Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → FAKTEN


BUNDESTAG/6104: Heute im Bundestag Nr. 618 - 21.10.2016


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 618
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Freitag, 21. Oktober 2016, Redaktionsschluss: 09.34 Uhr

Kanzeramts-Fachebene uninformiert
NSU: Versäumnisse in Baden-Württemberg
HVB-Chef präsentiert sich als Aufräumer
Kein Beweis für Abschalteinrichtung


1. Kanzeramts-Fachebene uninformiert

1. Untersuchungsausschuss (NSA)/Ausschuss

Berlin: (hib/wid) Über die Verwendung politisch fragwürdiger Selektoren durch den Bundesnachrichtendienst wurde die zuständige Fachebene im Kanzleramt erst anderthalb Jahre später informiert als die Spitze des Hauses. Dies bestätigten am Donnerstag der Leiter des Referats 603, Albert Karl, sowie die verantwortliche Referentin Friederike Nökel dem 1. Untersuchungsausschuss (NSA). Das Referat 603 führt die Fachaufsicht unter anderem über die mit Abhörmaßnahmen befasste Abteilung Technische Aufklärung (TA) beim BND. Der heute 54-jährige Politologe Karl steht seit August 2013 an der Spitze des Referats. Die 44-jährige Volkswirtin Nökel gehört dem Referat seit November 2013 an.

Beide erklärten übereinstimmend, sie hätten erst im März 2015 davon erfahren, dass der BND in seiner strategischen Fernmeldeaufklärung auch Suchmerkmale eingesetzt hatte, die zur Ausspähung von Partnerstaaten in EU und Nato geeignet waren. Dies hatte der damalige BND-Präsident Gerhard Schindler aber bereits Ende Oktober 2013 in einem persönlichen Gespräch dem noch amtierenden Kanzleramtschef Ronald Pofalla und Geheimdienstkoordinator Günter Heiß mitgeteilt. Er erhielt die mündliche Weisung, den Einsatz der politisch fragwürdigen Selektoren umgehend zu beenden.

"Mir wurde erst im März 2015 bekannt, dass es schon im Oktober 2013 eine Besprechung gegeben haben soll", betonte Karl. Warum Heiß, der als Leiter der Abteilung 6 ihr direkter Vorgesetzter ist, ihnen die Information nicht sofort weitergab, wussten weder er noch Nökel schlüssig zu beantworten. "Wenn für die Dienst- und Fachaufsicht etwas zu veranlassen war, war es naheliegend, das zu tun. Damals ist das nicht geschehen", sagte Karl und fügte später hinzu, er könne den Vorgang "nicht nachvollziehen", denn er liege "außerhalb der Wahrnehmungen und Einschätzungen, die ich eigentlich für normal halte". Auch Nökel meinte: "Es wäre wahrscheinlich besser gewesen, wir hätten's gewusst."

Beide erklärten, von dem Vorgang erstmals Kenntnis genommen zu haben, als der BND selbst über die Existenz von Dateien berichtete, in denen wegen politischer Bedenken aussortierte Selektoren gespeichert waren. Zuvor hatte am 20. März 2015 eine Delegation aus dem Kanzleramt unter Leitung von Amtschef Peter Altmaier (CDU) der Geheimdienstzentrale in Pullach einen Besuch abgestattet. Was sie zu lesen bekamen, versetzte Karl nicht minder als Nökel, wie sie berichteten, in Verwunderung. "Ich war zum Teil doch erstaunt, dass die sowas machen", meinte Nökel über die Abhörgepflogenheiten des BND. "Ich war im ersten Reflex überrascht", sagte Karl und setzte hinzu: "Meine Überraschung weitet sich sehr schnell zu Empörung aus - manchmal." Der Einschätzung, dass die Abteilung TA beim BND seit langem ein "Eigenleben" führe, wollte der zuständige Referatsleiter im Kanzleramt nicht rundheraus widersprechen.

Im Frühjahr 2015 entfaltete jedenfalls das Referat 603 eine fieberhafte Aktivität, um weitere Klarheit über den heiklen Sachverhalt zu gewinnen. Die Abteilung TA wurde mit Anfragen ihrer Fachaufsicht zum Einsatz von Selektoren gegen Verbündete überhäuft. "Die Bearbeitung der Abteilung TA hat mit März, April schon eine gewisse Dynamik erfahren", wie Karl formulierte. Dies sei normal, wenn ein Sachverhalt erstmals auf dem Radar auftauche: "Es gab viele für uns unbekannte technische und methodische Komplexe." Schließlich habe sich das Referat bis dahin mit dem Einsatz von Selektoren durch den BND nie genauer befasst.

*

2. NSU: Versäumnisse in Baden-Württemberg

3. Untersuchungsausschuss (NSU)/Ausschuss

Berlin: (hib/FZA) Die polizeiliche Ermittlungsarbeit zum Personenumfeld der rechten Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) im Bundesland Baden-Württemberg ist grob mangelhaft gewesen. So lautete das einhellige Urteil des 3. Untersuchungsausschusses (NSU II) unter Leitung von Clemens Binninger (CDU).

Zudem erhoben Binninger wie auch die Obleute Petra Pau (Die Linke) und Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) schwerwiegende Vorwürfe gegen das baden-württembergische Innenministerium. Die sogenannte Ermittlungsgruppe "EG Umfeld" des Landeskriminalamts (LKA), die 2013 vom ehemaligen Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD) eingesetzt worden war, sei ein reiner "Papiertiger" gewesen, urteilten die Abgeordneten. Die EG Umfeld sei schlichtweg nicht mit den nötigen Befugnissen ausgestattet worden, um die Bezüge des NSU nach Baden-Württemberg umfassend aufklären zu können.

Schon länger befasst sich der Ausschuss mit der Frage, ob es womöglich ein bisher unbekanntes Unterstützernetzwerk des NSU in Baden-Württemberg gab. Nachweislich pflegte der NSU in dem Bundesland zahlreiche Bekanntschaften und reiste regelmäßig dorthin. Die NSU-Mitglieder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos sollen außerdem im April 2007 die Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn erschossen haben. Dieser mutmaßlich letzte Mord des Terrortrios wirft bis heute viele Fragen auf und ist einer der mysteriösesten Fälle im NSU-Verbrechenskomplex.

Als Zeugin befragte der Ausschuss unter anderem die ehemalige Leiterin der "EG Umfeld", Heike Hißlinger. Hißlinger und ihre Kollegen ermittelten ein Jahr lang mit großem Aufwand nach möglichen NSU-Komplizen. Zeitweilig waren 40 Beamten für die EG im Einsatz, rund 500 Spuren zum NSU wurden erneut untersucht. Das Ergebnis war allerdings ernüchternd. Zwar wurden insgesamt 52 Personen identifiziert, die sowohl einen Bezug zum NSU als auch nach Baden-Württemberg hatten. Eine konkrete Unterstützungshandlung konnte aber keinem dieser Kontakte nachgewiesen werden. Auch neue Hinweise auf ein mögliches Unterstützernetzwerk oder aber dem NSU ähnliche Gruppierungen konnten die Ermittler in ihrem Abschlussbericht von 2014 nicht präsentieren.

Fragen hatte der Ausschuss insbesondere zu mehreren engen Bekanntschaften des NSU in Ludwigsburg. Laut einer Zeugin seien Böhnhardt, Mundlos und Beate Zschäpe zwischen 1993 und 1996 regelmäßig in Ludwigsburg aufgetaucht, um etwa an Rechtsrock-Konzerten oder Saufgelagen im Keller eines gemeinsamen Freundes teilzunehmen, teilte Hißlinger mit. Neu waren diese Informationen nicht. Anderen Quellen zufolge haben die Besuche sogar noch bis ins Jahr 2001 stattgefunden, als der NSU bereits drei Jahre lang untergetaucht war und seine ersten Morde begangen hatte. Wahrscheinlich scheint auch, dass die Ludwigsburger Bekanntschaften in die Taten eingeweiht waren und den NSU zumindest passiv deckte. Warum das Trio ein so enges Vertrauensverhältnis zu den Ludwigsburger Neonazis hatte, konnte Hißlinger wiederum nicht beantworten.

Auch über mögliche Verbindungen des NSU zu anderen rassistischen Gruppierungen wie dem Ku-Klux-Klan (KKK) konnte Hißlinger nichts Neues erzählen. Im Zuge ihrer Ermittlungen hatte die EG Umfeld gleich mehrere KKK-Ableger in Baden-Württemberg aufgedeckt, zu deren Mitgliedern auch fünf Polizeibeamte des LKA gehörten. Einer dieser Polizisten war der Gruppenleiter der später ermordeten Michèle Kiesewetter. Auch der im NSU-Komplex bereits oft genannte V-Mann Thomas Richter alias "Corelli" gehörte zeitweilig einem der Klans an. Verbindungen dieser Gruppen zum NSU konnte die EG Umfeld trotz allem nicht finden. Als Leiterin der EG habe sie zwar den Auftrag gegeben, alle bekannten Klanmitglieder noch einmal zum NSU zu befragen, gab Hißlinger an. Ob das auch im Falle der fünf Kollegen geschehen sei, habe sie dann aber nicht mehr eigens nachgeprüft.

Angesichts der jüngsten Vorkommnisse im bayrischen Georgensgmünd, wo am vergangenen Mittwoch ein rechtsextremer "Reichsbürger" einen Polizisten erschossen hatte, fragten die Ausschussmitglieder nach möglichen Waffenbeschaffern für den NSU in Baden-Württemberg. Dazu habe die EG Umfeld nicht ermittelt, antwortete Hißlinger. Der EG-Abschlussbericht hält aber fest: Mindestens bei einer Kontaktperson handelt es sich um einen gewaltbereiten Neonazi, der Waffen hortet. Was denn mit dieser Erkenntnis gemacht wurde, wollte die Abgeordnete Pau wissen. Hißlingers Antwort: Die Information sei zwar an die zuständige Waffenbehörde weitergeleitet worden, diese sei aber zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine Möglichkeit gebe, dem Mann seinen Waffenschein zu entziehen. Pau zeigte sich entsetzt: Was müsse denn noch alles passieren, damit einer solchen Personen die Waffen weggenommen werden könnten. Beim Thema Waffenhandel im NSU-Umfeld gebe es durchaus noch offene Fragen, gab Hißlinger zu. Weitere Ermittlungen dazu führe aktuell das LKA in enger Absprache mit dem Bundeskriminalamt (BKA). Ein Ergebnis stehe allerdings noch aus.

Zufrieden zeigte sich Hißlinger in Hinblick auf die Zusammenarbeit mit dem baden-württembergischen Verfassungsschutz (LfV). Die Kommunikation zwischen den beiden Behörden - und insbesondere mit der Abteilung "Rechtsextremismus" - sei sehr kooperativ verlaufen. Das bestätigte auch der zuständige LfV-Mitarbeiter C.O., der im Anschluss als Zeuge vernommen wurde. Die stellvertretende Ausschussvorsitzende Susann Rüthrich und Obmann Uli Grötsch (beide SPD) befragten C.O. detailliert zu einzelnen Kontaktpersonen des NSU. Der Zeuge konnte lediglich feststellen, was zuvor schon die Zeugin Hißlinger konstatiert hatte: Keine der Landesbehörden wusste vor 2011 vom NSU und seinen Bezügen nach Baden-Württemberg. Obmann Armin Schuster (CDU) wollte von C.O. wissen, warum der NSU in Baden-Württemberg so viele Kontakte wie in kein anderes Bundesland hatte und warum das nicht früher aufgefallen sei. "Leider können wir keinen Grund nennen", antwortete der Zeuge. Dieses ernüchternde Fazit veranlasste Schuster zu der Aussage: "Eine EG Umfeld 2.0 wäre jetzt die wichtigste Entscheidung, die man in Baden-Württemberg treffen könnte."

Der 3. Untersuchungsausschuss soll offene Fragen zur Arbeit der staatlichen Behörden bei den Ermittlungen im Umfeld des NSU klären und Handlungsempfehlungen erarbeiten.

*

3. HVB-Chef präsentiert sich als Aufräumer

4. Untersuchungsausschuss (Cum/Ex)/Ausschuss

Berlin: (hib/mwo) Die Cum/Ex-Aktivitäten der HypoVereinsbank (HVB) standen im Fokus der Zeugenbefragung des 4. Untersuchungsausschusses (Cum/Ex). Zudem befasste sich das Gremium unter Vorsitz von Hans-Ulrich Krüger (SPD) auf seiner 24. Sitzung erneut mit der Rolle der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Die UniCredit-Tochter HVB hatte 2014 eingeräumt, von 2005 bis 2008 in Cum/Ex-Geschäfte involviert gewesen zu sein und dafür das Fehlverhalten Einzelner verantwortlich gemacht. Mittlerweile hat die Bank Steuern zurückgezahlt, eine Millionenstrafe akzeptiert und drei Ex-Vorstände auf Schadensersatz verklagt.

Vor diesem Hintergrund befragte der Ausschuss den seit 2009 amtierenden HVB-Vorstandssprecher Theodor Weimer sowie Frank Tibo, Ex-Steuerchef der HVB. Tibo, der heute als Steuerberater arbeitet, war seit 2002 bei der HVB und wurde Ende 2013 freigestellt. Nach Medienberichten hatte er vor riskanten Steuergeschäften gewarnt. Als erster Zeuge befragt, kündigte Tibo an, er wolle in einem Statement über die Unternehmenskultur Auskunft geben, die Cum/Ex-Geschäfte ermöglicht habe, sowie darüber, wer die entsprechenden Entscheidungen getroffen habe und wie aus seiner Sicht interne und externe Kontrollen versagt hätten. Krüger verwies auf die mögliche Brisanz dieser Informationen und die Gefahr, dass es sich dabei um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse handeln könne. Der Ausschuss beschloss daraufhin mehrheitlich, Tibo in geheimer Sitzung zu befragen.

Weimer, der nach seiner Befragung ebenfalls noch in geheimer Sitzung gehört wurde, ging ausführlich auf die Verwicklung seines Instituts in die Cum/Ex-Geschäfte ein, bei denen zum Schaden des Fiskus bei Aktiengeschäften um den Dividendenstichtag einmal gezahlte Kapitalsteuer mehrfach erstattet wurde. Der Bankier wurde im Januar 2009 Chef der HVB. Zuvor war er ab 2007 bei UniCredit Chef der Investmentsparte und ab Mitte 2008 HVB-Generalbevollmächtigter, hatte aber nach eigenen Angaben keine Berührung mit Cum/Ex-Geschäften.

Weimer erklärte, mit einem möglichen Problem wegen Cum/Ex-Transaktionen sei er erstmals im Februar 2011 konfrontiert worden. Anlass sei eine steuerliche Anfrage in einem Kundenfall gewesen. Dabei sei herausgekommen, dass die HVB ab 2005 "in großem Ausmaß" in solche Transaktionen involviert war und entsprechende Steuerbescheide ausstellte. Er habe sofort die interne Revision eingeschaltet, und die Geschäfte seien mit externer anwaltlicher Hilfe aufgearbeitet worden. Dabei habe es dann auch Anhaltspunkte dafür gegeben, dass bis 2008 solche Transaktionen auch auf eigene Rechnung getätigt wurden. Es sei seine Überzeugung, sagte Weimer, dass eine einmal einbehaltene Steuer nicht mehrfach bescheinigt werden könne. Ihm sei auch sofort klar geworden, dass angesichts der Größenordnung des möglichen Schadens die Frage einer fehlenden höchstrichterlichen Entscheidung sekundär war.

Im Zuge der Untersuchung seinen 380 Terabyte Daten ausgewertet und "Unsummen" ausgegeben worden. Die HVB habe von Anfang an das Gespräch mit der BaFin und den Finanzämtern gesucht, Steuerpositionen angepasst und Steuererklärungen korrigiert. Es habe ein Fehlverhalten von HVB-Mitarbeitern gegeben, und die bei der Untersuchung identifizierten Defizite in Abläufen seien abgestellt worden. Er habe sich als "Straßenfeger gesehen, der den Dreck wegräumen muss", sagte Weimer. Seit 2009 sei die Bank jedoch "voll compliant". Es gelte "der eherne Grundsatz: Alles, was gemacht wird, muss steuerlich legal sein". Die HVB "war mit eine der ersten, die das Thema fundamental aufgearbeitet haben". Das sei ein "sehr schmerzhafter Prozess" gewesen.

Auf Nachfrage von Krüger räumte Weimer ein, dass der vorgeschriebene Prozess zur Überprüfung neuer Produkte beim Thema Cum/Ex nicht funktioniert habe. Nach seinen Worten hatte eine Ende 2004 in London gegründete kleine HVB-Tochter die steuerinduzierten Gestaltungsmodelle als Geschäftsidee erkannt und einer sehr kleinen Anzahl vermögender Kunden angeboten. "Wir haben nicht so viele Kunden, die Transaktionen in solchen Größenordnungen machen können", sagte Weimer.

Auf eine Frage des Linken-Obmanns Richard Pitterle, ob solche Geschäfte systematisch betrieben worden seien, sagte Weimer, "das würde ich nicht völlig negieren wollen". Auskunft zum Volumen der Geschäfte gab Weimer nicht, sagte jedoch, die HVB habe Steuern in knapp dreistelliger Millionenhöhe zurückgezahlt, dazu kämen nochmal ein Drittel davon als Bußgeld und Gewinnabschöpfung. Auf die Frage des CDU-Abgeordneten Fritz Güntzler, wo denn seiner Meinung nach der eigentliche Fehler gelegen habe, sagte Weimer, dieser sei bereits im Produktprüfungsprozess gemacht worden, denn offensichtlich habe es keine umfassende Diskussion gegeben. SPD-Obmann Andreas Schwarz wollte wissen, ob steuerinduzierte Praktiken ein Thema bei der HVB gewesen seien. Das sei in der gesamten Branche so, erwiderte Weimer, denn die Kunden wollten ihre hohe Steuerlast reduzieren. Dabei gehe es darum auszuloten, was legal ist und was nicht. Auf eine Frage des Grünen-Obmanns Gerhard Schick, ob es zutreffe, dass in der HVB Informationen zu Cum/Ex zurückgehalten wurden und die Geschäfte daher nicht richtig eingeschätzt werden konnten, sagte er, wenn aus Fachbereichen wie der Steuerabteilung jemand sagte, er würde ein bestimmtes Geschäft nicht machen wollen, werde dieses auch nicht gemacht.

Viel Erklärungsbedarf hatten die Ausschussmitglieder erneut beim Thema BaFin. Ausführlich Rede und Antwort standen ihnen die heutige Direktorin der Europäischen Zentralbank (EZB), Sabine Lautenschläger, und BaFin-Präsident a.D. Jochen Sanio. Lautenschläger arbeitete unter anderem als Pressesprecherin unter Sanio sowie als Abteilungsleiterin und Exekutivdirektorin für Bankenaufsicht. Mitte 2011 wurde sie Vizepräsidentin der Bundesbank, seit 2014 ist sie EZB-Direktorin. Sanio war seit 2000 Präsident des Bundesaufsichtsamtes für das Kreditwesen (BAKred) und nach dessen Verschmelzung mit anderen Aufsichtsbehörden zur BaFin von 2002 bis Ende 2011 deren Präsident.

Beide Zeugen erklärten wie auch schon andere BaFin-Vertreter vor ihnen, dass die Bankenaufsicht nicht für steuerrechtliche Sachverhalte zuständig sei. Lautenschläger betonte, die Behörde sei keine Produktaufsicht und habe nicht die Aufgabe, alle Tätigkeiten einer Bank zu kontrollieren. "Es ist nicht Aufgabe der Bankenaufsicht, steuerrechtliche Sachverhalte zu bewerten", sagte Lautenschläger Die BaFin sei nicht das zweite Finanzamt, die zweite Betriebsprüfung oder die zweite Staatsanwaltschaft. Bei der Solvenzaufsicht gehe es darum, zu prüfen, ob die Risikotragfähigkeit einer Bank unter anderem durch mögliche Steuerrückforderungen erheblich beeinträchtigt sein könnte. Zudem seien die komplexen steuerliche Sachverhalte bei Cum/Ex rechtlich äußerst umstritten. So gebe es bis heute kein höchstrichterliches Urteil, und die Praxis sei jahrelang akzeptiert worden. Sie habe bis 2014 außerdem nur Einzelfälle kennengelernt. Das sei für sie nicht "systemisch" gewesen, und es habe zu ihrer Zeit auch keine Gefährdung der Risikotragfähigkeit eines Instituts gegeben.

Lautenschlägers Ex-Chef Sanio sprach anschließend von drei Fällen, in die er aktiv involviert gewesen sei. Die Aufsicht habe in erster Line die Funktionsfähigkeit des Bankgewerbes aufrecht zu erhalten und habe aus steuerrechtlichen Gründen "nicht die geringsten Kompetenzen", sich mit steuerlichen Fragen zu beschäftigen. Es gebe jedoch Schnittstellen, wenn zum Beispiel wie bei der Maple Bank aus einem steuerrechtlichen Sachverhalt ein Aufsichtsthema entstehe. Die Anhörung Lautenschlägers und Sanios wurde kurz vor Mitternacht in geheimer Sitzung fortgesetzt.

Der stellvertretende EZB-Generaldirektor Rolf Klug, bis 2014 Bereichsleiter Bankenaufsicht bei der Deutschen Bundesbank, bestätigte auf eine Frage Krügers, dass steuerrechtliche Fragen nicht im Fokus der Aufsicht standen. Der Cum/Ex-Sachverhalt sei als "secondary risk" kein Thema gewesen und falle in die Zuständigkeit der Steuerbehörden.

*

4. Kein Beweis für Abschalteinrichtung

5. Untersuchungsausschuss/Ausschuss

Berlin: (hib/STU) Im Bundesumweltministerium gab es bereits 2007/2008 den Verdacht, dass mittels einer speziellen Software die Abgase von Dieselmotoren auf dem Rollenprüfstand beeinflusst werden können. Mehrere Vertreter des Ministeriums bestritten aber, Kenntnis von einer illegalen Abschalteinrichtung gehabt zu haben.

Der Hinweis auf sogenanntes Cycle-beating fand sich in einem Konzeptentwurf des Umweltbundesamtes (UBA) von Anfang 2008. Professor Uwe Lahl, damals Abteilungsleiter für Immissionsschutz, Gesundheit und Verkehr im Umweltministerium, sagte im Ausschuss, es habe den Verdacht gehabt, "dass da was ist". Hinweise auf cycle-beating seien aus der NGO-Szene und von mindestens einem UBA-Mitarbeiter an ihn herangetragen worden. Es habe aber keinerlei Beweise gegeben. Man habe auch keinen Vorschlag gehabt, wie man den Nachweis hätte führen können. Er habe die Hinweise für eine "abenteuerliche Geschichte" gehalten und würde es ohne das VW-Eingeständnis immer noch tun. Gleichwohl habe er die Hinweise ernst genommen, sagte Lahl, der heute Amtschef im baden-württembergischen Verkehrsministerium ist.

Auch Hubert Steinkemper, damals Unterabteilungsleiter unter Lahl, verneinte, Kenntnis von Betrugssoftware für Abgasmanipulationen gehabt zu haben. "Den Hinweis hatte ich nicht", sagte Steinkemper, der 2013 aus Altersgründen aus dem Ministerium ausschied. Was Volkswagen getan habe, hätte er nicht für möglich gehalten. Die Passage des UBA, in der von der Möglichkeit von Cycle-beating die Rede sei, sei abstrakt gewesen. Sie sei auch nicht gestrichen worden, wie das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" geschrieben habe. Vielmehr sei er dahingehend modifiziert worden, dass in Verdachtsfällen Überprüfungen vorgenommen werden sollen. Dass Fahrzeugelektronik erkennen kann, wenn sich ein Auto auf dem Rollenprüfstand befindet, ist nach Aussage des Abgas-Fachreferenten im Ministerium, Oliver Eberhardt, bekannt und teilweise sogar technisch notwendig, etwa bei Allradmodellen. Steinkemper plädierte für stringentere Regeln, wann die Abgasnachbehandlung abgeschaltet werden kann. Dies ist aus Gründen des Motorschutzes bislang erlaubt, die Regeln werden von den Herstellern aber extrem ausgereizt.

Das Umweltbundesamt sollte im Auftrag des Umweltministeriums Anfang 2008 ein Konzept für Feldüberwachungen erstellen, um zu testen, ob Fahrzeuge auch im Betrieb und nicht nur bei der Typzulassung die Abgasgrenzwerte einhalten. Die Abstimmung zwischen Ministerium und UBA nannte Lahl "holprig". Ein erstes Konzept war dem Ministerium zu dünn, ein weiteres zu weitgehend. Um das Verkehrsministerium zu gewinnen, wurde es geglättet. "Die Begeisterung war nicht übermäßig ausgeprägt beim Verkehrsminister", sagte Steinkemper.

Als letzten Zeugen am Abend befragte der Ausschuss Jochen Flasbarth, von 2009 bis 2013 UBA-Präsident und seitdem Umweltstaatssekretär. Bei seinem Amtsantritt im Umweltbundesamt sei er gleich zu Beginn auf die Stickoxid-Problematik der Dieselfahrzeuge hingewiesen worden. Man habe daher auf die schnelle Einführung der Euro-6-Norm und der realitätsnäheren RDE-Tests (Real Driving Emissions) gedrängt. Diese sollen 2017 Kraft treten. Von der Betrugssoftware hat Flasbarth nach eigener Aussage ebenfalls erst mit dem VW-Eingeständnis im September 2015 erfahren. An der Aufarbeitung des Skandals war das Umweltministerium dem Staatssekretär zufolge nicht beteiligt. Dies oblag dem Verkehrsministerium, das eine eigene Untersuchungskommission einsetzte. Deren Ergebnisse habe er trotz hohem Interesse an frühzeitiger Information erst kurz vor Veröffentlichung telefonisch und in groben Zügen von Verkehrsstaatssekretär Michael Odenwald erfahren.

*

Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 618 - 21. Oktober 2016 - 09.34 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
PuK 2 - Parlamentskorrespondenz
Platz der Republik 1, 11011 Berlin
Telefon: +49 30 227-35642, Telefax: +49 30 227-36191
E-Mail: mail@bundestag.de
Internet: www.bundestag.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang