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RECHT/652: Gesetzliche Krankenkassen - Geringverdiener von der Zuzahlungspflicht befreit (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 3/2009

GESETZLICHE KRANKENKASSEN

Geringverdiener von der Zuzahlungspflicht befreit


Das Bundessozialgericht (BSG) hat in zwei Urteilen entschieden, dass Erwerbstätige mit einem geringen Einkommen keine Zuzahlungen zu Arzneimitteln und anderen Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zahlen müssen.


In beiden Fällen war es so, dass die Einnahmen der klagenden Parteien insgesamt gesehen pro Jahr geringer ausfielen, als das üblicherweise für die Ermittlung der Belastungsgrenze zugrunde zulegende fiktive jährliche Mindestbruttoeinkommen in Höhe des zwölffachen des monatlichen Eckregelsatzes für den Haushaltsvorstand nach dem Sozialhilferecht. Obwohl beide Parteien weniger verdienten, legten die jeweils beklagten Krankenkassen den fiktiv errechneten Wert zugrunde und errechneten daraus die Belastungsgrenze für die Kläger.

In seinen Entscheidungen stelle das BSG fest, dass es nicht zulässig sei, einen fiktiven Regelsatz nach dem Sozialhilferecht zu berücksichtigen. Entscheidend sei vielmehr das tatsächliche Bruttoeinkommen.

Weiterhin führt das BSG aus, dass die Freistellung von Zuzahlungen über die Belastungsgrenze hinaus Ausdruck des Solidarprinzips sei. Sie solle sicherstellen, dass einkommensschwache Versicherte notwendige Leistungen in vollem Umfang erhielten und hierfür Zuzahlungen nur bis zu einer vom Gesetzgeber als zumutbar erachteten Höhe leisten müssten. Diese Zumutbarkeitsgrenze werde im Hinblick auf die Höhe des Familieneinkommens unter Berücksichtigung der Unterhaltsverpflichtungen gegenüber den im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindern festgelegt. Sie berücksichtige bei typisierender Betrachtung, dass die Personengruppe der Versicherten mit Unterhaltspflichtigen gegenüber Kindern bei gleichem Einkommen wirtschaftlich schwächer sei als die Personengruppe der Versicherten, die keine unterhaltsberechtigten Kinder haben. Zuzahlungen sollten nicht dazu führen, dass das aus dem Familieneinkommen zu bestreitende, den unterhaltsberechtigten Kindern von Verfassungs wegen zustehende und u. a. durch steuerliche Freibeträge geschützte finanzielle Existenzminimum gefährdet werde. Dies könne jedoch der Fall sein, wenn die Familie uneingeschränkt Zuzahlungen für medizinisch notwendige Leistungen der GKV zu leisten hätte, sodass ihr die Mittel für die Versorgung und Erziehung der Kinder nicht mehr zur Verfügung stünden. Um dies zu vermeiden, sei die für die Zuzahlungsbefreiung maßgebliche Belastungsgrenze zu ermitteln, indem vom Familieneinkommen die zur Existenzsicherung der Kinder erforderlichen finanziellen Mittel durch entsprechende Freibeträge abgezogen werden.

Nicht allein die Berücksichtigung der Familienfreibeträge diene dem Schutz und der Förderung der Familie, sondern auch die Nichtanrechnung des Kindergeldes als Einnahme.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze lagen beide klagenden Parteien mit ihrem Jahreseinkommen unter dem Sozialhilfesatz, der jedoch von der beklagten Krankenkasse als fiktive Bruttoeinnahmen zugrunde gelegt wurde.

Dies hielt das BSG in beiden Fällen für rechtlich nicht zulässig und bestätigte die klagenden Parteien in der Auffassung, dass sie von der Zuzahlung zu Arzneimitteln und anderen Leistungen der GKV gänzlich freizustellen waren.

Die Urteile des BSG haben das AZ: B 1 KR 20/07 R und 5/07 R.


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Quelle:
Selbsthilfe 3/2009, S. 24
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2009