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VERBAND/721: 15 Jahre Urlaub & Pflege (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2015

15 Jahre Urlaub & Pflege
Ein Verein geht mit hilfs- & pflegebedürftigen Menschen auf Reisen

Von Susanne Hanowell


Mit 1:1 Betreuung, Abholservice innerhalb NRWs von zu Hause und einer Fachpflege rund um die Uhr macht der gemeinnützige Reiseveranstalter "Urlaub & Pflege" eine Auszeit für Menschen mit Hilfs- und Pflegebedarf bis zur Pflegestufe 3 möglich. Vor nunmehr 15 Jahren fanden die ersten vier Reisen mit insgesamt 17 Gästen nach Stade statt. Mittlerweile begleitet der Verein ca. 125 Gäste pro Jahr zu unterschiedlichsten Reisezielen im In- und Ausland. Mit seinen Erholungs- und Erlebnisreisen, den speziellen Reisen für Demenzkranke und seinem Individualreiseangebot stellt sich der Verein, der seinen Hauptsitz im nordrheinwestfälischen Telgte bei Münster hat, auf die verschiedenen Bedürfnisse seiner Gäste ein. Möglich machen dieses Angebot die ca. 40 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zwischen 2 und 5 Reisen pro Jahr begleiten und hier die Pflege und Betreuung eines Gastes übernehmen.


Persönliche Erfahrung prägte die Initiatorin

"Ich habe den Verein Urlaub & Pflege im Jahr 1999 mitgegründet. Seither bin ich als Geschäftsführerin zuständig für die Planung und Organisation der Reisen. Diese Aufgaben erfülle ich gemeinsam mit meinen beiden Kolleginnen Therese Woltemade (Krankenschwester) und Josefine Wiggermann (Krankenschwester und Physiotherapeutin)", erzählt die 49-jährige Dipl.-Sozialpädagogin und Dipl.-Gerontologin Susanne Hanowell. Auslöser für die Gründung war eine sehr beeindruckende und intensive Reiseerfahrung mit BewohnerInnen eines Altenpflegeheims während ihres Anerkennungsjahres als Sozialpädagogin. "Diese Reise nach Spiekeroog im Jahr 1994 ließ in mir die Idee wachsen, ein buchbares Reiseangebot für Menschen mit Hilfs- und Pflegebedarf zu schaffen. Es sollte nicht länger vom Engagement und den Kapazitäten von Pflegekräften und Sozialpädagogen abhängen, ob eine Reise zustande kommt oder nicht. Jede und jeder sollte die Möglichkeit haben, einen Urlaub nach seinen individuellen Wünschen zu erleben."


Ehrenamtliche MitarbeiterInnen sind unverzichtbar

Ohne die MitarbeiterInnen, die ehrenamtlich mehrmals im Jahr die Begleitung und Pflege auf den verschiedenen Reisen übernehmen, gäbe es das Angebot des Vereins nicht, da ist sich Susanne Hanowell sicher. Die Männer und Frauen zwischen 20 und 75 Jahren kommen aus allen Berufsgruppen und sind genauso verschieden wie ihre persönliche Motivation, sich für Hilfs- und pflegebedürftige Menschen zu engagieren. Bei einigen ist es die Notwendigkeit eines Praktikums für ihre Berufsausbildung, andere möchten sich in einem überschaubaren Rahmen sozial engagieren und wieder andere fühlen sich zu fit, um ihr Rentnerleben tatenlos zu verbringen. "Zu unseren ReisebegleiterInnen zählen neben ausgebildeten Pflegekräften auch Schlosser, Lehrer, Gärtner, Steuerberater, Verkäufer, Pädagogen oder Verwaltungsangestellte. Wir sind ein extrem interdisziplinäres Team", lacht Josefine Wiggermann. "Dies ist aber auch unsere ganz große Stärke. Denn auf den Reisen geht es ja nicht ausschließlich um Pflege, sondern von Stadtführung bis Liederabend, von Fahrzeugwartung bis Rollstuhl reparieren sind viele Fähigkeiten gefragt", erläutert die Reiseleiterin, die seit 2010 Reisen begleitet und pflegefachlich betreut.

Alle ReisebegleiterInnen erhalten vor ihrem ersten Einsatz eine mehrtägige Schulung. Die richtige Einarbeitung findet aber auf den ersten Reisen statt. Erst der Umgang mit den Gästen und die Reiseerfahrung bringen Routine und Professionalität. Daher fahren auf jeder Reise überwiegend erfahrene HelferInnen mit, die die "Neuen" unterstützen. "Unsere examinierten Pflegekräfte sind immer anwesend und ansprechbar, wenn es Fragen gibt", erläutert Susanne Hanowell das Ausbildungskonzept von Urlaub & Pflege.


Besondere Erlebnisse auf Reisen

Die Reisetage sind für alle Beteiligten erlebnisreich, aber auch anstrengend. Den ganzen Tag werden die Gäste umsorgt, da stehen die Bedürfnisse der Betreuer meist hintenan. "Als 'Belohnung' passieren auf jeder Reise Highlights, die einen für die Mühen mehr als entschädigen", weiß Susanne Hanowell. Ein Erlebnis ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben. "Während einer Gruppenreise nach Borkum stellten sich die Gäste vor, wie schön es wäre, einen Rundflug um die Insel machen zu können. Die Fluggesellschaft zeigte sich sehr kooperativ. Ein größeres Flugzeug wurde bestellt, eine Sitzreihe ausgebaut, sodass wir die Gäste mit vereinten Kräften ins Flugzeug heben konnten. Vier Gäste wagten das Abenteuer, darunter zwei Landwirtinnen (88 und 92 Jahre alt), die noch nie geflogen waren. Beide kamen aus dem Staunen nicht mehr raus, als sie die Welt von oben sahen und waren völlig glücklich und begeistert. Nach der Landung sagte die eine: 'Wir waren im Himmel und sind nochmal wieder zurückgekommen.' Solche Erlebnisse geben einem das Gefühl, etwas sehr Sinnvolles zu tun, das ist ungeheuer befriedigend und erfüllend."


Die Finanzierung der Reisen

Obwohl die ReisebegleiterInnen ehrenamtlich gegen eine kleine Aufwandspauschale mitreisen, müssen ihre Reisekosten mit in den Reisepreis eingerechnet werden. Auch die aufwendige Vorbereitung der Reisen verursacht Kosten. Glücklicherweise gibt es Fördergelder von der Aktion Mensch, die einen Teil der Mehrkosten abfangen, aber trotzdem sind die Reisen deutlich teurer als Reisen ohne Pflege und Begleitung. Die pflegebedingten Kosten können in vielen Fällen mit den Pflegekassen über Verhinderungspflege, Betreuungsleistungen und Sachleistungen abgerechnet werden. Bei der Reiseanmeldung wird im Einzelfall geprüft, welche Leistungen mit der Kasse abrechenbar sind und es wird bei der Antragstellung unterstützt. "Wenn es trotzdem eng wird, gibt es zudem noch einen Förderverein, der Zuschüsse zahlt. So ist es uns in der Regel möglich, die Mehrkosten für einen Urlaub mit Pflege abzufangen", so Susanne Hanowell.

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15 Jahre Urlaub & Pflege - 15 Jahre Reisen für Menschen mit Hilfs- und Pflegebedarf

15 Jahre Engagement für Barrierefreiheit - 15 Jahre Erfahrung - sind Anlass für etwas Besonderes: Unter diesem Motto steht das Jubiläum des Vereins, das am
Samstag, den 18. April von 10:00-14:00 Uhr auf dem Marktplatz in Telgte
mit einer Informationsbörse zum Thema Barrierefreiheit und Reisen gefeiert wird.

Neben verschiedenen Reiseveranstaltern, die über ihre Angebote für Jung bis Alt informieren, gibt es die Aktionsfläche und das vielseitige Bühnenprogramm. Auf der Aktionsfläche können die BesucherInnen mit einem Alterssimulationsanzug, mit Simulationsbrillen, mit einem Demenzparcours und mit dem Rollstuhl ausprobieren, wie es sich anfühlen könnte, mit einer bestimmten Einschränkung zu leben. Damit möchten wir vor allem die Barrieren im Kopf abbauen und Verständnis und Hilfsbereitschaft fördern. Mit einem Frühlingsliederrudelsingen, der Tanzgruppe Funky, mit Butler Konrad und einem Kinderprogramm kommen auch Spaß und Unterhaltung nicht zu kurz. Ob Uroma, Opa oder Enkelkind, für jede und jeden wird etwa dabei sein.


Susanne hanowell

www.urlaub-und-pflege.de
Tel: 02504 - 73 96 043

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Quelle:
Selbsthilfe 1/2015, S. 16 - 17
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren
Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Telefon: 0211/3 10 06-0, Fax: 0211/3 10 06-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2015

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