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BUNDESTAG/9016: Heute im Bundestag Nr. 1163 - 21.10.2019


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 1163
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 21. Oktober 2019, Redaktionsschluss: 17.35 Uhr

1. Geteiltes Echo auf Paketboten-Gesetz
2. Experten fordern höheren EU-Haushalt


1. Geteiltes Echo auf Paketboten-Gesetz

Arbeit und Soziales/Ausschuss

Berlin: (hib/CHE) An der Einführung der Nachunternehmerhaftung in der Paketbranche scheiden sich die Geister. Das wurde während einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montagnachmittag deutlich. Während die arbeitgebernahen Verbände erwartungsgemäß das Ausmaß der Regulierung kritisierten und infrage stellten, ob diese ihren Zweck erfüllen wird, äußerten Arbeitnehmervertreter die Hoffnung auf positive Effekte. Zum Teil wurde das Gesetz auch als nicht ausreichend bezeichnet, um bessere Arbeitsbedingungen tatsächlich durchzusetzen.

Der Gesetzentwurf (19/13958) der Bundesregierung sieht vor, eine Nachunternehmerhaftung für Sozialabgaben für die KEP-Branche (KEP = Kurier-, Express- und Paketdienste) einzuführen. Vorbild sollen die bestehenden Haftungsregelungen für die Baubranche und die Fleischwirtschaft sein. Die Bundesregierung begründet die Initiative damit, dass es viele Paketdienste gebe, die fast ausschließlich mit Nachunternehmern arbeiten. Hier komme es häufig zu Verstößen gegen das Mindestlohngesetz und gegen sozialversicherungsrechtliche Pflichten mit zum Teil kriminellen Strukturen, heißt es im Entwurf.

Sehr kritisch äußerte sich die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): "Der Staat trägt die Verantwortung für die Kontrolle der Einhaltung von Gesetzen und die konsequente Ahndung von Gesetzesverstößen. Dieser Aufgabe darf er sich nicht dadurch entledigen, dass er sie durch immer mehr Regulierung auf private Unternehmen abwälzt", schreibt die BDA in ihrer Stellungnahme. In der Anhörung äußerte BDA-Vertreter Roland Wolf zudem Bedenken, dass eine Nachunternehmerhaftung zu mehr Qualität in der Branche führt. Der Bundesverband Spedition und Logistik e. V. kritisierte, dass der im Gesetz genannte Geltungsbereich zu weit gefasst sei. Man müsse sicherstellen, dass auch tatsächlich nur die Paketzustelldienste gemeint seien, erklärte deren Vertreter Frank Huster. Der Unternehmer Michael Mlynarczyk erklärte, die Dokumentationspflichten der Arbeitszeiten auszuweiten sei ein "nicht umsetzbarer, gewaltiger Aufwand".

Andreas Schumann vom Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste e.V. betonte dagegen, die Nachunternehmerhaftung könne einen Beitrag für die Qualifizierung der Zusteller leisten. Dafür sei es nötig, die Haftungsfreistellung nicht nur auf die Unbedenklichkeitserklärung zu beziehen, sondern mit einer Präqualifizierung zu verbinden, sagte er. Andrea Kocsis von der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft verdi begrüßte den Gesetzentwurf ebenfalls. Die Nachunternehmerhaftung werde helfen, den Sozialleistungsbetrug einzudämmen, sie könne aber nicht für bessere Arbeitsbedingungen sorgen. Dafür brauche es eine genauere Erfassung der Arbeitszeiten, betonte sie. Ähnlich argumentierte der Sozialwissenschaftler Stefan Sell. Als folgerichtig und dringend notwendig bezeichnet Dominique John vom Verein Faire Mobilität des Entwurf, denn die Arbeitsbedingungen der Zusteller bei Subunternehmen seien unterirdisch, viele ausländische Beschäftigte würden nicht nur die Sprache nicht richtig sprechen, sondern auch ihre Rechte nicht kennen, sagte John.

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2. Experten fordern höheren EU-Haushalt

Europa/Anhörung

Berlin: (hib/JOH) Der von der Europäischen Kommission vorgelegte Vorschlag für einen langfristigen Haushaltsplan (MFR) der Europäischen Union von 2021 bis 2027 stößt bei vielen Experten grundsätzlich auf Zustimmung, geht vielen jedoch nicht weit genug. So appellierten am Montagnachmittag zahlreiche Sachverständige in einer öffentlichen Anhörung des Europaausschusses auch an die Bundesregierung, sich für ein noch höheres EU-Budget einzusetzen.

"Die EU befindet sich in einem internationalen Innovationswettbewerb", betonte unter anderem Klaus Günter Deutsch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Um in diesem zu bestehen, seien höhere Gemeinschaftsausgaben und eine in sich stimmige industriepolitische Strategie unabdingbar. So sollten die Ausgaben für das künftige Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung und Innovation, Horizont Europa, "nicht unter 120 Milliarden Euro" liegen. Auch die Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels müssten aufgestockt werden.

Margit Schratzenstaller-Altzinger vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) betonte den Mehrwert der Europäischen Union für alle Mitgliedstaaten, der über das reine Kosten-Nutzen-Niveau hinausgehe. "Die Herausforderungen sind größer denn je", sagte sie mit Blick auf Digitalisierung, Klimawandel und Zuwanderung. "Doch so, wie der EU-Haushalt derzeit aufgestellt ist, ist sein Beitrag zu Lösungen relativ begrenzt."

Für die EU-Kommission hatte Andreas Schwarz zuvor den im Mai vorgelegten Vorschlag präsentiert. Danach müsse von 2021 bis 2027 jeder der nach dem Brexit nur noch 27 Mitgliedstaaten 1,11 Prozent seines Bruttonationaleinkommens an die EU entrichten statt wie derzeit 1,03 Prozent. Um den Aufwuchs des Finanzrahmens zu begrenzen, solle es "moderate Kürzungen" bei der Gemeinsamen Agrarpolitik und den Kohäsions- und Strukturfonds geben. Schwarz machte allerdings deutlich, dass auch er für einen "modernen Haushalt" ein höheres Budget für notwendig hält. "Ein zu niedriger Finanzrahmen kann zu Lasten der modernen Politiken gehen", warnte er, sprach jedoch von "starken Beharrungstendenzen" bei den Mitgliedstaaten in den Bereichen Landwirtschaft und Kohäsion.

Die sieht auch Berthold Busch vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW). "Die stärkere Orientierung der Ausgabenstruktur an den neuen Herausforderungen zulasten der traditionellen Aufgaben scheint auf erheblichen politischen Widerstand in den Mitgliedstaaten zu stoßen", bemerkte er. Man könne jedoch nicht "den Rahmen eng begrenzen und neue Prioritäten definieren, aber bestehende Ausgabenblöcke zum Tabu erklären".

Dass die Mitgliedstaaten traditionelle Ausgabetöpfe im Laufe der Verhandlungen immer schützen, müsse zu politischen Konsequenzen führen, betonte Lucas Guttenberg vom Jacques Delors Institut. "Wir werden einen größeren Finanzrahmen brauchen als den bisher vorgeschlagenen", stellte er klar. Auch die Bundesregierung solle höhere Beiträge zahlen und dafür im Rahmen von Maastricht bereit sein, Schulden machen. "Wir brauchen einen Haushalt, der mit den Anforderungen korrespondiert, den wir an die EU stellen", mahnte er.

Professor Friedrich Heinemann vom Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) sprach sich ebenfalls für höhere Nettobeiträge aus. Zugleich sollten die Förderansprüche wohlhabender Regionen zurückgefahren und die Kohäsionsmittel so wieder auf das urspüngliche Konvergenzziel ausgerichtet werden. Kritik übte er wie auch Pieter Cleppe von der britischen Denkfabrik Open Europe an den Direktzahlungen für die landwirtschaftlichen Betriebe. Sie seien nicht zielgenau, weil es keine Bedürfnisprüfung gebe. "Sie sollte die EU auslaufen lasse oder in ein Instrument zur Bepreisung messbar erbrachter europäischer Umweltgüter transformieren", forderte Heinemann.

Cleppe sprach ebenfalls von "kontraproduktiven Maßnahmen" und befürwortete eine grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik. Unter anderem sollte es seiner Ansicht nach keine Direktzahlungen mehr für jene in Europa geben, "die nicht zu den Ärmsten gehören".

Susanne Wixforth vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) wertete die geplanten Kürzungen bei den Agrar- und Strukturfonds hingegen negativ. Sie forderte ein EU-Budget in Höhe von 1,3 Prozent der Bruttonationaleinkommens und einen "Marshallplan für Europa". Dessen Schwerpunkte sollten die Stärkung der sozialen Rechte und die Erfüllung der UN-Nachhaltigkeitsziele ("Agenda 2030") sein.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 1163 - 21. Oktober 2019 - 17.35 Uhr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2019

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