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TAGUNG/253: "Behinderte Menschen in den Medien" (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2009

Rührseligkeit schafft kein Verständnis
Behinderte Menschen in den Medien

Von Geesken Wörmann


"Behinderte Menschen in den Medien" war der Titel einer Fachtagung, zu der das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW und der Landesbehindertenrat NRW nach Köln eingeladen hatten.


Auftrag der Medien - insbesondere er rechtlich-öffentlichen - ist es, gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur zu beschreiben, abzubilden und zu reflektieren, sondern darüber hinaus die öffentliche Diskussion über relevante Themen anzustoßen und sie auch gezielt zu fördern. Das Programm hat der Information, Bildung und Unterhaltung zu dienen und Beiträge zur Kultur, Kunst und Beratung anzubieten.

Sie werden mir sicherlich Recht geben, wenn ich sage: Was in den Medien nicht vorkommt, hat in der Gesellschaft sehr wenig öffentliche Resonanz.

Deshalb ist es den Menschen mit Behinderungen und ihren Verbänden wichtig, und es ist notwendig, dass sie und ihre Themen in den Medien vorkommen, nicht sensationsorientiert, voyeuristisch, reißerisch, mitleiderregend, - sondern realistisch in der Darstellung, normal eben und mit dem Ziel gleichberechtigter Teilhabe, der Integration - besser gesagt der Inklusion. Behinderte Menschen wollen so beteiligt sein wie Menschen ohne Behinderung, sie wollen von Anfang an selbstverständlich dabei sein in der Nachbarschaft, im Kindergarten, in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Freizeit, sie wollen mittendrin sein und bleiben. Und genau das gilt es zu vermitteln! [...]

Die Rechtskonvention der Vereinten Nationen formuliert deutlich das Ziel umfassender Barrierefreiheit in den Medien. Trotzdem wird im gerade verabschiedeten Rundfunkänderungs-Staatsvertrag die Untertitelung, die Übersetzung in Gebärdensprache und die Audiodeskription der Rundfunkangebote - sowohl der öffentlich-rechtlichen als auch der privaten - generell unter Finanzierungsvorbehalt gestellt. Das ist vollkommen unverständlich und legt den Verdacht nahe, dass die Verantwortlichen in Politik und Medien die Forderungen behinderter Menschen unterschätzen, ihnen nicht genug Gewicht beimessen. Hier geht es um programmpolitische Prioritätensetzung, nicht um die Notwendigkeit zu sparen: Denn die vergleichsweise geringen Kosten für eine Film-Untertitelung (ca. 3.000 Euro) und die zur Erstellung eines Hörfilmes (ca. 5.000 Euro) stehen in keinem Verhältnis zu anderen Ausgabe-Blöcken eines Rundfunkhaushaltes. In keinem der angesprochenen Gesetze sind bei Nichteinhaltung der Vorschriften Sanktionen vorgesehen. Umso mehr wird es also darauf ankommen, immer wieder medienwirksam die Umsetzung zu begleiten. Aber genau da hapert es leider allzu oft. Von der kurz vor Weihnachten erfolgten Ratifizierung der UN-Rechtskonvention haben Medien bisher recht wenig Notiz genommen.

Was also oder wer entscheidet, wann und wie Themen im Zusammenhang mit Behinderung von Medien aufgenommen werden? Und unter welchen Aspekten geschieht es? Wird angenommen, dass behinderte Menschen nicht ins Bild passen oder das Thema eine allzu schwere Kost ist? Und welche Wirkung hat dann vor allem das Gesendete auf den Zuschauer und Zuhörer? [...]

Unsere Beobachtungen zeigen, dass herkömmliche Darstellungen von Behinderungen als etwas Beängstigendes, Fremdartiges seltener geworden sind. Heute wird vorrangig gezeigt, wie Menschen trotz Behinderung große Leistungen vollbringen, gern wird z. B. über die Paralympics berichtet, also das schöne Bild wird gezeigt.

Eine andere Darstellungsweise ist die rührselige Variante, die wir gerade vor den Festtagen wieder beobachten konnten. Natürlich sind Spenden, die damit u. a. erzielt werden sollen, in einem nun wahrlich nicht Vollkasko versicherten Leben wichtig. Aber Rührseligkeit allein schafft kein Verständnis füreinander, kein Miteinander auf gleicher Augenhöhe.

Die alltagsnahe, ganz realistische Darstellungsweise und Berichterstattung zu Behinderung wird den betroffenen Menschen und dem Thema insgesamt am ehesten gerecht. Sie zeigt Normalität, ermöglicht Diskussion und kann damit die Distanz zwischen Menschen mit und ohne Behinderung vermindern. Sie ist zudem gesellschaftspolitisch wirkungsvoll. Und es gibt durchaus positive Beispiele: In der "Lindenstraße" steht das Kind mit dem Down-Syndrom mittendrin im alltäglichen Geschehen, ist Teil der Filmfamilie und des weiteren Umfeldes. Das behinderte Kind wird akzeptiert und respektiert. Ein weiteres Positivbeispiel ist die Folge "Rosis Baby" Polizeiruf 110: ein Film, der tatsächlich hilft, das allgemeine Bewusstsein für die Situation behinderter Menschen zu schärfen. [...]

Aufgefallen ist dem Landesbehindertenrat bei den Programmbeobachtungen, dass Berichte, Dokumentationen, Features zumeist bei der Darstellung der persönlichen Situation des betroffenen Menschen verharren. Gesellschafts- und behindertenpolitische Aspekte wie gleichberechtigte Teilhabe, umfassende Barrierefreiheit, Chancengleichheit in der Schul- und Berufsausbildung werden selten thematisiert.

In einer umfangreichen Befragung des Landesbehindertenrates NRW fordern behinderte Menschen, den Zugang zu den Medien zu verbessern und auszuweiten. Gleichzeitig sind die UT-Einschaltnummern zu vereinheitlichen. Teletext-Untertitelungen sowohl im Informations- und Unterhaltungsbereich als auch im Nonfiktionalen sind für sie das Tor zur Welt, manchmal das einzige!

Fortschritte in der Untertitelung hat im vergangenen Jahr - das sei hier ausdrücklich betont - der WDR gemacht. Der Sender hat zugesagt, 2009 dieses Angebot zu verdoppeln. Das ist ein nachahmenswertes Beispiel - auch für die privaten Sender. RTL und SAT 1 z. B. untertiteln bisher keinen einzigen Beitrag.

Stark sehbehinderte und blinde Menschen bevorzugen Internet und Hörfunk, möchten aber, dass endlich wieder und jetzt auch vermehrt Filme in Audiodeskription hergestellt und gezeigt werden. Die ARD hat für 2009 41 TV-Film-Premieren angekündigt, 6 mehr als im Vorjahr. Die vielen hörbeeinträchtigten Menschen erwarten Untertitelung dieser Filme und die stark sehbehinderten ergänzende Hörfilmbearbeitung.

Teilhabe heißt natürlich auch, Arbeit auf dem Regel-Arbeitsmarkt zu haben. In der Beschäftigung von behinderten Menschen gibt es bei den Betrieben und in Verwaltungen recht große Unterschiede. Ich habe nach guten Beispielen Ausschau gehalten. Der hessische Rundfunk z.B. hat die gesetzlich vorgeschriebene Beschäftigungsquote mehr als erfüllt - es geht also doch! [...]

In den Programmleitlinien 2009/2010 sowohl der ARD als auch des WDR wird ausdrücklich formuliert, dass Integration und Teilhabe behinderter Menschen eine Querschnittsaufgabe darstellen. Es wird jetzt sehr darauf ankommen, wie und mit welchen Maßnahmen diese Querschnittsaufgabe im Unternehmensablauf verankert wird und welche Wirkung sich daraus entfalten kann. Eine entsprechende Fachredaktion in den Rundfunkanstalten würde sicherlich sehr hilfreich sein und kompetent bei der Vorbereitung von Sendungen und Bearbeitung der Thematik tätig werden können.

Sachgerechte Berichterstattung, Ausbildung und Einstellung behinderter Menschen sind jedenfalls keine Selbstläufer. Sie brauchen tatkräftige Unterstützung durch die Unternehmensführung und kontinuierliche und sachkundige Begleitung auf allen Ebenen. [...]


Die Autorin Geesken Wörmann Vorsitzende der LAG SELBSTHILFE NRW, des Landesbehindertenrates und Mitglied im Rundfunkrat des WDR. Wir drucken ihren Beitrag in leicht gekürzter Fassung.


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Quelle:
Selbsthilfe 1/2009, S. 32-33
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2009