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BUNDESTAG/8499: Heute im Bundestag Nr. 642 - 04.06.2019


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 642
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Dienstag, 4. Juni 2019, Redaktionsschluss: 10.46 Uhr

1. Pro und Contra zur Duldungsregelung
2. Expertenstreit über Wohnsitzauflagen
3. Anhörung zum Menschenrechtsbericht
4. Deutsche Sprachkurse in Weißrussland
5. Kosten des Kosovo-Engagements


1. Pro und Contra zur Duldungsregelung

Inneres und Heimat/Anhörung

Berlin: (hib/suk) Die geplanten Neuregelungen der Duldung bei Ausbildung und Beschäftigung stoßen bei Experten auf ganz unterschiedliches Echo. Dies wurde deutlich in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat unter Vorsitz von Andrea Lindholz (CSU) zu einem entsprechenden Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/8286).

So sagte Professor Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg, derzeit lebten in Deutschland 141.000 Geduldete im erwerbsfähigen Alter. rund ein Drittel von ihnen gehe einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nach, 25 Prozent seien in der Lage, ihren Lebensunterhalt zu sichern. Grundsätzlich sei das Vorhaben der Regierung "sinnvoll", sagte Brücker. Die Grundlage für die Integration sei Rechtssicherheit - sowohl für Arbeitgeber, die ausbilden oder beschäftigten wollen, als auch für Menschen, die in Deutschland bleiben wollen. Die Erfahrung zeige, dass Menschen, die eine gesicherte Perspektive hätten, mehr in Sprachkenntnisse oder Ausbildung investieren würden. Die Fristen, die im Gesetzentwurf vorgesehen sind, stellten aber eine hohe Rechtsunsicherheit dar. Sinnvoller sei eine Stichtagsregelung.

Dem stimmte auch Martin Fleuß, Richter am Bundesverwaltungsgericht Leipzig, zu. Eine Stichtagsregelung wäre "vorzugswürdig" gewesen. Grundsätzlich habe das Konzept der Ausbildungs- und Beschäftigungsduldung eine "Brückenfunktion", um "bereits aufhältigen Ausländern eine Legalisierung des Aufenthalts" zu ermöglichen - dies bringe aber auch das Problem mit sich, dass dadurch Anreize gesendet werden könnten. Begrüßenswert sei, dass die Ausstellung einer Ausbildungsduldung künftig an die Klärung der Identität gebunden sein soll.

Kritischer äußerte sich Gerrit Kramer vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Die bisherige Anwendung der Ausbildungsduldung sei bundesweit nicht einheitlich; dies sei für die Unternehmen, die Planungssicherheit bräuchten, problematisch. Die geplante Regelung schaffe aber mehr Auslegungsspielräume. Im Jahr 2018 seien 58.000 Ausbildungsplätze bei der Agentur für Arbeit gemeldet gewesen, die nicht besetzt werden konnte, dem gegenüber stünden 23.000 unversorgte Jugendliche. Damit Betriebe für offene Stellen auch das Potential von Geflüchteten nutzen können, sei gesetzgeberisches Handeln nötig. Anders als vorgesehen, müsse die Antwort auf die frage, ob eine Ausbildung erfolgreich zu Ende gebracht werden können, von den Betrieben gegeben werden und nicht von der Ausländerbehörde. Zudem entsprächen die geplanten Fristen nicht der Realität in den Unternehmen: Diese würden über die Besetzung von Ausbildungsplätzen ein Jahr im Voraus entscheiden; dem trage die Neuregelung nicht Rechnung.

Claudia Karstens vom Paritätischem Gesamtverband äußerte in ihrem Statement zwei Wünsche: Die Politik möge zu ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zurückkehren, in der man sich ausreichend Zeit nehme, und bereits bestehende Gesetze erst einmal evaluieren, bevor neue verabschiedet würden. Das derzeitige Vorgehen gehe "zu Lasten der Fachlichkeit" und mache Fehler möglich, die angesichts der wichtigen Thematik nicht geschehen dürften. Sie sehe drei Hauptprobleme: Zum einen sei häufig eine Identitätsklärung auch mit großer Anstrengung der Betroffenen nicht möglich. Zum zweiten sei der Ermessensspielraum bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen zu groß, zum dritten würden zum Teil "widersinnige Mitwirkungspflichten" verlangt. Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund wies darauf hin, dass man den vielen Menschen, die derzeit nicht zurückgeführt werden könnten, eine Perspektive eröffnen müsse. In der Praxis stammten viele der Geduldeten aus sicheren Herkunftsländern; verweigere man ihnen die Integration in den Arbeitsmarkt, bliebe nur die Abschiebung, die bekanntermaßen nicht möglich sei oder man müsse ihnen weiterhin Sozialleistungen zahlen.

Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag betonte, nicht bei allen Beteiligten habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass auf abgelehnte Asylbescheide grundsätzlich die Abschiebung und nicht die Aufnahme einer Beschäftigung folgen müsse. Auch die Forderung nach einer bundeseinheitlichen Anwendung sehe er kritisch: Es liege im Sinn eines föderalen Systems, dass der Vollzug von Regeln unterschiedlich ausgestaltet werde. Wer eine einheitliche Ausgestaltung und keinerlei Entscheidungsspielräume wolle, müsse ein detailliertes Gesetz schreiben, dass dann aber ausgesprochen komplex sei.

Die Neuregelung werde "ins Leere laufen": So lautet das Fazit von Lea Rosenberg, Vorstandsmitglied des Fördervereins Pro Asyl. Grundsätzlich gab sie zu bedenken, dass nicht alle Geduldeten diesen Status zu Recht hätten: So seien im Jahr 2018 ein drittel der Entscheidungen des Bamf, wegen derer es Verfahren gegeben habe, vor Gericht korrigiert worden. Man müsse daher davon ausgehen, dass einer großen Zahl von Ausreisepflichtigen der Schutzstatuts zu Unrecht verwehrt werde. Die Erfahrung zeige, dass viele Ausländerbehörden ihre Kompetenzen nutzen würden, um Duldungen zu verweigern oder zu verzögern. Sie habe, so Rosenbeerg, insbesondere bei der Beschäftigungsduldung den Eindruck, dass ein "Erfolg nicht gewollt" sei.

Professor Daniel Thym von der Universität Konstanz betonte, der Gesetzgeber stehe Ausreisepflichtigen gegenüber vor "einem Dilemma", weil er einerseits die Integration fördern und gleichzeitig Anreize verhindern wolle. Wenn bekannt würde, dass es in Deutschland möglich sei, trotz eines abgelehnten Asylantrags mit staatlicher Förderung in Arbeit zu kommen, könne das den Anreiz erhöhen, illegal nach Deutschland zu kommen. Im Vergleich zu den Voraussetzungen für die Fachkräfteeinwanderung seien die Kriterien für eine Beschäftigungsduldung deutlich geringer. Er plädiere dafür, so Thym, sich im Gesetz auf die grundsätzlichen Vorgaben zu beschränken und auf die Behörden und Gerichte zu vertrauen, die die Gesetze konkret und stabil machten. Dies funktioniere in der Regel "halbwegs gut".

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2. Expertenstreit über Wohnsitzauflagen

Inneres und Heimat/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Das Vorhaben der Bundesregierung, die seit drei Jahren befristet geltende Wohnsitzauflage für Asylberechtigte in Deutschland endgültig festzuschreiben (19/8692), stößt bei Kommunalvertretern auf Zustimmung und bei Wohlfahrtsverbänden auf Ablehnung. Das wurde bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat am späten Montagnachmittag deutlich. Die mit dem Integrationsgesetz vom Juli 2016 eingeführte Wohnsitzregelung für international Schutzberechtigte, würde am 6. August dieses Jahres außer Kraft treten. Aus Sicht der Regierung würde ohne eine Verlängerung dieser Regelung, der zufolge schutzberechtigte Ausländer verpflichtet sind, ihren Wohnsitz drei Jahre lang in einem bestimmten Land und gegebenenfalls an einem bestimmten Ort zu nehmen, "ein wichtiges integrationspolitisches Instrument für die Betroffenen und die zu diesem Zweck erforderliche Planbarkeit der Integrationsangebote von Ländern und Kommunen entfallen", heißt es in dem Gesetzentwurf.

Die Wohnsitzauflage habe sich bewährt, sagte Marc Elxnat vom Deutschen Städte- und Gemeindebund während der Anhörung und begrüßte das Regierungsvorhaben. Eine Entfristung der geltenden Regelung bedeute nicht, dass dies damit für alle Zeiten festgeschrieben ist, befand er. In den Städten und Gemeinden gebe es die Befürchtung, dass es im Falle einer Außerkraftsetzung der Wohnsitzregelung zu einer Konzentration spezieller Communitys in den Städten komme, was einer Integration nicht zuträglich sei und zu Problemen mit Wohnraumversorgung in einzelnen Städten führen könne.

Der ländliche Raum habe ein großes Integrationspotenzial, sagte Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag. Mit dem Mittel der Einschränkung der Wohnsitzfreiheit für einen beschränkten Zeitraum könne es gelingen, den Flüchtlingen vor Augen zu führen, dass sie auch im ländlichen Raum sehr gute Chancen zur Integration haben. Die geltende Wohnsitzauflage sei ausreichend evaluiert worden, um eine Entfristung vorzunehmen, urteilte Ritgen.

Susann Thiel vom Paritätischen Gesamtverband sprach sich gegen eine Entfristung aus. Dagegen sprächen grundsätzliche Bedenken ebenso wie die Erfahrungen aus der Praxis, sagte sie. Wohnsitzauflagen seien rechtlich fraglich, da sie das Recht auf Freizügigkeit einschränkten. Rechtlich möglich seien die Einschränkungen nur, wenn sie aus integrationspolitischen Gründen erteilt würden. Die Frage sei also, ob Wohnsitzauflagen die Integrationschancen steigern oder nicht, sagte Thiel. Bislang habe es aber keine umfassende Evaluierung gegeben, die dazu Erkenntnisse haben liefern können. "Aus unserer Sicht ist das kein geeignetes Mittel, um die Integration von Schutzberechtigten tatsächlich herzustellen", sagte die Verbandsvertreterin. Erfahrungen aus der Praxis würden vielmehr auf das Gegenteil hinweisen.

Bernward Ostrop vom Deutschen Caritasverband lehnte eine Entfristung "ohne Evaluierung" ab und schlug eine befristete Verlängerung der Regelung vor, um eine "ordentliche Evaluierung" vornehmen zu können. Der Caritas-Vertreter wies zugleich darauf hin, dass die geltende Regelung in Regionen mit angespanntem Wohnungsmarkt Flüchtlinge dazu zwingen könne, länger als angemessen in Gemeinschaftsunterkünften zu verbleiben. Dies sei nicht integrationsfördernd.

Professor Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg sagte, die Annahme, dass sich die Wohnsitzauflagen positiv auf die Integration auswirken, könne empirisch nicht bestätigt werden. Seiner Ansicht nach braucht es eine systematische Evaluation des Gesetzes. Jetzt eine "Entfristung auf Dauer" festzuschreiben, sei "nicht sinnvoll". Er halte eine Verlängerung der Wohnsitzauflage um ein Jahr für richtig, sagte Brücker. Was die Bedenken der Kommunen angeht, ein Wegfall der Wohnsitzauflage könne zu einer Konzentration in den Großstädten führen, so fänden sich bei genauerer Betrachtung der Zahlen starke Zuzüge ebenso wie starke Wegzüge. Eventuellen Risiken für tatsächlich erheblich über dem Bundesdurchschnitt betroffene Kommunen könne mit einem Zuzugsstopp begegnet werden, schlug Brücker vor.

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3. Anhörung zum Menschenrechtsbericht

Menschenrechte/Anhörung

Berlin: (hib/AHE) Der 13. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik (19/7730) steht am Mittwoch ab 15 Uhr im Mittelpunkt einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Zu der Veranstaltung im Raum E.200 des Paul-Löbe-Hauses sind sieben Sachverständige geladen: Markus Beeko (Amnesty International), Ulrich Delius (Gesellschaft für bedrohte Völker), Rainer Dopp (Nationale Stelle zur Verhütung von Folter), Monika Hauser (medica mondiale e. V.), Michael Krennerich (Universität Erlangen-Nürnberg und Nürnberger Menschenrechtszentrum), Michael Ley (ehemaliger Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte Wien) sowie Christian Mihr (Reporter ohne Grenzen).

Interessierte Zuhörer werden gebeten, sich vorab unter Angabe von Name, Vorname und Geburtsdatum per E-Mail (menschenrechtsausschuss@bundestag.de) beim Sekretariat des Ausschusses anzumelden. Für den Einlass ist ein Personaldokument erforderlich.

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4. Deutsche Sprachkurse in Weißrussland

Auswärtiges/Antwort

Berlin: (hib/AHE) Die Bundesregierung liegen keine eigenen Erkenntnisse zu der Zahl der Deutschstämmigen in Weißrussland vor. "Laut belarussischer Volkszählung von 2009 lebten 2.474 deutschstämmige Personen in Belarus", heißt es in der Antwort (19/10475) auf eine Kleine Anfrage der AfD-Fraktion (19/9492). Bei der vorangegangenen Volkszählung 1999 seien 4.805 deutschstämmige Personen erfasst worden.

In den Jahren 2014 bis 2018 seien von deutscher Seite Finanzmittel in Höhe von rund 4,3 Millionen Euro in Weißrussland bereitgestellt worden für die Förderung der deutschen Sprache durch Sprachkurse und Unterstützung von ausländischen Einrichtungen, die Deutsch als Fremdsprache lehren.

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5. Kosten des Kosovo-Engagements

Auswärtiges/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/AHE) Nach einer Bilanz des deutschen Engagements im Kosovo erkundigt sich die AfD-Fraktion in einer Kleinen Anfrage (19/10436). Die Bundesregierung soll Auskunft geben über die jeweiligen "Kosten des deutschen politischen, militärischen beziehungsweise zivilen Engagements" des Auswärtigen Amtes und der Ministerien für Verteidigung, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Inneres, Wirtschaft und gegebenenfalls weiteren Geschäftsbereichen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 642 - 4. Juni 2019 - 10.46 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
Parlamentsnachrichten, PuK 2
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: +49 30 227-35642, Telefax: +49 30 227-36191
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Internet: www.bundestag.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2019

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