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POLITIK/469: Der Koalitionsvertrag - Viele Konflikte wurden vertagt (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2009

DER KOALITIONSVERTRAG:
Viele Konflikte wurden vertagt

Von Dr. Siiri-Ann Doka


Bereits kurz nach der Wahl deutete sich an, dass in der Gesundheitspolitik grundlegende Zielkonflikte aufgearbeitet werden müssen: Während sich Angela Merkel klar zum Gesundheitsfond bekannte, forderte die FDP dazu auf, die Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen auf eine völlig neue Grundlage zu stellen.



Verein gegründet

Dabei wollen FDP und Teile der Union einen weitgehenden Umbau der Beitragssystems hin zu einer Kopfpauschale. In diesem Fall zahlt der Spitzenfußballer den gleichen Betrag wie der Pförtner. Es ist unklar, welchen Anteil die Kopfpauschale am Krankenversicherungsbeitrag einnehmen soll. Demgegenüber sperren sich die CSU und Teile der CDU gegen solche tiefgreifenden Änderungen. Insofern zählte die Gesundheitspolitik von Anfang an zu den schwierigsten Themen in den Koalitionsverhandlungen. Dies hatte zur Folge, dass viele der kritischen Fragen im Koalitionsvertrag so formuliert wurden, dass bereits vor der Verabschiedung über die Auslegung der entsprechenden Passagen gestritten wurde.


Gesundheitsfonds

Letztlich ist im Koalitionsvertrag bereits die Frage nach der Zukunft des Gesundheitsfonds auf das Jahr 2010 verschoben worden: Schwarz-Gelb will erst dann über eine große Gesundheitsreform beraten, die frühestens 2011 in Kraft tritt. Klar ist jedoch bereits jetzt folgendes: Längerfristig sollen die gesetzlichen Krankenkassen danach wieder einen Teil der Beiträge selbst - einkommensunabhängig - erheben. Für Geringverdiener verspricht die neue Regierungskoalition allerdings einen Solidarausgleich über Steuermittel. Der Arbeitgeberbeitrag soll zur Entlastung der Wirtschaft auf den jetzigen Stand gedeckelt werden, weshalb Arbeitnehmer künftige Mehrbelastungen alleine tragen müssten. Der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich soll "auf das notwendige Maß reduziert" werden. Aus Sicht chronisch kranker und behinderter Menschen besteht die Besorgnis, dass jedes Zurückfahren des morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs es den Kassen schwer macht, sich für das Versorgungsmanagement zu engagieren. Auf dieses sind jedoch diese Menschen in besonderem Maße angewiesen.

Nach dem Koalitionsvertrag bleibt jedoch unklar, ob diese Vereinbarungen zur Folge haben, dass der Gesundheitsfond in seiner jetzigen Form keine Zukunft mehr hat und/oder eine (teilweise) Kopfpauschale, also ein einkommensunabhängiger Krankenversicherungsbeitrag, kommen wird. Die weiteren Details soll eine Kommission klären.


IQWIG

Deutlicher wird der Koalitionsvertrag an anderer Stelle: Die Arbeit des IQWIG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) soll unter dem Gesichtspunkt stringenter, transparenter Verfahren überprüft und die Akzeptanz von Entscheidungen von Patienten, Leistungserbringern und Herstellern verbessert werden. Die ursprünglich von der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU erarbeitete Formulierung einer Neuordnung des IQWIG wurde damit abgeschwächt. Dennoch wird man sich hier im IQWIG möglicherweise auf ein Schwinden des politischen Rückhalts einstellen müssen.

Unter dem Stichwort "Individuelle Wahl- und Entscheidungsspielräume" hat die neue Regierung dargestellt, dass es positive Erfahrungen mit Festzuschüssen, Festbeträgen und Mehrkostenregelungen bei Zahnersatz, bei Arzneimitteln und bei Leistungen zur medizinischen Rehahilitation gäbe und deswegen zu prüfen sei, ob auch an anderer Stelle "Mehrkostenregelungen" sinnvoll seien. Auch wenn die Formulierung sehr weit ausgestaltet ist, steht zu befürchten, dass dieser Befund eine Ausweitung von Regelungen zu Zuzahlungen für chronisch kranke und behinderte Menschen zur Folge haben wird. Es bleibt abzuwarten, ob die Formulierung eine Abkehr vom Sachleistungsprinzip der Gesetzlichen Krankenversicherung hin zum Prinzip einer Kostenerstattung beinhaltet.


Pflegeversicherung

Auch im Bereich der Pflegeversicherung können neue Kosten auf Patienten und Versicherte zukommen. Hier ist vorgesehen, die Versicherten zu verpflichten, eine private Zusatzversicherung abzuschließen. Letztlich bedeutet auch dies eine teilweise Umstellung auf Kopfpauschalen und wird damit eine zusätzliche Belastung insbesondere für Menschen mit geringem Einkommen und Renten zur Folge haben.


UN-Konvention

Positiv zu bewerten ist jedoch aus der Sicht behinderter Menschen, dass der Koalitionsvertrag ausdrücklich Bezug auf die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen nimmt. So haben sich die Koalitionäre im Vertrag dazu bekannt, dass sich politische Entscheidungen, die Menschen mit Behinderungen direkt oder indirekt betreffen, an den Inhalten der UN-Konvention messen lassen müssen. Zur Umsetzung der Konvention soll ein Aktionsplan entwickelt werden.


Patientenschutzgesetz

Die Koalition will ferner die Rolle der Patienten stärken; insbesondere soll hierzu ein eigenes Patientenschutzgesetz in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten im Gesundheitswesen erarbeitet werden. Was genau in einem solchen Gesetz stehen könnte, darüber schweigt sich der Koalitionsvertrag wiederum aus.


DIE AUTORIN:
Dr. Siiri-Ann Doka ist Leiterin des Referats Gesundheitspolitik und Selbsthilfeförderung der BAG SELBSTHILFE.


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Quelle:
Selbsthilfe 4/2009, S. 14-15
Zeitschrift der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung
und ihren Angehörigen e.V.
Herausgeber: BAG Selbsthilfe
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Tel.: 0211/31 00 6-0, Fax: 0211/31 00 6-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2010