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SPORT/276: Paralympic Day - ein Tag, der Hoffnung machte (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 29 / 14. Juli 2009
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Paralympic Day - ein Tag, der Hoffnung machte
Viele Zuschauer kamen zum Brandenburger Tor in Berlin, auch Horst Köhler

Von Hansjürgen Wille


Der Bundespräsident mit einem Basketball im Rollstuhl sitzend: Diese Bilder fanden sich in fast allen Berliner Sonntagsblättern wieder. Doch keine Sorge, Horst Köhler hatte weder eine plötzliche Lähmung im Rücken noch einen Oberschenkelbruch erlitten. Nein, mit dieser Geste wollte er beim vierten Internationalen Paralympic Day in der deutschen Hauptstadt seine tiefe Sympathie und Verbundenheit zu jenen Sportlern demonstrieren, die mit einer Behinderung leben. Im Blitzlichtgewitter der Fotografen und von mehreren TV-Kameras begleitet, versuchte er sogar - allerdings ohne Erfolg - den 3,05 m hohen Korb zu treffen. Dreimal prallt der Ball vom Ring ab.

Das Staatsoberhaupt war der prominenteste Gast unter den 60.000 Besuchern und Touristen, die den Weg zum Brandenburger Tor gefunden hatten. Eine Zahl, die beeindruckte und die Resonanz von vor zwei Jahren bei weitem übertraf. "Dieser Tag bildet ein weiteres Stück auf dem Weg zur vollständigen Integration behinderter Menschen in die Gesellschaft. Mir geht das Herz auf, was ich hier erlebe. Weiter so", erklärte Köhler, der Schirmherr der Veranstaltung war und nicht erst seit diesem Ereignis eine große Hochachtung vor den Leistungen der Rollstuhlfahrer, Beinamputierten, Querschnittsgelähmten und Blinden hat. Schließlich war Horst Köhler vor gut einem Jahr auch bei den Paralympischen Spielen in Peking und hatte dort die Faszination miterlebt.

"Einen besseren Ort als den berühmten Pariser Platz, flankiert von zwei bedeutenden Botschaften, der amerikanischen und französischen, zwei Großbanken sowie dem Berliner Wahrzeichen an der Stirnseite, kann man sich gar nicht wünschen", meinte Friedhelm Julius Beucher, der seit wenigen Wochen neuer Präsident des Deutschen Behinderten-Sportverbandes ist und sich von der Begeisterung des Tages anstecken ließ. "Ich hoffe, dass dieses Event an einer so wunderbaren Stelle künftig zu einer Tradition wird, denn eine bessere Möglichkeit der Darstellung gibt es nicht." Zu der erschienenen Prominenz gehörten auch der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Christoph Bergner, Berlins Innensenator Dr. Erhardt Körting und auch ein Fußballstar vergangener Tage, Andreas Brehme, der als Repräsentant des FC Bayern München und der Allianz AG kam.

Zehn Stunden lang wurde im wechselnden Rhythmus Rollstuhl-Basketball, Rollstuhl-Rugby und Rollstuhl-Tischtennis gespielt, auf Biathlonscheiben nach Gehör geschossen und vor allem weit gesprungen, wobei die Disziplin der Unterschenkel-Amputierten (F 44) aus den gleichzeitig in Sindelfingen stattgefundenen deutschen Titelkämpfen herausgelöst und in Berlin entschieden wurde. Auch die Blinden (F12) erhielten die Gelegenheit, sich zu präsentieren. Und dabei erzielte der Berliner Matthias Schröder, Paralympic-Sieger über 400 m in Peking, mit 7,47 m einen Weltrekord. Er übertraf die alte Bestmarke des Südafrikaners Hilton Langenhoven um zwei Zentimeter.

"Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet", sagte der 26-jährige Bürokaufmann, der auf dem linken Auge nur noch eine Sehkraft von 0,8 und auf dem rechten Auge von 2,0 besitzt. "Eigentlich wollte ich lediglich meine Bestleistung von 7,01 m verbessern. Dass es aber gleich so weit geht, überraschte mich doch", meinte der vornehmlich als Sprinter aufgetretene Top-Athlet, der die leicht federnde Anlaufbahn, vor allem aber das nahe an der Anlage stehende Publikum lobte, das ihn zu solcher einer Leistung anspornte. Bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften im August wird man den Berliner wieder bewundern können, denn ein 200-m-Lauf für Blinde ist direkt vor dem Finale der Frauen vorgesehen. Dabei haben die Sportler mit Handikap jeweils einen sehenden Begleiter an ihrer Seite.

Einen weiteren Höhepunkt der Veranstaltung bildete die Vorstellung des frisch eingekleideten German Top-Teams für die Winterspiele in Vancouver. Insgesamt zwölf Sportler aus Skilanglaufs und Biathlon zählten dazu. "Wenn es unser Anspruch ist, künftig international mithalten zu wollen, dann sind leistungsbezogene Unterstützungsmaßnahmen unerlässlich, die sowohl materieller als auch finanzieller Art sein müssen", erklärte Beucher. "Wir brauchen uns ja nur einmal den Medaillenspiegel der letzten Paralympischen Spiele anzuschauen, dann wissen wir, was auf der Welt los ist. Überall wird auch im Behindertensport professionell trainiert. Da ist es für mich nur folgerichtig, wenn wir Mittel vom Staat und von Unternehmen einfordern, damit unsere Athleten abgesichert sind."

"Ohne eine entsprechende Unterstützung wäre ich nicht in der Lage, meinen jetzigen Leistungsstand zu halten", berichtete die Münchener Biathletin Verena Bentele, mit sieben Goldmedaillen die erfolgreichste Wintersportlerin bei Paralympischen Spielen. Die 27-jährige Literatur- und Sprachstudentin, die gerade ihr Diplomarbeit ("Gestaltung von Büchern als Hörbuchfassung") schreibt, ist seit ihrer Geburt blind und kann bestenfalls noch hell und dunkel unterscheiden. Zehn- bis 14- Mal trainiert sie pro Woche und hat logischerweise beim Laufen, Radfahren sowie während der Hantelarbeit in einem Kraftraum einen hohen Personalaufwand von Begleitern nötig.

"Nebenbei noch zu arbeiten, dazu reicht die Zeit wirklich nicht mehr", meinte Verena Bentele, die hauptsächlich von Sponsorengeldern lebt. "Deshalb finde ich es äußerst hilfreich, dass zwei so große Unternehmen wie Allianz und Telekom, aber auch andere Firmen sich engagieren und den Behindertensport unterstützen." Für Vancouver hat sie sich drei Starts im Biathlon sowie zwei oder drei im Skilanglauf vorgenommen, weiß allerdings, dass die Konkurrenz aus Russland, der Ukraine, Frankreich und Finnland sehr groß sein wird. Auf die Frage, was sie denn von solch einem Paralympic Day halte, sagte sie: "Ich finde es ganz toll, dass wir einmal Leuten vermitteln können, wie Biathlon für Blinde funktioniert."

Begeistert zeigte sich auch ein Sehender, der die Veranstaltung besuchte. Der 86-malige Fußball-Nationalspieler Andreas Brehme, Schütze des Siegtores im Finale bei der Weltmeisterschaft 1990. Er war vom Bayern-Vorstand Karl-Heinz Rummenigge gebeten worden, nach Berlin zu fliegen, um sich einmal einen Überblick zu verschaffen, aber auch die Verbundenheit zum Förderer des Behindertensports, der Allianz AG, herauszustellen. Natürlich ließ es sich der ehemalige Bayern-Star nicht nehmen, mit einer undurchsichtigen Brille vor den Augen auf das Tor zu schießen, und musste dabei feststellen, dass eine ganze Menge an Konzentration nötig ist. "Jetzt kann ich so richtig begreifen, wie schwer es ist, wenn man als Blinder Sport treibt. Meine uneingeschränkte Hochachtung gilt diesen Athleten, aber auch jenen Veranstaltern, Sponsoren und Dienstleistern, die diesen Tag inszenierten."

Vancouver, wo in neun Monaten die Paralympischen Winterspiele beginnen, und London 2012 stellten sich ebenso am Brandenburger Tor vor wie die vier Olympia-Bewerberstädte von 2016, Tokio, Rio de Janeiro, Chicago und Madrid. Auch sie machten darauf aufmerksam, dass sie für die Sportler mit Behinderung alles tun wollen, um ihnen beste Bedingungen zu verschaffen. Sir Philip Craven, der Präsident des International Paralympic Committees, nahm das wohlwollend zur Kenntnis, freute sich aber zugleich, dass Berlin zum zweiten Mal nach 2007 wieder Schauplatz des Paralympic Day war, nachdem dieses Treffen zuvor zweimal in Bonn (2003 und 2005) stattgefunden hatte.


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 29 / 14. Juli 2009, S. 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juli 2009