekonferenz vom 18. Februar 2013

Themen: Bund-Länder-Ministertreffen im Zusammenhang mit nicht deklariertem Pferdefleisch in Lebensmitteln, Arbeitsbedingungen für Leiharbeiter, Finanztransaktionssteuer, Medienbericht über Zunahme von Schicht- und Nachtarbeit in Deutschland, mögliche finanzielle Hilfe für Zypern, Besteuerung multinationaler Unternehmen, EEG-Reform/Strompreissicherung, beabsichtigtes Treffen der Bundeskanzlerin mit den Angehörigen der Opfer der NSU-Mordserie

Sprecher: StS Seibert, Eichele (BMELV), Wendt (BMAS), Kotthaus (BMF), Kraus (BMWi), Stamer (BMU)



Vorsitzender Hebestreit eröffnet die Pressekonferenz und begrüßt StS Seibert sowie die Sprecherinnen und Sprecher der Ministerien.

Eichele: Liebe Kolleginnen und Kollegen, bei einem Bund-Länder-Ministertreffen, das in diesen Minuten in der hessischen Landesvertretung hier in Berlin beginnt, werden die Verbraucherminister der Länder und des Bundes den aktuellen Sachstand im europaweiten Skandal um Pferdefleisch erörtern und über erste Konsequenzen beraten. Im Anschluss an dieses Ministertreffen findet eine Pressekonferenz statt. Bundesministerin Aigner und die Vorsitzende der Verbraucherschutzministerkonferenz der Länder, die hessische Ministerin Lucia Puttrich, werden Sie über die Ergebnisse der Beratungen und die weiteren Schritte zur Aufklärung informieren. Beginn der Pressekonferenz ist gegen 13.30 Uhr.

Als Grundlage für die Beratungen mit den Ministerinnen und den Ministern der Länder hat Bundesministerin Aigner am Sonntag den Entwurf für einen Nationalen Aktionsplan vorgelegt. Er sieht unter anderem eine konsequente Umsetzung des EU-Plans, ein erweitertes Screening für Deutschland, eine zentrale Verbraucherinformation, eine europaweite Herkunftskennzeichnung für verarbeitete Lebensmittel - auch für verarbeitete Fleischprodukte -, die jetzt vorangebracht werden muss sowie eine gezielte Stärkung regionaler Kreisläufe vor. Der Aktionsplan im aktuellen Entwurf ist im Internet abrufbar; ich habe Ihnen auch ein paar Exemplare mitgebracht.

Dieser Aktionsplan ist, wie gesagt, eine Diskussionsgrundlage für die heutigen Beratungen mit den Ländern. Wir sind zuversichtlich, dass wir heute zu einem gemeinsamen und guten Ergebnis kommen und sehen einen großen Konsens über die jetzt zu treffenden Maßnahmen. Bund und Länder sind sich einig, was jetzt zu tun ist und dass im Schulterschluss gehandelt werden muss. Wir als BMELV sind offen dafür, weitere Vorschläge der Länder aufzugreifen und in den Aktionsplan aufzunehmen, so zum Beispiel die Prüfung eines Strafmaßes für Etikettenschwindel und Verbrauchertäuschung, das man anheben könnte, oder die Mitteilungs- und Eigenkontrollpflichten für Lebensmittelunternehmen, deren Verschärfung jetzt in der Diskussion ist. Auch darüber wird man sicherlich im Rahmen der Konferenz reden.

Ich will den laufenden Beratungen der Minister nicht vorgreifen. Die Pressekonferenz findet um 13.30 Uhr statt. Dann werden Sie über die Ergebnisse informiert. Ich stehe jetzt gerne für Ihre Fragen zur Verfügung und würde dann um meine Entlassung bitten, damit ich an der Ministerkonferenz teilnehmen kann.

Vorsitzender Hebestreit: Wenn es keine Fragen zu diesem Thema gibt, entlassen wir Herrn Eichele und kommen zu allgemeinen Themen.

Frage: Ich habe eine Frage an das Arbeitsministerium zum Thema Amazon und Leiharbeit. Liegen dem Ministerium eigene Erkenntnisse vor, ob es sich in diesem im öffentlichen Fernsehen gezeigten Fall um Verstöße handelt? Ist das Ministerium in diesem Fall auch selbst aktiv?

Wendt: Wie bereits am Wochenende nachzulesen war - die Ministerin hatte sich dazu geäußert -, findet in dem konkreten Fall derzeit eine Sonderprüfung hinsichtlich dieser genannten Leiharbeitszeitfirma statt. Die Leiharbeitsfirma wird geprüft und nicht Amazon; das ist in dem Fall eine wichtige Unterscheidung. Wir erwarten im Laufe der Woche die Ergebnisse dieser Sonderprüfung.

Frage: Nur für das Verständnis: Wer führt diese Sonderprüfung durch? Haben Sie Anhaltspunkte, dass es ähnliche mögliche Verstöße bei anderen Leiharbeitsfirmen gibt?

Wendt: In dem konkreten Fall wird durch die BA in Zusammenarbeit mit dem BMAS geprüft beziehungsweise es wird immer rückgekoppelt. Es wird konkret die genannte Leiharbeitsfirma kontrolliert, und zwar mit der Option, die Lizenz zu entziehen, wenn tatsächlich Missbrauch etc. vorliegt. Es geht im Moment um den konkreten Vorfall.

Zusatzfrage: Ist diese Firma durch diesen Bericht auf die Liste für eine Sonderprüfung gekommen? Oder gab es schon vorher Hinweise, dass es vielleicht Unregelmäßigkeiten gibt?

Ganz allgemein: Was löst so eine Sonderprüfung, möglichweise auch bei anderen Unternehmen, aus?

Wendt: Die konkrete Firma ist jetzt auf die Liste gekommen, wird also im Zusammenhang mit Amazon geprüft. Etwas dazu zu sagen, was das bei anderen Firmen auslöst, wäre meinerseits hypothetisch. Ich denke, es ist ein deutliches Zeichen, wenn solche Fälle bekannt werden und wir in dem Zusammenhang prüfen.

Frage: Frau Wendt, weil Frau von der Leyen sich öffentlich über die Leiharbeitszeitbehauptungen im Zusammenhang mit Amazon erregt hat, wüsste ich gerne, wieso die Sonderprüfung nur auf den Fall Amazon und diese Firma konzentriert ist. Können Sie mir erklären, warum Ihre Chefin nicht auf den Gedanken kommt, einmal gründlich zu prüfen, ob es vielleicht solche Missstände woanders auch gibt? Oder reagiert sie beim nächsten ARD-Bericht wieder überrascht und kündigt eine individuelle Sonderprüfung an? Wäre das dann ein politisch durchdachtes Verhalten?

Wendt: Prinzipiell arbeitet die BA eng mit dem Bundesarbeitsministerium zusammen und prüft tatsächlich regelmäßig konkrete Missstände in Firmen. Es muss natürlich immer ein Stück weit bekannt werden - sei es aus der Firma heraus oder wie auch immer -, dass Missbrauch oder in irgendeiner Form Fehlverhalten der Leiharbeitsfirma vorliegt. Dann wird geprüft und auch gehandelt. Es ist in dem konkreten Fall natürlich durch die Sendung sehr explizit gewesen. Aber es ist ein gängiges Prozedere, dass geprüft wird, wenn Missstände vorliegen und bekannt sind.

Zusatzfrage: Aber offenkundig geht die Ministerin davon aus, dass dies ein singulärer Fall ist. Können Sie mir erklären, weshalb die Ministerin meint, dass es so etwas nur im Zusammenhang mit Amazon gibt und diese Leiharbeitsangelegenheit möglicherweise kein grundsätzliches Manko ist?

Wendt: Es geht um Amazon und die konkrete Firma. Die Ministerin hat aber in dem Fall nicht gesagt, dass das ein Einzelfall ist. Es gibt immer mal wieder Prüfungen. Die Frage ist, was die Prüfung ergibt. Wenn Ergebnis der Prüfung ist, dass ein Fehlverhalten vorliegt, muss bis zum Lizenzentzug gehandelt werden. Es ist nicht so, dass nur ein Fall ins Zentrum gerückt worden ist. Das ist durch die Sendung passiert. Ansonsten haben wir das durchaus auf dem Schirm.

Zusatzfrage: Wenn dieser ARD-Bericht über Amazon die Ministerin sofort zu einer Reaktion und zur öffentlich mitgeteilten Empörung gebracht hat, frage ich mich, wie die Ministerin dazu kommt, anzunehmen, dass es nur diesen Amazon-Fall gibt. Wenn es nicht so wäre, hätte sie ja als verantwortliche und verantwortungsbewusste Ministerin die Gelegenheit nutzen können, eine grundsätzliche Überprüfung anzuregen. Das hat sie offenkundig nicht getan. Wieso nicht?

Wendt: Ich habe bereits gesagt: Wenn Missstände vorliegen, ist die BA grundsätzlich immer damit befasst. Diese müssen allerdings in irgendeiner Form benannt werden. In dem Moment, wo ein Missstand benannt wird, kann auch geprüft werden. Es muss nur immer erst in irgendeiner Form bekannt werden, dass Fehlverhalten oder Missstände vorliegen. Dann kann durch die BA geprüft werden.

Frage: Noch einmal etwas konkreter: Wie viele Anzeigen möglichen Fehlverhaltens hat es im vergangenen Jahr bei Leiharbeitsfirmen gegeben? Wie viele Sonderprüfungen hat die BA in der Zeitarbeitsbranche im vergangenen Jahr durchgeführt?

Wendt: Die Zahlen müsste ich Ihnen nachliefern. Wir müssen sie bei der BA konkret abfragen.

Frage: Frau Wendt, es hat in der Vergangenheit immer einmal wieder Missbrauchsfälle bei der Leiharbeit gegeben; das war auch bei der Firma Schlecker ein Thema. Sieht Ihre Ministerin grundsätzlich Anlass, das Thema Zeitarbeit neu anzugehen?

Wendt: Wie gesagt: Die Leih- und Zeitarbeit ist, wenn Missbrauch in dieser Branche nicht betrieben wird, durchaus eine normale Form, einer Arbeit nachzugehen. Es wird dann problematisch, wenn Missbrauch in dieser Branche betrieben wird. Dann agiert auch die BA in Zusammenarbeit mit dem BMAS. Dann finden Prüfungen und entsprechende Lizenzentzüge etc. statt.

Zusatzfrage: Es gibt keinen grundsätzlichen Reformbedarf auf diesem Feld des Arbeitsmarktes?

Wendt: Es wird, wie gesagt, gehandelt, wenn es Missbrauch gibt. Ansonsten geht man davon aus, dass die Zeitarbeitsbranche Arbeitsplätze liefert und auch zum Beispiel einen gewissen Einstieg in den Arbeitsmarkt liefert. Insofern gehen wir nicht prinzipiell davon aus, dass jeder in dieser Branche Missbrauch betreibt.

Frage: Eine Frage an das Finanzministerium zum Thema Finanztransaktionssteuer. Die EU-Kommission hat einen Gesetzesvorschlag gemacht, der offensichtlich in der Koalition heiß umstritten ist. Wie muss ich mir das weitere Vorgehen vorstellen? Wird die Bundesregierung in toto eine Stellungnahme an die EU-Kommission übersenden? Gibt es dazu einen Kabinettsbeschluss?

Diese Steuer soll ja zum 1. Januar 2014 greifen. Wann wäre der letzte Zeitpunkt, an dem die Bundesregierung sich zum Vorschlag der EU-Kommission erklären muss?

Kotthaus: Das Verfahren ist von Ihnen etwas verquer dargestellt. Es hat mit den G20 nichts zu tun.

Die EU-Kommission hat letzte Woche in ihrer Kollegiumssitzung einen Vorschlag zur Finanztransaktionssteuer vorgelegt beziehungsweise vorgestellt. Dieser wird im Rat beraten werden. Das normale Procedere für so etwas ist, dass es eine Vorstellungsrunde im Rat der Finanzminister, also im Ecofin-Rat, gibt. Der nächste Finanzministerrat findet am 4. und 5. März 2013 statt. Wahrscheinlich wird dann das Thema auf der Tagesordnung stehen - ich habe momentan die Tagesordnung nicht im Kopf. Falls das nicht der Fall sein wird, dann spätestens im April.

Dann würde dieses Thema, wie bei allen Gesetzgebungsvorschlägen üblich, an die Ratsarbeitsgruppen überwiesen werden. In den Ratsarbeitsgruppen würden die Mitgliedstaaten diese Regelungen durchdiskutieren - Vor- und Nachteile, Details, also das übliche Verfahren wie bei jedem Vorschlag der Kommission - , bis das Ganze einen solchen Grad erreicht hat, dass die Finanzminister sich damit beschäftigen. Diese beiden Ebenen korrelieren miteinander. Die Bundesregierung wird sich in diesen Ratsarbeitsgruppen natürlich intensiv einbringen.

Sie wissen, dass die Bundesregierung ganz maßgeblich daran beteiligt war, dass dieser Vorschlag zu einer verstärkten Zusammenarbeit hinsichtlich der Finanztransaktionssteuer in Europa überhaupt zustande kam. Sie wissen auch, dass aus Sicht der Bundesregierung das Ideale eine globale Finanztransaktionssteuer gewesen wäre oder sein würde. Das wäre wiederum ein Thema der G20 gewesen; da haben Sie recht. Das ist aber zurzeit sicherlich nicht umsetzbar. Dann gab es die Diskussion darüber, ob wir das nicht im Bereich der EU-27 machen könnten, und dabei war zu erkennen, dass diese Arbeiten schwierig sein, wenn nicht unendlich lange dauern würden.

Damit wir das Thema eben nicht immer weiter nach hinten verschieben, hat sich die Bundesregierung jetzt gerade gemeinsam mit Frankreich dafür eingesetzt, dass wir den Weg der verstärkten Zusammenarbeit wählen, um das Thema schnell und zügig voranzubringen und es nicht auf ein bestimmtes Datum zu vertagen. Dementsprechend werden wir uns jetzt auch mit Nachdruck in den Diskussionen dafür einsetzen. Sie wissen aber auch, dass die Themen, die angesprochen werden - also die Frage, was für Auswirkungen das auf bestimmte Anlageformen hat, und die Frage, was das für Auswirkungen auf die Frage der Altersversorgung, auf Kleinanleger und Ähnliches mehr hat -, Themen sind, die in den Ratsarbeitsgruppen, also im Rat, diskutiert werden müssen und diskutiert werden werden; das ist doch selbstverständlich. Jetzt lassen Sie uns doch erst einmal damit anfangen, diesen Vorschlag in den Ratsarbeitsgruppen und im Rat zu diskutieren.

Aus unserer Perspektive sollte die Finanztransaktionssteuer so schnell wie eben möglich kommen. Ich kann ihnen aber momentan keine Versprechen in Bezug darauf machen, wann sie da sein wird; damit bin ich einfach zurückhaltend. Diskussionen in Brüssel dauern meistens nicht ganz kurz. Es gibt auch Gegenbeispiele, wie wir bei der Diskussion über die europäische Bankenaufsicht gesehen haben. Jetzt beginnen erst einmal die Diskussionen im Rat. Ich würde sagen, nach den ersten Runden wird man auch absehen können, wie schnell das dann im Rat verabschiedet werden wird. Dann muss noch das EP involviert werden, und dann muss das auch noch national umgesetzt werden. Aus unserer Perspektive gilt also "so schnell wie eben möglich", aber ich kann Ihnen momentan noch kein konkretes Datum nennen. In der Presse haben Sie verschiedene Äußerungen darüber gelesen, dass das bis zum 1. Januar 2014 umgesetzt werden soll, und das ist sicherlich sehr ambitioniert.

Zusatzfrage: Wo in dem Prozess, den Sie jetzt beschreiben, können die massiven Bedenken der FDP gegen den Vorschlag der EU-Kommission einfließen?

Kotthaus: Ich muss gestehen: Dass wir die verstärkte Zusammenarbeit hinsichtlich der Finanztransaktionssteuer gerne haben wollen, ist ein gemeinsamer Beschluss dieser Bundesregierung. Das ist erstens einmal festzuhalten. Zweitens kann ich keine massiven Bedenken erkennen. Ich kann erkennen, dass es bestimmte Themen gibt, die diskutiert werden müssen. Das ist, glaube ich, auch unstreitig; das muss diskutiert werden.

Diese Themen werden jetzt, wie ich gerade zu erklären versucht habe, in den Ratsarbeitsgruppen und bei der Arbeit des Ministerrats zur Sprache kommen. Zunächst wird, wie gesagt, der Vorschlag vorgestellt werden, und dann wird in den Ratsarbeitsgruppen dieser Vorschlag der Kommission im Detail - Paragraph für Paragraph, Zeile für Zeile, Absatz für Absatz - durchdiskutiert werden. Das ist dann - wie immer und wie bei jedem Vorschlag - der Ort, an dem man eben als jeweilige Regierung seine Fragen, Bedenken und Wünsche einbringt. Dann muss man das eben im Konsens mit den anderen klären. Der Vorschlag als solches muss dann von den Staaten, die an der verstärkten Zusammenarbeit teilnehmen wollen, auch einstimmig angenommen werden. Das ist im Steuerrecht in Europa so. Der nächste Schritt ist, wie gesagt, dass die Kommission jetzt den Vorschlag im Rat vorstellt, und dann wird die intensive Sacharbeit in den Ratsarbeitsgruppen beginnen.

Frage: Frau Kraus, plant denn der Vizekanzler noch ein nachträgliches Veto gegen die Finanztransaktionssteuer, um seinen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag in seiner Ablehnung der Steuer zu unterstützen, oder steht die Bundesregierung beschlossen hinter der Finanztransaktionssteuer? Ist Herr Rösler als FDP-Politiker dagegen?

Kraus: Sie fragen nach der Haltung des Bundeswirtschaftsministeriums zu diesem Thema. Wir stehen grundsätzlich zu der Vereinbarung mit der Opposition, aber es gibt durchaus noch offene Fragen, die wir jetzt prüfen müssen. Ich möchte aber daran erinnern, dass seinerzeit auch Teil der Vereinbarung gewesen ist, dass Kleinanleger geschützt werden. Das müssen wir jetzt eben in Gesprächen auf Fachebene prüfen.

Zusatzfrage: Herr Seibert, bestehen für die Bundeskanzlerin noch beträchtliche offene Fragen bei der Regelung der Finanztransaktionssteuer, oder geht die Bundeskanzlerin im Prinzip von grünem Licht für die Finanztransaktionssteuer aus, soweit es die deutsche Haltung betrifft?

StS Seibert: Na, so ist ja das europäische Verfahren nicht gemeint. Wir haben jetzt einen Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission vorgelegt bekommen, und der wird vorgelegt, damit er diskutiert und nicht einfach nur kommentarlos durchgewunken wird. Das ist ein ganz normales europäisches Verfahren.

Die Bundesregierung will die Finanztransaktionssteuer, und sie will diese Steuer so rasch, wie sich das umsetzen lässt. Daran arbeiten wir. Natürlich wird die Bundesregierung, wenn diese Prüfung abgeschlossen ist, in Europa dann auch mit einer einheitlichen und abgestimmten Position auftreten.

In der Formulierung unserer Vorstellungen von dem, was eine Finanztransaktionssteuer sein und nicht sein sollte, haben wir ja ganz konkrete Punkte genannt. Wir haben gesagt: Wir wollen Steuerumgehungen vermeiden. Wir wollen vermeiden, dass sich aus einer solchen Steuer Standortnachteile oder Wettbewerbsverzerrungen ergeben. Wir wollen vor allem auch die Belastung der einzelnen Transaktionen gering halten. Wir wollen, dass beispielsweise Altersvorsorgeprodukte geschützt sind und die Realwirtschaft nicht über das Maß hinaus belastet wird. Einige dieser Punkte sind in dem Richtlinienvorschlag nach unserer Überzeugung und nach erster Prüfung schon sehr stark enthalten. Andere werden noch genauer zu prüfen sein. Das ist das, was jetzt geschieht, also ein völlig normaler europäischer Vorgang.

Frage: Herr Kotthaus, eine Möglichkeit wäre doch, dass das Bundesfinanzministerium einen Vorschlag dazu vorlegt, wie diesen Bedenken, die es ja bei der FDP gibt, Rechnung tragen werden kann, also im Bezug auf Altersvorsorge und Realwirtschaft. Wird denn Ihr Haus einen solchen Vorschlag erarbeiten?

Kotthaus: Offensichtlich bin ich heute nicht fähig, mich vernünftig auszudrücken. Dafür entschuldige ich mich. - In den Ratsarbeitsgruppen, in der Arbeit im Rat, bringt jeder Staat seine Position, seine Wünsche, seine Vorstellungen und seine Bedenken im Detail ein. Das heißt, die Kollegen, die dort vor Ort in Brüssel verhandeln, werden natürlich genau diese Punkte einbringen. Dann wird man diesen Vorschlag dementsprechend diskutieren. Das ist ein sehr organischer Prozess. Sie müssen sich das so vorstellen: Da sitzen die Kollegen halt rund um den Tisch, diskutieren tatsächlich Paragraph für Paragraph, Frage für Frage, Problem für Problem und versuchen, den Konsens zu finden. Ich habe noch keine einzige Vorlage erlebt, die so in den Rat hineingegangen ist, wie sie herausgekommen ist. Das heißt, auch in diesem Fall muss jetzt dementsprechend an diesem Richtlinienvorschlag gearbeitet werden. Das ist, wie Herr Seibert gerade sagte, der normale Ablauf. Genau in diesen Prozess wird die Bundesregierung - wie immer und wie bei jedem europäischen Gesetzgebungsvorhaben - ihre Position laufend einbringen können. Das heißt: Klar, wir werden Weisung geben. Wir werden also sagen: Das und das und das sind unsere Bedenken, Fragen und Wünsche, die Herr Seibert und meine Kollegen gerade auch noch einmal erwähnt haben. Dann muss man schauen, wie die Kompromisse aussehen. Das ist, wie gesagt, ein ganz normaler Prozess, ohne dass es irgendwelche kuriosen Besonderheiten gäbe. Der nächste Schritt ist, um es einfach einmal prozedural zu betrachten, dass die Kommission ihren Vorschlag dem Ministerrat vorstellt, und dann wird die normale Arbeit in den Ratsarbeitsgruppen beginnen.

Frage: Ich habe noch eine Frage an das Arbeitsministerium. Es gibt heute einen Bericht in der "Süddeutschen Zeitung", wonach Schicht- und Nachtarbeit zugenommen haben. Können Sie einmal sagen, worin die Ursachen dafür liegen?

Die Verstöße gegen die Arbeitszeitverordnung haben offenbar auch zugenommen. Sehen Sie da möglicherweise auch Handlungsbedarf?

Wendt: Der Grund dafür, dass das zugenommen haben könnte, ist sicherlich eine Erweiterung des Dienstleistungssektors. In verschiedenen Berichten werden ja auch die Branchen genannt, in denen mehr Schichtarbeit und mehr Nachtarbeit angeboten wird. Das betrifft vor allem den Pflegebereich, die Sozialbereiche, die medizinischen Bereiche ohnehin sowie eben auch alles, was im weiteren Sinne zum Dienstleistungssektor zählt.

Prinzipiell ist das sicherlich kein Problem. Zu einem Problem wird es dann, wenn wiederum Fälle bekannt werden, die durch die Gewerbeämter usw. aufgedeckt werden, also wenn Missbrauch mit Schichtarbeit etc. pp. betrieben wird, wenn die Leute sozusagen mehr arbeiten müssen, aber das nicht vergütet wird, es keine Ausgleichsstunden dafür gibt usw. Dafür gibt es ja auch entsprechende Regelungen im Arbeitsschutzgesetz.

Zusatzfrage: Ist die Zunahme um 30 Prozent innerhalb von acht Jahre, von der die Rede ist, für Sie eher beunruhigend oder normal?

Wendt: Es ist so, wie ich es gesagt habe: Dadurch, dass der Dienstleistungssektor erheblich ausgeweitet wurde und auch immer mehr Menschen in den Pflegeberufen arbeiten müssen - die Pflege ist eben auch ein Bereich, der rund um die Uhr abgedeckt sein muss -, ist die Zunahme insofern nicht direkt verwunderlich und kein Problem für uns. Zu einem Problem wird das dann, wenn die Arbeitnehmerrechte nicht gewahrt werden.

Frage: Ich habe eine Frage zu Zypern und dem Euro, wahrscheinlich an Herrn Kotthaus. Es gab einen Zeitungsbericht darüber, dass man für eine Entscheidung der Bundesregierung einen Zeitrahmen zwischen März und Juni anpeile und dass man zweitens weiterhin versuche, wie es dort, glaube ich, formuliert wird, reiche Russen dazu zu bekommen, dass sie sich an einer möglichen Hilfe für Zypern beteiligen. Ist dieser Zeitrahmen richtig wiedergegeben? Gibt es in dem zweiten Punkt irgendwelche Fortschritte, oder ist das im Augenblick einfach nur die Hoffnung darauf, dass man irgendwann die Oligarchen mit ins Boot bekommt?

Kotthaus: Da kann ich momentan nur etwas allgemein bleiben, weil wir im Augenblick den Status quo haben, wie Sie selbst wissen, dass gestern die erste Runde der zypriotischen Wahlen stattgefunden hat und es die zweite geben wird. Es ist seit einiger Zeit klar, dass wir hinsichtlich der konkreten Fragen, die in Bezug auf Zypern gestellt werden müssen - angefangen mit der Frage nach einem nachhaltigen Programm über die Frage nach Geldwäsche und Ähnlichem mehr bis hin zur Frage nach der Größe des Finanzsektors -, erst mit einer neuen zypriotischen Regierung vernünftige gemeinsame Antworten finden werden. Deswegen haben wir auch immer gesagt: Dieses Thema kann frühestens wieder in der März-Sitzung der Eurogruppe auf den Tisch kommen. Jetzt kommt es darauf an, wie schnell die zypriotische Seite gesprächsfähig ist, um dann wiederum mit der Troika in den Dialog einzutreten.

Sie wissen auch, dass die Eurogruppe am letzten Montag dem zypriotischen Vertreter zum Thema Geldwäsche mitgegeben hat, dass es sicherlich hilfreich wäre, da weitere - sagen wir einmal - unterstützende Begründungen zu finden, indem man auch Externe darauf schauen lässt, wie die Geldwäsche-Vorschriften auf Zypern umgesetzt werden.

Ich habe schon mehrfach gesagt, dass wir natürlich auch mit interessierten Drittstaaten den Dialog suchen, die ein besonderes Interesse daran haben, dass Zypern auf einen langfristigen und nachhaltigen Pfad der Stabilisierung zurückkehrt. Sie werden von mir jetzt keine Namen von Drittstaaten hören. Das überlasse ich ganz großzügigerweise Ihnen.

Natürlich gibt es einen Dialog mit den Interessierten. Aber im Endeffekt müssen wir sehen: Wie sieht das ganze Paket aus? Entspricht das all den Fragestellungen und den Kriterien, die wir aufgestellt haben? - (All das ist zu klären), angefangen von der Frage der Systemrelevanz, bis hin zu der Frage, was eine Rettung von Zypern für die Eurozone als Ganzes bedeutet.

Wie gesagt, wir sind noch in dem Prozess. Aber der nächste Schritt muss sein, dass wir wieder einen mit allen Vollmachten ausgestatteten Ansprechpartner auf der anderen Seite haben. Wenn ich jetzt sage "wir", dann meine ich nicht Deutschland, sondern vor allen Dingen die Troika, die mit der zypriotischen Seite die Fragen eines eventuellen Programms erst einmal klären muss.

Frage: Herr Kotthaus, mich wundert, dass Sie März als Termin für die Eurogruppe nennen - angesichts dessen, dass die neue Regierung in Zypern frühestens in einer Woche installiert ist und man sieht, wie lange die Verhandlungen über die Privatisierung im Falle Griechenlands gedauert haben. Also kann man mit Zypern binnen weniger Tage oder Wochen zu einem Ergebnis kommen?

Kotthaus: Ich habe März erwähnt, weil die Eurogruppe das nächste Mal im März tagt. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie weit dann die neue Regierung aufgestellt sein wird. Der frühestmögliche Termin, um sich substanziell über Zypern zu unterhalten, wäre die März-Eurogruppe. Ob das dann der Fall sein wird, kann ich von hier aus nicht beurteilen. Nur, wie gesagt, das wäre der frühestmögliche Termin.

Lassen Sie mich noch eine Sache hinzufügen: Sie kennen ja den Ablauf. Also wenn die Troika einen Vorschlag hat, von dem sie glaubt, dass er diese ganzen Kriterien erfüllt, dann würde sie diesen Vorschlag der Eurogruppe vorlegen. Darüber würde die Eurogruppe dann debattieren. Wenn dann die Bundesregierung der Auffassung wäre "Ja, das ist etwas, hinter dem wir stehen könnten", müssten wir in den Bundestag gehen, und der Bundestag wiederum müsste das Programm bewerten. Mit einem Okay des Bundestages könnte die Bundesregierung erst einem Programm zustimmen.

Wie gesagt, da sind noch ein paar Schritte zu gehen. Der nächste mögliche Schritt auf diesem Weg ist, wie gesagt, das Treffen der Eurogruppe im März. Vorher gibt es weder ein Treffen noch einen Ansprechpartner auf der zypriotischen Seite für die Troika.

Frage: Herr Kotthaus, Sie gehen also davon aus, dass die Zyprioten bis März nicht in irgendwelche Zahlungsprobleme kommen? Denn das könnte ja sozusagen noch ein zusätzliches Argument sein.

Kotthaus: Nach allem, was ich weiß, was wir - auch von der zypriotischen Seite - gehört haben, sieht das so aus.

Aber, wie gesagt, da bin ich der falsche Ansprechpartner. Ich spreche nicht für die Zyprioten. Da müssten Sie sie selbst fragen.

Frage: Herr Kotthaus, ich habe eine Frage zu G20: Die Notenbankchefs und Finanzminister der G20 haben sich am Wochenende mit der steuerlichen Optimierung von globalen Unternehmen beschäftigt. Das führt zu Milliarden-Steuerausfällen in vielen Ländern. Da sind Arbeitsgruppen gebildet worden etc. Sie wissen das ja alles. Solche Prozesse, so etwas zu ändern, dauern normalerweise Jahre. Gibt es Möglichkeiten in Deutschland, mit nationaler Gesetzgebung irgendetwas dagegen zu steuern? Ist so etwas vielleicht geplant?

Kotthaus: Wir sind sehr froh und begrüßen es eben sehr, dass dieses Thema, das der Finanzminister bereits letztes Jahr zunächst mit seinem amerikanischen Kollegen Timothy Geithner in Mexiko und später dann auch mit Chancellor Osborne aufgenommen hat, jetzt auch noch einmal im Kreis der G20 auf eine weitere Ebene gehoben worden ist. Die G20 ist das richtige Forum, weil man Steuervermeidungsstrategien - die in den meisten Fällen legal, aber höchst unerwünscht sind - natürlich nur im internationalen Kontext sinnvoll und auch wirkungsvoll begegnen kann. Deswegen begrüßen wir es auch sehr, dass sich die OECD - die das richtige Forum ist, weil sie auch Standards setzt - dieses Themas angenommen hat.

Der nächste Schritt wird sein, dass die OECD, wie sie angekündigt hat, bis Juni/Juli 2013 einen Aktionsplan vorlegt. Sie hat bis jetzt eine Analyse zu der Frage "Wo sind die Probleme, wie konnte es dazu kommen?" vorgelegt, und jetzt soll im nächsten Schritt ein Aktionsplan vorgelegt werden, in dem Sinne der Fragestellung "Wie können die Probleme angegangen werden?".

Ich gebe Ihnen recht, dass internationale Prozesse normalerweise nicht von heute auf morgen zu lösen sind; das ist richtig. Nichtsdestotrotz gibt es da momentan, glaube ich, ein Momentum. Wenn man sich anschaut, wie schnell sich die Basis derjenigen, die daran Interesse äußern und auch gewillt sind, mitzumachen, und wenn man sich die OECD- und die G20-Diskussionen in Moskau anschaut, dann sieht man, dass es momentan ein solches Momentum gibt. Jetzt muss man schauen, inwieweit man das nutzen kann.

Aus unserer Perspektive werden wir uns mit Macht dahintersetzen. Wie gesagt, wir versuchen dieses Thema schon seit einiger Zeit voranzutreiben. Ich kann Ihnen keine Versprechungen machen, wie schnell das gelöst werden wird. Dass wir mit voller Macht eine Lösung voranzutreiben versuchen, ist, glaube ich, unstreitig. Es ist aber im Wesentlichen ein Thema, das man nur im internationalen Kontext hinbekommen kann. Deswegen ist die G20 auch das richtige Forum, um das noch einmal prominent nach vorne zu treiben.

Frage: Eine Frage an das Umweltministerium: Die CSU hat heute Morgen, wie ich gelesen habe, die Vorschläge von Herrn Altmaier abgelehnt, im Rahmen der EEG-Strompreisbremse auch bei Alteinlagen nachträglich die Vergütungen zu kürzen. Gibt es aus Ihrem Haus auf diese Ablehnung aus den eigenen Reihen schon eine Reaktion?

Stamer: Die beiden Minister haben ja am vergangenen Donnerstag gemeinsame Vorschläge vorgelegt, um die Kosten für den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu dämpfen. Hierzu hat es eine erste Beratung mit allen für Energie zuständigen Ministern der Länder gegeben. Es ist verabredet worden, dass auf Basis dieser Vorschläge die Maßnahmen konkretisiert werden sollen. Dazu ist eine Arbeitsgruppe eingesetzt worden, die in den nächsten Tagen und Wochen ihre Beratungen aufnehmen wird. Wie gesagt, Grundlage sind die gemeinsam vorgelegten Vorschläge.

Frage: Herr Seibert, Sie haben letzte Woche gesagt, dass Frau Merkel die Angehörigen der NSU-Opfer empfangen wird. Heute, zu dieser Zeit, empfängt Herr Gauck die Angehörigen, und mindestens zwei Familien haben ihre Teilnahme abgesagt, weil sie ihre Anwälte nicht mitnehmen konnten. Wenn die Bundeskanzlerin die Angehörigen empfängt und diese mit Anwälten kommen wollen, würden Sie das zusagen oder wird das nicht erlaubt?

Zweite Frage: Wie bewertet Frau Merkel die Reise des NSU-Untersuchungsausschuss nach Ankara? Sie wird ja auch selber Ende dieses Monats nach Ankara reisen.

StS Seibert: Ich habe hier auf eine entsprechende Frage am Freitag hin erklärt, dass sich die Bundeskanzlerin etwa im April/Mai mit Angehörigen der Ermordeten treffen will, genau so wie sie es mit diesen Angehörigen im Februar des vergangenen Jahres am Rande der Trauerfeier im Konzerthaus am Gendarmenmarkt besprochen hatte. Wir haben noch keinen konkreten Termin und wir haben auch noch nicht festgelegt - auch noch nicht in Absprache mit den Angehörigen -, welche Form, welchen Rahmen das Treffen haben soll. Deswegen werde ich hier jetzt auch keine Rahmenbedingungen nennen. Das ist die grundsätzliche Aussage dazu.

Ansonsten tut der Untersuchungsausschuss das, was er tut, in seiner parlamentarischen Unabhängigkeit. Die Bundesregierung hat den Untersuchungsausschuss so sehr sie konnte und mit voller Überzeugung unterstützt und wird das auch weiterhin tun.

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Quelle:
Mitschrift der Pressekonferenz vom 18. Februar 2013
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2013/02/2013-02-18-regpk.html
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2013