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RECHT/679: Ist das Unterbringungsrecht mit der Behindertenrechtskonvention vereinbar? (Soziale Psychiatrie)


Soziale Psychiatrie Nr. 134 - Heft 4, Oktober 2011
Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

Ist das Unterbringungsrecht mit der Behindertenrechtskonvention vereinbar?
Eine Analyse der Ländergesetze von Nordrhein-Westfalen und Hessen und des Betreuungsrechts zur Unterbringung und Zwangsbehandlung psychisch Erkrankter

Von Jana Offergeld


Vor dem Hintergrund des im Juni 2011 veröffentlichten "Nationalen Aktionsplans zur Umsetzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" werden die Ergebnisse einer Analyse der gesetzlichen Vorgaben zur Unterbringung und Zwangsbehandlung psychisch erkrankter Menschen in Deutschland zusammengefasst. Anhand einer Checkliste der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden die Ländergesetze Hessens und Nordrhein-Westfalens sowie die Vorgaben des Betreuungsrechts untersucht und Anhaltspunkte für notwendige Revisionen identifiziert.


Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Unterbringung psychisch erkrankter Menschen überhaupt mit internationalen Menschenrechtsstandards vereinbar ist, wurde sowohl während der Entstehung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK)(1) als auch im Rahmen deren Ratifizierung kontrovers diskutiert. Noch ist unklar, inwiefern das neue internationale Menschenrechtsinstrument Einfluss auf die Situation untergebrachter Personen in Deutschland nehmen wird. Zwei Jahre nach Ratifizierung hat die Bundesregierung im Juni 2011 ihren "Nationalen Aktionsplan" (NAP)(2) veröffentlicht. In diesem wird die Unterbringungsthematik in Bezug auf das Handlungsfeld Persönlichkeitsrechte adressiert. In der Kategorie Freiheitsentzug werden hier die rechtliche Etablierung von Aufsichtsmechanismen, z.B. in Form von Besuchskommissionen, und eine systematische, transparente Qualitätssicherung für psychiatrische Einrichtungen angeregt. In der Auflistung der insgesamt 213 Einzelstrategien und -projekte des NAP lassen sich aber keine diesbezüglichen Vorhaben finden. Während die Regierung die Einberufung einer Arbeitsgruppe zum Betreuungsrecht und die Evaluation des "Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit" (FamFG) vorsieht, ist keine Untersuchung der Ländergesetze zur psychiatrischen Unterbringung im Hinblick auf deren Vereinbarkeit mit der Konvention angedacht. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass die Unterbringung und Zwangsbehandlung psychisch erkrankter Menschen eine schwere Beschneidung ihrer Freiheits- und Schutzrechte darstellt und von Betroffenen häufig als traumatisch erlebt wird, sollte der Frage nach den gesetzlichen Rahmenbedingungen genauer nachgegangen werden.


Die WHO-Checkliste zur Überprüfung von Gesetzen zur psychischen Gesundheit

Im Hinblick auf die Unterbringung und Zwangsbehandlung von psychisch kranken Menschen sind vor allem folgende Artikel der Behindertenrechtskonvention von Relevanz: Artikel 12: "Gleiche Anerkennung vor dem Recht"; Artikel 13: "Zugang zur Justiz"; Artikel 14: "Freiheit und Sicherheit der Person"; Artikel 15: "Schutz vor Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe"; Artikel 16: "Schutz vor Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch" und Artikel 17: "Schutz der Unversehrtheit der Person".

Die Bestimmungen des Übereinkommens sind allerdings allgemein gefasst. So werden auch im Hinblick auf die Achtung der Freiheits- und Schutzrechte wiederholt Sicherungen und geeignete Maßnahmen zur Unterstützung behinderter Menschen bei der Ausübung ihrer Rechte eingefordert, ohne dass konkrete Anhaltspunkte für die Umsetzung dieser rechtlichen Forderungen gegeben werden. Für die Analyse wurde deshalb die WHO-Checkliste für Gesetze zur psychischen Gesundheit(3) hinzugezogen, die selbst kein rechtsverbindliches Instrument darstellt, jedoch konkrete Anhaltspunkte zum Schutz der in der Konvention garantierten Rechte im psychiatrischen Kontext liefert: Im Rahmen des MIND-Projektes(4) hat die WHO eine Materialsammlung(5) zum Themenkomplex Menschenrechte und Psychiatrie entwickelt, in welcher relevante internationale Menschenrechtsstandards identifiziert und erörtert werden. Für verschiedene Rechtsbereiche werden dabei jeweils zentrale Kriterien für den Schutz Betroffener vorgestellt und Voraussetzungen für die Entwicklung, Revision und Implementierung politischer und rechtlicher Richtlinien genannt.

Zur Materialsammlung gehört auch die Checkliste.(6) Obwohl diese bereits vor der Behindertenrechtskonvention entwickelt wurde und sich an vorangegangenen internationalen Konventionen und anderen nicht rechtsverbindlichen Standards orientiert, wird sie von der WHO regelmäßig bei der Zusammenarbeit mit Staaten zur Überprüfung und Entwicklung von Gesetzen im psychiatrischen Kontext angewandt.


Das Vorgehen und die Ergebnisse der Analyse

Zwei zentrale Fragen standen bei der hier beschriebenen Analyse im Vordergrund:

1. Unterscheiden sich die rechtlichen Vorgaben bezüglich der Unterbringung und Zwangsbehandlung abhängig vom jeweiligen Verfahren (zivilrechtliche oder öffentlich-rechtliche Unterbringung) oder vom jeweiligen Bundesland?

2. Sind die gesetzlichen Vorgaben mit internationalen Menschenrechtsstandards, insbesondere der Behindertenrechtskonvention, vereinbar?

Im Hinblick auf das öffentlich-rechtliche Unterbringungsrecht wurden die Ländergesetze von Nordrhein-Westfalen (NRW) und Hessen einbezogen. Das "Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten Nordrhein-Westfalen" (PsychKG NRW) von 1999 wurde zuletzt 2005 modifiziert und ist damit eines der modernsten PsychKG in Deutschland. Im Bundesland Hessen existiert derweil das älteste Gesetz zur Unterbringung und Zwangsbehandlung psychisch kranker Menschen, das "Gesetz über die Entziehung der Freiheit geisteskranker, geistesschwacher, rauschgift- oder alkoholsüchtiger Personen" (HEFG), eingeführt in 1952 und 1997 zuletzt geändert. Zusätzlich wurden auch der gesetzliche Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach dem "Betreuungsrecht" (§§ 1896-1908 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) und die verfahrensbezogenen Vorgaben des "Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit" (FamFG) analysiert.

Da die WHO-Checkliste für Gesetze zur psychischen Gesundheit nicht ausschließlich auf die Thematik der Anwendung von Zwang innerhalb der Psychiatrie begrenzt ist, wurden nicht alle Kategorien berücksichtigt. Folgende der insgesamt 27 Einzelkategorien standen primär im Fokus: "Rechte der Nutzer psychosozialer Dienste"; "Geschäftsfähigkeit, Geistesvermögen und Vormundschaft"; "Freiwillige Einweisung und Behandlung"; "Nicht protestierende Patienten"; "Nicht freiwillige Einweisung"; "Nicht freiwillige Behandlung"; "Behandlung mit Zustimmung eines Bevollmächtigten"; "Notfälle"; "Besondere Behandlungsmethoden"; "Isolation und Zwangsmaßnahmen"; "Aufsicht und Kontrollmechanismen"; "Straftaten und Sanktionen".

Es ist eine detaillierte Analyse der Gesetze vorgenommen worden; im Folgenden werden diejenigen Ergebnisse vorgestellt, die im Hinblick auf die Frage der Vereinbarkeit der Psychiatriegesetze mit internationalen Menschenrechtsstandards besonders relevant sind.


1. Das PsychKG NRW: Richtlinien sind vorhanden, aber nicht ausreichend

- Schwacher Fokus auf die Menschenrechte der Betroffenen
Das PsychKG NRW adressiert eine Reihe grundlegender Rechte, die im Kontext psychiatrischer Unterbringung von Bedeutung sind: § 16 erörtert die Rechtsstellung der Betroffenen und bestimmt, dass "Eingriffe in die Rechte Betroffener ... schriftlich festzuhalten und zu begründen" sind. Allgemein werden laut § 34 durch das Psychiatriegesetz folgende im Grundgesetz veräußerte Rechte eingeschränkt: die Rechte auf körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz [GG]) sowie die Unverletzlichkeit des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (Art. 10) und der Wohnung (Art. 13). § 19 betont das Recht der psychiatrischen Patienten auf den Schutz ihres persönlichen Besitzes, §§ 21 und 22 regeln die Bestimmungen zur Kommunikationsfreiheit.

Einige relevante Rechtsbereiche werden allerdings nur teilweise oder gar nicht adressiert: So gilt die Bestimmung, psychiatrische Patienten über ihre Rechte zu informieren (§ 17), nur für zwangsuntergebrachte Personen, während sich keine Verpflichtung finden lässt, im Rahmen eines freiwilligen Aufenthalts über das Risiko einer möglichen nachträglichen Unterbringung aufzuklären. Generell haben Betroffene das Recht auf Einsicht in die Krankenunterlagen; die Umstände, unter denen dieses Recht eingeschränkt werden darf, werden allerdings in § 18 nur sehr ungenau umschrieben und bedürfen nicht der Kontrolle durch eine unabhängige Instanz. Grundlegende Menschenrechte, wie sie die Behindertenrechtskonvention deklariert, werden im PsychKG NRW nicht erwähnt: Nennenswert sind im Hinblick auf den psychiatrischen Kontext insbesondere das Recht auf Schutz vor Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 15 BRK), der Freiheit vor Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch (Art. 16) und das Recht auf Schutz der Unversehrtheit der Person und auf humane Behandlung (Art. 17).

- Fehlende Schutzmaßnahmen bezüglich der Überprüfung von Unterbringungsfällen
Nach dem PsychKG NRW ist eine Unterbringung nur im Falle einer erheblichen Selbstgefährdung oder einer erheblichen Gefährdung bedeutender Rechtsgüter anderer zulässig, "wenn ein schadenstiftendes Ereignis unmittelbar bevorsteht oder sein Eintritt zwar unvorhersehbar, wegen besonderer Umstände jedoch jederzeit zu erwarten ist" (§ 11). Während das Gesetz die regelmäßige Überprüfung von Unterbringungsfällen anordnet (§ 17), werden keine konkreten zeitlichen Fristen für die Durchführung dieser Überprüfungen festgelegt. Es wird allerdings in § 13 auf die Vorschriften des Gesetzes zur freiwilligen Gerichtsbarkeit verwiesen. Die Verpflichtung einer regelmäßigen Überwachung von Patienten, die gegen ihren Willen behandelt werden, ist laut WHO-Checkliste ein entscheidendes Kriterium für die Bewertung psychiatrischer Gesetze. Generell empfiehlt die WHO einen maximalen zeitlichen Abstand von sechs Monaten zwischen diesen Überprüfungen. Die im FamFG festgelegte Frist von maximal einem Jahr, bei "offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit" sogar zwei Jahren (§ 329), übersteigt diesen vorgegebenen Rahmen deutlich. Noch bedenklicher erscheint in diesem Kontext die Tatsache, dass Betroffenen bereits vor Abschluss der Untersuchung zur Begutachtung bis zu sechs Wochen, bei zusätzlichem Gerichtsbeschluss sogar für drei Monate die Freiheit entzogen werden kann (§ 284) und unklar bleibt, inwiefern sie während dieser Zeit gegen ihren Willen behandelt werden können.

- Fehlende Sicherungen bei Zwangsbehandlungen
Laut § 18 PsychKG NRW ist eine Zwangsbehandlung psychiatrischer Patienten nur "in den Fällen von Lebensgefahr oder von erheblicher Gefahr für die eigene und für die Gesundheit anderer Personen" zulässig. Die Behandlung darf außerdem nur durch die ärztliche Leitung oder deren Vertretung angeordnet werden. Trotz dieser Sicherungskriterien weichen die Richtlinien erheblich von den Vorgaben internationaler Standards ab: Ein zentrales Defizit ist, dass die Überprüfung der Zulässigkeit der Zwangsbehandlung - wie in der Checkliste vorgesehen nicht durch eine unabhängige juristische Instanz, sondern durch die ärztliche Leitung der jeweiligen Institution vorgenommen wird. Für die Abstimmung nicht freiwilliger Behandlung wird von der WHO außerdem das Hinzuziehen einer zweiten unabhängigen Fachkraft gefordert. Im Rahmen des FamFG kann der Betroffene lediglich nachträglich Beschwerde gegen eine Behandlung einlegen, wobei er zu belegen hat, "durch die Maßnahme, ihre Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein" (§ 327 FamFG). Wird die Beschwerde vom Gericht abgelehnt, gilt der Beschluss als nicht anfechtbar. Auf das im FamFG verankerte Beschwerderecht wird im PsychKG NRW nicht explizit hingewiesen. Gleichzeitig lassen sich weder Richtlinien für die maximale Dauer einer Zwangsbehandlung noch eine Forderung nach zeitlich festgelegten, regelmäßigen Überprüfungen solcher Maßnahmen finden.

- Fehlende Sicherungen bei schwerwiegenden Eingriffen
Besonders schwerwiegende oder irreversible Eingriffe, wie beispielsweise die Elektrokrampftherapie oder hirnchirurgische Operationen, werden im PsychKG NRW nicht adressiert. Aus dem Gesetzestext wird damit nicht ersichtlich, ob entsprechende Behandlungsmaßnahmen grundsätzlich nur auf Basis einer informierten Zustimmung der betroffenen Person durchgeführt werden dürfen oder auch als Zwangsbehandlung zulässig sind.

- Unzureichende Schutzmaßnahmen bei Anwendung von Isolation und freiheitsentziehenden Maßnahmen
§ 20 PsychKG NRW legitimiert in Fällen erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung als freiheitseinschränkende und freiheitsentziehende Maßnahmen die Beschränkung des Aufenthalts im Freien, eine Unterbringung in einem besonderen Raum und Fixierungen durch mechanische Vorkehrungen. Es werden auch Richtlinien für den Schutz gegen den Missbrauch solcher Maßnahmen vorgegeben: Die so genannten Sicherungsmaßnahmen dürfen nur auf ärztliche Anordnung erfolgen, müssen überwacht und dokumentiert werden und sind dem Verfahrenspfleger oder -bevollmächtigten mitzuteilen. Fixierungen bedürfen der ständigen Beobachtung.

Die WHO-Checkliste listet weitere Sicherungen auf, die bezüglich freiheitsbeschränkender und -entziehender Maßnahmen gesetzlich festgelegt sein sollten: So sollte im Gesetz explizit darauf hingewiesen werden, dass diese "nie zur Bestrafung oder zur Erleichterung der Aufgaben des Personals eingesetzt werden sollten" (Kategorie "Isolation und Zwangsmaßnahmen") und auch die grundlegende Notwendigkeit ausreichender struktureller und personeller Ressourcen adressieren, die häufig Hintergrund des Missbrauchs entsprechender Maßnahmen sind. Außerdem sollte das Gesetz eine zeitliche Frist für die maximale Dauer der Anwendung stecken und ausdrücklich darauf hinweisen, dass auf eine Anwendungsphase nicht direkt die nächste folgen darf.

- Unzureichende Richtlinien für die Autorisierung von Unterbringungen und Zwangsbehandlungen
Die diesbezügliche Entscheidungsgewalt liegt beim Betreuungsgericht. Auch wenn das Gericht seit der Reform in 2009 ausschließlich für Betreuungssachen, Unterbringungssachen und andere betreuungsgerichtliche Zuweisungssachen zuständig ist, bleibt zweifelhaft, ob die Instanz für diese Aufgabe strukturell und personell ausreichend ausgestattet ist. Die Entscheidungen werden von Betreuungsrichtern getroffen, die nicht zwangsläufig über psychiatrisches Expertenwissen verfügen. Die WHO empfiehlt dagegen die Einrichtung eines (quasi-)gerichtlichen Organs, z.B. in Form eines Mental Health Boards, in welchem neben juristischen Experten auch erfahrene Gesundheitskräfte und Gemeindevertreter repräsentiert sind.

"Besonders kritisch zu bewerten ist die rechtliche Situation bezüglich der Zwangsbehandlung"

Besonders kritisch zu bewerten ist die rechtliche Situation bezüglich der Zwangsbehandlung. Hier bedarf es wie bereits erwähnt entgegen den Forderungen der WHO keiner Legitimation durch eine juristische Instanz. Zudem sind die Vorgaben für gerichtliche Entscheidungen in Bezug auf Beschwerden gegen psychiatrische Zwangsbehandlungen und andere Vollzugsangelegenheiten nicht ausreichend am Schutz der Betroffenen orientiert: Diese stehen in der Schuld, die Verletzung ihrer Rechte nachzuweisen, während Anträge zur Beschwerde zunächst keine aufschiebende Wirkung haben (§ 327 FamFG). Die Regelung scheint insbesondere zweifelhaft, wenn man bedenkt, welche starken körperlichen, kognitiven und psychischen Auswirkungen beispielsweise die Behandlung mit Psychopharmaka haben kann. Grundsätzlich sollten auch Entscheidungen zu Vollzugsangelegenheiten im Rahmen einer Unterbringung anfechtbar sein.

- Ungenaue Richtlinien für die Aufsichts- und Kontrollmechanismen
Neben dem juristischen Organ für die Autorisierung von Unterbringungen und nicht freiwilligen Behandlungsmaßnahmen empfiehlt die WHO zusätzlich die Etablierung einer Aufsichtsinstanz zur Überprüfung der Zustände innerhalb psychiatrischer Einrichtungen und der Wahrung der Rechte untergebrachter Patienten. Außerdem sind prozessuale Richtlinien für Beschwerden Betroffener und Angehöriger gesetzlich festzulegen.

Das PsychKG NRW verpflichtet das Gesundheitsministerium zur Berufung einer Besuchskommission, die alle Krankenhäuser, in denen psychiatrische Patienten untergebracht werden, mindestens einmal im Jahr unangekündigt besuchen soll (§ 23). Die Ergebnisse dieser Besuche sind anschließend zu dokumentieren und dem Ministerium vorzulegen. Die Besuchsberichte sollen auch zu von Betroffenen oder deren Angehörigen geäußerten Wünschen und Beschwerden Stellung nehmen. Bezüglich der Aufstellung der Besuchskommission ist allerdings zu kritisieren, dass die Teilnahme von Vertretern von Betroffenen- und Angehörigenorganisationen zwar zugelassen, aber nicht verpflichtend ist. Vor allem aber bleiben die gesetzlichen Vorgaben zu den Befugnissen der Kommission sehr unkonkret. Zwar sind die Dokumentationspflichten und -wege in § 21 akribisch dargelegt, es wird aber nicht darauf eingegangen, wie im Fall einer Aufdeckung schwerer Missstände oder einzelner Vergehen gegenüber von Patienten zu reagieren ist. Ähnlich verhält es sich mit den Vorgaben für interne Beschwerdestellen, die in § 24 gesetzt werden. Sanktionen für die Missachtung der Menschenrechte psychiatrischer Patienten lassen sich nicht finden.


2. Das HEFG: stigmatisierende Perspektive auf psychisch kranke Menschen steht im starken Kantrast zum Menschenbild der Behindertenrechtskonvention

Der Fokus des HEFG liegt ausschließlich auf dem Schutz der Öffentlichkeit vor psychisch behinderten Menschen, während Richtlinien zur Wahrung ihrer Rechte kaum zu finden sind. Anstelle einer Modifizierung des bestehenden Gesetzes sollte dieses komplett abgeschafft und durch ein Neues ersetzt werden, das sich an den Rechten der psychisch behinderten Menschen orientiert und Alternativen zur Unterbringung fördert. Im folgenden Abschnitt werden die schwerwiegendsten Defizite des Gesetzes hervorgehoben:

- Gebrauch stigmatisierender und abwertender Sprache
Die im Gesetzestext verwendete Sprache ist durchweg stigmatisierend und veraltet, so werden Betroffene etwa als "Geisteskranke" und "Geistesschwache" bezeichnet.

- Fehlender Fokus auf die Menschenrechte der Betroffenen
Das HEFG regelt ausschließlich die Unterbringung und Zwangsbehandlung psychiatrischer Patienten; die freiwillige stationäre Behandlung sowie präventive und rehabilitative Angebote werden nicht thematisiert. Das einzige grundlegende Recht, das Erwähnung findet, ist die Kommunikationsfreiheit, allerdings nur bezogen auf den Postverkehr. § 18 bietet diesbezüglich unzureichende Sicherungen: Briefe an den Betroffenen (mit Ausnahme von Post von Behörden, gesetzlichen Vertretern oder dem Rechtsbeistand) dürfen eingesehen und zurückgehalten werden, "wenn ihre Aushändigung an den Untergebrachten untunlich scheint". Andere grundlegende Rechtsbereiche, wie die Privatsphäre, das Recht auf humane Behandlung oder auf Zugang zu Informationen, werden überhaupt nicht aufgegriffen. Zudem ergibt sich aus dem Gesetzestext keine Verpflichtung, die Betroffenen über ihre Rechte zu informieren.

- Fehlende Richtlinien für die Autorisierung und Überprüfung von Unterbringungsfällen
Die Autorisierung von Unterbringungsfällen wird - wie in Nordrhein-Westfalen - primär durch das FamFG reguliert; daher gelten hier die gleichen Kritikpunkte, die schon bei der Analyse des PsychKG NRW formuliert wurden. Es bleibt anzumerken, dass die Kriterien für die Unterbringungsnotwendigkeit hier noch schwammiger formuliert sind als im PsychKG NRW. Nach § 1 Abs. 2 ist eine Unterbringung legitim, wenn die Person "eine Gefahr für sich selbst" darstellt, ohne dass diese Gefahr genauer definiert wird.

"Die fehlenden Sicherungen stellen eine Verletzung der grundlegenden Rechte Betroffener dar"

Auch bezüglich der regelmäßigen Überprüfung von Unterbringungsfällen werden keine zusätzlichen Richtlinien aufgestellt. Nach § 5 wird nur ein Arzt oder eine Ärztin für die Erstellung eines Gutachtens angefordert - wobei diese(r), anders als im FamFG, nicht auf dem Gebiet der Psychiatrie erfahren sein muss. Besonders kritisch zu bewerten ist, dass keine konkrete zeitliche Frist für die Dauer einer sofortigen Unterbringung gesetzt wird.

- Deutliche Defizite im Hinblick auf Sicherungen bei Zwangsbehandlungen
Die Frage nach der nicht freiwilligen Behandlung psychiatrischer Patienten wird im HEFG nur kurz angeschnitten. Mit der Anordnung einer Unterbringung wird automatisch auch die Behandlung "mittels Heil- oder Entziehungsverfahren" legitimiert, wobei "ärztliche Eingriffe, die mit erheblicher Gefahr für Leben oder Gesundheit verbunden sind, ... nur mit Einwilligung des Untergebrachten oder seines gesetzlichen Vertreters vorgenommen werden" (§ 17). Laut einer Verordnung der Landesregierung von 1954 umfassen entsprechende Maßnahmen alle hirnchirurgischen Eingriffe. Andere intrusive Behandlungsmethoden, wie beispielsweise die Elektrokrampftherapie, werden nicht thematisiert. Die fehlenden Sicherungen stellen eine Verletzung der grundlegenden Rechte Betroffener dar, vor allem da die Behandlungsmaßnahmen nicht zuvor durch eine juristische Instanz legitimiert werden müssen. Den Betroffenen bleibt damit nur die Möglichkeit der nachträglichen Beschwerde. Diesbezüglich bieten die Bestimmungen des FamFG allerdings, wie bereits erwähnt, nur unzureichend Schutz.

- Fehlende Richtlinien für Aufsichts- und Kontrollinstanzen
Anders als das PsychKG NRW verpflichtet das HEFG weder zur Einberufung einer Besuchskommission noch zu der Etablierung einer internen Beschwerdeinstanz. Es lassen sich auch keine Regulierungen und Sanktionen für auftretende Menschenrechtsverletzungen oder allgemeine einrichtungsbezogene Missstände finden.


3. Unterbringung im Rahmen des BGB lückenhafter Schutz der Betroffenen

Neben den beiden Ländergesetzen wurden auch die Bestimmungen des BGB zur Unterbringung psychisch kranker Menschen nach dem Betreuungsrecht in die Analyse miteinbezogen. Dies erscheint vor allem im Hinblick auf die Tatsache erforderlich, dass heute nach Angaben des Bundesjustizministeriums(7) der Großteil der angeordneten Unterbringungen auf den Richtlinien des BGB basiert. Folgende Defizite konnten bei der Analyse des Betreuungsgesetzes aufgedeckt werden:

- Unzureichende Sicherungen zum Schutz der Selbstbestimmung der betreuten Person
Das Betreuungsrecht wurde zuletzt 2009 mit der Einführung der rechtlichen Regelung zur Patientenverfügung reformiert. Bei dieser Analyse lag der Fokus fast ausschließlich auf den Regelungen zur Unterbringung und Zwangsbehandlung von Personen unter gesetzlicher Betreuung und nicht auf der Frage, inwiefern die rechtlichen Vorgaben zur gesetzlichen Betreuung selbst mit der Behindertenrechtskonvention vereinbar sind. Deshalb sei an dieser Stelle nur ein Hinweis auf einen grundlegenden Unterschied zwischen dem deutschen Recht und dem des Übereinkommens gegeben: Trotz der im Rahmen des BGB gesetzten Sicherungen und Vorgaben zum Schutz der Selbstbestimmung der Betroffenen basiert die gesetzliche Betreuung in Deutschland auf dem Konzept der stellvertretenden Entscheidungsfindung, während die Behindertenrechtskonvention in Artikel 12 ausdrücklich den Ansatz der assistierten Entscheidungsfindung postuliert.

- Unklare Kriterien für die Legitimation von Unterbringungen
Auch im Rahmen der öffentlich-rechtlichen Unterbringungen gelten bezüglich der Autorisierung und Überprüfung der einzelnen Fälle die Richtlinien des FamFG, wie sie schon bei der Analyse der Ländergesetze dargestellt und kritisiert wurden.

Nach § 1906 BGB ist eine Unterbringung auf Veranlassung durch den Betreuer nur unter zwei Voraussetzungen zulässig: Entweder muss die Gefahr bestehen, dass der Betroffene "sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt", oder es ist eine "Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig", der/die "ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute ... auf Grund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln" kann. Diese Notwendigkeit der Untersuchung oder Behandlung wird nicht näher definiert. Dementsprechend bietet dieses zweite Legitimationskriterium dem Betreuungsgericht einen weiten Ermessensspielraum und stellt keinen starken Schutz für die Betroffenen dar.

- Sicherungen in Bezug auf Zwangsbehandlungen
Mit dem 3. Gesetz zur Änderung des Betreuungsrechts wurde in 2009 das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen deutlich gestärkt. Insofern eine Patientenverfügung vorliegt, ist diese nach § 1901a BGB im Hinblick auf die in ihr adressierten Behandlungsmaßnahmen zu berücksichtigen.

Auch das Betreuungsgericht muss sich bei der Genehmigung schwerwiegender Eingriffe an der Verfügung orientieren. Generell bieten die Richtlinien des BGB den Betroffenen besseren Schutz vor willkürlicher Zwangsbehandlung als die Vorgaben der beiden untersuchten Ländergesetze. Allerdings gelten auch beim öffentlich-rechtlichen Verfahren die Verfahrensvorschriften des FamFG, was insbesondere bezüglich der fehlenden Richtlinien für ein regelmäßiges Monitoring und den Beschwerdeprozess zu kritisieren ist.


Fazit

Im Rückschluss auf die vorangestellten Fragen lässt sich feststellen: In Deutschland können die rechtlichen Vorgaben zur Unterbringung und Zwangsbehandlung psychisch kranker Menschen je nach Bundesland und gesetzlicher Verfahrensgrundlage voneinander abweichen. Außerdem weisen die Ergebnisse der Analyse mithilfe der WHO-Checkliste darauf hin, dass keines der hier untersuchten Gesetze mit internationalen Menschenrechtsstandards vereinbar ist. Während das Betreuungsrecht nach der Reform 2009, insbesondere seit der Einführung der Patientenverfügung, schon gute Ansätze für den Schutz Betroffener liefert, scheint eine erneute Überprüfung der rechtlichen Vorgaben - wie im Nationalen Aktionsplan bereits angedacht - sinnvoll und notwendig. Das gilt auch für die Vorgaben des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG). Hier sollten insbesondere die Richtlinien für die regelmäßige, unabhängige Überprüfung von Unterbringungsfällen und Fällen von Zwangsbehandlung überarbeitet werden. Die bundesweite gesetzliche Rahmung unabhängiger Aufsichtsmechanismen, inklusive einer konkreten Festlegung ihrer Verfügungsgewalt, ist für die Gewährung des Schutzes psychiatrischer Patientinnen und Patienten nicht nur "wünschenswert" (NAP), sondern dringend erforderlich. Fortbildungsangebote zur Konvention, die im Rahmen des Nationalen Aktionsplans für Richterinnen und Richter des Betreuungsgerichts initiiert werden, sind zu begrüßen. Allerdings sollten sich die Fortbildungen vor dem Hintergrund der diesbezüglichen Entscheidungsgewalt der Gerichte thematisch nicht auf das Betreuungsrecht begrenzen, sondern auch die Implikationen für (sowohl öffentlich-rechtliche als auch zivilrechtliche) Unterbringungsverfahren und die Autorisierung von Zwangsbehandlungen adressieren. Nach der Analyse des PsychKG NRW und des HEFG Hessen scheint die Tatsache, dass im Rahmen der Umsetzung des Übereinkommens keine Überprüfung der psychiatrischen Ländergesetze angedacht ist, äußerst fragwürdig. Gerade das HEFG, das noch deutlich von einer veralteten und stigmatisierenden Sichtweise auf psychisch kranke Menschen geprägt ist, steht im starken Kontrast zu den Grundsätzen der Behindertenrechtskonvention. Diese verpflichtet die Vertragsstaaten ausdrücklich, alle notwendigen Maßnahmen "einschließlich gesetzgeberischer Maßnahmen" zu treffen, um behinderten Menschen die volle Ausübung ihrer Menschenrechte zu ermöglichen. Diese Verpflichtung besteht explizit "ohne Einschränkung oder Ausnahme für alle Teile eines Bundesstaats" (Art. 4).

"Die Ergebnisse der Analyse mithilfe der WHO-Checkliste weisen darauf hin, dass keines der hier untersuchten Gesetze mit internationalen Menschenrechtsstandards vereinbar ist"

Der Nationale Aktionsplan ist auf zehn Jahre angelegt, soll aber fortlaufend in zweijährigen Abständen evaluiert und gegebenenfalls modifiziert werden. Den in der Behindertenrechtskonvention deklarierten Freiheits- und Schutzrechten und ihre Implikationen für die nicht freiwillige Behandlung psychisch kranker Menschen ist in der bisherigen politischen Auseinandersetzung vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit gewidmet worden. Es bleibt zu hoffen, dass dieses vernachlässigte, aber essenzielle Thema in Zukunft in den weiteren Umsetzungsbemühungen mehr Beachtung findet.


Jana Offergeld ist Diplom-Pädagogin und arbeitet als wissenschaftliche Projektmitarbeiterin an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. 2010 graduierte sie erfolgreich im International Diploma Course in Mental Health Law and Human Rights. Der Kurs wird in Zusammenarbeit der Weltgesundheitsorganisation mit der 'Indian Law Society' als einjähriges Fernstudium angeboten. Die hier zusammengefasste Analyse des deutschen Unterbringungsrechts und dessen Vereinbarkeit mit der UN-Behindertenrechtskonvention ist im Rahmen ihres Abschlussprojekts entstanden.


Anmerkungen:

(1) UN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen: www.institut-fuer-menschenrechte.de
(2) Nationaler Aktionsplan: www.einfach-teilhaben,de
(3) WHO-Materialsammlung zu psychischer Gesundheit, Menschenrechten und Gesetzgebung (inklusive Checkliste für Gesetze zur psychischen Gesundheit): www.who.int
(4) WHO-MIND-Projekt (Mental Health Improvement for Nations Development): www.who.int
(5) Siehe Anm. 3.
(6) Siehe Anm. 3.
(7) Ministerium der Justiz: Sondererhebung Verfahren nach dem Betreuungsgesetz: http://wiki.btprax.de


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Quelle:
Soziale Psychiatrie Nr. 134 - Heft 4, Oktober 2011, Seite 12 - 17
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorin und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Oktober 2011