Schattenblick → INFOPOOL → PARLAMENT → DIE LINKE


INNEN/4936: 25 Jahre Brandanschlag von Solingen


DIE LINKE - Presseerklärung vom 23. Mai 2018

25 Jahre Brandanschlag von Solingen


Die Vorsitzende der Partei DIE LINKE, Katja Kipping, kommentiert den 25. Jahrestag des Anschlages von Solingen:

Mevlüde Genc verlor vor 25 Jahren bei einem Brandanschlag der extremen Rechten in Solingen zwei Töchter, zwei Enkelinnen und eine Nichte. Nur kurz danach, rief sie zu Versöhnung und Freundschaft auf, und erhielt das Bundesverdienstkreuz. Ihre Töchter, Enkelinnen und Nichten kann diese Auszeichnung nicht wieder lebendig machen.

Solingen war der vierte Anschlag in einer Reihe, dem Hoyerswerda, Rostock und Mölln vorausgegangen waren. Der Anschlag in Solingen fiel kurz nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung in eine Zeit, in der bundesweit erstmals emotional über die Frage einer gesamtdeutschen Identität und der Zugehörigkeit von Migranten und Migrantinnen in unserem Land debattiert wurde. Eine kuriose Debatte, denn sowohl die BRD als auch die DDR hatten während ihres Bestehens seit 1945, Migrantinnen und Migranten als Arbeitskräfte angeworben. Diese Menschen hatten sich, sofern man sie ließ, in beiden deutschen Staaten "integriert".

Vor dem Hintergrund steigender Asylbewerberzahlen entwickelte sich in dieser Zeit schnell eine umfassende Asyldebatte, in der der vermehrte Zuzug von Asylbewerberinnen und Asylbewerbern vor allem als Problem diskutiert wurde. Insbesondere die Unions-Parteien strebten eine Grundgesetzänderung an, die das Grundrecht auf Asyl einschränken sollte. Sie wurden dabei von einflussreichen Medien unterstützt, die die Debatte verschärften und gegen Asylbewerber polemisierten. Aus dem sogenannten "Asylantenproblem" wurde bald ein "Ausländerproblem" mit einer unmissverständlichen Botschaft: "Das Boot ist voll". Diese Botschaft wurde von zahlreichen Medien aufgegriffen, und im September 1991 beispielsweise auf der Titelseite des Wochenmagazins Der Spiegel, unter der Überschrift "Flüchtlinge - Aussiedler - Asylanten. Ansturm der Armen", visualisiert. Als Reaktion auf diese Debatte wurde das Recht auf Asyl beschnitten. Das Grundgesetz und das Asylverfahrensgesetz wurden dahingehend geändert, dass es immer schwieriger wurde, sich auf das Grundrecht auf Asyl zu berufen. Ein fatales Einknicken vor reaktionärem Gedankengut, das unlängst in der Gründung der AfD und ihrem Einzug in den Bundestag gipfelte - und der Marsch nach rechts ist damit nicht beendet.

Die Rolle der deutschen Justiz war in diesem Zusammenhang, und ist es nach wie vor, wenigstens fragwürdig. Zuerst nannte man die Anschläge "Delikte betrunkener Einzeltäter", nach Mölln und Solingen wurden dann harte Strafen gefordert. Bis zur Selbstenttarnung des NSU 2011, haben die Behörden aber jahrzehntelang bestritten, dass aus Neo-Nazi-Kreisen terroristische Strukturen erwachsen können. Wir müssen uns fragen, warum das Oberlandesgericht München während des NSU-Prozesses Fragen ausblendete, die zur Klärung hätten beitragen können: Beispielsweise, ob die Angeklagten in ein größeres Netzwerk eingebettet waren, und ob Verbindungen zum Verfassungsschutz bestanden. Wir müssen uns fragen, welches Signal gesetzt wird, wenn sich von 150 vernommenen Beamten nur einer bei den Angehörigen der NSU-Opfer entschuldigt hat. Der Rest scheint immer noch davon überzeugt zu sein, dass die Taten im Drogenmilieu stattfanden, oder Auswirkungen mafiöser Strukturen waren, während Fremdenhass und Rassismus als mögliche Tatmotive für die Ermittler nicht in Betracht kamen.

Weder die Medien, noch die Politik und auch nicht die Justiz können es sich weiter leisten, "auf dem rechten Auge blind zu sein." Tausende von Anschlägen gegen Flüchtlingsunterkünfte sind bis heute ungeklärt. In Bayern wird in Reaktion auf eine forcierte Angstdebatte das Polizeigesetz verschärft, während die Zahl der registrierten Verbrechen in Deutschland auf den tiefsten Wert seit 25 Jahren gefallen ist. Statt auf dem rechten Auge blind zu sein, müssen wir mit beiden Augen hinsehen, Probleme benennen, Zivilcourage zeigen, sich dem Rechtstrend entgegenstellen und täglich Humanismus leben, damit sich grauenvolle Taten wie die in Solingen niemals wiederholen!

*

Quelle:
Partei DIE LINKE - Pressemitteilung vom 23. Mai 2018
Bundesgeschäftsstelle
Kleine Alexanderstraße 2, 10178 Berlin
Telefon: 030/240 09-0, Fax: 030 / 240 09 220
E-Mail: bundesgeschaeftsstelle@die-linke.de
Internet: www.die-linke.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang