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RECHT/638: Gesetzentwürfe für Spätabtreibungen liegen vor (LHZ)


Lebenshilfe Zeitung, Nr. 1 - März 2009

Ein Wandel scheint möglich
Hilfen für Schwangere in Konfliktlagen - Gesetzesinitiativen zu Spätabtreibungen

Von Jeanne Nicklas-Faust


Manche werdende Eltern haben Angst vor dem Leben mit einem behinderten Kind. Sie möchten ein behindertes Baby nicht auf die Welt bringen. Bessere Beratung soll helfen.


Seit 1995 darf ein Kind nicht mehr wegen seiner Behinderung abgetrieben werden, so steht ist es im § 218 a Strafgesetzbuch. Für die so genannte medizinische Indikation ist Voraussetzung, dass "eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren" besteht, die nicht anders als mit einem Abbruch der Schwangerschaft abgewendet werden kann. Finden sich nun bei vorgeburtlichen Untersuchungen Hinweise auf eine Behinderung des Kindes, kann auf dieser Grundlage ein Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden, wenn also der Gesundheitszustand der Schwangeren bedroht ist.

Die aktuelle Situation ist davon gekennzeichnet, dass viele Frauen in dieser Lage zwar mit der Ärztin oder dem Arzt sprechen, aber beispielsweise keine Beratung zur Gestaltung des Lebens mit einem behinderten Kind in Anspruch nehmen. Das soll sich ändern.

Drei Gesetzentwürfe liegen dem Bundestag dafür vor. Diese sehen vor, dass Ärzte Frauen auf das - seit langem bestehende - Recht auf eine Lebensberatung hinweisen sollen. Zusätzlich soll von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Informationsmaterial zum Leben mit Behinderung zur Verfügung gestellt werden.

Die Lebenshilfe fordert seit langem, die Beratung zu verbessern. Zum Beispiel bieten auch Lebenshilfevereinigungen Hilfe an und vermitteln Schwangeren Kontakte zu Familien, die ein behindertes Kind haben. Auf diese Weise können Eltern die Gleichsetzung von Leben mit Behinderung und Leid hinterfragen und zu einer neuen Perspektive kommen. So sieht die Lebenshilfe in diesen Gesetzentwürfen eine Chance, die Situation zu verbessern.

Verschiedene Studien zeigen, dass Frauen häufig nicht über die möglichen Folgen vorgeburtlicher Untersuchungen aufgeklärt sind und in der Schocksituation selten von sich aus eine psychosoziale Beratung aufsuchen. Sie erhoffen sich durch die vorgeburtlichen Untersuchungen die Bestätigung, dass sie ein gesundes Kind erwarten und wollen häufig über andere Möglichkeiten nicht so viel wissen.

Gesetzlich festgelegt werden soll auch eine Bedenkzeit von drei Tagen zwischen der Diagnosemitteilung und einem eventuellen Eingriff. Das soll dazu beitragen, dass Paare nicht aus dem ersten Schock heraus überstürzt handeln und Zeit haben, sich zu informieren. Dem kommt eine besondere Bedeutung zu, denn aus Untersuchungen ist bekannt, dass Frauen nach einem Spätabbruch oft noch nach Jahren innerlich mit der Entscheidung beschäftigt sind und sie bereuen.

Aus Sicht der Lebenshilfe ist das Grundproblem der vorgeburtlichen Untersuchungen, dass sie gezielt nach Krankheiten und Behinderungen suchen, hier besonders auch nach dem Down-Syndrom, sich daraus aber in aller Regel keine Möglichkeiten für eine Behandlung ergeben. Stattdessen steht häufig die Entscheidung für eine Abtreibung im Raum. So titelte die Süddeutsche Zeitung bezogen auf das Down-Syndrom bereits vor einigen Jahren: "Vom Aussterben bedroht".

Erfreulicherweise zeigt eine aktuelle Studie aus England, dass der Anteil an Abbrüchen von Schwangerschaften bei Down-Syndrom sinkt, was auch auf die veränderten Lebensbedingungen und einem besseren Wissen über diese Behinderung zurückgeführt wird.

Die vorgeburtliche Diagnose eines Down-Syndroms ist für die betroffenen Frauen und ihre Partner meist eine überaus schwierige Situation, hatten sie doch ganz andere Vorstellungen von ihrem Wunschkind.

Aber die gezielte Suche ist auch für Familien, die bereits mit einem Kind mit Down-Syndrom oder einer anderen Behinderung leben, ein Problem: Ein Viertel der Familien mit Down-Syndrom-Kindern wurde schon einmal gefragt, ob sie das denn nicht gewusst hätten - mit der Unterstellung, dann wäre es wohl nicht zu dieser Geburt gekommen. Dagegen steht die Erfahrung der allermeisten behinderten Menschen und ihrer Familien, dass ein Leben mit Behinderung zwar oft anstrengender ist, aber ebenso glücklich wie ohne Behinderung.

Prof. Dr. Jeanne Nicklas-Faust ist stellvertretende Bundesvorsitzende der Lebenshilfe, Medizinerin und hat eine Tochter mit geistiger Behinderung. Bei Beratungen und Anhörungen im Bundestag wie zu den Gesetzesinitiativen gegen Spätabtreibungen wird sie oft als Expertin hinzugezogen.


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Quelle:
Lebenshilfe Zeitung, Nr. 1/2009, 30. Jg., März 2009, S. 8
Herausgeber: Bundesvereinigung Lebenshilfe
für Menschen mit geistiger Behinderung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. März 2009