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BUNDESTAG/3556: Heute im Bundestag Nr. 561 - 29.11.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 561
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 29. November 2012 Redaktionsschluss: 15:55 Uhr

1. "Brisante Informationen sind versandet"
2. Grünen-Fraktion fordert Klarstellung der Kinderrechte im Grundgesetz
3. Abgeordnete setzen sich für mehr Förderung der Minderheiten- und Regionalsprachen ein
4. Grüne wollen Rechte der Kinder von Inhaftierten schützen
5. Im Bundestag notiert: Merkzeichen Taubblindheit



1. "Brisante Informationen sind versandet"

2. Untersuchungsausschuss (Rechtsterrorismus)

Berlin: (hib/KOS) Die Sicherheitsbehörden haben aus brisanten Informationen des Militärischen Abschirmdienst (MAD) zu Rechtsextremisten nicht die nötigen Konsequenzen gezogen: Diese Kritik wurde am Donnerstag von Mitgliedern des Untersuchungsausschusses bei der Anhörung Karl-Heinz Brüsselbachs geäußert, von 2010 bis 2012 Präsident des Bundeswehr-Geheimdienstes. Der Untersuchungsausschuss soll Pannen und Fehlgriffe bei den Ermittlungen zu der dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelasteten Mordserie an neun türkisch- oder griechischstämmigen Kleinunternehmern und einer deutschen Polizistin durchleuchten.

Der MAD habe bereits um das Jahr 2000 erfahren, dass sich das 1998 untergetauchte Jenaer "Bombenbastler-Trio", aus dem später der NSU wurde, "in Richtung Rechtsterrorismus bewegt", sagte Unions-Obmann Clemens Binninger. Zudem habe ein V-Mann den Militär-Geheimdienst über Aktivitäten der Jenaer Gruppe beim "Thüringer Heimatschutz" (THS) unterrichtet und einen Aufenthaltsort des Trios erwähnt. Laut Brüsselbach, dem zu jener Zeit im Verteidigungsministerium die Aufsicht über den MAD oblag, handelte es sich dabei um Kreta, Binninger meinte hingegen, es müsse um einen "anderen Ort" gegangen sein. Diese an den Verfassungsschutz weitergeleiteten Erkenntnisse blieben jedoch, wie im Ausschuss moniert wurde, offensichtlich folgenlos. Binninger: "Was nutzen brisante und gute Informationen, wenn sie versanden?"

SPD-Sprecherin Eva Högl kritisierte, dass das NSU-Mitglied Uwe Mundlos, der 1994/1995 seinen Wehrdienst ableistete, damals erst Monate nach dem Bekanntwerden von rechtsextremistischem Verhalten vom MAD vernommen wurde. "Das ist zu lange", räumte Brüsselbach ein. Hätte Mundlos bei seiner Anhörung die von ihm verneinte Frage, ob er als Informant für Sicherheitsbehörden tätig sein wolle, bejaht, so wäre diese Bereitschaft laut dem Zeugen dem Verfassungsschutz für ein eventuelles Anwerbegespräch nach dem Wehrdienst gemeldet worden.

Aus Sicht Högls ist es ein nicht akzeptables "Sicherheitsrisiko", wenn in der Bundeswehr Rechtsextremisten vom MAD als V-Leute geführt würden. Brüsselbach entgegnete, es würden nur Soldaten angeworben, die sich vom Rechtsextremismus wieder gelöst hätten. Auf eine entsprechende Frage des FDP-Parlamentariers Serkan Tören sagte der Zeuge, es spreche "wenig dafür", dass Mundlos vom MAD mehrfach vernommen worden sei. Er wolle indes nicht ausschließen, dass er noch vom Verfassungsschutz außerhalb der Kaserne befragt worden sei. Brüsselbach verneinte das von Binninger erwähnte "Gerücht", der MAD sei am 4. November 2011 in Eisenach gewesen, als dort in einem Wohnwagen die NSU-Mitglieder Mundlos und Böhnhardt tot aufgefunden wurden.

Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) und andere Abgeordnete kritisierten, dass das Bundestagsgremium erst im September dieses Jahres über die MAD-Vernehmung von Mundlos 1995 unterrichtet worden sei, obwohl dies beim Geheimdienst schon im Februar 2012 bekannt gewesen sei. Brüsselbach hatte das Verteidigungsministerium, aber nicht den Ausschuss über die Akte Mundlos informiert: "Das war nicht angemessen, das bedauere ich aus heutiger Sicht."

Linken-Obfrau Petra Pau warf dem Zeugen vor, dass noch nach der Enttarnung des NSU im November 2011 beim MAD Unterlagen zum Thema Rechtsextremismus geschreddert worden seien - etwa zu einer fränkischen Nachfolgeorganisation des "Thüringer Heimatschutzes", und dies, wo das NSU-Trio Kontakte zu Rechtsextremisten in Franken unterhalten habe. Brüsselbach meinte dazu, er habe damals angewiesen, keine Akten mit einem Bezug zum NSU zu vernichten. Grünen-Sprecher Wolfgang Wieland kritisierte, dass in den 1990er Jahren Soldaten ihren Wehrdienst hätten ableisten können, obwohl sie bei MAD-Befragungen rechtsextremistisch in Erscheinung getreten seien - beispielsweise mit der Äußerung, Hitler sei ein "großer Mann" gewesen, oder mit der Tätowierung der SS-Parole "Blut und Ehre." Brüsselbach entgegnete, seither sei "vieles viel besser geworden". Aber auch in den Neunzigern habe sich der MAD gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr engagiert.

Nach Brüsselbach wollte der Ausschuss noch Christof Gramm, von 2008 bis 2012 im Verteidigungsministerium für den MAD zuständig, sowie Jens Merten vom Polizeipräsidium Chemnitz-Erzgebirge vernehmen, der einst zu den dem NSU zugerechneten Banküberfällen ermittelt hat. Am morgigen Freitag stehen August Hanning, von 2005 bis 2009 Innen-Staatssekretär, und Christian Ritscher, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, auf der Zeugenliste.

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2. Grünen-Fraktion fordert Klarstellung der Kinderrechte im Grundgesetz

Recht/Gesetzentwurf

Berlin: (hib/VER) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will die Kinderrechte im Grundgesetz (GG) klarstellen. Dazu bedürfe es der Änderung des Artikels 6 GG. Deshalb hat die Fraktion einen Gesetzentwurf "zur Änderung des Grundgesetzes" (17/11650) in den Bundestag eingebracht. Nach dem Willen der Fraktion soll unter anderem folgender Absatz ergänzt werden: "Jedes Kind hat das Recht auf Förderung seiner Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit sowie auf den Schutz vor Gefährdungen für sein Wohl. Bei allem staatlichen Handeln ist das Wohl des Kindes besonders zu berücksichtigen. Sein Wille ist entsprechend seinem Alter und seinem Reifegrad in allen es betreffenden Angelegenheiten zu beachten."

Dieser Absatz soll als neuer Absatz 5 nach Absatz 4 und den Absätzen 2 und 3 eingefügt werden. Letztere regeln das Verhältnis von Elternverantwortung und staatlichem Wächteramt. Durch diese Ergänzung werde "die Subjektstellung des Kindes als Träger eigener Rechte im Verhältnis zu den Eltern und zum Staat auch in systematischer Hinsicht verdeutlicht", schreiben die Gesetzesinitiatoren zur Begründung. Der neue Absatz stelle klar, dass sowohl das Elternrecht als auch das staatliche Wächteramt "um der Kinder willen gewährt werden und keinen Selbstzweck darstellen".

Das "besondere Verhältnis zwischen dem Vorrang der Elternverantwortung und dem staatlichen Wächteramt" bleibe im Übrigen unberührt. Nach wie vor seien zunächst die Eltern "und dann - im Falle der Kindeswohlgefährdung - der Staat verantwortlich dafür, dass die Rechte der Kinder beachtet werden", heißt es in der Vorlage weiter.

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3. Abgeordnete setzen sich für mehr Förderung der Minderheiten- und Regionalsprachen ein

Kultur und Medien/Antrag

Berlin: (hib/AW) Eine Gruppe von 80 Abgeordneten fordert in einem fraktionsübergreifenden Antrag (17/11638) eine bessere Förderung der Regional- und Minderheitensprachen. In Deutschland werden vier Sprachen der autochtonen Minderheiten - das Dänische, das Nord- und Saterfriesische, das Romanes, das Ober- und Niedersorbische - sowie die Regionalsprache Niederdeutsch geschützt und gefördert. Der Antrag würdigt die Bedeutung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen, die vor 20 Jahren durch den Europarat aufgelegt wurde, zum Erhalt des europäischen Kulturerbes. Die Abgeordneten verweisen allerdings darauf, dass Saterfriesisch mit 2.000, Nordfriesisch mit 8.000 und Sorbisch mit 45.000 Sprechern von der Unesco zu den "besonders gefährdeten" Sprachen gezählt werden.

Konkret sprechen sich die Abgeordneten für ein zwischen Bund, Ländern und Vertretern der Regional- und Minderheitensprachen abgestimmtes Gesamtkonzept zur Förderung der betroffenen Sprachen aus. Gemäß der Charta müssten den Regional- und Minderheitensprachen an Schulen, Hochschulen, in der Verwaltung und den Medien mehr Geltung verschafft werden. Zudem müsse in jeder Legislaturperiode ein Bericht zur Lage der Sprachen vorgelegt werden.

Deutschland hatte als einer der ersten Staaten die Charta der Regional- oder Minderheitensprachen am 5. November 1992 unterzeichnet und sie am 9. Juli 1998 ratifiziert. Bis heute wurde die Charta von 33 Staaten unterzeichnet, ratifiziert haben sie jedoch erst 25 Staaten.

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4. Grüne wollen Rechte der Kinder von Inhaftierten schützen

Familie, Senioren, Frauen und Jugend/Antrag

Berlin: (hib/AW) Die Rechte der Kinder von Strafgefangenen und Inhaftierten müssen nach dem Willen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen besser geschützt werden. In einem Antrag (17/11578) fordert sie die Bundesregierung auf, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten, die bundesweite Kriterien aufstellen soll, nach denen den Rechten der betroffenen Kinder entsprochen werden kann. Nach Schätzungen könnten in Deutschland etwa 50.000 Kinder von einer Inhaftierung eines oder beider Elternteile betroffen sein. Allerdings verfüge die Bundesregierung laut eigener Auskunft über keine verlässlichen Daten. Die Grünen fordern von der Regierung deshalb ein entsprechendes Forschungsvorhaben, um diese Daten zu erheben. Dabei müsse unter anderem geklärt werden, wie viele Inhaftierte mit ihren Kleinkindern gemeinsam in Haft und wie betroffene Kinder außerhalb der Haftanstalten untergebracht sind und welcher Hilfs- und Unterstützungsbedarf sich daraus ergibt.

Die Grünen begründen ihren Antrag mit der traumatischen Situation für Kinder, die von ihren Eltern getrennt werden. Dies könne zu depressiven Stimmungslagen, aggressivem Verhalten, sozialem Rückzug und Leistungsabfall in der Schule führen. Dies gesamte weitere Entwicklung des Kindes werde durch diese Traumatisierung erheblich belastet.

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5. Im Bundestag notiert: Merkzeichen Taubblindheit

Arbeit und Soziales/Antrag

Berlin: (hib/VER) Die SPD-Fraktion verlangt, Taubblindheit als Behinderung eigener Art anzuerkennen und das Merkzeichen Taubblindheit einzuführen. In einem Antrag (17/11676) fordert sie die Bundesregierung auf, Paragraph 3 der Schwerbehindertenausweisverordnung um das eigenständige Merkzeichen "TBI" (taubblind) zu ergänzen. Taubblindheit weise eigenständige Merkmale auf, da die Betroffenen "die Funktionseinschränkung eines Fernsinnes (Sehen/Hören) nicht durch den jeweils anderen Sinn ausgleichen" könnten, schreiben die Sozialdemokraten zur Begründung.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 561 - 29. November 2012 - 15:55 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2012