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BUNDESTAG/9928: Heute im Bundestag Nr. 621 - 17.06.2020


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 621
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 17. Juni 2020, Redaktionsschluss: 13.26 Uhr

1. Wissenschaftsrat lobt Coronabekämpfung
2. Rechtssicherheit für Contergan-Opfer
3. Sorgen um die Kinder- und Jugendmedizin
4. Kritik des Europäischen Rechnungshofs
5. Anhörung zum Nachtragshaushalt
6. Ausschuss gegen Amtszeit-Begrenzung


1. Wissenschaftsrat lobt Coronabekämpfung

Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung/Ausschuss

Berlin: (hib/ROL) Um die Wissenschaftslandschaft in Deutschland und die Veränderung aufgrund von Corona ging es beim Gespräch mit der Vorsitzenden des Wissenschaftsrates, Professor Dorothea Wagner, zu dem der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung am Mittwoch eingeladen hatte. Wagner machte deutlich, dass man gerade in der Coronakrise sehe, dass die Wissenschaftslandschaft in Deutschland mit ihrem Säulensystem gut aufgestellt sei und funktioniere. Deutschland sei eines der Länder, das zumindest bisher mit am besten durch die Krise gekommen sei. Das läge auch an den Wissenschaftlern, aber auch an der Politik.

Der Wissenschaftsrat, der 1957 gegründet wurde, ist einem Gremium aus 32 Mitgliedern, das sich aus 24 Wissenschaftlern und acht Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammensetzt. Der Wissenschaftsrat nimmt zu wissenschaftlichen Fragen Stellung und berät die Bundesregierung und die Regierungen der Länder in allen Fragen der inhaltlichen und strukturellen Entwicklung der Wissenschaft, der Forschung und des Hochschulbereichs.

Wagner, die seit Februar 2020 Vorsitzende des Wissenschaftsrates ist, betonte, dass die Digitalisierung ein wichtiges Thema ihrer Amtszeit sein werde. Dabei kritisierte sie, dass die Frage der Digitalisierung an den Hochschulen in den Konjunkturpaketen bislang zu wenig Raum gefunden habe. Die Chancen der Digitalisierung müssten stärker genutzt werden, aber es müsste auch dringend die Frage gestellt werden, was genau der Mehrwert digitalen Unterrichts sei - außer der Tatsache, dass nur mit Hilfe der Digitalisierung derzeit überhaupt unterrichtet werden könnte. Die Professorin, die am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Informatik lehrt, sagte: "Derzeit machen wir eine riesen Feldversuch." Die Ergebnisse, ob Studierende bei Online-Unterricht genauso gut mitkommen wie bei Präsenzunterricht, blieben abzuwarten.

Auch kündigte Wagner an, das Thema Heterogenität der Studierendenschaft in Zukunft in der Arbeit des Wissenschaftsrates aufzugreifen. Ferner äußerte sich Wagner kritisch zum Verhältnis von unbefristeten Stellen zu befristeten Stellen an Hochschulen. Die Zahl der unbefristeten Stellen sei nicht parallel zum Zuwachs der Studierendenschaft gewachsen. Sie sagte: "Da muss nachgebessert werden." Zum Thema Gender an den Hochschulen und in der Forschung zeigte sich die Professorin offen und sagte: "Mehr Diversität kann nur gut tun. Dies betrifft nicht nur allein die Frauenförderung und -Forschung in der Wissenschaft."

Ein weiteres wichtiges Thema sei die Stärkung der Wissenschaftskommunikation, die müsste wie kaum ein anderes Feld die Politik unterstützen und werde gerade auch in Zeiten on Fake News immer wichtiger. Abnehmendem Vertrauen in die Wissenschaft könne nur durch Transparenz und eine offene Kommunikationskultur entgegengewirkt werden.

Ferner äußerte sich Wagner zu Thema Wissenschaftstransfer. Sie teile nicht die pauschale Annahme, dass in Deutschland viele Ergebnisse aus der Grundlagenforschung nicht den Transfer in die Anwendung finden würden und in einer Art "Death Valley" landen würden, also nie das Licht des Tages erblicken würden. "Das kann man heute so nicht mehr sagen. Der Transfer in die Anwendung ist deutlich schneller geworden", stellte sie fest. Es sei zwar richtig, dass dieser Prozess in den USA zügiger vonstattengehen würde und man in Deutschland durchaus mutiger werden könnte, aber dies sollte nicht damit einhergehen, die solide deutsche Arbeitsweise zu vernachlässigen.

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2. Rechtssicherheit für Contergan-Opfer

Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Ausschuss

Berlin: (hib/AW) Contergangeschädigten Menschen soll ihr Anspruch auf Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz - insbesondere auf die lebenslänglich gewährte monatliche Conterganrente - grundsätzlich nicht mehr aberkannt werden können. Der Familienausschuss verabschiedete eine entsprechende Gesetzesvorlage der Koalitionsfraktionen von CDU/CSU und SPD (19/19498) zur Novellierung des Conterganstiftungsgesetzes am Mittwoch mit den Stimmen aller Fraktionen. Eine Aberkennung von Leistungsansprüchen soll nur noch dann möglich sein, wenn der Empfänger von Leistungen vorsätzlich falsche oder unvollständige Angaben gemacht hat. Der Bundestag wird am Donnerstag abschließend über das Gesetz beraten und abstimmen.

Die Koalitionsfraktionen verweisen darauf, dass nach der derzeitigen Rechtslage Leistungsansprüche aberkannt werden können, wenn körperliche Fehlbildungen aufgrund späterer Erkenntnisse nicht mehr mit der Einnahme von thalidomidhaltigen Präparaten der Firma Grünenthal in Verbindung gebracht werden können. Inzwischen sei aber ein Nachweis über den Zusammenhang zwischen den Fehlbildungen und der Einnahme der Präparate wegen des zunehmenden Zeitablaufs in der Regel nicht mehr oder nur noch sehr schwer möglich.

Durch die Einnahme von Contergan kam es Ende der 1950er- und Anfang der 1960er-Jahre zu einer Häufung von schweren Fehlbildungen oder gar dem Fehlen von Gliedmaßen und Organen bei Neugeborenen. Dabei kamen weltweit etwa 5.000 bis 10.000 geschädigte Kinder auf die Welt.

Zudem soll mit der Novelle die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage geschaffen werden, damit die im Jahr 2013 durch das Dritte Änderungsgesetz des Conterganstiftungsgesetzes bereitgestellten zusätzlichen Bundesmittel in Höhe von 30 Millionen Euro für die Erhöhung der Conterganrenten und Bereitstellung weiterer Leistungen auch zur Förderung multidisziplinärer medizinischer Kompetenzzentren verwendet werden können. Die Einrichtung der Kompetenzzentren, die die medizinischen Beratungs- und Behandlungsangebote für tahlidomidgeschädigte Menschen verbessern sollen, war 2017 mit dem Vierten Änderungsgesetz zum Conterganstiftungsgesetz beschlossen worden.

In der Ausschusssitzung bekannten sich alle Fraktionen zur Verantwortung des deutschen Staates für die Opfer des Contergan-Skandals. Das Gesetz sei nötig geworden, um den Opfern Rechtssicherheit zu bieten. Scharfe Kritik wurde am Verhalten der Contergan-Stiftung laut. Diese hatte Contergan-Opfern in Brasilien im vergangenen Jahr förmlich mitgeteilt, sie beabsichtige, den Anerkennungsbescheid über die Contergan-Rente und weitere Hilfen zu widerrufen. Die Stiftung begründete dies damit, dass das in Brasilien Ende der 1950er-Jahre vertriebene thalidomidhaltige Arzneimittel Sedalis kein Produkt der Firma Grünenthal gewesen sei. Doch selbst die Firma Grünenthal hatte dieser Darstellung widersprochen. Abgeordnete von FDP, Linken und Grünen forderten deshalb. das Vorgehen der Contergan-Stiftung aufzuarbeiten.

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3. Sorgen um die Kinder- und Jugendmedizin

Gesundheit/Ausschuss

Berlin: (hib/PK) Ärzte sorgen sich um die Entwicklung in der Kinder- und Jugendmedizin. Bei einem Fachgespräch am Mittwoch im Gesundheitsausschuss des Bundestages erklärten die Mediziner, dass die Versorgung in Kliniken unter einem hohen ökonomischen Druck stehe. Auch wird ein zunehmender Personalmangel vor allem in ländlichen Gebieten beklagt.

Thomas Fischbach vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (bvkj) beklagte einen zunehmenden Mangel an Fachärzten für Pädiatrie. Die Mediziner in diesem Bereich seien im Durchschnitt überaltert und hätten Schwierigkeiten, ihre Praxen an Nachfolger weiterzugeben. Die Versorgung chronisch kranker Kinder und solcher mit psychosozialen Erkrankungen sei aufwendig. Mediziner hätten es vermehrt mit psychosozialen Auffälligkeiten zu tun: Anpassungs- und Entwicklungsstörungen sowie Störungen des Sozialverhaltens.

Burkhard Rodeck von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) verwies auf Nachteile bei der Abrechnung durch Fallpauschalen (DRG) im Krankenhaus. Die kinderspezifische und sehr personalintensive Behandlung könne damit nicht immer sichergestellt werden. Problematisch sei die Abwicklung der Kinderkrankenpflege als Ausbildungsberuf zugunsten der Ausbildung von Generalisten. Die speziellen Versorgungsbedürfnisse der Kinder würden nicht hinreichend wahrgenommen.

Widerspruch kam von Christian Jacobs vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK), der eine systematische Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen im Vergütungssystem der Kliniken nicht bestätigen wollte. So gebe es allein 300 kinderspezifische DRG?s, die hinreichend flexibel eingesetzt werden könnten. Die Belange von Kindern seien im Vergütungssystem sachgerecht abgebildet. Jacobs räumte aber ein, denkbar sei, dass einzelne Bereiche in Kliniken nicht auskömmlich finanziert sein könnten.

Die Kinderärztin Annic Weyersberg von der Universitätsklinik Köln sprach von einem teils hohen ökonomischen Druck auf Kinderkliniken. Die Kinder- und Jugendmedizin sei unterfinanziert. Die personal- und zeitintensive Behandlung rechne sich nicht und gehe an den Bedürfnissen der Kinder vorbei. Dies führe bei Medizinern zu ethischen Konflikten. Die Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Versorgung sei inakzeptabel.

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4. Kritik des Europäischen Rechnungshofs

Verkehr und digitale Infrastruktur/Ausschuss

Berlin: (hib/HAU) Der Verkehrsausschuss hat in seiner Sitzung am Mittwoch den Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofs zur Nachhaltigkeit urbaner Mobilität in der EU diskutiert. Der Rechnungshof hatte Verkehrsprojekte in verschiedenen EU-Staaten - unter anderen in Deutschland (Leipzig und Hamburg) - untersucht, zu denen es eine EU-Förderung gab, und unter anderem an der fehlenden Einbettung der Projekte in strategische Mobilitätskonzepte, der mangelnden Datengrundlage auf der die Projekte existieren und der defizitären nationalen Kofinanzierung Kritik geübt. Aus Sicht der Rechnungsprüfer haben die eingesetzten Mittel mit Blick auf eine nachhaltige urbane Mobilität nichts gebracht. Es gebe keine eindeutigen Anzeichen dafür, dass die Städte ihre Ansätze im Hinblick auf die Mobilität wesentlich ändern, heißt es in der Vorlage. Es sei kein signifikanter Rückgang der Pkw-Nutzung zu verzeichnen. Zudem liege die Luftverschmutzung in vielen Städten immer noch über den Grenzwerten.

Vertreter von Unions-, SPD- und FDP-Fraktion machten während der Sitzung deutlich, dass sie diese pauschale Kritik nicht teilen. Die Vorhaben in Leipzig und Hamburg verfügten über eine detaillierte Datenbasis und seien in eine übergeordnete Strategie eingebettet, hieß es von Seiten der SPD-Fraktion. Gleichwohl gehörten die Vergabekriterien geschärft, damit die Nachhaltigkeitsziele erfüllt werden.

Der Vertreter der Unionsfraktion verwies auf die Zuständigkeit der Länder und Kommunen für Mobilitäts- und Verkehrsplanungskonzepte. Zugleich machte er deutlich, dass die NO2-Belastung in den Städten stetig sinken würde. Dennoch müssten die Luftreinhaltepläne fortgeschrieben werden.

Dass die EU-Förderung die verkehrlichen Ansätze auf lokaler Ebene nicht entscheidend geändert hat, zeigt aus Sicht der AfD-Fraktion, dass die EU nicht in der Lage ist, das Geld der Steuerzahler so auszugeben, dass die selbstgesteckten Ziele erreicht werden. Kritik übte der Fraktionsvertreter auch daran, dass die EU versuche, die individuelle Pkw-Nutzung gezielt unattraktiv zu machen.

Aus Sicht der Linksfraktion ist die Mittelvergabe durch die EU zu unterstützen. Bedauerlicherweise sei aber kaum eine Wirksamkeit zu verzeichnen, was an der Finanzierung und an fehlenden kommunalen Gesamtkonzepten liege. Daher seien die Forderungen des Europäischen Rechnungshofs, die Mittelvergabe an die Einbettung der Projekte in solche Konzepte zu binden, verständlich.

Der Vertreter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen begrüßte es, dass der Europäische Rechnungshof die Wirkung der Ausgabe von EU-Geldern überprüft. Als "inadäquate Reaktion" bezeichnete er die Aussagen aus den Reihen der Koalition, wonach bei den deutschen Projekten alles gut sei und der Rechnungshof in seiner Beurteilung falsch liege.

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5. Anhörung zum Nachtragshaushalt

Haushalt/Ausschuss

Berlin: (hib/SCR) Der Haushaltsausschuss hat am Mittwochmittag einvernehmlich eine öffentliche Anhörung zum zweiten Nachtragshaushalt 2020 beschlossen. Die Anhörung soll am Montag, 29. Juni 2020, stattfinden. Zuvor hatten sich die Ausschussmitglieder mit Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) unter anderem über die Details des von der Bundesregierung vorgeschlagenen Konjunkturpaketes ausgetauscht.

Das Bundeskabinett hatte den entsprechenden Gesetzentwurf für einen Nachtragshaushalt (noch ohne Drucksachennummer) am Mittwochmorgen beschlossen. Die erste Lesung ist für diesen Freitag vorgesehen.

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6. Ausschuss gegen Amtszeit-Begrenzung

Inneres und Heimat/Ausschuss

Berlin: (hib/STO) Der Innenausschuss hat einen Gesetzentwurf der AfD-Fraktion zur Begrenzung der Kanzler-Amtszeit (19/8275) abgelehnt. Mit den Stimmen aller anderen Fraktionen votierte das Gremium am Mittwoch gegen die Vorlage. Nach dem Gesetzentwurf soll im Grundgesetz festgeschrieben werden, dass eine Wiederwahl des Bundeskanzlers nur einmal zulässig ist.

Dies soll der Vorlage zufolge nicht für eine erstmalige Übernahme der Amtsgeschäfte nach einem konstruktiven Misstrauensvotum oder einer gescheiterten Vertrauensfrage gelten. "In besonderen Situationen - im Falle von Finanz-, Wirtschafts-, aber auch politischen und Regierungskrisen - können sich die Legislaturperioden verkürzen, sodass die einmalige Wiederwahl die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers in diesen Fällen über Gebühr einschränken würde", heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfes.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 621 - 17. Juni 2020 - 13.26 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2020

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