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BUNDESTAG/4917: Heute im Bundestag Nr. 118 - 04.03.2015


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 118
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Mittwoch, 04. März 2015, Redaktionsschluss: 16.00 Uhr

1. Atom: Fondslösung ist umstritten
2. Leistungsschutzrecht für Presseverleger
3. Erkenntnisse zu Pegida


1. Atom: Fondslösung ist umstritten

Ausschuss für Wirtschaft und Energie/Öffentliche Anhörung

Berlin: (hib/HLE) Eine Übertragung der Rückstellungen der deutschen Atomkraftwerksbetreiber für die Stilllegung und den Rückbau der Anlagen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds wird von Experten völlig konträr beurteilt. Dies wurde in einer Öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie am Mittwoch deutlich.

Für "grundsätzlich machbar" hält Rechtsanwalt Hartmut Gaßner von der Kanzlei Gaßner, Groth, Siederer und Coll. die Übertragung der auf rund 36 Milliarden Euro veranschlagten Rückstellungen in einen Fonds. Allein die Rückstellungen des vor einer Aufspaltung seines Geschäftsbetriebs stehenden Energieversorgungsunternehmens E.ON werden mit 10,25 Milliarden Euro angegeben. Gaßner verwies auf Gedankenspiele in der Wirtschaft, die Rückstellungen in eine "Bad Bank" auszulagern, damit die Unternehmen von den Folgen der friedlichen Nutzung der Kernenergie vollständig entlastet würden. Gaßner gewann dieser Diskussion durchaus positive Aspekte ab: Zeige sie doch, dass es offenbar möglich sei, die in Sachgütern oder Beteiligungen investierten Rückstellungen umzuschichten und in die "Bad Bank" zu verlagern. Die Energieversorgungsunternehmen (EVU) hätten offenbar selbst Pläne dafür in der Schublade: "Die EVU wollen offenbar reinen Tisch machen und sehen genügend finanzielle Spielräume." Gaßners Schlussfolgerung: "Der Grundgedanke der Bad Bank ist Beleg für die Machbarkeit eines öffentlich-rechtlichen Fonds."

Professor Georg Hermes (Goethe-Universität Frankfurt a.M.) verwies auf die Gefahren durch Aufspaltungen der Energiekonzerne. Diese könnten zur Folge haben, dass die Haftungssummen der Konzerne immer kleiner würden. Dagegen gebe es nur die Möglichkeit der Gründung eines externen Fonds. Nur dieses Modell biete die Chance, dass die Mittel erhalten bleiben würden. Er befürwortete auch eine Nachschusspflicht der Kraftwerksbetreiber, falls die Fondsmittel nicht reichen würden. Dem widersprach der Wirtschaftsprüfer Claus Banschbach. Nach dessen Angaben hat der externe Fonds für Atomrückstellungen in der Schweiz ein Fünftel seiner Gelder bei der Lehman-Pleite verloren.

Dagegen bezeichnete Rechtsanwalt Stefan Wiesendahl (Kanzlei Kümmerlein Simon & Partner) die angedachte zwangsweise Überführung der Rückstellungen als Grundrechtseingriff in Grundrechte der betroffenen Energieversorgungsunternehmen. Der zwangsweise staatliche Zugriff auf Rechtsgüter beziehungsweise Vermögenspositionen der Betreiber der deutschen Kernkraftwerke erfülle den Tatbestand einer Enteignung.

Thorben Becker (Bund für Umwelt und Naturschutz in Deutschland) erklärte, es sei unklar, ob die Rücklagen für Stilllegung und Rückbau der Kernkraftwerke reichen würden. Es gebe bei den Energieversorgungsunternehmen ein Transparenzproblem. So sei nicht nachvollziehbar, nach welchen Grundlagen die Bildung der Rückstellungen erfolgt sei. Becker warf den Energieversorgungsunternehmen vor, Strukturen aufzubauen, um sich der Haftung für Rückstellungen zu entziehen. Wenn Vattenfall zum Beispiel die Braukohlesparte verkaufe, bleibe in Deutschland nur noch ein Mini-Konzern mit Atomkraftwerken übrig. Auch angesichts der geplanten E.ON-Aufspaltung sah Becker deutlich erhöhten Handlungsbedarf für die Gründung eines Fonds.

Grundsätzlich hätten die Kraftwerksbetreiber die Pflicht zur Stilllegung und zum Rückbau der Atomkraftwerke, argumentierte Professor Franz Jürgen Säcker (Institut für Energie- und Regulierungsrecht Berlin). Niemand außer diesen Unternehmen sei zum Rückbau der Anlagen in der Lage, und daher sei die Vorstellung einer Fondslösung etwas kurios und unpassend. Für die Kosten der Endlagerung des Atommülls konnte sich Säcker jedoch eine Fondslösung vorstellen, da die Entscheidung über die Schaffung eines Endlagers nicht in Händen der Unternehmen liege.

Grundlage der Anhörung waren zwei Anträge der Oppositionsfraktionen. So fordert die Fraktion Die Linke (18/1959) die Vorlage eines Gesetzentwurfs, der die Überführung der Rückstellungen der Atomkraftwerksbetreiber für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung in einen öffentlich-rechtlichen Fonds vorsieht. Damit soll das Geld vor Spekulation geschützt und für dauerhafte Atommüllfolgekosten gesichert werden. Dabei müsse gewährleistet sein, dass die Unternehmen auch in Zukunft in der Haftung für weitere, darüber hinaus anfallende Kosten bleiben, fordert die Linksfraktion.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht sich in ihrem Antrag (18/1465) ebenfalls für die Einführung eines öffentlich-rechtlichen Fonds aus, in den die von den Energieversorgungsunternehmen bereits gebildeten und künftig zu bildenden Rückstellungen für den Rückbau ihrer Atomkraftwerke und die Entsorgung ihrer radioaktiven Abfälle eingezahlt werden sollen. Die Abgeordneten wenden sich ausdrücklich gegen den Vorschlag von AKW-Betreibern, ihre noch laufenden und abgeschalteten Atomkraftwerke nebst Atommüll und Rückstellungen komplett in einer Art staatliche "AKW-Bad-Bank" beziehungsweise Stiftung zu übertragen. Damit wollten sich die Konzerne auf einen Schlag von allen weiteren Verpflichtungen befreien und im Gegenzug auf Schadenersatzklagen gegen den Atomausstieg verzichten. Dieser Vorstoß ist aus Sicht der Grünen-Fraktion "inakzeptabel".

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2. Leistungsschutzrecht für Presseverleger

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (öffentliche Anhörung)

Berlin: (hib/HAU) Das in der vergangenen Legislaturperiode in das Urheberrecht eingefügte "Leistungsschutzrecht für Presseverleger" bleibt umstritten. Das wurde während einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am Mittwoch deutlich, bei der über einen gemeinsamen Gesetzentwurf der Oppositionsfraktionen von Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen zur Abschaffung des Leistungsschutzrechts (18/3269) diskutiert wurde. Von den sieben geladenen Experten sprachen sich vier für die sofortige Abschaffung aus. Drei Sachverständige plädierten dafür, an der Urheberrechtsgesetznovellierung (17/12534) festzuhalten.

Ziel des Leistungsschutzrechtes für Presseverleger ist es, den Verlagen das ausschließliche Recht einzuräumen, Presseerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken im Internet öffentlich zugänglich zu machen. Suchmaschinenbetreiber sollen demnach für die Nutzung von Textausschnitten Lizenzen erwerben.

Die Verlage würden mit dem Leistungsschutzrecht keine Sonderrechte für sich reklamieren wollen, sagte Sebastian Doedens von der Hubert Burda Media Holding. Es gehe vielmehr darum, dass Verlage nicht schlechter gestellt werden als andere Verwerter wie etwa die Tonträgerhersteller, denen ein Leistungsschutzrecht zugebilligt werde, betonte Doedens. Seiner Ansicht nach ist es "nur fair, wenn für die weitere Verwertung der Presseerzeugnisse Lizenzen erworben werden müssen". Die von der Opposition geforderte Abschaffung des Leistungsschutzrechts lehnte er ab. Sollte die derzeitige Regelung nicht greifen, müsse sie robuster gefasst werden, forderte er. Gegen eine Abschaffung sprach sich auch Felix Hey, Geschäftsführender Gesellschafter beim juristischen Fachverlag Dr. Otto Schmidt, aus. Auch wenn derzeit die in der VG Media zusammengeschlossenen Verlage dem Suchmaschinenanbieter Google eine kostenlose Lizenz eingeräumt hätten, sei dies kein Grund, dass sich der Gesetzgeber aus der Materie zurückziehen müsse. Im Falle Google, so räumte Hey ein, habe man sich "der Macht des Faktischen" beugen müssen. Der Suchmaschinenanbieter habe sich geweigert für die Lizenz zu zahlen und angekündigt, Beiträge der Verlage nicht mehr zu listen.

Neben den beiden Verlagsvertretern sprach sich auch Professor Eva Ines Obergfell von der Humboldt Universität Berlin gegen eine Aufhebung der Regelung aus. Weder verstoße sie gegen die Informationsfreiheit noch sorge sie für mangelnde Rechtssicherheit. Obergfell plädierte dafür, das laufenden Schiedsgerichtsverfahren beim Patent- und Markenamt abzuwarten und eine Evaluierung des Gesetzes einzuleiten.

Dem entgegen bewertete Philipp Otto, Redaktionsleiter bei iRights.info, die von der Opposition geforderte Abschaffung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger als "überfällig". Das Gesetz müsse "so schnell wie möglich" aufgehoben werden, da es angesichts der gravierenden Folgen nicht hinnehmbar sei, "das Ganze auszusitzen". Die Rechtsprechung in derartigen Fällen könne bis zu zehn Jahren dauern, so Otto. Folge des Gesetzes sei zum einen Rechtsunsicherheit, die insbesondere auf Start-Up-Unternehmen Auswirkungen habe und so ein Innovationshemmnis darstelle. Außerdem stärke das Leistungsschutzrecht die Monopolstellung von Google, kritisierte Otto.

Professor Gerald Spindler von der Universität Göttingen verwies auf eine ihm vorliegende Stellungnahme des IT-Branchenverbandes Bitkom, wonach schon elf Start-Ups angesichts der Regelung den Versuch aufgegeben hätten, selber im Suchmaschinenmarkt aktiv zu werden. Zugleich kritisierte er, dass die eigentlichen Urheber nicht von der Regelung profitieren würden. Das bewertete auch der IT-Fachanwalt Thomas Stadler so. Das Leistungsschutzrecht sei ein Investitionsschutzrecht, sagte er und urteilte: "Das eigentliche Ziel der Vorlage ist mit der Regelung nicht erreichbar."

Professor Malte Stieper von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hält grundsätzlich ein Leistungsschutzrecht für Verleger denkbar. "Aber nicht so, wie es im Gesetz geregelt ist", fügte er hinzu. Es gebe in der Regelung derartig viele unbestimmte Rechtsbegriffe, dass eine Kommentierung aus juristischer Sicht fast unmöglich sei. "Es ist noch nicht einmal klar definiert, was eigentlich das Schutzgut ist", kritisierte er und sprach sich ebenfalls für die Aufhebung des Gesetzes aus.

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3. Erkenntnisse zu Pegida

Inneres/Antwort

Berlin: (hib/STO) Um die Strömung "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) geht es in der Antwort der Bundesregierung (18/4068) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (18/3969). Wie die Regierung darin ausführt, fallen im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) zu Pegida und ähnlichen Aktionsformen "ausschließlich Erkenntnisse unter dem Aspekt einer möglichen rechtsextremistischen Einflussnahme oder Steuerung an". Bei Demonstrationen von Bogida (Bonn), Kögida (Köln), Dügida (Düsseldorf), Sügida (Suhl/Thüringen) und MVgida (Schwerin und Stralsund) seien rechtsextremistische Einflussnahmen beziehungsweise Steuerungen zu verzeichnen gewesen.

Pegida Deutschland habe sich eigenen Angaben zufolge am 9. Januar 2015 von den Aktionsformen in Bonn (Bogida), Köln (Kögida) und Düsseldorf (Dügida) distanziert, heißt es in der Antwort weiter. Als Begründung wurde laut Vorlage angegeben, dass Pegida "überparteilich sei und sich nicht von der Partei Pro NRW vereinnahmen lasse".

Zur Frage, welche "rechtsextremen oder fremdenfeindlichen Parteien wie NPD, Pro-Bewegung und Die Rechte" in welcher Form die Pegida-Bewegung unterstützen, verweist die Bundesregierung darauf, dass über soziale Netzwerke von NPD, Pro NRW, Der III. Weg und Die Rechte zur Teilnahme an Veranstaltungen der Pegida aufgerufen und teilweise eine gemeinsame Anreise angeboten worden sei. Überwiegend habe es sich um eine passive Teilnahme an den Demonstrationen gehandelt.

Für Veranstaltungen der Strömung "Leipzig gegen die Islamisierung des Abendlandes" (Legida) hatten die Parteien NPD und Die Rechte über soziale Netzwerke zur Teilnahme aufgerufen, wie aus der Antwort ferner hervorgeht. Danach nahmen an fast allen Legida-Demonstrationen Personen des rechtsextremistischen Spektrums, meistens in passiver Form, teil.

Die Positionierung von Pegida zur Teilnahme von Rechtsextremisten wird der Bundesregierung zufolge "bereits in ihrem Logo (Hakenkreuz in den Mülleimer) und auch in der Distanzierung vom 9. Januar 2015 deutlich". So sei bei einer Veranstaltung von Pegida NRW in Duisburg einem Mitglied der NPD vom verantwortlichen Organisator ein Redeverbot erteilt sowie Rechtsextremisten des Kreisverbandes Dortmund der Partei Die Rechte bei erneuter Teilnahme ein sofortiger Platzverweis angekündigt worden.

"Grundsätzlich versuchen die Organisatoren der Legida sich von Rechtsextremisten abzugrenzen", schreibt die Bundesregierung ferner. Dies werde auch "durch das verwandte Logo (ein Hakenkreuz in den Mülleimer) deutlich". Auch seien Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Anschauung im Positionspapier von Legida inzwischen entfernt worden.

In ihrer Antwort listet die Bundesregierung zudem 105 Veranstaltungen der Strömung Pegida oder nach deren Vorbild gegründeten Aktionsformen auf, die im Bundesgebiet zwischen dem 20. Oktober 2014 und dem 9. Februar 2015 stattfanden. Die angegebenen Teilnehmerzahlen liegen dabei zumeist im - überwiegend unteren - dreistelligen Bereich. Bei 15 Veranstaltungen lag die Teilnehmerzahl der Antwort zufolge zwischen zwölf und 94 und bei zwölf Veranstaltungen, die in Dresden, Leipzig, München und Suhl stattfanden, zwischen 1.000 und 7.500. Zwischen 10.000 und 18.000 Teilnehmer wurden laut Vorlage zudem bei fünf Veranstaltungen in Dresden und einer in Leipzig verzeichnet und 25.000 Teilnehmer bei einer weiteren Veranstaltung in Dresden.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 118 - 4. März 2015 - 16.00 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2015

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