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BUNDESTAG/6150: Heute im Bundestag Nr. 664 - 10.11.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 664
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 10. November 2016, Redaktionsschluss: 09.59 Uhr

1. Insolvenz - Privilegien umstritten
2. Digitalisierung für Good Governance


1. Insolvenz - Privilegien umstritten

Recht und Verbraucherschutz/Ausschuss

Berlin: (hib/FLA) Die gesetzlich festgeschriebene Bevorzugung bei Insolvenzen insbesondere von Gläubigern aus der Bankenwelt zu Lasten anderer Betroffener wird von Experten kontrovers beurteilt. Dies zeigte sich am Mittwoch bei einer Anhörung von Sachverständigen im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz.

Der Bundesgerichtshof hatte vor fünf Monaten Konstrukte gekippt, mit denen solche Privilegierung im Finanzsektor möglich war. Im Ausschuss ging es nun um den Entwurf zur Änderung der Insolvenzordnung (18/9983, 18/10263), mit der das Vorgehen wieder auf eine rechtliche Basis gestellt werden soll - und womöglich zu Ausweitungen etwa auf die Energiebranche führen kann.

Professor Christoph G. Paulus (Humboldt-Universität zu Berlin) sprach von einem "massiven Lobbyismus" der Finanzdienstleister, "der das Geschäftsmodell begründet hat". Die Gesetzesänderung bedeute also: "Wir schützen ein Geschäftsmodell der Banken." Freilich müsse er pragmatisch feststellen, dass daran nichts mehr zu ändern sei: "Umkehren geht natürlich nicht." Sein Vergleich: "Wenn wir auf einer neunspurigen Autobahn auf der Mittelspur sind, drehen wir nicht um." Aber sicherlich habe das "reduzierte Risiko" bei Insolvenzen - die deutschen Reglungen entsprechen internationalen Vorgaben - seinen Beitrag zur Finanzkrise geleistet.

Professor Johannes Köndgen (Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn) prangerte das Privileg ausgerechnet für "hochprofessionelle Marktakteure" und dies "zu Lasten einfacher Insolvenzgläubiger" an. Es sei "keine besonders starke Begründung", dass mit der Gesetzesänderung das Insolvenzrecht an die Vertragspraxis angepasst werden solle. Er nahm die Ausweitung auf weitere Branchen ins Visier: "In der Tat drohen hier Dammbrüche." Erst Strom, dann Rohstoffe: "Dann ist da kein Halten mehr."

Köndgen warf der Bundesanstalt für Finanzwesen (BaFin) "Kompetenzanmaßung" vor. Sie habe noch am Tage des Urteils versucht, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs per behördlicher Allgemeinverfügung "außer Kraft zu setzen" -"ein ziemlich einmaliger Verfassungskonflikt". Paulus sprach davon, dass neben der BaFin auch zwei Ministerien kundgetan hätten: "Das Urteil unterminieren wir."

BaFin-Vertreterin Elisabeth Roegele rechtfertigte im Ausschuss die bis Ende September befristet gewesene Verfügung: Weil die Insolvenz-Privilegierung internationaler Standard sei, hätten deutsche Finanzdienstleiter sonst womöglich keine Geschäfte mehr im Ausland tätigen können oder die Transaktionen auf ausländische Töchter verlagert. Die nun in der Beratung befindliche Gesetzesänderung bringe "das deutsche Vorgehen wieder in Einklang mit europäischen Regelungen". Damit werde "die Wettbewerbsfähigkeit für deutsche Finanzinstitute wiederhergestellt" - dazu die "erforderliche Rechtssicherheit" - mithin "ein sehr wichtiger Gesetzentwurf".

Auch für Lucas Flöther (Bundesrechtsanwaltskammer) ist der Text der beabsichtigten Gesetzesänderung "sehr gelungen". Dass teils "unbestimmte Rechtsbegriffe" vorkämen, sei nun mal nicht anders zu regeln. Unbestimmt ist wohl auch, welche Branchen mit Insolvenz-Privilegien rechnen können. Max Liesenhoff (Verband Deutscher Gas- und Stromhändler) sieht "jetzt endlich auch Rechtssicherheit für den Handel mit Waren".

Demgegenüber mochte Christoph Nierung (Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands) "nur dringend davor warnen, weitere Privilegien einzuführen". Er machte sich für "Gläubigergleichheit" stark. Es dürfe neben der Finanzbranche "kein Mit-Durchschlüpfen für andere Wirtschaftszweige" geben.

Professor Christoph Thole (Universität zu Köln) stufte das Urteil des Bundesgerichtshofs als "in der Sache völlig konsequent" ein. Den jetzt vorliegenden Gesetzentwurf finde er "nachvollziehbar". Freilich werde darin "nicht so ganz deutlich", dass es wie bisher nur um Finanzdienstleistungen gehe. Er machte sich für eine "klare Definition" stark.

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2. Digitalisierung für Good Governance

Ausschuss Digitale Agenda/Anhörung

Berlin: (hib/HAU) Die Digitalisierung besitzt ein großes Potenzial für die Entwicklungszusammenarbeit. In dieser Einschätzung waren sich am Mittwoch die zu einem öffentlichen Fachgespräch des Ausschusses Digitale Agenda geladenen Experten einig. Gleichzeitig plädierten sie für ein Miteinander auf Augenhöhe. Als einen entscheidenden Punkt, um die Digitalisierung für mehr Bildung und eine gute Regierungsführung (Good Governance) nutzen zu können, betrachteten sie die Zugangsmöglichkeiten zum Internet in den Entwicklungsländern.

Auch wenn der Mobilfunk etwa in Afrika schon sehr weit verbreitet sei, träfe das auf das Internet noch nicht zu, sagte Thorsten Scherf von der KfW Entwicklungsbank. Wolle man für einen breiten Zugang zum Internet sorgen, bedeute dies, den Breitbandausbau zu forcieren. Er sei die grundlegende Voraussetzung, um die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Chancen der Digitalisierung für eine nachhaltige und regional ausgewogene Entwicklung nutzen zu können, sagte Scherf. Benötigt werde dafür die Förderung von privatwirtschaftlichem Engagement zur kostengünstigen Bereitstellung von Breitband und zur Entwicklung von entwicklungspolitisch sinnvollen Anwendungen unter fairen wettbewerblichen Bedingungen.

Bevor man über die Nutzung von Softwarelösungen für Bildung, Bürgerbeteiligung und andere Fragen nachdenken kann, müsse die Zugangsfrage gelöst werden, betonte auch Jan Schwaab von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Schwaab forderte zugleich auch "eine Form von Bildkorrektur was das Thema Entwicklungsländer angeht". In Ruanda gebe es eine "Smart-Rwanda"-Strategie mit der sich das Land in kürzester Zeit zu einem "Middle Income Country" entwickle. "Es gibt Strategieelemente, die in Richtung offene Verwaltung und in Richtung Smart-City-Konzepte gehen", sagte Schwaab. Ganz Ruanda werde mit Glasfaser ausgestattet. Das habe nichts mehr mit dem Bild von einem Entwicklungsland zu tun, das noch in den Köpfen sei. "Wir müssen uns also auch als Entwicklungszusammenarbeit auf ganz andere Realitäten einstellen", betonte er.

Aus Sicht von Melanie Stilz von der Technischen Universität Berlin und Mitbegründerin von Konnektiv, dem "Büro für Bildung und Entwicklung", liegt das große Potenzial für Bildung oder Good Governance eben nicht darin, dass "mäßig erprobte Lösungen von außen kommen". Vielmehr liege das Potenzial darin, dass durch die lokale digitale Expertise selbst Lösungen entwickelt werden. Lokalem Engagement werde gleichwohl häufig mit Skepsis begegnet, sagte sie. Digitalisierung von außen schaffe häufig neue Abhängigkeiten. Neben der Finanzierung beträfe das in erster Linie Abhängigkeiten bei Wartung, Weiterentwicklung oder externer Expertise bei technischen Problemen. Zudem schwinde mit dem Rückzug internationaler Organisationen häufig auch die Bereitschaft, digitale Lösungen zu benutzen und ihnen zu vertrauen, sagte Stilz.

Viele Partnerländer der Entwicklungshilfe hätten die Digitalisierung schon lange zur Priorität erklärt, sagte Geraldine de Bastion - ebenfalls Mitbegründerin von Konnektiv. "Es gibt viele Bereiche, in denen uns die Partnerländer bereits voraus sind", sagte sie. Die Glaubwürdigkeit Deutschlands bei der Entwicklungszusammenarbeit in diesem Bericht leide darunter, dass "in Deutschland der digitale Wandel eher ein Nebenprodukt statt ein Fokusthema ist", kritisierte die Politologin. Gleichwohl bestehe die Chance auf eine Partnerschaft auf Augenhöhe "wenn Deutschland nicht mit vorgefertigten Lösungen und Ideen sondern mit Dialog und Offenheit agiert". Schließlich suche man auch hierzulande nach Antworten, wenn es um die großen Zukunftsfragen des digitalen Wandels geht.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 664 - 10. November 2016 - 09.59 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2016

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