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PROJEKT/593: Schulungsfilm für Medizinstudenten und Ärzte (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2009

SCHULUNGSFILM FÜR MEDIZINSTUDENTEN UND ÄRZTE
Vom Dialog zum Trialog, oder: Der Dritte im Bunde

Von Dr. Rainald von Gizycki


Bei seltenen Erkrankungen kann es sinnvoll sein, den klassischen Arzt-Patient-Dialog in besonderen Situationen durch einen Patientenvertreter zum "Trialog" zu erweitern. Solche besonderen Situationen können z.B nach der Erstdiagnose oder bei eher nicht-medizinischen Beratungsthemen (z.B. Hilfsmittel, alternative Therapien, psychologische Beratung etc.) auftreten. Der "Dritte im Bunde" muss freilich vom Arzt akzeptiert und der Nutzen der Selbsthilfe für ihn selbst und für seinen Patienten erkannt werden.


Im Rahmen eines BMG-geförderten Projekts wurde daher das Drehbuch für einen Schulungsfilm erarbeitet, das Medizinstudenten und Ärzten das Erfahrungswissen der Patientenselbsthilfe demonstrieren soll, damit es frühzeitig in die Arzt-Patient-Kommunikation eingebracht werden kann.


Arzt und Selbsthilfe ergänzen sich

Etwa 4 Millionen Menschen in Deutschland leben mit einer seltenen Erkrankung, die selbst den Fachärzten oftmals unbekannt ist. Eine dieser seltenen Erkrankungen trägt den Namen "Retinitis Pigmentosa" (RP). In Deutschland sind etwa 25.000 Menschen von dieser unheilbaren, zur Erblindung führenden Netzhauterkrankung betroffen. Die Diagnose ist in der Regel ein schwerer Schock für die Betroffenen. Viele Patienten klagen darüber, dass sie bei der Erstdiagnose vom Augenarzt nicht einfühlsam und partnerschaftlich, sondern eher unverständlich und unvollkommen aufgeklärt wurden. Die genaue Diagnose kann sich daher über mehrere Jahre verzögern, sodass der Betroffene und die Angehörigen mit der Erkrankung über einen langen Zeitraum allein gelassen werden bevor sie, oftmals zufällig, von der Patientenselbsthilfe "aufgefangen" werden. Das Einbringen des Erfahrungswissens der Gleichbetroffenen in den ärztlichen Beratungsprozess kann in unterschiedlichen dialogischen und trialogischen Situationen erfolgen und trägt erheblich zur Optimierung der Versorgung des Patienten bei.


Gute Bedingungen für den Trialog

Eine kürzliche Umfrage (2008) der kassenärztlichen Vereinigung in Bayern bei ihren Mitgliedern hat ergeben, dass mehr als 90 Prozent der Ärzte die Zusammenarbeit mit der Patientenselbsthilfe für sinnvoll halten, dass aber nur ca. ein Drittel tatsächlich konkrete Erfahrungen in dieser Zusammenarbeit besitzen. Unter Ärzten wird zunehmend das Konzept der "partnerschaftlichen Entscheidungsfindung" bei der Beratung und Behandlung der Patienten propagiert, und die Mehrheit der Patienten wünscht ein Mitspracherecht bei der Behandlung. Bei der praktischen Umsetzung dieses Konzepts fühlen sich jedoch Arzt und Patient oftmals überfordert - hier kann der Selbsthelfer "behilflich" sein.

Chronisch kranke Patienten wünschen sich vom Arzt umfassende Aufklärung nebst Informationen über den Umgang mit der Erkrankung und über den Behandlungserfolg bei Gleichbetroffenen. Die Vorgaben des Sozialgesetzbuchs und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zum "Qualitätsmanagement in der ärztlichen Praxis" sehen die Möglichkeit der Einbeziehung einer dritten Person in den Arzt-Patient-Dialog vor. Schließlich ist in der psychiatrischen Behandlung das Konzept der "trialogischen Kommunikation" bereits seit vielen Jahren als anerkannte Beratungsoption eingeführt, wobei der "Dritte im Bunde" oftmals ein Angehöriger ist.

Allerdings gilt es zu bedenken: Das Verhältnis Arzt-Patient ist traditionell von hohem Vertrauen des Patienten in die Kompetenz und Verschwiegenheit des Arztes geprägt. Die Hinzuziehung einer dritten Person bedarf daher unbedingt der vorherigen Zustimmung beider Seiten. Der "Selbsthelfer" darf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht zerstören; die Selbsthilfe sollte von Arzt und Patient als nützlich empfunden werden (z.B. unmittelbar nach der Erstdiagnose); das Aufeinander-Zugehen von Arzt und Selbsthilfe ist oft keine "Liebe auf den ersten Blick", sondern stellt einen Prozess des Kennen- und Schätzenlernens dar.


Der Trialog als Kommunikationsmodell

Die zentrale Frage an eine von der Selbsthilfe mitgestalteten Arzt-Patient-Schnittstelle lautet: Wie, von wem und zu welchem Zeitpunkt sollte die "kollektive Erfahrung" der Selbsthilfe bei der Bewältigung einer schweren chronischen Erkrankung in den Arzt-Patient-Dialog eingebracht werden? Hierzu sind vier "Kommunikationsmodelle" denkbar:

"Klassisches Dialogmodell"

Der niedergelassene oder klinische Facharzt weist seinen Patienten nicht, oder allenfalls "passiv", also auf Nachfrage des Patienten, auf die Existenz der Selbsthilfe hin.


"Verweismodell"

Arzt und Patient verbleiben im klassischen Dialog, der Arzt verweist jedoch auf eine Patientenorganisation, wo sich der Patient mit Gleichbetroffenen separat austauschen kann.


"Patientensprechstunde"

Der Arzt unterstützt die zusätzliche Sclbsthilfeberatung im unmittelbaren zeitlich-örtlichen Zusammenhang mit seiner eigenen Untersuchung und Beratung.


"Trialog-Modell"

Arzt und Patient einigen sich darauf, beispielsweise im Rahmen eines an die Erstdiagnose anschließenden Zweitgesprächs, einen qualifizierten, möglichst "gleichbetroffenen" Vertreter einer Selbsthilfegruppe hinzuzuziehen.

Mischvarianten und Kombinationen sind denkbar und werden ebenfalls im Drehbuch illustriert.

Das Festhalten am klassischen Dialogmodell geht in der Regel mit geringer Bereitschaft des Arztes einher, sich Kenntnisse über die Selbsthilfe anzueignen. Beim "Verweismodell" hält sich der Arzt über die Arbeit der Patientenorganisation auf dem Laufenden, der "Verweis" an die Selbsthilfe erfolgt meist durch Broschürenweitergabe oder Hinweis auf die Internetadresse. Die beiden Kommunikationsmodelle "Patientensprechstunde" und "Trialog" sind hingegen durch bewusste Neugestaltung der klassischen Arzt-Patient-Schnittstelle und Überwindung der Grenzen zwischen den beiden "Parallelwelten" gekennzeichnet. Die hierbei involvierten Ärzte weisen ein hohes und durch aktive Mitarbeit gekennzeichnetes Erfahrungspotential in der Zusammenarbeit mit Patientenorganisationen auf, z.B. durch Mitgestaltung von gemeinsamen Symposien oder Forschungskolloquien, durch Beteiligung an der Redaktion von Informationsbroschüren oder durch Beratung von Regionalgruppen.


Schulungsfilm für Ärzte und Studenten

Die geschilderte Problematik der Arzt-Patient-Selbsthilfe-Kommunikation bei seltenen Erkrankungen wurde in einem Drehbuch aufgearbeitet, das im Rahmen des BMG-geförderten Projekts "Patientenselbsthilfe und Versorgungsqualität bei seltenen Erkrankungen" entstand. Dieses Drehbuch soll Grundlage sein für einen an Ärzte und Medizinstudenten gerichteten Schulungsfilm, der am Beispiel der seltenen Netzhautdegenerationen (hier: Retinitis Pigmentosa) zeigen soll, wie durch die Erfahrungen der Selbsthilfe die Kommunikation zwischen Arzt und Patient, insbesondere bei der Vermittlung der Erstdiagnose und deren Folgen, verbessert und um nicht-medizinische Informationen ergänzt werden kann. Dabei wird der Nutzen der Kommunikationsform "Trialog" für Arzt und Patient deutlich erkennbar.

Das Drehbuch wurde im Juli 2008 am TINKO Unternehmenstheater in Giessen in Form einer Probelesung in Anwesenheit von Augenärzten, Pädagogen und Aktiven der Pro Retina umgesetzt. Die Mittel für die filmische Umsetzung müssen freilich noch akquiriert werden.

Wer Interesse am Bezug des Drehbuchs hat, dessen Inhalt problemlos auf andere seltene Erkrankungen umgeschrieben werden kann ("Ich sei, gewährt mir die Bitte, in Eurem Bunde der Dritte"), wende sich bitte direkt an mich:

Dr. Rainald von Gizycki
E-Mail: rainald.vongizycki@charite.de


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Quelle:
Selbsthilfe 4/2009, S. 32-33
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2010