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BUNDESTAG/7584: Heute im Bundestag Nr. 736 - 08.10.2018


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 736
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 8. Oktober 2018, Redaktionsschluss: 16.33 Uhr

1. Grundgesetzänderungen in der Kritik
2. Regierung sieht keinen Rechtsbruch


1. Grundgesetzänderungen in der Kritik

Haushalt/Anhörung

Berlin: (hib/SCR) Die von der Bundesregierung geplanten Änderungen im Grundgesetz, um etwa Finanzhilfen des Bundes im Bereich der Bildungsinfrastrukturen sowie beim sozialen Wohnungsbau zu ermöglichen, sind am Montagmittag während einer öffentlichen Anhörung im Haushaltsausschuss auf ein geteiltes, teils sehr kritisches Echo gestoßen. Außer zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (19/3440) nahmen die geladenen Experten und Verbandsvertreter zu Anträgen der AfD (19/4543) und Linken (19/13) sowie einem gemeinsamen Antrag der Fraktionen FDP und Bündnis 90/Die Grünen (19/4556) Stellung. Die Anträge beziehen sich auf die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im Bildungsbereich.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht unter anderem vor, dass durch eine Änderung des Artikels 104c Grundgesetz der Bund künftig den Ländern Mittel für "für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen" von Kommunen und Ländern "im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur" gewähren können soll. Die Bundesregierung will damit die Voraussetzungen schaffen, den sogenannten Digitalpakt Schule umzusetzen. Diese Finanzhilfen sollen befristet und degressiv ausgestaltet werden. Diese Einschränkung ist für den von der Bundesregierung vorgeschlagenen neuen Artikel 104d nicht vorgesehen. Diese Norm soll dem Bund ermöglichen, Kommunen beim sozialen Wohnungsbau finanziell unter die Arme zu greifen. Gegenstand des Gesetzentwurfes sind zudem die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs in den Kommunen sowie eine Änderung mit Bezug zur Neuordnung der Zuständigkeiten bei den Bundesautobahnen.

Zustimmend äußerte sich in der Anhörung Verena Göppert vom Deutschen Städtetag. Die Bildung sei eine gesamtstaatliche Aufgabe, es sei daher richtig, dass der Bund über Finanzhilfen unterstützen kann. "Wir sehen den Bund mit in der Pflicht", sagte Göppert. Der Vorschlag der Bundesregierung sei gut und richtig. Hans-Günter Henneke vom Deutschen Landkreistag sprach sich hingegen gegen die Vorschläge der Bundesregierung aus. Finanzhilfen seien nicht der richtig Weg, vielmehr müssten die Kommunen finanziell grundsätzlich besser ausgestattet werden.

Ähnlich argumentierte Thomas Lenk (Universität Leipzig). Tatsächlich sei die Primärverteilung der Staatseinnahmen reformbedürftig. Lenk schlug vor, die Umsatzsteuerverteilung vertikal und horizontal anzugehen. Letzteres sei nötig, da nach dem aktuellen Modus der horizontalen Verteilung wirtschaftsstarke Kommunen bevorteilt würden.

Der Bundesrechnungshof schlug vor, im Artikel 104b Absatz 2 Grundgesetz, die Zusätzlichkeit der Bundesmittel festzuschreiben. Damit solle verhindert werden, dass der Bund durch die Finanzhilfen Ersatzinvestition leiste und die Länder keine eigenen Mittel aufbringen müssten. Auch der Rechnungshof betonte, dass die Verteilung der Steuereinnahmen gegebenenfalls ein gangbarer Weg sei, um die Länder für die Erfüllung ihrer Aufgaben entsprechend auszustatten.

Ulrich Vosgerau (Universität zu Köln) bezweifelte in der Anhörung, ob die vom Bundesrechnungshof geforderte Vorgabe umgesetzt werden könne. Grundsätzlich warnte Vosgerau vor "verfassungswidrigem Verfassungsrecht". Zwar möge die von der Bundesregierung vorgeschlagene Reform "gerade noch" verfassungsgemäß sein. Aber der eingeschlagene Weg, dem Bund bei einer eigentlich den Ländern obliegenden Aufgabe zunehmende Mitspracherechte einzuräumen, könne laut Vosgerau auf längere Sicht gegen die in Artikel 79 Absatz 3 Grundgesetz normiere Ewigkeitsgarantie verstoßen.

Christian Seiler (Eberhard Karls Universität Tübingen) sah hingegen nicht, dass die vorgeschlagenen Änderungen Gefahr laufen würden, verfassungswidrig zu sein. Es müssten aber die Auswirkungen der Änderungen im Blick behalten werden. Seiler warnte mit Verweis auf das Bundesstaatsprinzip darauf, dass Mischfinanzierungen "demokratisch bedenklich" seien. Eine Verflechtung von Zuständigkeiten laufe demnach der klaren Zuweisung von Verantwortung zuwider. Seiler verwies ebenfalls auf die Möglichkeiten, im Sinne der Artikel 106 und 107 Grundgesetz an der Steuerverteilung zu arbeiten. Eine Gemeinschaftsaufgabe - statt der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Finanzhilfen - im Bildungsbereich sei allerdings die "schlechteste Lösung", da die Verantwortungszuweisung dann unklar sei, sagte Seiler.

Ulrich Häde (Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)) betonte ebenfalls, dass Finanzhilfen des Bundes eigentlich Ausnahmen bleiben sollten. Eine degressive und befristete Ausgestaltung sei sinnvoll. Dies berühre aber nicht die Verfassungsmäßigkeit der vorgeschlagenen Änderungen. Hier sei noch "viel Spielraum", sagte Häde.

Johannes Hellermann (Universität Bielefeld) sagte, Kurzfristigkeit sei bei Investitionshilfen des Bundes nicht erforderlich. Die unbefristete Ausgestaltung, die die Bundesregierung im neuen Artikel 104d Grundgesetz vorschlägt, sei daher in Ordnung. Mit Blick auf die Frage, ob der Bund mit den vorgeschlagenen Änderungen zu viele Kompetenzen im Bildungsbereich erlange, sagte Hellermann, dass die Änderung im 104c Grundgesetz zwar einen größeren Einfluss für den Bund bedeuten würde. Allerdings wäre eine Änderung im Artikel 91b Grundgesetz, der die Zusammenarbeit von Bund und Ländern "in Fällen überregionaler Bedeutung bei der Förderung von Wissenschaft, Forschung und Lehre" regelt, ein größerer Eingriff in den Aufgabenbereich der Länder.

Für eine stärke Rolle des Bundes im Bildungsbereich sprach sich Berthold Wigger (Karlsruher Institut für Technologie) aus. Die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Änderungen gingen nicht weit genug. Der Bund müsse sich dauerhaft und über die Infrastruktur hinaus finanziell in den Bereich einbringen. Mit nationalen Bildungsstandards könne zudem ein "wohlfahrtsfördernder Wettbewerb zwischen den Bildungsanbietern" erreicht werden, schrieb Wigger in seiner Stellungnahme.

Kai Maaz (Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung) sprach sich für ein "partizipatives Steuerungsmodell" im Bildungsbereich aus. Die Verantwortung solle zwar letztlich bei den Ländern verbleiben, Bund und Länder müssten aber gemeinsam die Rahmenbedingungen schaffen. Zeitlich befristete Hilfen seien dabei nicht zielführend. Für die Herausforderungen, die sich aus Digitalisierung, Inklusion und Disparitäten im Bildungsbereich ergeben würden, brauche es neue Konzepte, da sie aktuell in "Form eines Fleckenteppichs" bearbeitet würden, forderte Maaz.

Katja Rietzler (Institut für Makroökonomie der Hans-Böckler-Stiftung) verwies auf den milliardenschweren Investitionsstau in den Kommunen. Um diesen zu überwinden, brauche es eine dauerhafte und sichere Finanzierung. In ihrer Stellungnahme schlug Rietzler unter anderem vor, dass der Bund einen Teil der Kassenkredite hochverschuldeter Kommunen übernehmen könne. Um Länder und Kommunen finanziell besser auszustatten, sei zudem eine näherungsweise Integration des Solidaritätszuschlags in die Einkommenssteuer denkbar, statt ihn abzuschaffen, heißt es in der Stellungnahme.

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2. Regierung sieht keinen Rechtsbruch

Petitionen/Ausschuss

Berlin: (hib/HAU) Auch in der Zeit vor dem September 2015 gab es illegale Grenzübertritte nach Deutschland. Das machte Günter Krings (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Inneres, Bau und Heimat, am Montag vor dem Petitionsausschuss deutlich, als eine von der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Vera Lengsfeld eingebrachte Petition mit der Forderung, "die Rechtmäßigkeit an den deutschen Grenzen wieder herzustellen", in öffentlicher Sitzung beraten wurde. Deutschland befinde sich innerhalb des Schengen-Raums, in dem die Binnengrenzen offen seien, sagte der Staatssekretär. Insofern komme es auch immer wieder zu illegalen Grenzübertritten. Es könne also weder von einem Rechtsbruch die Rede sein, noch davon, dass im September 2015 "Grenzen geöffnet wurden".

Die Petentin hatte zuvor den sofortigen Stopp der illegalen Migration nach Deutschland gefordert. Seit dem 5. September 2015 herrsche in Deutschland ein Ausnahmezustand. Die Entscheidung von Bundeskanzlerin Merkel, die Grenze "für ein paar tausend Flüchtlinge" zu öffnen, habe einen regelrechten Migrantenstrom ausgelöst. "Bis heute kann jeder die deutsche Grenze ohne Papiere passieren, der in der Lage ist, das Wort Asyl auszusprechen", kritisierte Lengsfeld. Auch der amtierende Innenminister Horst Seehofer (CSU) habe diese Anweisung seines Amtsvorgängers Thomas de Maizière (CDU) nicht rückgängig gemacht. Folge davon sei, das seit 2015 mehr als eine Million Migranten eingewandert seien - "überwiegend junge Männer, darunter auch zahlreiche Kriminelle und Terroristen", sagte die Petentin. Deren Identitäten seien vielfach ungeklärt, da sie überwiegend keine oder gefälschte Papiere bei sich gehabt hätten.

Niemand rede die entstandenen Probleme klein, sagte Staatssekretär Krings. "Es ist völlig klar, dass das von der Quantität eine nicht akzeptable Größenordnung an illegaler Migration war." Als wesentliche Elemente, mit denen illegale Grenzübertritte deutlich reduziert werden könnten, benannte Krings die Schleierfahndung oder die in Nordrhein-Westfalen geplanten "strategischen Fahndungen". An drei stationären Übergangsstellen würden derzeit zudem Grenzkontrollen stattfinden. Dort komme es auch zu Zurückweisungen. Über eine Fortführung dieser Kontrollen über Mitte November hinaus habe Innenminister Seehofer noch nicht entschieden. "Ich gehe davon aus, dass eine Fortführung stattfindet", sagte der CDU-Politiker.

Wie sie sich konkret eine Grenzsicherung vorstelle, fragten in der Sitzung mehrere Abgeordnete die Petentin. "Man muss die Bundespolizei einfach ihren Job machen lassen", antwortete Lengsfeld. Dazu müsse die vom ehemaligen Innenminister de Maizière erteilte Anweisung zurückgenommen werden, forderte sie. Nach dieser "Ministeranordnung" befragt, entgegnete Innen-Staatssekretär Krings, dazu könne er nichts sagen.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 736 - 8. Oktober 2018 - 16.33 Uhr
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2018

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