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BUNDESTAG/6183: Heute im Bundestag Nr. 697 - 29.11.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 697
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Dienstag, 29. November 2016, Redaktionsschluss: 09.28 Uhr

1. Conterganstiftungsgesetz ist umstritten
2. Änderungen bei Grundsicherung umstritten
3. Beschränkte Ansprüche für EU-Ausländer
4. Forstämter sollen weiter beraten dürfen
5. Überprüfung bei Flughafen-Personal


1. Conterganstiftungsgesetz ist umstritten

Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Anhörung

Berlin: (hib/AW) Die geplante Novellierung des Conterganstiftungsgesetzes stößt bei Betroffenen und Sachverständigen auf ein geteiltes Echo. Während die geplante Pauschalierung von Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe von Contergangeschädigten auf weitreichende Zustimmung stößt, wird die geplante Neuregelung von Kompetenzen zwischen Stiftungsvorstand und Stiftungsrat skeptisch bis ablehnend bewertet. Dies wurde während einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses über den Gesetzentwurf zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes der CDU/CSU- und der SPD-Fraktion (18/10378) deutlich.

Die Gerontologin Christina Ding-Greiner von der Universität Heidelberg bestätigte, dass der Gesetzentwurf in umfassender Weise Entwicklungen und Probleme, die die Evaluation des Conterganstiftungsgesetzes aufgezeigt hätten, berücksichtige. Durch die geplante Pauschalierung würden auch contergangeschädigte Menschen berücksichtigt, die aufgrund einer geringen vorgeburtlichen Schädigung eine niedrigere Schadenspunktezahl aufweisen, aber infolge schwerer Folgeschäden heute in hohem Maß an Schmerzen und Einschränkungen leiden. Margit Hudelmaier, Mitglied des Stiftungsvorstands, bezeichnete die Pauschalierung von Leistungen als den "einzig richtigen Weg". Allerdings sprach sie sich für einen möglichst niedrigen Sockelbetrag aus. Ein hoher Sockelbetrag führe zu einer Schlechterstellung der Hochgeschädigten, da es für sie dann schlicht weniger zu verteilen gäbe aus dem jährlichen Topf von 30 Millionen Euro für spezielle Bedarfe.

Für die Pauschalierung sprach sich auch der Vorsitzende des Bundesverbands Contergangeschädigter, Georg Löwenhauser, aus. Conterganschädigungen hätten sehr individuelle Ausprägungen Für Außenstehende sei deshalb kaum zu beurteilen, welche besonderen Leistungen die Geschädigten benötigen, argumentierte er. Ebenso sprachen sich Christian Stürmer, Mitglied des Stiftungsrates, und der Rechtsanwalt Oliver Tolmein für die Pauschalierung aus.

Andreas Meyer, Mitglied des Stiftungsrates und Vorsitzender des Bund Contergangeschädigter und Grünenthalopfer, hingegen sprach sich gegen das im Gesetzentwurf vorgesehene System der Pauschalierung aus. Eine Pauschalierung anhand der Schadenspunktetabelle mit Sockelbetrag stelle eine Kürzung des Leistungssystems zur Deckung spezifische Bedarfe dar. Eine angemessene Pauschalierung wäre nur bei einem Sockelbetrag von 20.000 Euro für jeden der 2.700 leistungsberechtigten und einer damit verbundenen Erhöhung der jährlichen Mittel für spezielle Bedarfe von 30 Millionen auf 54 Millionen Euro möglich.

Höchst strittig war zwischen allen Sachverständigen die geplante Neuregelung von Kompetenzen zwischen Stiftungsrat und Stiftungsvorstand. Mehrheitlich sprachen sie sich dafür aus, die Reform der Stiftungsorganisation aus der Novellierung herauszunehmen und nach einer eingehenden gründlichen Prüfung zu einem späteren Zeitpunkt gesetzlich zu regeln.

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2. Änderungen bei Grundsicherung umstritten

Arbeit und Soziales/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Die von der Bundesregierung geplanten Änderungen der Regelsätze in der Grundsicherung nach dem Zweiten und dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB XII) (18/9984) sowie die von der Regierung vorgelegte Novelle des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) (18/9985) stoßen auf ein unterschiedliches Echo. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag deutlich. Mit Blick auf die Änderungen bei SGB II und SGB XII. sagte Christina Ramb von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), die Regelbedarfe seien in einem "transparenten und verfassungsgemäßen" Verfahren ermittelt worden. Sie würden auf der einen Seite das Existenzminimum abdecken und auf der anderen Seite den Lohnabstand zu geringen Einkommen wahren, betonte Ramb.

Aus Sicht des Einzelsachverständigen Andy Groth ist der Gesetzentwurf "mit dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum vereinbar". Die Neudefinition der Regelbedarfsstufen werde zur Rechtsbefriedung beitragen, so der Experte. "Zulässig und angemessen" ist nach Ansicht des Deutschen Landkreistages die geplante Neuregelung, sagte Landkreistagsvertreterin Irene Vorholz. Dass bestimmte Verbrauchsausgaben bei der Ermittlung der Regelbedarfe, wie etwa Tabak und Alkohol aber auch ein eigenes Auto, keine Beachtung gefunden haben, liege im Spielraum des Gesetzgebers und ist aus Sicht der Kommunalvertreterin angemessen.

Kritik an der Regelung gab es durch Michael David von der Diakonie Deutschland. Für Alleinstehende und Alleinerziehende müsse seiner Ansicht nach der Regelsatz 150 Euro höher liegen, bei Paargemeinschaften bei 143 Euro mehr und bei Kindern zwischen 18 und 80 Euro. David bemängelte zudem, dass schulische Bedarfe im Teilhabepaket nicht ausreichend bedacht seien.

Nach Meinung der Einzelsachverständigen Irene Becker genügt die Vorgehensweise zur Ermittlung des soziokulturellen Existenzminimums "nicht den wesentlichen Anforderungen der angeblich gewählten empirisch statistischen Methode". Der Spielraum des Gesetzgebers, den es zweifelsfrei gebe, sollte laut Becker an anderer Stelle als bei "Herausnahmen und Kürzungen" liegen. Der Entwurf führe in seiner jetzigen Form zu einer massiven Bedarfsunterdeckung.

Was die Änderungen bei den Leistungen für Asylbewerber angeht, so sprachen sich mehrere Sachverständige für einen Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes aus. Dieses sei ein "bürokratisches Monster", kritisierte Stefan Keßler vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst-Deutschland. Es entspreche zudem weder den verfassungsrechtlichen noch den völkerrechtlichen Anforderungen. Die in der Novelle geplanten Kürzungen seien nicht begründet und nicht nachvollziehbar, bemängelte Irene Becker. Auch Vertreter von Caritas und Diakonie sprachen sich für die Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes aus und forderten dazu auf, die darin enthaltenen Leistungen in die normale Sozialgesetzgebung zu integrieren.

BDA-Vertreterin Christina Ramb sah hingegen ebenso wie Andy Groth die Neuregelung des AsylbLG und die damit verbundene Neustrukturierung der Bedarfsstufen als verfassungskonform an. Vertreter von Landkreistag und Städtetag plädierten für eine zügige Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens. Schon jetzt sei man spät dran, wenn das Gesetz ab 1. Januar 2017 von den Verwaltungen in Ländern und Kommunen umgesetzt werden soll. Positiv bewertet wurde von allen Experten die geplante Regelung, wonach monatlich bis zu 200 Euro an Einnahmen aus einer ehrenamtlichen Tätigkeit nicht auf die Leistungen nach dem AsylbLG angerechnet werden sollen.

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3. Beschränkte Ansprüche für EU-Ausländer

Arbeit und Soziales/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Die von der Bundesregierung geplante Einschränkung des Anspruchs auf Grundsicherung für EU-Ausländer stößt bei Experten auf Zustimmung ebenso wie auf Ablehnung. Das wurde bei einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales deutlich. Der dabei diskutierte Gesetzentwurf der Bundesregierung (18/10211) sieht unter anderem vor, EU-Ausländern erst nach fünf Jahren "eingetretener Verfestigung des Aufenthaltes" in Deutschland einen Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitssuchende oder Sozialhilfe zuzugestehen. Er gilt als Reaktion auf Urteile des Bundessozialgerichts (BSG), die EU-Ausländern einen Anspruch auf Sozialhilfe entsprechend dem SGB XII nach sechsmonatigem Aufenthalt in Deutschland in Deutschland zugebilligt haben.

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA) begrüßte ebenso wie der Deutsche Landkreistag und der Deutsche Städtetag die geplante Neuregelung. Im Interesse der Akzeptanz der Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU sei es notwendig, Missbrauchsmöglichkeiten einen Riegel vorzuschieben, sagte BDA-Vertreterin Christina Ramb. Zugleich forderte sie, der Zugang zu Sozialleistungen nach fünfjährigem Aufenthalt in Deutschland sollte nicht voraussetzungslos möglich sein. Nach Ansicht der BDA solle nur derjenige Zugang haben, der innerhalb der ersten fünf Jahre mindestens vier gearbeitet hat.

Vertreter von Landkreistag und Städtetag begrüßten, dass Personen, die sich lediglich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhielten, von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sein sollen. Zugleich forderte die Landkreistags-Vertreterin Irene Vorholz, den Umfang der Erwerbstätigkeit, der für eine SGB II-Leistungsberechtigung erforderlich ist, näher zu bestimmen. Anderenfalls würde bereits ein Minijob von 50 Euro ausreichen, um ergänzende Leistungen nach dem SGB II zu erhalten.

Die Einzelsachverständigen Franz Wilhelm Dollinger und Andy Groth bewerteten die Regelung als vereinbar mit dem Unionsrecht. Es gebe im Unionsrecht keinen Anspruch auf das Hereinwachsen in Sozialhilfesysteme, sagte Dollinger, der zugleich von "überschaubaren verfassungsrechtlichen Risiken" sprach.

Ingo Nürnberger, Sozialdezernent der Stadt Bielefeld, nannte den Gesetzentwurf "im Grundsatz sachgerecht". Es sei widersinnig, erwerbsfähige EU-Bürger in das SGB XII-System "abzuschieben", in dem so gut wie keine aktivierenden arbeitsmarktpolitischen Leistungen vorgesehen seien. Die BSG-Urteile hätten aber genau dies bewirkt, sagte Nürnberger. Skeptisch zeigte er sich, was die praktische Wirkung des Gesetzentwurfes angeht, da noch immer ein Minijob ausreichend sein soll, um Leistungen nach dem SGB II zu erhalten. Vor diesem Hintergrund müssten die Jobcenter ausreichende Instrumente und Ressourcen in die Hand bekommen, um die EU-Ausländer, die einen Minijob haben und ergänzende Leistungen empfangen "zu fordern und zu fördern", sagte Nürnberger.

Eine klare Ablehnung erfuhr das Vorhaben der Bundesregierung durch Claudius Voigt vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband. Voigt sprach von einem Tabubruch. Man wolle die Betroffenen aushungern, kritisierte er. Es sei nicht akzeptabel, Menschen, die sich legal in Deutschland aufhalten, fünf Jahre lang von existenzsichernden Sozialleistungen auszuschließen. Dies sei sozialpolitisch fatal, weil es zur Verelendung führe und am Ende den Kommunen teurer komme. Der Gesetzentwurf sei aber auch grundgesetzwidrig, weil er eine "migrationspolitische Relativierung der Menschenwürde" zur Folge hätte, sagte Voigt.

Gleicher Ansicht war Katharina Stamm von der Diakonie Deutschland. Eine auf fünf Jahre ausgeweitete Vorenthaltung des sozio-kulturellen Existenzminimums für sich rechtmäßig in Deutschland aufhaltende Menschen und deren Angehörige stelle die deutsche Sozialstaats- und Wertordnung grundlegend in Frage, sagte Stamm. Fehlende Existenzsicherung dränge zudem hilfebedürftig gewordene Unionsbürger in prekäre Situationen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt und verhindere gesellschaftliche Integration. Dies bereite den Nährboden für Lohndumping, Arbeitsausbeutung und Prostitution bis hin zu Menschenhandel, betonte die Diakonie-Vertreterin.

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4. Forstämter sollen weiter beraten dürfen

Ernährung und Landwirtschaft/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/EIS) Waldeigentümer sollen weiterhin bei Waldpflegemaßnahmen durch staatliche Förster beraten und betreut werden dürfen. Die Bundesregierung legt dazu einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundeswaldgesetzes (18/10456) vor, der den Waldbesitzern die Inanspruchnahme sogenannter vorgelagerter Dienstleistungen durch die Forstämter rechtlich ermöglichen soll. Dies betreffe vor allem waldbauliche Maßnahmen, die der eigentlichen Holzvermarktung bis zur Bereitstellung und Registrierung des Rohholzes vorgelagert seien. Als eine solche Maßnahme wird beispielsweise das Markieren von Bäumen verstanden, die im Vorfeld einer Holzernte geschlagen oder erhalten werden sollen. Erforderlich wurde die gesetzliche Klarstellung, weil nach einem Beschluss des Bundeskartellamtes die derzeit geübte Praxis der Vermarktung des Holzes aus öffentlichen und privaten Wäldern durch die Forstämter in Baden-Württemberg kartellrechtlich für unzulässig erklärt worden war.

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5. Überprüfung bei Flughafen-Personal

Inneres/Antwort

Berlin: (hib/STO) Bei Fluggastkontrollen eingesetztes Personal muss nach Angaben der Bundesregierung grundsätzlich schon vor Beginn der Ausbildung zuverlässigkeitsüberprüft sein. Eine Tätigkeit im Rahmen der Fluggastkontrolle ohne gültige Zuverlässigkeitsüberprüfung sei nicht zulässig, schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort (18/10354) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (18/10122).

Danach erfolgt grundsätzlich bei allen Personen, die nicht nur gelegentlich Zugang zu Sicherheitsbereichen an Flughäfen haben, eine Zuverlässigkeitsüberprüfung. Diese entfalle ausnahmsweise, wenn der Betroffene einer erweiterten Sicherheitsüberprüfung oder der "erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen" gemäß Sicherheitsüberprüfungsgesetz unterliegt.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 697 - 29. November 2016 - 09.28 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2016

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