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BUNDESTAG/3614: Heute im Bundestag Nr. 014 - 14.01.2013


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 014
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Montag, 14. Januar 2013 Redaktionsschluss: 17:00 Uhr

1. Vier-Fraktionen-Vorlage zum Wahlrecht findet bei Experten überwiegend Zustimmung
2. Fachleute sprechen sich mehrheitlich für Videokonferenztechnik in Gerichten aus
3. Koalition setzt sich durch



1. Vier-Fraktionen-Vorlage zum Wahlrecht findet bei Experten überwiegend Zustimmung

Innenausschuss (Anhörung)

Berlin: (hib/STO) Der gemeinsame Gesetzentwurf der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen zur Reform des Wahlrechts (17/11819) hat am Montag auf einer Sachverständigen-Anhörung des Innenausschusses überwiegende Zustimmung gefunden. Auf Kritik mehrerer Experten stieß demgegenüber ein Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke (17/11821) zur Wahlrechtsreform. Die neuerliche Änderung des Bundeswahlgesetzes ist notwendig geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht eine 2011 von der schwarz-gelben Koalition durchgesetzte Wahlrechtsreform im Juli vergangenen Jahres als verfassungswidrig verworfen hatte. Bei der Anhörung geht es zudem um einen gemeinsamen Gesetzentwurf aller fünf Fraktionen zum Wahlrecht für dauerhaft im Ausland lebende Deutsche (17/11820).

In der Vier-Fraktionen-Vorlage heißt es, der Entwurf halte am Wahlsystem der personalisierten Verhältniswahl fest, "bei dem die Personenwahl von Wahlkreisbewerbern nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl mit der Verhältniswahl von Landeslisten der Parteien kombiniert ist und durch Anrechnung der gewonnenen Direktmandate auf die Listenmandate der Grundcharakter der Verhältniswahl gewahrt wird". Zur Vermeidung des Phänomens des so genannten negativen Stimmgewichts soll die mit der Wahlrechtsreform von 2011 eingeführte länderweise Verteilung der Sitze auf die Landeslisten der Parteien in modifizierter Form als erste Stufe der Sitzverteilung beibehalten werden. "Zur Vermeidung von Überhangmandaten" wird der Vorlage zufolge "in einer zweiten Stufe der Sitzverteilung die Gesamtzahl der Sitze so weit erhöht, bis bei anschließender bundesweiter Oberverteilung an die Parteien und Unterverteilung auf die Landeslisten alle Wahlkreismandate auf Zweitstimmenmandate der Partei angerechnet werden können". Zu diesem Gesetzentwurf haben die Grünen einen Änderungsantrag eingebracht, der auf eine "normenklarere Formulierung" der entsprechenden Textpassage abzielt.

Nach dem Gesetzentwurf der Linksfraktion soll "entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Urteil vom 25. Juli 2012 zum negativen Stimmgewicht und dem Umgang mit Überhangmandaten" künftig die Anrechnung von Direktmandaten auf das Zweitstimmenergebnis einer Partei auf der Bundesebene erfolgen. "Soweit dennoch - im Ausnahmefall - Überhangmandate entstehen, erfolgt ein Ausgleich, der sich nach den auf der Bundesebene erzielten Zweitstimmenanteilen der Parteien richtet", heißt es in dieser Vorlage weiter. Dieses Modell führe "in der Regel zu keiner Vergrößerung des Bundestags".

Martin Fehndrich von "wahlrecht.de" verwies darauf, dass die im Vier-Fraktionen-Entwurf vorgesehenen Ausgleichmandate den Bundestag "theoretisch bis unendlich" vergrößern könnten. In "nicht ganz unwahrscheinlichen Fällen" könne es 800 oder 900 Parlamentssitze geben. Fehndrich plädierte dafür, nach der kommenden Bundestagswahl nochmals über die Zahl und Struktur der Wahlkreise nachzudenken.

Professor Bernd Grzeszick von der Universität Heidelberg bewertete die Vier-Fraktionen-Vorlage als verfassungsgemäß, den Gesetzentwurf der Linksfraktion hingegen als "verfassungsrechtlich problematisch". Die von den Grünen vorgeschlagenen Änderungen des Vier-Fraktionen-Entwurfs wiederum seien "verfassungsrechtlich nicht geboten".

Auch Professor Heinrich Lang von der Universität Greifswald wandte sich gegen den Änderungsantrag, der nicht zu klareren Formulierungen führe und im Gegensatz zu dem Entwurf der vier Fraktionen nicht weiterverfolgt werden sollte. Dem Entwurf der Linksfraktion bescheinigte Lang, auf "verfassungsrechtliche Bedenken" zu stoßen.

Professor Hans Meyer von der Humboldt-Universität Berlin begrüßte, dass das Parlament bei der Wahlrechtsreform eine Einigung gesucht und auch weitgehend gefunden habe.

In seiner schriftlichen Stellungnahme plädierte Meyer dafür, dass "der jetzige Bundestag schon die tolerierbare Obergrenze für den übernächsten Bundestag gesetzlich festlegen" sollte.

Professor Friedrich Pukelsheim von der Universität Augsburg sagte, eine Prüfung des neuen Systems an den Wahlgrundsätzen falle aus mathematischer Sicht sehr positiv aus. Es sei ein "großes Plus", dass die "Erfolgswertgleichheit" der Zweitstimmen hergestellt wird. Pukelsheim warb zugleich für den Änderungsantrag der Grünen, der sich "viel leichter" lese als die entsprechende Passage im Gesetzentwurf.

Auch Professorin Ute Sacksofsky von der Goethe-Universität Frankfurt am Main machte sich für den Änderungsantrag stark, den sie "deutlich bevorzuge". Zugleich machte sie eine "positive Beurteilung des Grundanliegens" des Vier-Fraktionen-Entwurfs deutlich.

Professor Frank Schorkopf von der Georg-August-Universität Göttingen wandte sich dagegen, den Vier-Fraktionen-Entwurf lediglich als Übergangswahlrecht darzustellen. Den Änderungsantrag der Grünen wertete er als "guten Ansatz", das Wahlrecht des Bundes verständlicher zu machen.

Professor Gerd Strohmeier von der Technischen Universität Chemnitz sprach sich ebenfalls für die Vier-Fraktionen-Vorlage aus. Sie stelle einen guten Kompromiss dar, aber "keine perfekte Lösung, weil es keine perfekte Lösung geben kann". Mit Blick auf die Größe des Bundestages verwies Strohmeier darauf, dass Deutschland im EU-Vergleich gemessen an der Bevölkerungszahl gegenwärtig das kleinste Parlament habe.

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2. Fachleute sprechen sich mehrheitlich für Videokonferenztechnik in Gerichten aus

Rechtsausschuss (Anhörung)

Berlin: (hib/VER) Die Nutzung von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren sei insgesamt zu begrüßen. So lautete der Tenor unter den neun geladenen Experten in einer Anhörung des Rechtsausschusses am Montagnachmittag. Anlass war ein Gesetzentwurf (17/1224) des Bundesrates zur Intensivierung des Einsatzes derartiger Technik in deutschen Gerichten. Der Entwurf erweitere die Möglichkeit, Zeugen, Sachverständige und Dolmetscher durch Bild- und Tonübertragung zu hören, schreibt die Länderkammer. Die Zuschaltung per Videokonferenztechnik erspare Reisen von Prozessbeteiligten, auf deren persönliche Anwesenheit es in aller Regel nicht ankomme, argumentiert die Länderkammer. Durch eingesparte Reisekosten und reduzierten Zeitaufwand werde der Prozess so insgesamt kostengünstiger. Das vorliegende Gesetz erweitere videogestützte Prozesshandlungen konsequent auf zahlreiche Bereiche unterschiedlicher gerichtlicher, aber auch staatsanwaltschaftlicher Verfahren. Die Entscheidung, ob solche Technik zum Einsatz komme, liege dabei immer beim Gericht selbst, heißt es in der Vorlage weiter.

Ulrike Stahlmann-Liebelt von der Staatsanwaltschaft Flensburg berichtete in der Anhörung von den Erfahrungen mit dem Einsatz von Videokonferenztechnik an Gerichten in Schleswig-Holstein. Dort werde sie bereits seit Mitte der 1990er Jahre standardmäßig zur Aufzeichnung der Vernehmungen der Opfer von Sexualdelikten eingesetzt. Die Erfahrungen seien ausgezeichnet, die Aufzeichnung erspare Opfern Mehrfachvernehmungen und habe somit "im Sinne des Opferschutzes sehr viel gebracht". Deshalb müsse auch immer auf die Möglichkeiten der Aufzeichnung, nicht nur die der Übertragung hingewiesen werden, sagte Stahlmann-Liebelt weiter.

Andreas Wimmer, Leitender Oberstaatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft München, verwies auf das Internetportal www.justiz.de. Dort seien alle Videokonferenzanlagen in Deutschland mit Ansprechpartnern und deren Kontaktdaten verzeichnet. Somit könne er Bedenken zerstreuen, dass jemand nicht wisse, ob und wie die Technik funktioniere. Jeder könne sich direkt an den jeweiligen Ansprechpartner wenden. In Bayern, sagte Wimmer weiter, werde die Technik bereits an allen Oberlandesgerichten, in vier Justizvollzugsanstalten und in mehr als zehn weiteren Gerichten genutzt. Der Richter könne sogar beispielsweise in das Gesicht eines Angeklagten zoomen und so ein mögliches Zittern wahrnehmen, wie bei einer persönlichen Vernehmung. Sogar zur Vernehmung von V-Leuten werde die Videokonferenztechnik in Bayern genutzt. Dann allerdings "werden sowohl Bild, als auch Ton verfremdet", erklärte Wimmer.

Ulrich Schwenkert, Vorsitzender Richter am Finanzgericht Berlin-Brandenburg, sagte, dass es im Osten Deutschlands zwar nicht viele dieser Anlagen gebe. Allerdings befinde sich eine in Cottbus, die sogar von ausländischen Gerichten, zuletzt aus Portugal, genutzt werde. Der Bedarf sei - zumindest international - also vorhanden.

Der Bundesrat hatte schon einmal im Januar 2008 einen ähnlichen Gesetzentwurf (16/7956) vorgelegt, sich aber mit dem Anliegen nicht durchsetzen können. Die Bundesregierung begrüßte in ihrer Stellungnahme das Anliegen der Länder, durch Einsatz von moderner Technik die Teilnahme an gerichtlichen und staatsanwaltschaftlichen Verfahren für die Beteiligten zu erleichtern.

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3. Koalition setzt sich durch

Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität"

Berlin: (hib/KOS) Nach teils harten Kontroversen hat die Enquetekommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" am Dienstagnachmittag mit 16 gegen 14 Stimmen bei zwei Enthaltungen den Entwurf der Koalitionsfraktionen als Abschlussbericht der Projektgruppe 1 verabschiedet, die sich mit der Bedeutung von Wachstum in Wirtschaft und Gesellschaft befasst hat. Die Vorlage von SPD, Linken und Grünen geht als Minderheitenvotum in die weiteren Beratungen des unter Vorsitz von Daniela Kolbe (SPD) tagenden Gremiums ein. Im Namen von Union und Liberalen wandte sich Karl-Heinz Paqué dagegen, der Wirtschaft ein bestimmtes Maß an Wachstum vorzugeben. Im Blick auf das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung drückte der von der FDP benannte Sachverständige sein "Vertrauen in die Anpassungsfähigkeit der sozialen Marktwirtschaft aus". SPD-Obfrau Edelgard Bulmahn hingegen forderte angesichts "schwerer Krisen" wie der Umweltzerstörung, der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich oder der Finanzkrisen einen neuen "sozialökologischen Regulierungsrahmen" für die Wirtschaft.

Die Diskussion offenbarte, dass Koalition und Opposition ein unterschiedliches Verständnis von Wachstum haben. Paqué betonte, Wachstum sei nicht nur das Resultat von Ressourcenverbrauch, sondern vor allem das Ergebnis von Wissensfortschritten und Innovationsschüben. Letztlich ergebe sich Wachstum aus vielen dezentralen Entscheidungen in der Wirtschaft. Er erklärte, Union und FDP wollten bei Eingriffen in die Marktwirtschaft nicht so weit gehen wie die Opposition. Der von der Union in die Kommission entsandte Sachverständige Kai Carstensen warf SPD, Linken und Grünen "Marktpessimismus" vor, aus ihrer Sicht solle der Staat anstelle der Unternehmen das "Steuer übernehmen".

Für den CSU-Abgeordneten Georg Nüßlein ist der Gedanke der Nachhaltigkeit in der deutschen Wirtschaft schon heute stark verankert, vor allem wegen der starken Stellung des Mittelstands. Paqué sagte, die Firmen dürften sich nicht mehr nur am Gewinn orientieren, sondern müssten einer "breiteren gesellschaftlichen Verantwortung" gerecht werden, etwa bei der Ökologie. Angesichts der hohen staatlichen Verschuldung könne Wachstum bei der Konsolidierung helfen. Auch hänge die Beschäftigung eng mit Wachstum und Wohlstand zusammen, so bei der Entwicklung der Arbeitnehmereinkommen. Nötig seien, meinte der Sachverständige, "gut funktionierende Finanzmärkte".

Sprecher der Opposition wiesen die Kritik zurück, sie wollten zurück zur Planwirtschaft, um Nachhaltigkeit in der Wirtschaft durchzusetzen. Der Staat solle nicht alles regeln, so die Linken-Abgeordnete Ulla Lötzer, doch sei wegen tiefer Krisen wie der zunehmenden Armut ein sozialökonomischer Regulierungsrahmen erforderlich. Hermann Ott (Grüne) unterstrich, die an vielen Stellen schon überschrittenen "ökologischen Grenzen des Planeten sind auch unsere politischen Grenzen". Bulmahn meinte, der wirtschaftliche Nachholbedarf in der Dritten Welt sei nicht auf die Art zu bewerkstelligen, "wie dies in Europa gemacht worden ist". Die SPD-Parlamentarierin: "Wir müssen Grenzen setzen bei der Nutzung der Atmosphäre, des Bodens und des Wassers."

Bei einer sozialökologischen Regulierung geht es aus Sicht Bulmahns nicht um das Ob, sondern um das Wie. Sie plädierte dafür, Umweltkosten in die Berechnung der Wirtschaftsleistung einzubeziehen. Nötig sei eine "neue Regelungsstruktur" für die internationalen Finanzmärkte. Die SPD-Obfrau sprach sich zwar für die Schaffung ausgeglichener staatlicher Haushalte aus, doch müsse zunächst geklärt werden, welche Aufgaben in öffentlicher Verantwortung wahrgenommen werden sollen, was dann entsprechende Finanzmittel erfordere. Als solche Aufgaben definierte Bulmahn etwa das Gesundheitswesen, die Infrastruktur und die Bildung, gerade für Letztere müssten die Gelder massiv erhöht werden. Um der prekären Beschäftigung und der Verteilungsungerechtigkeit entgegenzuwirken, solle ein Mindestlohn eingeführt werden.

Der von der Linken ernannte Sachverständige Norbert Reuter rief dazu auf, nach Möglichkeiten zu suchen, wie die gesellschaftliche Entwicklung auch ohne Wachstum oder mit niedrigen Wachstumsraten vorangebracht werden könne. Dies gelte etwa für die Gewährleistung sozialer Sicherheit. Wachstum könne solche Probleme nicht lösen, ohnehin seien in Zukunft keine hohen Wachstumsraten mehr zu erwarten.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 014 - 14. Januar 2013 - 17:00 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2013