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WIRTSCHAFT/2230: Weg mit dem Bremsklotz - die Energiewende entschlossen voranbringen


Pressedienst von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 5. März 2012

Berlin, 5. März 2012
Beschluss des Bundesvorstands und des Parteirats

Weg mit dem Bremsklotz - die Energiewende entschlossen voranbringen


Am 11. März jährt sich zum ersten Mal die Katastrophe von Fukushima. Etwa 16.000 Menschen verloren damals ihr Leben durch das schwere Erdbeben und den darauffolgenden Tsunami. Unsere Trauer über die Opfer, unser Mitgefühl mit allen Japanerinnen und Japanern und unser Entsetzen über den Super-GAU sind auch ein Jahr nach diesen furchtbaren Ereignissen nicht erloschen, sondern begleiten uns immer noch. Daher rufen wir auch am 11. März zur Teilnahme an Demonstrationen in Deutschland auf, um ein Zeichen der Solidarität und des Mitgefühls zu setzen.

Die doppelte Naturkatastrophe führte zu einer dritten Katastrophe - dem Super-GAU in mehreren Reaktorblöcken des Atomkraftwerks Fukushimi Daiichi. Etwa 150.000 Menschen wurden evakuiert oder verließen ihre Häuser und ihre Heimat freiwillig aus Angst vor der Strahlenbelastung. Einige von ihnen sind trotz der Strahlenbedrohung in ihre Heimat wieder zurückgehrt. Andere, deren Häuser näher an den havarierten Reaktoren stehen, werden lange Zeit nicht zurückkehren können. Niemand kann bis heute seriös sagen, was in den betroffenen Atomreaktoren aktuell vor sich geht, welche Gefahren dort weiter entstehen. Die Katastrophe ist noch lange nicht vorbei.

All das passierte, obwohl parallele Super-GAUs in den Reaktorblöcken eines Atomkraftwerks kaum vorstellbar waren und über Jahrzehnte hinweg von der Atomlobby kategorisch ausgeschlossen worden waren.

Die große Mehrheit der Japaner wünscht sich eine Zukunft ohne Atomkraft. Aktuell sind wegen Sicherheitsüberprüfungen nur noch zwei der 54 japanischen Atomreaktoren in Betrieb. Dennoch konnte die Stromversorgung sichergestellt werden. Aber die Atomlobby drängt darauf, die nach Fukushima vom Netz genommenen Atomkraftwerke schnell wieder hochzufahren, sogar noch bevor die AKW-Stresstests abgeschlossen sind. Trotz massiven Widerstands in der Bevölkerung sollen zwei Reaktoren in der Provinz Fukui schon in den nächsten Wochen wieder in Betrieb genommen werden. In dieser Auseinandersetzung fordern wir Grüne wie unsere japanischen Freundinnen und Freunde: Stoppt das Wiederanfahren!

In Deutschland hat die Katastrophe von Fukushima zur einzigen, richtigen Konsequenz geführt: zum breiten Konsens über den endgültigen Atomausstieg bis 2022. Nur ein Jahr nach dem schwarz-gelben "Herbst der Entscheidungen" und der damaligen Verlängerung der AKW-Laufzeiten musste die schwarz-gelbe Koalition damit eine völlige Kehrtwende vornehmen und ihr Scheitern eingestehen. Die beharrlichen Proteste der Anti-Atom-Bewegung, das über 30jährige Festhalten an einer Ablehnung der Atomtechnologie in und außerhalb der Parlamente durch die Grünen haben Union und FDP zur Anerkennung der Realität gezwungen. Wir Grüne haben deswegen die Bundesregierung beim Atomausstiegsbeschluss unterstützt, und ambitionierte Konzepte zum Thema Sicherheit der noch laufenden AKWs sowie zur Endlagersuche nach streng wissenschaftlichen Kriterien gefordert. Zugleich haben wir deutlich gemacht, dass der Ausstieg alleine nicht reichen wird. Der endgültige Ausstieg kann nur gelingen, wenn er einher geht mit einer breit angelegten Energiewende, die auf die Erneuerbaren Energien, die Steigerung der Energieeffizienz und die Senkung des Energieverbrauchs setzt. Dafür braucht es einen Masterplan Energiewende, der den breit angelegten Umbau des Energiemarktes und des gesamten Energieversorgungssystems genauso berücksichtigt wie den forcierten Ausbau Erneuerbarer Energien, die Umgestaltung und den Ausbau der Netzinfrastruktur sowie Speichermöglichkeiten und energiesparender Technologien.

Die Energiewende setzt auf Erneuerbare Energien, auf Energieeinsparung und auf Energieeffizienz. Auf allen drei Feldern blockiert Schwarz-Gelb.

Erneuerbare Energien: Mit ihren jüngsten Entscheidungen, die Vergütung von Solarstrom drastisch zu kürzen, steht die Bundesregierung einer erfolgreichen Energiewende nicht nur im Wege, sondern sie entpuppt sich immer mehr als Bremsklotz. Leidtragende sind nicht nur die zahlreichen deutschen Solarunternehmen, die über Nacht in ihrer Existenz bedroht sind, sondern auch viele Mittelständler und Handwerker, die mittelbar von der Solarwirtschaft abhängen.

Mit tiefgreifenden Eingriffen in das EEG wie der Ermächtigung zu Vergütungskürzungen ohne Parlamentsbeteiligung und dem Wegfall der Vergütungspflicht für Teile des eingespeisten Solarstroms bereitet die Koalition zugleich einen Ausstieg aus der erfolgreichen EEG-Förderung vor, der im nächsten Schritt auch die Windenergie treffen könnte. Geplante Offshore-Windparks können schon heute nicht realisiert oder ans Netz genommen werden, weil die Bundesregierung sich zwar gerne als Freund des Netzausbaus gibt, in Wahrheit aber durch ihre Untätigkeit dringend nötige Neubauprojekte blockiert. Auch beim Ausbau der Stromspeicher geschieht nichts. Dabei müssen nach 2020 kostengünstige und technologisch ausgereifte Speichermöglichkeiten einsatzbereit sein. Auf europäischer Ebene ist Dank Schwarz-Gelb das einst von Kanzlerin Merkel selbst durchgesetzte CO2-Einsparziel von 20 Prozent bis 2020 in Frage gestellt und damit der Klimaschutz blockiert, weil die Minister Rösler und Röttgen alle konkreten Energieeffizienzmaßnahmen erbittert bekämpfen.

Energieeffizienz: Hier ist auf einst von Kanzlerin Merkel selbst durchgesetzte Ziele von 20 Prozent mehr Effizienz in der Europäischen Union bis 2020 in Frage gestellt, weil die Minister Röttgen und Rösler für möglichst große Unverbindlichkeit kämpfen.

Und die Politik von Schwarz-Gelb zeigt auch in der Energiepolitik ihre soziale Schieflage. Während die großen Energiekonzerne geschont werden und immer mehr energieintensive Unternehmen von den Netzentgelten und der EEG-Umlage befreit werden, sollen Mittelständler und Privatkunden die Kosten für die Energiewende völlig alleine schultern.

Gleichzeitig wird ein ambitioniertes Klimaschutzziel verhindert und der Emissionshandel untergraben.

Energieeinsparung: Nachdem erst die Zuschüsse der Kreditanstalt für Wiederaufbau gesperrt wurden, gibt es heute keine Bewegung bei der steuerlichen Begünstigung für die energetische Gebäudedämmung.

Mit dem Atomausstieg 2011 und dem Ziel einer Energiewende hat Deutschland im letzten Jahr das weltweit beachtete Signal gesendet, dass die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt ihre Zukunft in der Energieversorgung nicht länger in atomaren und fossilen Energieträgern sieht, sondern in den Erneuerbaren. Dies war nicht nur für das Klima eine gute Botschaft, sondern auch für die vielen innovativen Unternehmen, die die dafür nötigen Ideen und Konzepte bereits entwickelt haben, sowie für die Investoren, die nach Jahren der Planungsunsicherheit wieder Vertrauen gefasst haben, um in die deutsche Energieversorgung zu investieren. Schwarz-Gelb macht dies alles durch seine Bremsklotz-Politik nun wieder zunichte. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN fordern daher einen umgehenden Kurswechsel in der Energiepolitik mit ambitionierten Zielen und entschlossenem Handeln:

Die Erneuerbaren Energien ausbauen statt abwickeln:

- Bis 2020 wollen wir 45 Prozent des Stroms in Deutschland durch Erneuerbare Energien erzeugen.

- Statt Kürzungsorgien im Hauruckverfahren soll das EEG mit Augenmaß weiterentwickelt und Vergütungssätze an die Marktentwicklung angepasst werden.

- Die Verordnung zur Verhinderung der Stromeinspeisung muss gestoppt werden.

- Die Marktprämie soll schnell und deutlich gekürzt und stattdessen alternative Vermarktungsformen gestärkt werden, etwa im Regelenergiemarkt.

- Anstatt wie derzeit zu beobachten beim Marktanreizprogramm für erneuerbare Wärme zu kürzen, soll das Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz auf schon bestehende Immobilien und Bauten erweitert werden.

Die Energieeffizienz erhöhen und nicht verhindern:

- Deutschland muss die Blockade der Energieeffizienz-Richtlinie auf EU-Ebene endlich aufgeben. Dies gilt insbesondere für die Einsparverpflichtung der Energieversorger in Höhe von 1,5 Prozent des Jahresabsatzes.

- Deutschland muss den Weg frei machen für ambitionierte Klimaschutzziele in Europa. Bis 2030 sollen die Treibhausgase um 30 Prozent reduziert werden. Die Menge der CO2-Zertifikate muss entsprechend reduziert werden.

- Ein neuer Energiesparfonds in Höhe von 3 Mrd. Euro soll die energetische Sanierung von Stadtquartieren mit einem hohen Anteil niedriger Einkommen sozial abfedern.

- Mit einem europäischer Top-Runner-Ansatz sowie verbindlichen Energieverbrauchsgrenzen wollen wir Elektrogeräte, Autos und Gebäude energieeffizienter machen.

Netze ausbauen statt nur darüber zu reden:

- Die Bundesregierung muss endlich ihren Beitrag leisten, dass die Anbindung von Offshore-Windparks an das Übertragungsnetz vollzogen werden kann. Notfalls bedarf es auch der öffentlichen Ausschreibung für den Neubau von Stromtrassen.

- Beim Netzausbau kann nicht länger über die Köpfe der Menschen hinweg entschieden werden. Deshalb fordern wir die frühzeitigere und umfassendere Bürgerbeteiligung sowie die Möglichkeit einer Teilverkabelung, um lokale Konflikte beim Leitungsneubau fair auszutragen oder gar zu vermeiden.

- Für den Bau des neu zu schaffenden Gleichstromnetzes soll eine deutschen Netz AG gegründet werden.

Belastungen der Energiewende fair verteilen:

- Die Ausnahmen für die Industrie bei Energiesteuern, Umlagen und Netzentgelten sollen wieder auf Branchen mit hohem Energieverbrauch und internationalem Wettbewerbsdruck beschränkt werden. Damit werden Privatverbraucher und der Mittelstand entlastet.

- Die Strompreisbildung muss transparent und nachvollziehbar sein.

- Für Eigentümer und Mieter müssen die Beratungsleistungen deutlich ausgeweitet werden.


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Quelle:
Pressedienst vom 5. März 2012
Bündnis 90/Die Grünen Bundesvorstand
Sigrid Wolff, Pressesprecherin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. März 2012