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RECHT/635: Wohn- und Teilhabegesetz hat in NRW Bundesrecht abgelöst (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - März 2009

Wohn- und Teilhabegesetz hat in NRW Bundesrecht abgelöst   
Mehr Rechte und mehr Schutz für betreute Menschen

Von Petra Wilkening


"Normalität nach dem alten Heimgesetz zu leben war sehr schwierig", blickt Diakon Wolfgang Roos-Pfeiffer zurück. "Die Verordnungen entsprachen mehr den Vorschriften für ein Krankenhaus als den Lebensbedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner." Im Dezember 2008 wurde das "Kind" der 1970er-Jahre in Nordrhein-Westfalen von dem neuen Wohn- und Teilhabegesetz abgelöst. "Das moderne Heimrecht berücksichtigt die fachlichen Standards in der Betreuung und Pflege viel mehr", zeigt sich der Leiter der mit dem Thema befassten Betheler Stabsstelle "Projekte" zufrieden.


Im Jahr 2006 ging im Zuge der Föderalismusreform die Zuständigkeit für die Heimgesetzgebung vom Bund auf die Länder über. Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen haben bisher eigene Landesheimgesetze verabschiedet. "Das NRW-Gesetz kann sich durchaus sehen lassen", betont Wolfgang Roos-Pfeiffer. "Es versucht einerseits, der hoheitlichen Aufsichtspflicht nachzukommen, und andererseits, Spielräume zur Weiterentwicklung von Pflege und Eingliederungshilfe nicht zu verbauen."

An dem Gesetzgebungsverfahren beteiligte das zuständige Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales unter der Leitung von Karl-Josef Laumann alle denkbaren Interessengruppen. "Es hat viele öffentliche Veranstaltungen mit Betroffenen und viele Gespräche mit Fachleuten aus Verbänden und Einrichtungen gegeben", bestätigt Pastor Bernward Wolf, im Bethel-Vorstand unter anderem für die Bereiche Behindertenhilfe und Altenhilfe verantwortlich. "Wir sind froh über diese Form der Beteiligung!" Über das Diakonische Werk konnten auch die v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel ihre Vorschläge und Anregungen einbringen.

Die Bürgerinnen und Bürger in Betreuungseinrichtungen vor Beeinträchtigungen zu schützen und ihnen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen sind Ziele des neuen Gesetzes. Bei der Anwendung von Rechtsvorschriften sollen sich die zuständigen Behörden von der Lebenswirklichkeit älterer, pflegebedürftiger oder behinderter Menschen leiten lassen.

Die Bewohnerinnen und Bewohner haben das Recht auf eine am persönlichen Bedarf ausgerichtete Betreuung. Ändert sich ihr Bedarf, muss der Hilfeanbieter seine Leistungen entsprechend anpassen. Erleichtert wird der Wechsel aus dem stationären in den ambulanten Bereich: Wollen Bewohner diesen Schritt wieder rückgängig machen, muss die bisherige Betreuungseinrichtung sie wieder aufnehmen. Weiter sieht das neue NRW-Gesetz vor, dass Bewohner umfassend über Angebote der Beratung, Hilfe, Pflege und Behandlung informiert werden. Außerdem haben sie jetzt deutlich mehr Möglichkeiten, ihre Interessen zu vertreten. In grundsätzlichen Fragen der Verpflegungsplanung, Freizeitgestaltung und Hausordnung bestimmen sie künftig mit.

Ist es den Bewohnern nicht möglich, aus ihren Reihen einen Beirat für ihre Einrichtung zu bilden, soll ein Gremium aus Angehörigen oder Betreuern ihre Interessen wahrnehmen. "Leider ist nicht hinreichend geregelt, inwieweit dieses Ersatzgremium tatsächlich den Interessen der Bewohnerinnen und Bewohner verpflichtet ist. In der Eingliederungshilfe gilt unsere höchste Aufmerksamkeit der Förderung individueller Selbstbestimmungsmöglichkeiten. Hier kann jede Form der Bevormundung, auch durch Ersatzgremien, kontraproduktiv sein", gibt Wolfgang Roos-Pfeiffer zu bedenken. In den Betheler Einrichtungen können die Bewohnerbeiräte auch künftig auf Assistenten zurückgreifen, die sie unterstützen. "Diese werden leider auch künftig nicht von den Sozialleistungsträgern refinanziert. Es ist uns aber wichtig, alles dafür zu tun, dass die Bewohner für sich selbst sprechen können." Kommt weder ein Beirat noch ein Vertretungsgremium zustande, bestellt die zuständige Behörde eine Vertrauensperson.

Bis Juli 2018 solI der Anteil der Einzelzimmer in Einrichtungen der Eingliederungshilfe auf mindestens 80 Prozent ansteigen. "Für Bethel ist diese Anforderung an die Wohnqualität keine besondere Hürde, weil schon jetzt kaum noch Doppelzimmer vorgehalten werden", bleibt Diakon Roos-Pfeiffer gelassen. Für viele andere Einrichtungen in Nordrhein-Westfalen sei dies aber ein ehrgeiziges Projekt, da es zum Teil sogar noch Drei- und Vierbettzimmer gebe. Zum Personalschlüssel legt das Wohn- und Teilhabegesetz fest, dass mindestens die Hälfte der betreuenden Beschäftigten Fachkräfte sein müssen. Dabei umfasst der Begriff "Fachkraft" alle pflegerischen, pädagogischen und hauswirtschaftlichen Berufsgruppen. Der genaue Personalbedarf einer Einrichtung soll künftig mit Hilfe eines Personalbemessungssystems ermittelt werden. "Das liegt allerdings noch nicht vor, soll aber mit allen Interessengruppen gemeinsam entwickelt werden", nennt Wolfgang Roos-Pfeiffer einen Aspekt, der vom Ministerium noch geklärt werden muss.

Ebenfalls noch ungeklärt sind die Prüfkriterien für die Kontrollen der Aufsichtsbehörde. Das Gesetz sieht unangemeldete Prüfungen der Einrichtungen mindestens einmal im Jahr vor. Die Ergebnisse werden veröffentlicht. "Bisher war es ins Belieben einer jeden Kommune gestellt zu prüfen, was sie im Rahmen des alten Heimgesetzes für relevant hielt", so Wolfgang Roos-Pfeiffer. "Künftig wird es eine landeseinheitliche Prüfpraxis geben, da die Kommunen das neue Gesetz nach Weisung des Landes durchzuführen haben." "Wir hoffen, dass die künftige Prüfpraxis nicht mehr Bürokratie mit sich bringt, sondern dass die konkrete Lebenssituation der betroffenen Menschen in den Blick genommen wird und dabei auch die Unterschiede in der Behindertenhilfe und der Altenhilfe berücksichtigt werden", betont Bethels stellvertretender Vorstandsvorsitzender Pastor Wolf. Vor neuen Hürden warnt auch Wolfgang Roos-pfeiffer. Das neue Wohn- und Teilhabegesetz wird angewandt in jeder Einrichtung und jedem Dienst, in dem Wohn- und Betreuungsleistungen rechtlich verbunden und verpflichtend aus einer Hand angeboten werden. "Damit geraten möglicherweise auch kleine und kleinste Einrichtungen unter die Regelungen des Gesetzes und die aufsichtliche Prüfung", so der Diakon. "Häufig genügen dezentrale Wohnungen in ganz normalen Wohnvierteln nicht den Anforderungen des Gesetzes!" Wolfgang Roos-Pfeiffer hofft darum, dass die angekündigten Ausnahmeregelungen so weit gefasst werden, dass für pflegebedürftige oder behinderte Menschen mit dem Gesetz keine neuen Barrieren aufgebaut werden. Trotz dieser Kritik begrüßen er und Pastor Wolf das neue Gesetz sehr. "Es bezieht Themen ein, an denen wir seit Jahren arbeiten!"


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Quelle:
DER RING, März 2009, S. 8-9
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2009