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PROJEKT/652: Lydda-Künstler unterrichten Kinder - Magie aus Pulver und Bindemittel (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - September 2012

Lydda-Künstler unterrichten Kinder

Magie aus Pulver und Bindemittel

Von Robert Burg



Im Künstlerhaus Lydda in Bethel geht es auch um Therapie, vor allem jedoch um Kunst. Hier treffen sich Menschen aus Bethel, um Kunst zu schaffen. Jetzt bildet diese Kunstakademie auch eigene Dozenten aus, und zwar im Rahmen des dreijährigen Projekts "Kids malen mit Lydda-Künstlern". Mittlerweile haben die frischgebackenen Kunstlehrer Ralf Stühmeier, Michael Möller und Jens Jacobfeuerborn ihre Feuertaufe erfolgreich hinter sich gebracht.


Eine besondere Herausforderung hat sich Ralf Stühmeier gleich zu Beginn seiner Tätigkeit als Dozent ausgesucht. Er bot im Haus Libanon in Bielefeld-Bethel einen Kunstkurs an. In der Einrichtung ist eine der fünf Bielefelder Clearingfachstellen angesiedelt, die unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in Obhut nehmen. Die meisten Kinder hier haben in ihrem jungen Leben bereits zahllose schlimme Erfahrungen hinter sich gebracht und sind entsprechend belastet. Kaum jemand spricht deutsch, und die Situation, mit einem Erwachsenen zusammen ein Bild zu malen, war ebenfalls vollkommen fremd und zunächst verunsichernd. "Ich leite die Kinder an, so gut es geht. Oft habe ich einfach selbst angefangen zu zeichnen. Dann habe ich mein Blatt einem Kinder gegeben und es aufgefordert, weiterzumalen. Später haben wir immer wieder getauscht. So hat das ganz gut geklappt", schildert der Lydda-Künstler seine Vorgehensweise. Er ist überzeugt: "Kunst ist universell, sie benötigt keine Sprache." In vielen Motiven tauchen traumatische Erlebnisse auf: "Eine 14-Jährige malte ein Minenfeld", berichtet Ralf Stühmeier. Er hat beobachtet: "Viele der jugendlichen Flüchtlinge waren nach außen hart und innen Kinder."


Geber statt Nehmer

"Bei diesem Projekt nehmen die Lydda-Künstler eine Rolle ein, die von der Gesellschaft so nicht erwartet wird. Hier sind sie nicht Nehmer, sondern Geber von Kenntnissen", sagt Jürgen Heinrich, Leiter des Künstlerhauses Lydda. Er begleitet das von der Addy-von-Holtzbrinck-Stiftung geförderte Projekt gemeinsam mit der Kunstpädagogin Martina Schröer und Bruno Krenz, Professor für Malerei am Oberstufenkolleg Bielefeld. Und noch etwas ist neu: "Kinder und Jugendliche waren bislang nie unsere Zielgruppe. Zu uns kommen sonst nur Erwachsene."

Auch an einer Hauptschule sammelte Ralf Stühmeier Lehrerfahrung. Die Schüler einer sechsten Klasse aus Herford besuchten zuerst das Haus Lydda, zu vier weiteren Sitzungen kam der Dozent dann in die Schule. "Zuerst war die Klasse sehr unruhig. Da musste ich mich erst mal durchsetzen, sonst funktioniert es nicht." Gerade männliche Schüler tun sich oft schwer, hat Ralf Stühmeier beobachtet. "Für die ist Kunst uncool." Begeistert waren die Kinder jedoch, als er ihnen zeigte, wie man Farben selbst herstellt. "Für sie war es Magie, wenn aus Pulver und Bindemittel neue Farbe entsteht." Unbekannt war den meisten auch, Farben schichtweise übereinander aufzutragen oder ein komplexes Bild über mehrere Sitzungen entstehen zu lassen.


Schwimmende Stadt

Lydda-Dozent Michael Möller zog es bei seinem ersten Auftritt als Kunstlehrer in die Kunsthalle Bielefeld. Hier gab der junge Mann gemeinsam mit Kursleiterin Ute Dohrmann vier Kurse für Kinder zwischen acht und elf Jahren. Angelehnt an die aktuelle Ausstellung, in der architektonische Visionen des japanischen Künstlers Sou Fujimoto gezeigt werden, wurde bei "Achtung Baustelle" eine Architektur der Zukunft entwickelt. "Wir haben viele einzelne Häuser gebaut. Daraus ist dann eine schwimmende Stadt entstanden", berichtet Michael Möller. Das Thema liegt ihm nahe: Im vergangenen Jahr hat sich der ehemalige Lydda-Meisterschüler intensiv mit der Arche Noah befasst, malte und konstruierte das Bibelschiff in zahllosen Variationen. Diese Herangehensweise sei, so Jürgen Heinrich, bei den Workshops Programm: "Jeder Künstler bringt in den Kursen 'seins' mit", sagt der Lydda-Leiter. "Am Anfang jedes Seminars stellen die Künstler ihre eigene Bildsprache und Arbeitsweise vor. Dann werden die Kinder zum Experimentieren angeregt."


Entspannte Haltung

Weitere Vorbereitungen waren dementsprechend für Michael Möller auch nicht notwendig: "Ich habe das einfach auf mich zukommen lassen", sagt der junge Mann gelassen. Ihm war zunächst wichtig, die Kinder kennen zu lernen. "Das Übrige ergab sich dann wie von selbst." Der Erfolg dieser entspannten Haltung gibt ihm Recht: Das Ergebnis seines Kurses, eine Stadt aus Styropor, bestand den abschließenden Schwimmtest im Bassin hinter der Kunsthalle unbeschadet.

Weitere Kurse sind angedacht oder schon geplant, etwa in der Kunsthalle, im Museum MARTa in Herford oder an anderen Schulen.

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Quelle:
DER RING, September 2012, S. 12-13
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2012