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BERICHT/015: Berufsstand und Beteiligung - Zwänge, Schwächen, Delinquenzen (SB)


Im Namen des Krieges - Selektion traumatisierter Soldaten

Workshop am 7./8. Februar 2014 in Hamburg-Alsterdorf und Neuengamme


Tafel mit eingravierter Schrift 'GEDENKSTÄTTE NEUENGAMME' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Steintafel des Internationalen Mahnmals der KZ-Gedenkstätte Neuengamme mit Namen der Außenlager
Foto: © 2014 by Schattenblick

Zwischen 1914 und 1918 wurden insgesamt 613.047 deutsche Soldaten aufgrund von "Nervenkrankheiten" behandelt. Die grauenhaften Eindrücke von der Front ließen sie nicht mehr los. Der Leiter der Tübinger Psychiatrie, Robert Gaupp, war einer der führenden Kriegspsychiater. Er bezeichnete die Kriegsneurotiker als "wertlose Parasiten der menschlichen Gesellschaft, [...] sich und anderen zur Last!" Dementsprechend brutal war ihre Behandlung mit Elektroschocks, Hungerkuren oder Zwangsexerzieren. Ziel der Heerespsychiatrie war es, die traumatisierten Soldaten möglichst rasch wieder zum Arbeitseinsatz zu befähigen und somit die Zahl der aus psychischen Gründen Rentenberechtigten möglichst niedrig zu halten. Daher tendierten die Gutachter auch dazu, psychische Erkrankungen infolge des Krieges nicht anzuerkennen, sondern statt dessen angeborene seelische Leiden dafür verantwortlich zu machen. [1]

Nach dem Ersten Weltkrieg wurden zahlreiche traumatisierte Soldaten in psychiatrischen Anstalten weggesperrt, etwa 5000 Kriegsveteranen im Rahmen der "Aktion T4" ermordet. Im Zweiten Weltkrieg war die Zahl deutscher Soldaten, die unter Kriegsneurosen litten, wesentlich höher als zumeist dargestellt. Historiker, die sich eingehend mit diesem Thema befaßt haben, gehen von weit über 100.000 Betroffenen aus, womit deren Anzahl die der Deserteure übersteigen dürfte.

Wollte man derartige Leiden zumindest für deutsche Soldaten fortan aus der Welt schaffen, reichte es aus, auf Kriegseinsätze der Bundeswehr in anderen Ländern zu verzichten. Da die hiesige Interessenverflechtung aus Staatsräson und Kapitalverwertung jedoch eine Expansion auch mit militärischen Mitteln diktiert, kehrt das alte Elend traumatisierter Soldaten in neuem Gewand zurück. Weithin ausgeblendet bleiben in diesem Zusammenhang die zahllosen Opfer westlicher Intervention und Okkupation an diversen Kriegsschauplätzen, so daß die zur Schau getragene Sorge um das Wohlergehen von Angehörigen der Bundeswehr nicht zuletzt einer Rechtfertigung und Aufwertung der Militarisierung deutscher Außenpolitik geschuldet ist.

Um die Frage zu klären, in welchem Ausmaß Soldaten der Bundeswehr traumatisiert von Auslandseinsätzen zurückkehren, gab der Bundestag 2009 eine sogenannte Dunkelzifferstudie in Auftrag, die am Institut für Klinische Psychologie und Psychotherapie der Technischen Universität Dresden unter Leitung von Professor Dr. Hans-Ulrich Wittchen durchgeführt wurde. [2] Ergebnisse einer Querschnittstudie mit Afghanistan-Veteranen lagen 2011 vor, woran sich eine Längsschnittstudie anschloß, bei der Soldaten unmittelbar vor und durchschnittlich 12 Monate nach Einsatzrückkehr in ähnlicher Weise untersucht worden waren.

Eine wesentliche Aussage der im November 2013 vorgestellten zweiten Studie stufte die Häufigkeit einsatzbezogener Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) mit 1 bis 3 Prozent deutlich unter dem erwarteten Ausmaß und erheblich niedriger als bei US-amerikanischen Soldaten ein, die im Irak oder in Afghanistan im Einsatz waren. Wesentlich unterschätzt habe man zuvor jedoch das Risiko anderer Folgen wie Angststörungen oder Alkoholabhängigkeit.

Einsatzbezogene psychische Störungen würden nicht hinreichend frühzeitig erkannt, selten diagnostiziert und noch seltener behandelt. Dies gelte sowohl für die Inanspruchnahme bundeswehrinterner als auch ziviler Dienste. Die Dunkelziffer für PTBS und andere psychische Erkrankungen könne auf etwa 50 Prozent geschätzt werden.

Als eine zentrale Erkenntnis der Studie wurde der herausragende Stellenwert psychischer Vorerkrankungen genannt. Diese erwiesen sich als stärkster Prädiktor für einsatzbedingte Folgeerkrankungen. Mit dieser Kernaussage, die prompt im Fokus des Medienechos stand, hatten die Forscher den entscheidenden Beitrag zur Umetikettierung geleistet: Nicht der Einsatz als solcher, sondern eine bereits zuvor bestehende psychische Störung sei das wesentliche Problem.

So erwies sich das Fazit, daß man eben keine vorgeschädigten Soldaten in den Einsatz schicken dürfe, als vermeintlicher Königsweg zum weiteren Umgang mit den hiesigen Opfern des angeblich humanitären Krieges. Da betroffene Soldaten neben einer Stigmatisierung insbesondere gravierende Karrierenachteile bis hin zum Verlust des Lebensunterhalts fürchten müssen, sofern sie ihr Leiden offenbaren, empfehlen die Forscher neben einem tiefgreifenden Screening vor dem Einsatz eine vertrauliche Beratung und therapeutische Schritte, die nicht aktenkundig werden dürften.

An diesem Punkt reichen sich Sozialwissenschaftler und Bundeswehr endgültig die Hand, hält man doch gemeinsam fest, daß bereits ein guter Weg eingeschlagen sei, auf dem es freilich noch viel zu verbessern gebe. Mag der psychiatrische Blick auf die traumatisierten Soldaten der beiden Weltkriege wie die Ausgeburt eines Schreckenskabinetts anmuten, so bleibt das Grundmuster der Verschleierung und Bezichtigung doch bis heute dasselbe: Nicht das Grauen des Krieges gilt es aus dem Feld zu schlagen, vielmehr gebietet dessen Fortsetzung, das für zu schwach befundene Soldatenmaterial zu selektieren, ehe es die Truppe belasten, wenn nicht gar die Mehrheitsgesellschaft mit dem Keim der Kriegsmüdigkeit infizieren kann.

Folie des Referenten Roman Behrens mit Titel des Vortrags - Foto: 2014 by Schattenblick

Foto: 2014 by Schattenblick

Vom Wahnsinn des Krieges in die Mordmaschinerie der Militärpsychiatrie

Der Historiker Roman Behrens ist am Institut für Geschichte der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Verfolgung und Ermordung von Juden, die Militärmedizin des Zweiten Weltkriegs und die nationalsozialistische Militärpsychiatrie in der Kriegsmarine.

Im Rahmen des Workshops "Euthanasie - Die Morde an Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen im Nationalsozialismus", dessen zweiter Tag am 8. Februar 2014 in der KZ-Gedenkstätte Neuengamme stattfand, hielt Behrens einen Vortrag zum Thema "Vernichtung lebensunwerten Lebens? Die nationalsozialistische Militärpsychiatrie in der deutschen Kriegsmarine", in dem er die Ergebnisse seiner Masterarbeit vorstellte.

Wie der Referent ausführte, prägten die Ideale des Soldatentums im NS-Staat auch die militärmedizinische und -psychiatrische Denkweise. Eine Gesellschaft in Uniform, in der neben den Soldaten auch die Angehörigen der SA und SS, des Reichsarbeitsdienstes und der Hitlerjugend uniformiert auftraten, räumte dem Militär eine zentrale Rolle ein, während die Bevölkerung mit Propaganda, Paraden und Demonstrationen kriegerischer Spitzentechnik weithin eingebunden wurde.

Das Bild des Soldaten, der wie eine deutsche Eiche selbst im Sturm standhaft bleibt, etablierte im Zuge der militärischen Erfolge ab 1939 rasch das Klischee eines loyalen, robusten und nicht zurückweichenden Kriegers in der öffentlichen Wahrnehmung. Ihn konnte aus dieser Sicht nichts in die Knie zwingen, erst recht keine Krankheit. Nach militärischer Idealvorstellung hatte ein Soldat tapfer zu kämpfen sowie geduldig alle Strapazen auf sich zu nehmen. Hingegen liege es nicht in der Art des soldatischen Mannes, sich wegen mäßiger und unbestimmter Beschwerden krankzumelden, so die vorherrschende Auffassung. Soldaten, die sich nur leicht verwundet oder gar mit nicht sichtbaren seelischen Verletzungen im Lazarett meldeten, wurden oft als schwach und unsoldatisch diffamiert. Gleichzeitig lastete wie schon im Ersten Weltkrieg der Verdacht der Minderwertigkeit auf ihnen, da sie psychische Schwächen offenbarten und sich so dem Kampf gegen den Feind entzogen.

"Verweichlichten, überempfindlichen und einsatzschwachen Menschen muß ein besonders strenger Maßstab an die Bewertung der Beschwerden durch die begutachtenden Ärzte gelegt werden", so die klare Forderung der damaligen militärärztlichen Führung. Die Ärzte im Lazarett galten somit als verlängerter Arm der medizinischen Führung, wenn es etwa darum ging, mutmaßliche Simulanten zu entlarven. Oberstes Ziel blieb die Kampfkraft der Truppe, während die Gesundheit des einzelnen Soldaten im Verlauf des Krieges immer mehr dem militärischen Primat wich. Geprägt durch die Niederlage von 1918 und die unzähligen Ausfälle in der damaligen Truppe gab die Militärführung des NS-Staats einen rigorosen Umgang mit vermeintlichen Drückebergern als Parole aus.

Angereichert durch rassenhygienische Ideologien und das sogenannte Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses wurde in Deutschland die Grundlage für den Umgang mit Behinderten und psychisch Kranken gelegt, die man schließlich im Rahmen der "Aktion T4" ermordete. Auch in Heer und Luftwaffe fanden viele vermeintlich psychisch Kranke den Tod oder wurden sterilisiert. Relativ wenig erforscht ist bislang die Situation in der deutschen Kriegsmarine, der Behrens seine besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat.

Zur sanitätsdienstlichen Versorgung der von 1939 bis 1945 dienenden fast 1,2 Millionen Marinesoldaten wurden an Nord- und Ostsee circa 34 Lazarette eingerichtet. In Wilhelmshaven, dem als größten Stützpunkt mit Anbindung an die Nordsee und den Atlantik eine enorme strategische Bedeutung zukam, existierte bereits relativ früh eines der wichtigsten Marinelazarette, das 1941 in das neuerrichtete Marinekrankenhaus im wenige Kilometer vor der Stadt gelegenen Sanderbusch eingegliedert wurde. Beide Krankenhäuser besaßen eine Station für Nervenkranke, in der Soldaten wie der Marineobergefreite Friedrich Dorhusen behandelt wurden. Unter diesem Pseudonym stellte der Referent die Fallgeschichte eines von vier Soldaten dar, die er für seine Forschungsarbeit unter den 25 noch vorhandenen Akten aus den Beständen der Heil- und Pflegeanstalt in Wehnen ausgewählt hatte.

Die Soldaten der deutschen Kriegsmarine waren aufgrund der Gefechtssituationen oder des Verlusts von Kameraden mannigfachen Belastungen ausgesetzt. Die ständige Bedrohung generierte eine fast allgegenwärtige Angst und Verzweiflung, die dazu führte, daß viele Soldaten mit dem permanenten Druck nicht mehr zurechtkamen. Als Folge dessen zeigten sich bereits in den ersten Kriegsjahren Anzeichen psychischer Reaktionen, die von den Vorgesetzten an Land oder zur See besorgt zur Kenntnis genommen wurden.

Im Vortrag am Stehpult - Foto: © 2014 by Schattenblick

Roman Behrens
Foto: © 2014 by Schattenblick

Friedrich Dorhusen wurde als Marinesoldat im Januar 1942 in Finnland am Bein verwundet und ins nächstgelegene Lazarett gebracht. Nachdem seine Wunde im März abgeheilt war, stellten sich bei ihm gemäß des Krankenblattauszugs Symptome einer psychischen Reaktion ein. Er wurde zur weiteren Beobachtung in ein Lazarett nach Oslo verlegt, wo er Ende März einen ersten Suizidversuch unternahm. Da er angab, der Scharfrichter habe ihn dazu beauftragt, verlegte man ihn in die psychiatrische Abteilung des Marinelazaretts Wilhelmshaven. Dort attestierte man ihm Symptome von Verfolgungswahn.

Nach einem Monat stellte sich offenbar eine gewisse Besserung ein, worauf ihn seine Frau und zwei Wochen später seine Mutter besuchte. Letztere erzählte ihm jedoch, daß sich seine Frau mit anderen Männern einlasse, worauf sich Dorhusen erneut umzubringen versuchte, verwirrt wirkte und sediert werden mußte. Nach einem weiteren Suizidversuch wurde er Anfang Juni in eine geschlossene Station der Heil- und Pflegeanstalt in Wehnen verlegt, wo er vier Monate blieb. Die Einträge in seiner Patientenakte schildern ihn als abweisend und sehr aggressiv. Er werde von "krankhaften Wahnideen" heimgesucht und rufe unter anderem: "Was wollt ihr Hunde mit mir machen? Ich schlage euch hier alles kaputt!" Oder auch: "Vergiftet mich oder erschießt mich doch endlich!"

Sechs Tage später findet sich der letzte Akteneintrag, dem zufolge Friedrich Dorhusen zweifelsfrei an Schizophrenie leide und in die Anstalt Eitelborn in Westfalen überführt worden sei. Dabei handelte es sich um eine sogenannte Zwischenanstalt des Euthanasieprogramms, wodurch man verhinderte, daß die Standorte der eigentlichen Mordstätten bekannt wurden. In Eitelborn behandelte Soldatenpatienten wurden in vielen Fällen nach Hadamar transportiert, wo man sie umbrachte. In den Zeitraum zwischen 1941 und 1943 fallen über 900 Verlegungen von Eitelborn in Tötungsanstalten, wobei nicht mehr exakt ermittelt werden kann, wieviele Patienten dem Tod durch Gas oder Hunger entgangen sind. Im Fall Friedrich Dorhusen konnte erstmals belegt werden, daß auch Soldaten der Kriegsmarine in das System der sogenannten wilden Euthanasie gerieten und getötet wurden.

Zu der in Wehnen gestellten Diagnose Schizophrenie kam als weitere Begründung der Überweisung eine angebliche erbpathologische Belastung der Familie. Nach Angaben Dorhusens soll seine Schwester ebenfalls in einer Pflegeanstalt gewesen und dort sterilisiert worden sein. Andererseits wird in der Akte die Aussage seiner Ehefrau zitiert, sie habe mit ihrem Mann zwei gesunde Kinder, wie auch in der beiderseitigen Verwandtschaft keinerlei Anzeichen einer erblichen Belastung vorlägen. Man bewertete also die Angaben des Patienten, der sich damit selbst belastete, höher als die Aussage der Ehefrau, um die Überstellung nach Eitelborn zu begründen.

Friedrich Dorhusen war aus Sicht der Mediziner ein unkontrollierbarer und gewalttätiger Patient, den eine Geisteskrankheit sowie daraus resultierende private Probleme charakterisierten und der deshalb die Berechtigung weiterzuleben verloren hatte. So verdichtet sich das Bild einer Ärzteschaft, die nur zu gern bereit war, vermeintlich belastete Patienten in das System des Krankenmordes zu überführen. Anhand dieses Falls wird auch die damalige Zusammenarbeit zwischen Militär- und Zivilpsychiatrie deutlich. Dorhusen gehörte aus Sicht der Anstaltsleitung zu jenen Patienten, bei denen eine erfolgreiche Behandlung aussichtslos erschien, weshalb man die Verlegung in eine Zwischenanstalt des Euthanasieprogramms befürwortete.

Behrens stieß in allen vier untersuchten Fällen auf eine Begutachtung durch den Marineoberstabsarzt und ehemaligen Direktor von Hadamar, Peter Masorsky. Dieser spielte als überzeugter Anhänger der Rassenhygiene und ausführender Arzt im zivilen Erbgesundheitsverfahren eine wichtige Rolle und wurde nun als medizinischer Leiter der Abteilung für Nerven- und Geisteskrankheiten bei der Kriegsmarine eingesetzt. Dies läßt darauf schließen, daß auch dort der Sterilisierung sogenannter lebensunwerter Soldaten oder ihrer Überführung in Vernichtungsanstalten große Bedeutung beigemessen wurde.

Sobald die Überweisung ausgestellt war und sich der Patient in Behandlung befand, wurde parallel dazu die Entlassung wegen Wehrunwürdigkeit beantragt, um sie möglichst zeitnah durchzuführen. Soldaten, die aufgrund ihrer psychischen Reaktionen auffielen, waren somit zweierlei Gefahren ausgesetzt: Die stationäre Behandlung ging mit einer Entlassung aus dem Wehrdienst nebst Verlust elementarer Privilegien einher und überdies drohte ihnen die Überantwortung an das Krankenmordsystem.

Weitere deutliche Hinweise liefert der Marineoberstabsarzt Ernst Kleve, der ebenfalls im Lazarett Wilhelmshaven tätig war. Er stellt fest, daß die leitenden Ärzte der Nervenabteilung der Lazarette berechtigt seien, Anträge auf Unfruchtbarmachung bei den Erbgesundheitsgerichten zu stellen. Daß er von diesem Recht auch Gebrauch machte, beweist er mit der folgenden Erklärung: "In nicht ganz drei Monaten wurden der Nervenabteilung des Marinelazaretts Wilhelmshaven neun Soldaten zugeführt, deren Unfruchtbarmachung wegen Schwachsinn bei den zuständigen Erbgesundheitsgerichten beantragt werden mußte."

Somit sei der Nachweis erbracht, daß auch Ärzte der Kriegsmarine aktiv an der Auswahl und Meldung vermeintlich erbbelasteter Soldaten beteiligt waren und entsprechende Anzeigen auch eifrig betrieben wurden. Der Sanitätsdienst der Kriegsmarine war in das System des Krankenmords und der Sterilisierung im NS-Staat involviert. Daher könne man die Legende von der "sauberen" Kriegsmarine mit Fakten entkräften, die dazu beitragen, den familiären Nimbus dieser Teilstreitkraft zu entglorifizieren, so der Referent.

Behrens, selbst vier Jahre im Sanitätsdienst der Bundesmarine, führte mit mehreren ihrer ehemaligen Soldaten Interviews zu dieser Problematik. Dabei machte er die Erfahrung, daß einige seiner Gesprächspartner seiner Forschungsarbeit ablehnend gegenüberstanden. Sie hätten seine Ergebnisse und Schlußfolgerungen sehr kritisch bewertet, während sich Zivilisten durchweg aufgeschlossen und interessiert zeigten.

Lagergebäude hinter Markierungen für Häftlingsbaracken und Eingang zum Studienzentrum - Fotos: © 2014 by Schattenblick Lagergebäude hinter Markierungen für Häftlingsbaracken und Eingang zum Studienzentrum - Fotos: © 2014 by Schattenblick

Veranstaltungsort im Studienzentrum der KZ-Gedenkstätte Neuengamme
Fotos: © 2014 by Schattenblick

Kaum ein Soldat kommt ungeschoren davon

Ohne die Hierarchie von Tätern und Opfern zu leugnen, läßt sich doch festhalten, daß auch der überlebende Soldat kaum ungeschoren davonkommt. Seine Verstrickung in die Greuel des Krieges nötigt ihm eine Wesensänderung ab, die sich nach seiner Rückkehr aus dem Kampfeinsatz in den Status des Zivilisten als mehr oder minder inkompatibel mit den eigenen früheren Wertsetzungen und denen seines Umfelds erweisen kann. Was in der westlichen Welt erstmals im Zuge des Vietnamkriegs in aller Deutlichkeit wahrgenommen wurde, als die heimkehrenden Veteranen mit ihren massiven Störungen in Konflikt mit den Normen und Anforderungen der US-Gesellschaft gerieten, setzt sich bei den Waffengängen der Gegenwart fort.

Da die Ratio der militärischen Intervention auf die uneingeschränkte Professionalität und Funktionstüchtigkeit der Truppe setzt, ist zwischen militaristischem Pathos und Effizienz des Kriegshandwerks kein Platz für eine Menschlichkeit, die dem Soldaten in die Quere kommen und ihm nachhaltig aufs Gemüt schlagen könnte. Wo er auf diesen Zwang dennoch mit offenkundiger Schwäche reagiert, droht ihm die Ausmusterung in einen Status, dessen Spektrum bei einer anerkannten Krankheit beginnt, doch nicht vor der Delinquenz endet.


Fußnoten:

[1] http://www.swr.de/swr2/stolpersteine/themen/veteranen-erster-weltkrieg/-/id=12117604/did=12497166/nid=12117604/1m2tx5q/index.html

[2] http://tu-dresden.de/aktuelles/newsarchiv/2013/11/dzs_ptbs


Bisherige Beiträge zum Workshop "Euthanasie - Die Morde an Menschen mit Behinderungen oder psychischen Erkrankungen im Nationalsozialismus" im Schattenblick unter
www.schattenblick.de → INFOPOOL → PANNWITZBLICK → REPORT:

BERICHT/008: Berufsstand und Beteiligung - Die im Schatten sieht man nicht ... (SB)
BERICHT/010: Berufsstand und Beteiligung - Alte Schuld runderneuert (SB)
BERICHT/011: Berufsstand und Beteiligung - Erprobt, verbessert, Massenmord (SB)
BERICHT/012: Berufsstand und Beteiligung - Nonkonform und asozial, Teil der Vernichtungswahl (1) (SB)
BERICHT/013: Berufsstand und Beteiligung - Nonkonform und asozial, Teil der Vernichtungswahl (2) (SB)
INTERVIEW/015: Berufsstand und Beteiligung - Spuren der Täuschung, Christl Wickert im Gespräch (SB)
INTERVIEW/016: Berufsstand und Beteiligung - Archive, Forschung und Verluste, Harald Jenner im Gespräch (SB)
INTERVIEW/017: Berufsstand und Beteiligung - Deutungsvielfalt großgeschrieben, Michael Wunder im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/019: Berufsstand und Beteiligung - Vernichtungslogik, Krieg und Euthanasie, Friedrich Leidinger im Gespräch (SB)

7. Mai 2014