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INTERVIEW/037: Pränataldiagnostik - Behinderung als Kampfbegriff ...    Martina Puschke im Gespräch (SB)


Gespräch am 16. Juni 2018 in Essen


Martina Puschke gehört zu den Gründerinnen des Vereines Weibernetz, der mit der Verknüpfung von Frauen- und Behindertenpolitik befaßt ist. Inhaltlich engagiert sie sich besonders in den Bereichen Antidiskriminierungspolitik, sexualisierte Gewalt gegen behinderte Frauen, geschlechtergerechte Teilhabemöglichkeiten und Öffentlichkeitsarbeit. Am Rande der Jahrestagung des Netzwerks gegen Selektion durch Pränataldiagnostik in Essen beantwortete sie dem Schattenblick einige Fragen zu ihrem Eintreten für die Interessen von Frauen mit Behinderung.


Im Gespräch - Foto: © 2018 by Schattenblick

Martina Puschkke
Foto: © 2018 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Martina, könntest du das Weibernetz e.V. einmal vorstellen?

Martina Puschke (MP): Das Weibernetz ist das Bundesnetzwerk von Frauen, Lesben und Mädchen mit Beeinträchtigung. Wir haben uns 1998 als politische Selbstvertretungsorganisation von Frauen mit Behinderung in ganz Deutschland gegründet.

SB: Du bist als bekennende Feministin auch auf geschlechterpolitischem Feld aktiv. Könnte die Kritik an binärer Geschlechtlichkeit nicht auch auf Behinderungen wie Nichtbehinderungen angewendet werden, zumal die Übergänge fließend sind? Wie weit geht bei euch das Interesse an der sogenannten Dekategorisierung?

MP: Uns ist es ganz grundsätzlich wichtig, insbesondere die mehrdimensionalen Diskriminierungen in den Blick zu nehmen, egal, aus welchen verschiedenen Gründen Menschen beeinträchtigt und behindert werden, sie auch zusammen zu sehen und Bündnisse mit den unterschiedlichsten Gruppierungen zu schließen. Uns geht es darum, zum einen zu identifizieren, wo die Problemlagen sind, und zum anderen nach Wegen zu suchen, wie wir sie politisch angehen und was wir dagegen tun können. Ich würde jetzt nicht so weit gehen, den Begriff der Behinderung völlig aufzulösen im Sinne dessen, daß es auf den Slogan hinausläuft, schließlich haben wir alle irgendwo eine Behinderung. Ich finde schon, daß die UN-Behindertenrechtskonvention eine gute Grundlage der Definition bietet, die auch einen sehr weiten Spielraum läßt für Beeinträchtigungen, die aus Schädigungen bzw. Umwelteinflüssen resultieren. Bei einer kompletten Auflösung hätte ich einfach Sorge, daß der Begriff Behinderung völlig weichgekocht wird und es dann heißt, letztendlich kann jeder eine Beeinträchtigung oder Behinderung haben, auch wenn dies subjektiv oder von der Diskriminierung aufgrund unterschiedlichster Merkmale her durchaus so sein kann.

SB: Hier wird über den Praenatest und biomedizinische Leistungen debattiert, die in der LGBTIQ-Community nicht nur abgelehnt werden. So nehmen beispielsweise Trans-Menschen und lesbische Frauen bestimmte Leistungen aus diesem Bereich gerne in Anspruch. Wie geht ihr damit um, daß einerseits die Segnungen medizinischer Technik begrüßt werden und andererseits die Probleme, die daraus zum Beispiel für Behinderte entstehen, nicht genügend berücksichtigt werden?

MP: Die Nutzung der Pränataldiagnostik oder anderer medizininnovativer Techniken ist nicht nur eine rein individuelle Entscheidung, sondern hat auch eine gesellschaftliche Dimension. Von daher sehen wir es grundsätzlich kritisch, wenn Menschen sich erhoffen, daß durch die Inanspruchnahme einer medizinischen Technik eine Behinderung verhindert werden kann. Wenn Menschen sagen, durch eine Eizellspende wird es mir aber ermöglicht, ein eigenes Kind zu haben, entgegnen wir, ja, dieser Wunsch nach einem genetisch eigenen Kind ist durchaus verständlich, aber wir finden es trotz alledem gesellschaftlich problematisch, die Eizellspende zuzulassen und positionieren uns dagegen.

In einer persönlichen Diskussion würden wir vertreten, daß es zwar den persönlichen Wunsch, aber kein Recht auf ein genetisch eigenes Kind gibt. Dennoch würden wir gemeinsam nach einer anderen Lösung suchen, wie diese Person trotzdem mit Kindern leben kann, und würden uns dafür einsetzen, daß alle die Möglichkeit und das Recht bekommen, Kinder zu adoptieren. Wir würden also eher nach gesellschaftlichen und politischen Lösungen suchen, aber nicht per se sagen, jede Technik, die möglich ist, muß auch allen zur Verfügung stehen, weil wir zugleich die gesellschaftlichen Konsequenzen sehen.

SB: Deine Mitstreiterin Brigitte Faber hat hinsichtlich des Bundesteilhabegesetzes darauf hingewiesen, daß zwar viele Interessengruppen im Vorfeld beteiligt wurden, dies aber weitgehend folgenlos für das letztlich verabschiedete Gesetzeswerk blieb. Derartige Beteiligungsstrukturen, die auch in anderen Politikfeldern üblich sind, werden aufgrund ihres Legitimations- und Einbindungseffektes auch als Formen der Widerspruchsregulation kritisiert. Könntest du etwas dazu sagen?

MP: Ganz konkret ging es bei der Erarbeitung des Bundesteilhabegesetzes zu Beginn des politischen Prozesses darum, eine sehr breite Beteiligung von gesellschaftlichen Gruppierungen wie diversester Behindertenverbände, Selbstvertretungsorganisationen, aber auch Arbeitgeber, Gewerkschaften, Bundestagsabgeordnete, die Länder und der Allgemeine Städtetag, die alle später etwas mit diesem Gesetz zu tun haben werden, zu ermöglichen. Es wurden unterschiedlichste Arbeitsgruppen gebildet, um zu diskutieren, was eigentlich in diesem Gesetz stehen sollte. Vor allen Dingen war zu diesem frühen Zeitpunkt maßgeblich, was sich Menschen mit Behinderungen nicht nur wünschen, sondern von einem wirklichen Bundesteilhabegesetz, das ja eigentlich einen Systemwechsel einleiten sollte, erwarten.

Nachdem alle Gruppen in einem 18monatigen Prozeß angehört wurden, der sehr viel Zeit und Kraft gekostet hatte, wurde ein Cut gemacht und ein Gesetzentwurf erarbeitet und zur Beschlußfassung vorgelegt. Mit diesem Gesetzesentwurf wurde jedoch keiner der Erwartungen, die vorher geäußert wurden, entsprochen. Vielmehr wurde deutlich, daß das Bundesteilhabegesetz im Bereich der Fürsorge und der Sozialhilfelogik systemimmanent blieb und sich von daher im Grunde nichts ändert. Ein Kollege hat dafür den Begriff der "Beteiligungsfolklore" geprägt. Wir wurden beteiligt, das stimmt. Es wurde wirklich unendlich viel geredet, aber letztendlich eine andere Politik gemacht. Wir hätten uns den ganzen Weg sparen und statt dessen versuchen können, anders Politik zu betreiben. So gesehen wäre es uns lieber gewesen, wir bekommen irgendwann den Entwurf und können dann Stellung dazu nehmen.

SB: Macht es überhaupt Sinn, gegen die Zulassung des Praenatests anzukämpfen, wenn so viel dafür spricht, daß es vergeblich sein könnte?

MP: Doch, ansonsten könnten wir unsere Arbeit nach 20 Jahren auch einstellen. Natürlich wissen wir, daß wir nicht auf voller Linie gewinnen werden, aber wir möchten uns auf jeden Fall querstellen und damit unterstreichen, daß es aus unserer Sicht so nicht geht. Wenn diese Stimmen fehlen, hätten wir auch keine Demokratie mehr. Demokratie heißt, die unterschiedlichsten Stimmen zu hören, und dieser Ort hier ist einer, wo die Stimmen gebündelt werden und man wieder ein Stück Kraft schöpfen kann. Eigentlich wissen wir, daß wir gegen diese Windmühlen nicht wirklich ankämpfen können, aber es tut gut, zu sehen, daß es viele andere gibt, die so denken wie wir, um nicht als einzelner Mensch, sondern mit vielen anderen dafür zu mobilisieren, noch einmal an das Thema heranzugehen und zu überlegen, was wir noch machen können. Und wenn nur ein gemeinsames Positionspapier dabei herauskommt, dagegen quergestanden zu haben, ist gut und richtig und wichtig.

SB: Martina, vielen Dank für das Gespräch.


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