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INTERVIEW/040: Pränataldiagnostik - zum Gebrauch und zur Unterdrückung ...    Erika Feyerabend im Gespräch (SB)


Gespräch am 16. Juni 2018 in Essen


"Designer-Babys? Zu Mythen, Metaphern und gesellschaftspolitischen Folgen des sogenannten 'Genome Editing'" lautete das Thema des Workshops, den Erika Feyerabend zur Jahrestagung des Netzwerkes gegen Selektion durch Pränataldiagnostik in Essen beisteuerte. Sie zeichnet als Journalistin für die Zeitschrift und Webseite BioSkop verantwortlich, die zu den wenigen Publikationen gehört, die sich ausführlich, sachkundig und vor allem kritisch mit biomedizinischen Innovationen und anderen Entwicklungen im Gesundheitswesen auseinandersetzen. Anschließend beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zum Thema der Tagung.


Im Workshop - Foto: © 2017 by Schattenblick

Erika Feyerabend
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Gibt es beim Einsatz reproduktionsmediziner Techniken deiner Ansicht nach noch andere Gründe oder Paradigmen als ökonomische, die dafür sorgen, daß sich diese Technologien immer weiter durchsetzen?

Erika Feyerabend (EF): Ich würde sagen, das Kontrollparadigma, das sich dann auch zu einem Kontrollbedürfnis auswächst, ist schon ein enormer Faktor. Das hat aus meiner Sicht spätestens Ende des 19. Jahrhunderts angefangen, als eine mit der Institutionalisierung von Gruppen einhergehende Verwissenschaftlichung den Aufbau von Kontrolle durch Beobachtung ermöglicht und sich dann zum Versuch der Verhaltenskontrolle verdichtet hat. Das hat sich meiner Meinung nach im 20. und 21. Jahrhundert nicht mehr nur auf die Verhaltenskontrolle hin orientiert, sondern auch auf die Biologie, um den Körper als solchen zu kontrollieren. Daran sind verschiedene Wissenschaften beteiligt. Jetzt, glaube ich, stehen wir an einer neuen Schwelle der Fusion von IT-Technologien und medizinischen wie Biowissenschaften und dementsprechend auch Unternehmen. Das wird Möglichkeiten der Kontrolle und Verhaltenskonditionierung eröffnen, die weit über das hinausgehen, was wir jetzt schon erleben.

SB: Sagt dir in diesem Kontext der Begriff des Patriarchats noch etwas oder hältst du das für eine überkommene Debatte?

EF: Der Zugriff auf den Frauenkörper liegt natürlich im Interesse des Projekts der kollektiven Menschenverbesserung, wo es nicht nur um das Individuum geht, das beobachtet wird und eines bestimmten Verhaltens oder einer bestimmten Korrektur bedarf. Über den Körper der Frauen kann im eugenischen Sinne eine Verbesserung ganzer Bevölkerungen gestaltet werden. Und das halte ich für ein patriarchalisches Projekt, wenn man Patriarchat als einen politischen Machtbegriff definiert und nicht in dem einfachen Sinne, was Männer wollen. Die ganzen reproduktiven Kontrollbeobachtungsprojekte, die wir haben, zielen auf die Verbesserung von Bevölkerungen und eben auch der nächsten Generation.

SB: Dieser Diskurs ist im wesentlichen auf westliche Metropolengesellschaften beschränkt, während die arabische bzw. islamische Welt davon weitgehend unberührt zu sein scheint. Siehst du so etwas wie einen Aufklärungsbedarf bezüglich biopolitischer bzw. Fragen der Biomedizin in religiös indoktrinierten Gesellschaften?

EF: Ja, wobei die alle nicht rein religiös konnotiert sind. Wenn das eine bestimmte Schicht betrifft, die Zugang zu medizinischen Systemen hat, werden Fragen oder Praktiken der Pränataldiagnostik in islamisch geprägten Ländern auf völlig unproblematische Weise behandelt. Gleiches gilt für die Reproduktionsmedizin im Sinne von Menschenproduktion. Das tut sich nichts. Natürlich wird das nicht in vergleichbarer Breite wie hier angeboten, wobei sich das auch immer wieder an der einen oder anderen Stelle als klassenbezogene Zugangberechtigung ausdifferenziert. In arabischen Ländern sind Pränataldiagnostik und IVF extrem angesagt.

Auch in Indien ist die Pränataldiagnostik insbesondere in der Geschlechterauswahl gar kein Problem. Dort sind es die Mittel- und Oberschichten, die diese Technologien in Anspruch nehmen, die hier in den Hochzeiten der Differenzierung zwischen sogenannter Erster und Dritter Welt entwickelt worden sind und sich natürlich auch globalisieren. Ich glaube, daß sich die Ausprägung von Bedürfnissen eher entlang von Klassen oder Schichten organisiert. Das ist auch hier so, wo die sehr verunsicherten Mittelschichten jede Versicherungstechnik, oder was als solches gedeutet werden kann, aufnehmen, um den sozialen Abstieg auch für ihre Kinder zu verhindern. Diejenigen, die sich nicht in diesen gesellschaftlichen Gefilden aufhalten, haben überhaupt keine so sehr auf die Zukunft orientierte Denkweise.

Ein Unterschied besteht darin, daß es nicht überall ein öffentlich ausgebautes Gesundheitswesen gibt, das für alle zugänglich ist. Aber eine kritische Debatte zur Pränataldiagnostik gibt es nur in ganz wenigen Ländern. Sie ist in deutschsprachigen Ländern, vor allem in Deutschland selbst, sehr ausgeprägt. Das sind - und das ist vielleicht auch eine positive Nachricht - die Nachwirkungen der Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen des Faschismus und der Eugenikprogramme. Hinzu kommt, daß die Nachkriegsgeschichte in Deutschland mehr bestimmt war von zivilgesellschaftlichen Bewegungen und weniger von angestammten Linken in kommunistischen oder sozialistischen Parteien, die die Frage der Reproduktion - also der weichen Themen, wie es früher hieß - gar nicht auf dem Programm hatten. Und dies hat den Diskurs nachhaltig mitgeprägt.

SB: Hältst du den Wunsch nach einem eigenen Kind für biologistisch? Warum nicht ein Kind adoptieren, wo es auf der Welt ohnehin genügend Kinder ohne Eltern gibt?

EF: Ob man das biologistisch nennen kann, weiß ich nicht. Es ist gespeist aus einer Erwartungshaltung an Frauen. Es gibt eine idealisierte Lebensform, und das ist die Familie mit Kindern, die auch immer mit gesellschaftlicher Anerkennung verbunden ist. Deswegen gilt sie als erstrebenswert. Daß Frauen oder Männer diesen Wunsch sozusagen naturbedingt haben, möchte ich bezweifeln. Diese Vorstellung ist auch nicht mit der Moderne gekommen, sondern Machtprozeduren, die an biologischer Abstammung und einem Abstammungsnachweis gehangen haben, gab es zum Beispiel schon im Feudalismus. Das läßt sich zwar nicht eins zu eins auf die nächste Generation übersetzen, weil Gesellschaft sich ändert und extrem dynamisch ist, aber es gibt immer Versatzstücke, die bleiben und an die Neues sozusagen andocken kann. Das wird ja auch von der Reproduktionsmedizin gemacht. Wir hatten heute im Vortrag über den Behindertenbegriff gesprochen, der an die religiöse Tradition andockt. Das haben wir selbst in den sogenannten rationalen Wissenschaften, wenn man von deren Selbstdarstellung ausgeht. Es ist bezeichnend, wie dort mit Metaphern, Sprachbildern und Mythen umgegangen wird, die christlich gespeist sind, wenngleich sie nicht so genannt werden, aber sie nehmen Rückgriff auf Schöpfung.

SB: Es wird schwierig sein, die Zulassung des Praenatestes als Kassenleistung zu verhindern. Muß ein politischer Kampf, für den AktivistInnen viel Mühe auf sich nehmen, notwendig von Erfolg gekrönt sein, oder geht es möglicherweise um die Position des Streites als solches?

EF: Um das letztere auch, denn wenn man sich nur am Erfolg orientieren würde, wäre das schon sehr frustrierend. Aber das ist, wie ich finde, auch ein Eiertanz. Auf der einen Seite gibt es politische Ereignisse, die Einflußmöglichkeiten in diesem Machtspiel auch für Initiativen und zivilgesellschaftliche Organisierungsformen zulassen. Auf der anderen Seite muß es auch immer diesen Unterschwung an Generalkritik im Sinne einer kulturkritisch und gesellschaftspolitisch grundsätzlichen Herangehensweise geben. Ich glaube, gute Initiativen erkennen Ereignisse, bei denen man bestimmte Kompromisse mit seinen Forderungen machen muß, um sich torpedierend in Abläufe einzuklinken, die gesellschaftlich gebaut und anerkannt sind, um diese Grundsatzkritiken aufrechterhalten zu können.

Gerade hinsichtlich der Pränataldiagnostik und des Reproduktionsbereiches kann ich nur sagen, daß es wirklich eine große Leistung der Frauen- und Behindertenbewegung sowie durchaus auch von Organisationen, die einem nicht so genehm sind, ist, dies geleistet zu haben. Daß dieses Thema immer noch beunruhigend ist, liegt wohl daran, daß Fragen gestellt werden, die in so einer hochindividualisierten Gesellschaft wie unserer gefährlich wirken, weil sie schnell als individualmoralisches Anliegen auf den einzelnen zurückfallen. Das finde ich, gelinde gesagt, nicht fair, aber daß es weiterhin ein Thema bleibt, ist in hohem Maße diesen Initiativen und Frauenverbänden, Hebammen und anderen Gruppen geschuldet. Ich finde es gut, daß das nicht verlorengeht.

SB: Erika, vielen Dank für das Gespräch.


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