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BUNDESTAG/3320: Heute im Bundestag Nr. 325 - 28.06.2012


Deutscher Bundestag
hib - heute im bundestag Nr. 325
Neues aus Ausschüssen und aktuelle parlamentarische Initiativen

Donnerstag, 28. Juni 2012 Redaktionsschluss: 15:50 Uhr

1. BKA-Chef Ziercke: Steuerungsgruppe bei NSU-Mordserie war vertretbarer Kompromiss
2. Landwirte sollen steuerfreie Rücklagen bilden können
3. Grüne fordern EU-weite Konsequenzen für Beteiligte am Fall Magnitskij
4. SPD und Grüne wollen Ghetto-Renten ab 1997 rückwirkend ermöglichen
5. Regierung legt Zahlen zu Tierschlachtungen in Deutschland vor
6. Bundesregierung stimmt Vorschlägen zur Novelle des Weingesetzes weitgehend zu
7. Im Bundestag notiert: Studien von Ministerien
8. Im Bundestag notiert: ETA
9. Im Bundestag notiert: Politisch motivierte Straftaten



1. BKA-Chef Ziercke: Steuerungsgruppe bei NSU-Mordserie war vertretbarer Kompromiss

2. Untersuchungsausschuss (Rechtsterrorismus)

Berlin: (hib/HAU) Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, hat die 2006 erfolgte Schaffung einer Steuerungsgruppe unter Beteiligung der Länderpolizeien und des BKA zur Aufklärung der Mordserie an neun türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern verteidigt. Als Zeuge vor dem NSU-Untersuchungsausschuss am Donnerstag sagte Ziercke am Donnerstag, man habe 2006 den Ländern eine Übernahme der Ermittlungen durch das BKA vorgeschlagen. "Am Ende stand ein Kompromiss, wie man ihn im föderalen System immer mal machen muss", sagte der BKA-Präsident und verwies auf das Grundgesetz, wonach Polizeiangelegenheiten Ländersache seien. "Wir sind nicht das deutsche FBI. Wir können uns nicht auf eigenen Wunsch in Ermittlungen einschalten."

Den Einwand, im Jahr 2004 hätten sich mehrere Länder an das BKA mit der Bitte gewandt, die Ermittlungen zu übernehmen, ließ Ziercke nicht gelten. Wenn überhaupt so sei darüber auf Arbeitsebene gesprochen worden. "Mich hat kein Landesminister und auch kein zuständiger Staatsanwalt angerufen", sagte er vor den Abgeordneten. Das dies, wie vom bayerischen Ex-Innenminister Günther Beckstein (CSU) vor dem Ausschuss behauptet wurde, mit fehlenden Kapazitäten beim BKA zu tun gehabt habe, stellte er in Abrede: "Es gab beim BKA kein Ressourcenproblem."

Zugleich räumte er grundsätzlich ein Versagen der Ermittlungsbehörden ein, dass ihm leid tue. "Ich empfinde Bedauern und Scham, dass es uns nicht gelungen ist, die Menschen zu schützen", sagt Ziercke. Dies habe aber nichts mit einer fehlenden Sensibilität der Polizei oder etwaigen Kompetenzstreitigkeiten zu tun.

Mit seiner Bewertung der Steuerungsgruppe stellte sich der BKA-Chef gegen seinen ehemaligen Stellvertreter Bernhard Falk, der vor dem Ausschuss erklärt hatte, die Organisation der Ermittlungsarbeit sei "kriminalfachlich stümperhaft" gewesen. Es sei falsch gewesen, auch nach dem neunten Mord auf zentrale Ermittlungen durch das BKA zu verzichten, hatte Falk dem Ausschuss mitgeteilt. Angesichts dessen, dass in dem Kompromiss 80 Prozent des eigentlichen BKA-Vorschlages enthalten gewesen seien, sie die Steuerstelle richtig gewesen, wiederholte Ziercke. Im Übrigen habe ihm das Ergebnis Recht gegeben: "Nach 2006 gab es keinen fremdenfeindlich motivierten Mord mehr von dem NSU-Trio." Man habe auch durch die Auslobung der ungewöhnlich hohen Summe von 300.000 Euro als Belohnung für Hinweise und der Profiler-Theorie, wonach eventuell infrage kommende Täter aus dem rechtsextremen Bereich stammen könnten "für Wirbel in der Szene" gesorgt.

Dieser Schlussfolgerung wollten sich die Mitglieder des Untersuchungsausschusses jedoch nicht anschließen. Insbesondere vor dem Hintergrund der Äußerungen Falks überzeuge ihn diese These nicht, sagte der Vorsitzende des Ausschusses Sebastian Edathy. Er warf Ziercke zudem vor, keine Selbstkritik geübt zu haben. Auch der Unionsabgeordnete Clemens Binninger konnte nicht erkennen, dass die von Ziercke angeführten Gründe verantwortlich für das Ende der Mordserie gewesen sein sollten. Binninger erkundigte sich zudem, warum nicht schon nach dem Nagelbomben-Attentat in Köln im Jahre 2004 in Richtung Rechtsextremismus ermittelt wurde. Damals, so Ziercke, erschien der Pfad zur Organisierten Kriminalität "allen sinnvoll". Es seien auch 2004 "keine rechtsextremen Strukturen zu erkennen gewesen".

Die SPD-Abgeordnete Eva Högl verwies darauf, dass der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Ermittlungen des BKA hätte anordnen können. Darüber, so Ziercke, habe er auch mit dem damaligen Staatssekretär August Hanning gesprochen. "Dann kam aber der Kompromissvorschlag, den ich akzeptabel fand, mit dem Ergebnis, dass die Mordserie endete", beharrte Ziercke auf seiner Einschätzung. Mit Blick auf die heute bekannt gewordene Vernichtung von NSU-Untersuchungsakten durch den Verfassungsschutz erkundigte sich der FDP-Abgeordnete Hartfrid Wolff, ob dies auch beim BKA der Fall sei. Ziercke antwortete: "Ich habe keine Anweisung zur Vernichtung von Akten gegeben."

Ob bei Lagebesprechung mit dem Innenministerium über die Möglichkeit rechtsextremistischer Täter gesprochen worden sei, wollte Petra Pau (Die Linke) wissen und bezog sich auf Zierckes Ex-Stellvertreter Falk, der diese Frage verneint habe. Der BKA-Präsident entgegnete, er habe persönlich in diesen Gesprächen auf diese Möglichkeit hingewiesen. Auf Nachfrage von Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Die Grünen) machte Ziercke nochmals klar, nicht über die Gespräche zwischen BKA und den Ländern "auf Arbeitsebene" informiert worden zu sein. "Wenn ein Land das Verfahren abgeben möchte, muss es auch mit mir darüber reden", sagte der BKA-Präsident.

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2. Landwirte sollen steuerfreie Rücklagen bilden können

Finanzen/Antrag

Berlin: (hib/HLE) Landwirtschaftliche Betriebe sollen eine steuerfreie betriebliche Risikoausgleichsrücklage bilden können. Die Linksfraktion fordert dazu in einem Antrag (17/10099) die Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in das Jahressteuergesetz. Die Höhe der Rücklage soll bis zu 20 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes betragen können.

Grund für die Forderung sind bisher völlig unbekannte oder regional unbekannte beziehungsweise zurückkehrende Gefahren für die Tier- und Pflanzengesundheit. Ursache dafür seien die weltweiten Handels- und Personenströme sowie Klimawandeleffekte. "Sie führen in vielen Regionen Deutschlands zu immer höheren betrieblichen Risiken für die landwirtschaftliche Erzeugung, die sich nicht oder nur sehr begrenzt durch vorsorgliches betriebliches Handeln vermeiden lassen", schreibt die Fraktion. Hinzu kämen extreme Wetterereignisse mit Hochwassern beziehungsweise Dürreperioden. Sie würden zu betriebswirtschaftlich kaum mehr kalkulierbaren Produktionsrisiken führen.

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3. Grüne fordern EU-weite Konsequenzen für Beteiligte am Fall Magnitskij

Menschenrechte und humanitäre Hilfe/Antrag

Berlin: (hib/TYH) Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert ein EU-weites Einreiseverbot für die russischen Beteiligten an dem Fall Magnitskij. Wie die Abgeordneten in einem Antrag (17/10111) darlegen, soll das Verbot verhängt werden, wenn die russischen Behörden keinen positiven Willen zur Zusammenarbeit und Untersuchung im Fall Sergej Magnitskij an den Tag legen. Magnitskij ist der Vorlage zufolge am 16. November 2009 in Untersuchungshaft in Moskau an den Folgen einer "unrechtmäßigen Inhaftnahme und einer menschenunwürdigen Behandlung während seiner Haft" gestorben. So seien ihm medizinische Hilfe und lebenswichtige Medikamente vorenthalten worden. Magnitskij sei im Zuge der Ermittlungen gegen den in Russland in Ungnade gefallenen Investmentfonds Hermitage Capital verhaftet worden, für den er als Anwalt tätig gewesen sei. Zwar habe der damalige Präsident Dmitri Medwedew öffentlich die Aufklärung des Falls gefordert, jedoch sei bislang niemand verurteilt worden.

Die Abgeordneten fordern die Bundesregierung in ihrem Antrag weiter auf, in Deutschland Maßnahmen wie ein Einreiseverbot und das Einfrieren von Vermögenswerten derjenigen zu prüfen, die für Inhaftierung, Missbrauch und Tod Sergej Magnitskijs verantwortlich seien.

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4. SPD und Grüne wollen Ghetto-Renten ab 1997 rückwirkend ermöglichen

Arbeit und Soziales/Antrag

Berlin: (hib/TYH) Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen Renten für Beschäftigungen in Ghettos rückwirkend ab 1997 auszahlen. In einem gemeinsamen Antrag (17/10094), der am heutigen Donnerstag erstmals im Plenum auf der Tagesordnung steht, fordern sie die Bundesregierung auf, für ehemalige Ghetto-Insassen bei fristgerecht gestellten, aber zunächst bestandskräftig abgelehnten und erst nach 2009 bewilligten Rentenanträgen eine rückwirkende Auszahlung der Rente ab dem 1. Juli 1997 zu ermöglichen.

Hintergrund ist laut Vorlage, dass das 2002 vom Bundestag verabschiedete Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto und zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (ZRBG) nicht "zu den gewünschten Ergebnissen" geführt habe. So habe bei den Trägern der Rentenversicherung Unklarheit bestanden, wie "die Bedingungen der 'Freiwilligkeit' und 'Entgeltlichkeit', die zwingende Voraussetzungen für die Anerkennung als Beitragszeit nach deutschem Rentenrecht sind, unter den Lebens- und Arbeitsbedingungen in einem Ghetto zu interpretieren sind". Erst ein Urteil des Bundessozialgerichts habe im Juni 2009 Klarheit gebracht. In der Folge seien von den 49.560 zunächst abgelehnten und dann erneut geprüften Anträge 25.153 positiv beschieden worden. Jedoch erhielten die betroffenen ehemaligen Ghetto-Insassen ihre Rente nicht rückwirkend zum Jahr 1997, sondern rückwirkend ab den Jahr 2005, da eine Rückwirkung von maximal vier Jahren gilt.

Sollte auf die Verlängerung der Rückwirkung verzichtet werden, schlagen die Abgeordneten von SPD und Grünen eine Änderung der Anerkennungsrichtlinie vom 20. Dezember 2011 vor, so dass "der Betrag, der sich aus der Summe der monatlichen Rentenzahlungen bei einem Rentenbeginn ab dem Jahr 1997 ergeben hätte als Kapitalzahlung zu gewähren ist".

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5. Regierung legt Zahlen zu Tierschlachtungen in Deutschland vor

Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz/Antwort

Berlin: (hib/EIS) Im Jahr 2011 wurden 705.049.980 Tiere bei der Geflügelproduktion in 228 nach dem EU-Lebensmittelhygienerecht zugelassenen Geflügelschlachtbetrieben in Deutschland geschlachtet. Das geht aus einer Antwort (17/10021) der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage (17/9824) der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hervor. Darin heißt es weiter, dass mit dem Stand vom 1. Juni 2012 insgesamt 5.129 nach dem EU-Lebensmittelhygienerecht zugelassene Schlachtbetriebe in der Bundesrepublik verzeichnet sind. In diesen Betrieben seien im vergangenen Jahr 3.678.831 Rinder und 59.291.063 Schweine geschlachtet worden.

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6. Bundesregierung stimmt Vorschlägen zur Novelle des Weingesetzes weitgehend zu

Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz/Unterrichtung

Berlin: (hib/EIS) Die Bundesregierung stimmt in einer Unterrichtung (17/10124) zur Stellungnahme des Bundesrates zur Novellierung eines siebten Gesetzes zur Änderung des Weingesetzes (17/10042) den Vorschlägen der Länderkammer weitgehend zu. Ziel der Gesetzesänderung ist unter anderem die Einbeziehung des Jungweins bei der Berechnung der von Betrieben von anderen Betrieben übernommenen Mengen von Weinerzeugnissen, um Ungleichheit im Wettbewerb zu vermeiden.

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7. Im Bundestag notiert: Studien von Ministerien

Inneres/Antwort

Berlin: (hib/STO) Berichte und Studien von Ministerien erscheinen laut Bundesregierung "immer wieder noch vor ihrer offiziellen Veröffentlichung unbeabsichtigt in den Medien". Auch im Bundesinnenministerium und seinem Geschäftsbereich sei es zu solchen Fällen gekommen, schreibt die Regierung in ihrer Antwort (17/9845) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (17/9512) zur Veröffentlichung der Studie "Lebenswelten junger Muslime in Deutschland". Darin verweist die Regierung zugleich darauf, dass sich Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in einer Sitzung des Innenausschusses am 25. April für Kommunikationsprobleme in Bezug auf die Veröffentlichung der Studie entschuldigt habe, worüber die Öffentlichkeit durch die Berichterstattung in den Medien unterrichtet sei.

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8. Im Bundestag notiert: ETA

Auswärtiges/Antwort

Berlin: (hib/BOB) Die Bundesregierung begrüßt die Absichtserklärung der ETA, keine weiteren Verbrechen mit Waffengewalt verüben zu wollen. Dies geht aus der Regierungs-Antwort (17/10023) auf eine Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke (17/9858) hervor. Diese Erklärungen müssten nunmehr mit Taten unterlegt werden, so zum Beispiel durch die Auflösung der Organisationsstrukturen sowie der vollständigen Übereignung von Kriegs- und anderen Waffen. Beides sei bislang nicht erfolgt.

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9. Im Bundestag notiert: Politisch motivierte Straftaten

Inneres/Kleine Anfrage

Berlin: (hib/STO) "Politisch motivierte Straftaten in Deutschland im Mai 2012" sind Thema einer Kleinen Anfrage der CDU/CSU- und der FDP-Fraktion (17/10063). Darin erkundigen sich die Koalitionsfraktionen unter anderem danach, wie viele solcher Straftaten insgesamt der Bundesregierung bislang für Mai dieses Jahres bekannt geworden sind.

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Quelle:
Heute im Bundestag Nr. 325 - 28. Juni 2012 - 15:50 Uhr
Herausgeber: Deutscher Bundestag
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2012