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BUNDESTAG/9543: Heute im Bundestag Nr. 234 - 02.03.2020


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 234
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 2. März 2020, Redaktionsschluss: 17.20 Uhr

1. Umstrittener Vorschlag zu Managerhaftung
2. Experten sehen Gefahren für Demokratie
3. Digitalisierung der Ausbildung im Betrieb


1. Umstrittener Vorschlag zu Managerhaftung

Recht und Verbraucherschutz/Anhörung

Berlin: (hib/MWO) Kaum Zustimmung bei den Sachverständigen hat ein Gesetzentwurf der AfD-Fraktion zur Änderung des Aktiengesetzes (19/8233) bei einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Montag gefunden. Danach sollen Manager bei schweren Pflichtverletzungen stärker persönlich haften. Dies soll über eine Änderung des Paragrafen 148 des Aktiengesetzes erfolgen, die es Kleinaktionären erleichtern soll, Haftungsklagen im Namen der Gesellschaft gegen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder zu erheben.

Wie Gregor Bachmann von der juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität erläuterte, ist die Auslobung einer Erfolgsbeteiligung in Höhe von fünf Prozent der ausgeurteilten Haftsumme Kern des Entwurfs. Ein solcher Vorschlag sei bereits vom 70. Deutschen Juristentag 2014 diskutiert und einmütig abgelehnt worden. Auch der jetzige Gesetzesvorschlag verdiene jedenfalls in der gegenwärtigen Form und zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Unterstützung. Zwar sei er geeignet, die Aktionärsklage attraktiver zu machen und so zu einer verschärften Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen zu führen. Ein gravierendes Rechtsdurchsetzungsdefizit, das einen solchen Schritt rechtfertigte, sei aber nicht zu erkennen. Vielmehr drohten mit der Ermunterung von Aktionärsklagen Kollateralschäden.

Bachmann wie auch andere Sachverständige sprachen sich dafür aus, die Organhaftung als Paket zu reformieren und dafür eine Expertengruppe einzusetzen. Um mögliche Reformschritte drehten sich auch die Fragen der Abgeordneten.

Cordula Heldt vom Deutschen Aktieninstitut argumentierte gegen eine weitere Verschärfung der Organhaftung. Im Gegenteil sollten die geplanten Maßnahmen seitens der EU-Kommission zur Neudefinition des Unternehmensinteresses genau beobachtet werden und das Organhaftungsregime gegebenenfalls entschärft werden. Wie Heldt in ihrer Stellungnahme ausführte, sieht das Aktiengesetz bereits eine strenge Haftung für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder vor. Die Organmitglieder hafteten persönlich mit dem gesamten Privatvermögen.

Daniel Lochner, Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht aus Bonn, erklärte, das durch den Gesetzentwurf skizzierte Bild eines fast vollständigen praktischen Versagens des Organhaftungsrechts entspreche nicht den Tatsachen. Die Entwicklung der vergangenen Jahre zeige, dass für Manager das tatsächliche Risiko deutlich gestiegen ist, für rechtswidriges Verhalten in Haftung genommen zu werden. Dies sei durch den Gesetzgeber in den letzten Jahren durch mehrere Reformen gefördert worden. Die vorgeschlagenen Änderungen seien ungeeignet, die existierende Regelung funktionaler zu gestalten.

Eric Nowak, Direktor des Swiss Finance Institute, sprach in seiner Stellungnahme von einer Regelungslücke des Aktienrechts. Der Entwurf sei in seiner jetzigen Form aber abzulehnen. Das Problem bestehe in den unzureichenden Anreizen für Aktionäre, gegen schwere Pflichtverletzungen der Vorstände ihrer Gesellschaften Haftungsansprüche geltend zu machen. Die vorgeschlagene Lösung, die Aktionäre, die sich am Klagezulassungsverfahren beteiligen, im Erfolgsfall der Klage zu fünf Prozent an den Einnahmen zu beteiligen, die der Gesellschaft durch Zahlungen der Beklagten zufließen, wäre allerdings ein überproportionaler Anreiz, der zu einer Vielzahl von Klagen führen könnte. In der Folge könnte eine solche Regelung mehr der anwaltlichen Beratungsindustrie als den Aktionären nützen.

Nach Meinung des Kölner Rechtsanwalts Lasse Pütz bricht der Gesetzentwurf mit tragenden Grundsätzen des Aktienrechts. Die Vorlage sollte in der vorliegenden Form nicht verabschiedet werden. Es sei nicht erkennbar, so Pütz, dass es aktuell einer Novellierung des Paragrafen 148 bedarf. Im Gegenteil, eine ausschließliche Novellierung dieses Paragrafen könnte das derzeitige System der Corporate Governance dahingehend verschieben, dass sogenannten räuberischen Aktionären wieder eine größere Bedeutung zukommt und aktivistische Aktionäre gestärkt werden.

Diese Gefahr sieht auch die Münchener Rechtsanwältin Viola Sailer-Coceani. In Deutschland sei seit einiger Zeit eine erhebliche Zunahme professionalisierter Massenklageverfahren zu beobachten. Mit ihrem Übergreifen auf das Aktienrecht wäre dem Interesse der deutschen Aktiengesellschaften und auch dem ihrer Aktionäre nicht gedient. Sailer-Coceani bezeichnete es als zutreffend, dass das Klagezulassungsverfahren gemäß Paragraf 148 bislang in der Praxis nahezu keine Rolle gespielt habe. Eine moderate Anpassung des Paragrafen könne daher durchaus erwogen werden, sollte dann allerdings mit einer rechtspolitischen Diskussion des Vorstandshaftungsrechts insgesamt verbunden werden.

Der ebenfalls geladene Wirtschaftswissenschaftler Ekkehard Wenger, ehemaliger Lehrstuhlinhaber des Lehrstuhls für Bank- und Kreditwirtschaft der Universität Würzburg, war krankheitsbedingt nicht zur Anhörung erschienen, hatte aber eine Stellungnahme eingereicht. Darin erklärte er, die Stoßrichtung der Gesetzesinitiative sei grundsätzlich zu begrüßen. Ohne wirksame Klagerechte der Aktionäre im Fall von Pflichtverletzungen von Organen fehle dem Aktienrecht ein wesentliches Sanktions- und Präventionselement. Derzeit sei die Anreizstruktur für Streubesitz-Aktionäre im Hinblick auf die Geltendmachung von Schadensersatz für Pflichtverletzungen von Organmitgliedern nicht nur unzureichend ausgestaltet, sondern wirke sogar abschreckend.

In ihrem Gesetzentwurf schreibt die AfD-Fraktion unter anderem, dass aktuell eine Minderheit von Aktionären das Recht habe, Haftungsansprüche gegen einen Vorstand geltend zu machen. Diese Regelung habe jedoch keinen Anstieg von Haftungsklagen bewirkt. Die Fraktion sieht den Grund vor allem darin, dass klagewillige Aktionäre für ihr Engagement nicht belohnt würden und im Fall der Abweisung einer Klage sogar auf den Kosten sitzen bleiben würden.

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2. Experten sehen Gefahren für Demokratie

Europa/Anhörung

Berlin: (hib/JOH) Desinformation, politisches Hacking sowie politische Online-Werbung und Cyberangriffe auf Wahlmaschinen beeinflussen nach Ansicht zahlreicher Experten zunehmend die politische Willensbildung in der Europäischen Union. Deutschland und die EU müssten die Forschung zu politischer Kommunikation und Meinungsmanipulation stärker vorantreiben und gemeinsame Gegenstrategien entwickeln, forderten daher unter anderem der Rechtswissenschaftler Christian Calliess (Freie Universität Berlin) und Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung e.V. am Montagnachmittag in einer öffentlichen Anhörung des Europaausschusses zum Thema "Schutz der liberalen Demokratie in Europa". Der Kulturwissenschaftler Jürgen Neyer von der Europa-Universität Viadrina warnte hingegen vor staatlichen Eingriffen in die Meinungsbildungsprozesse, da eine liberale Gesellschaft "maximalen Freiraum" brauche und jede Intervention in Willensbildungsprozesse der Versuch einer Manipulation sei. "Die Gesellschaft soll den Staat prägen, nicht der Staat die Gesellschaft", betonte er.

Mitberaten wurde in der zweistündigen Sitzung auch ein Antrag (19/9225) der FDP-Fraktion, in der die Abgeordneten die Bundesregierung auffordern, die Vorschläge des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zur Einrichtung einer europäischen Agentur für den Schutz der Demokratie positiv zu begleiten.

Für eine solche Agentur sah Christian Callies allerdings keine Notwendigkeit. Das in der Europäischen Agentur für Cybersicherheit versammelte Know-how sei besser in der Lage, die komplexen Bedrohungslagen einzuschätzen und die Mitgliedstaaten zu beraten. Callies sieht außerdem die EU in der Verantwortung, Standards für die sozialen Medien und die Datenerhebung durch Plattformen zu formulieren.

Die Projektmanagerin für Internationale Cybersicherheitspolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung, Julia Schuetze, wies auf die verbreitete Wahrnehmung hin, dass IT-Systeme und Wahl-Infrastruktur angreifbar und manipulierbar seien. Dies könne dem demokratischen Prozess seine Legitimation entziehen, warnte sie. Wahlrelevante Systeme und Daten müssten daher besser vor Cyberangriffen geschützt werden. Ihr Kollege Julian Jarusch forderte überdies, digitale Plattformen stärker zu regulieren und deren Handeln besser zu erforschen.

Constanze Kurz vom Chaos Computer Club sah Meinungen und Handlungen insbesondere durch die "Manipulationsmacht" von Social Media-Plattformen wie Facebook und Twitter beeinflusst. Die über diese "kommerziellen Werbeplattformen" geführten Kampagnen seien intransparent, die Bürger könnte normale politische Wahlwerbung nicht mehr von Desinformation unterscheiden. Kurz nannte Beispiele für derart manipulierte Wahlen, etwa die Präsidentschaftswahlen in den USA 2016 und die Brexit-Abstimmung in Großbritannien, und warnte vor einer "grundlegenden Gefährdung der Demokratie". Es brauche unter anderem Transparenzanforderungen gegenüber den kommerziellen Plattformen und eine Stärkung der Medien- und Technikkompetenz in allen Altersgruppen, appellierte sie.

Für Ulrike Klinger von der Freien Universität Berlin gibt es hingegen bisher keinen Beleg dafür, dass automatisierte Accounts ("Social Bots") entscheidenden Einfluss auf Wahlen gehabt hätten. Meinungs- und Willensbildungsprozesse seien "sehr komplex" und Social Media-Plattformen für die meisten eine Nachrichtenquelle von vielen, betonte sie. Allerdings sprach auch sie sich für mehr Forschung zu politischer Kommunikation und ein systematisches Monitoring von Meinungsmanipulation aus. Das Wissen über Kampagnendynamiken sei bislang zu gering.

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3. Digitalisierung der Ausbildung im Betrieb

Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt/Anhörung

Berlin: (hib/LBR) Mit der Digitalisierung der Ausbildung im Betrieb hat sich die Enquete-Kommission "Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt" in einem öffentlichen Fachgespräch am Montagmittag beschäftigt. In der 19. Sitzung des Gremiums ging es um die Digitalisierung der Ausbildung in Handwerk und Industrie, das thematisch im Bereich der Projektgruppe Zwei der Enquete-Kommission fällt. Dazu hatte die Kommission den Ingenieur, kaufmännischen Leiter und Prokurist der Firma Frisch & Faust Tiefbau GmbH in Berlin, Dieter Mießen, eingeladen. "Ihr Betrieb gilt als vorbildlich im Bereich der beruflichen Bildung, auch weil der Anteil der Auszubildenden in der Belegschaft bei 20 Prozent liegt", lobte der Vorsitzende Stefan Kaufmann (CDU) das mittelständische Tiefbau-Unternehmen.

Dieter Mießen betonte, dass die 40 Auszubildenden in acht Berufen eine Besonderheit in der Ausbildungslandschaft in der Bauwirtschaft darstellten. "Gäbe es unser Unternehmen nicht, müsste man eine gesamte Berufsschulklasse in Berlin schließen", sagte er. Die Auszubildenden stammten dabei zumeist aus dem unteren Bildungsdrittel. Man habe im Unternehmen aber bereits vor über zehn Jahren ein gutes Netzwerk zur Unterstützung aufgebaut, um sich bei der Auszubildenden-Suche möglichst breit aufzustellen. Dies zahle sich mit der Zeit aus, da der Altersdurchschnitt im Unternehmen bei nur 39 Jahren liege - deutlich unter dem anderer Unternehmen. Die meisten der Auszubildenden seien männlich, aber man sei stolz darauf, seit einigen Jahren auch weibliche Auszubildende einzustellen und gezielt junge Geflüchtete und Jugendliche mit Migrationshintergrund anzusprechen.

Dazu würde im Unternehmen speziell Unterstützung geleistet, etwa durch eine Sprach-App, damit Sachverhalte aus der Berufsschule oder der beruflichen Praxis schneller verstanden werden könnten. Auch eine Lern-App komme zur Anwendung, durch die die Auszubildenden wie bei einer Führerscheinprüfung gezielt Inhalte trainieren könnten, berichtete Mießen. Darüber hinaus gebe es über Mentoring und Landesprogramme weitere Unterstützung. Als Unternehmen habe man einen "sozialpolitischen Anspruch", sodass er selbst auch verstärkt andere Unternehmen ermuntere, mehr junge Menschen auszubilden, betonte Mießen. Die These, dass es durch die Digitalisierung zukünftig weniger Auszubildende in der Baubranche gebe, könne er nicht bestätigen.

In anschließender nicht-öffentlicher Sitzung beschlossen die Kommissionsmitglieder mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen, dass die Endberichte der Projektgruppen nicht veröffentlicht werden und als interne Beratungspapiere einzustufen seien.

Im Anschluss stellten die Mitglieder der Projektgruppe Zwei ihren Endbericht "Anforderungen an die Ausbildung im Betrieb" vor, in dem es auch um Handlungsempfehlungen geht. Die Kapitel behandeln die Digitalisierung der Ausbildungsinhalte und die Digitalisierung im Betrieb sowie der Kompetenzen des Ausbildungspersonals, die betriebliche Ausbildung im Verbund und die Lernortkooperation und Vernetzung. Auch gibt es Kapitel zu nicht-dualen Berufen und der Digitalisierung, der Gewinnung von Fachkräften und der Internationalisierung der beruflichen Bildung sowie der Teilzeitausbildung.

Unter www.zukunftsdialog-ausbildung.de ist heute die digitale Dialogplattform "Ausbildung für die digitale Zukunft: Meine Ideen sind gefragt!" für junge Menschen gestartet. Dort können noch bis zum 3. April 2020 Fragen gestellt, Meinungen ausgetauscht und Beiträge geschrieben werden, die die Enquete-Kommission bei der Erarbeitung von konkreten Handlungsempfehlungen unterstützen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 234 - 2. März 2020 - 17.20 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
Parlamentsnachrichten, PuK 2
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2020

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