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MEDIZIN/154: Zehn Jahre psychiatrische Tageskliniken in Berlin (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - April 2009

Zehn Jahre psychiatrische Tageskliniken im KEH
Wichtiges Bindeglied in der Behandlungskette

Von Reinhard Elbracht


Untersuchungen zeigen, dass psychische Erkrankungen vor allem in Großstädten zunehmen. Neben der stationären Behandlung spielen Tageskliniken in der Therapie psychisch kranker Menschen eine immer wichtigere Rolle. Im Evangelischen Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge (KEH) in Berlin wurden sie vor zehn Jahren eingerichtet.


"Die zunehmende Hektik und der Stress führen dazu, dass immer mehr Menschen, die früher noch gute Möglichkeiten hatten, stabil zu bleiben, psychische Erkrankungen entwickeln", erklärt Prof. Dr. Albert Diefenbacher. "Wir leben in einer Zeit, in der immer mehr Flexibilität gefordert wird. Wir müssen beruflich und privat immer und überall erreichbar und einsatzbereit sein. Aber der Preis, den wir dafür bezahlen, ist hoch", so der Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik im KEH. 2008 mussten 35 Prozent mehr Berliner wegen Depressionen im Krankenhaus behandelt werden als noch 2004.

Die Zahl der stationär aufgenommenen Patienten mit Angsterkrankungen ist innerhalb von vier Jahren um 22 Prozent gestiegen. "Psychiatrische Tageskliniken haben in der Behandlung psychisch erkrankter Menschen eine große Bedeutung", sagt Prof. Diefenbacher. "Sie sind ein wichtiges Bindeglied zwischen vollstationärer und ambulanter Behandlung."

Seit Anfang der 1960er-Jahre gibt es in Westberlin psychiatrische Tageskliniken. Im Ostteil der Hauptstadt wurden sie Ende der 1990er-Jahre eingerichtet. In diesem Jahr feiern die beiden Tageskliniken der Abteilung für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des KEH ihr zehnjähriges Bestehen. "Eine Umfrage bei niedergelassenen Ärzten ergab damals einen Bedarf an Tagesklinikplätzen, vor allem in der Angstbehandlung", so Albert Diefenbacher. "Wir haben zunächst die Tagesklinik an der Boxhagener Straße in Friedrichshain eröffnet. Wir wollten ein dezentrales Angebot einrichten, außerhalb unserer Klinik in Lichtenberg."

Rund sechs Monate später wurde die Tagesklinik an der Herzbergstraße, in unmittelbarer Nähe zum KEH, eröffnet. Beide Kliniken haben heute den Versorgungsauftrag für die Stadtbezirke Lichtenberg und Hohenschönhausen mit rund 250.000 Einwohnern. "Zwei Drittel der Patientinnen und Patienten in unserer Tagesklinik in Lichtenberg kommen aus dem vollstationären Bereich des KEH", erklärt Dr. Henriette Meyer, seit August 2008 Leiterin der beiden Tageskliniken. Ein Drittel der Frauen und Männer mit einer psychischen Erkrankung wird von niedergelassenen ärzten überwiesen. An der Boxhagener Straße kommen rund 90 Prozent der Frauen und Männer aus dem ambulanten Bereich. Wegen der steigenden Nachfrage werden aber auch Patienten aus anderen Stadtteilen aufgenommen.


Drei Gruppen

Es gibt in jeder Tagesklinik drei Behandlungsgruppen. Je zwei Gruppen sind auf Menschen mit einer Depression ausgerichtet. In Lichtenberg gibt es außerdem eine Gruppe für Menschen mit einer Psychose, die zuvor im vollstationären Bereich des KEH behandelt wurden. Die zuständige Psychologin Judith Brade arbeitet sowohl auf der Psychosestation als auch in der Tagesklinik. "Es ist für beide Seiten ein großer Vorteil, dass sie die Patienten schon kennt, die in der Tagesklinik weiterbehandelt werden", so Dr. Henriette Meyer.


Angsterkrankungen

Die dritte Gruppe an der Boxhagener Straße bietet seit zehn Jahren Menschen mit einer Angsterkrankung Hilfe an. "Wir sind in Berlin die einzige Tagesklinik mit diesem Angebot. Wir haben eine Warteliste und nehmen auch Frauen und Männer aus der ganzen Stadt auf."

Die beiden Tageskliniken haben je 20 Plätze. Der Schwerpunkt der. Behandlung ist die Psychotherapie in Form der Gruppentherapie. "Psychopharmaka werden nur in unbedingt notwendigem Umfang eingesetzt", betont Dr. Meyer. "So viel wie nötig, so wenig wie möglich." Zum Therapieangebot gehören unter anderem Musik- und Bewegungstherapie, Ergotherapie mit PC-Training und alltagspraktischem Training sowie Außen- und Mobilitätstraining zur Belastungserprobung.

"Eine Tagesklinik hat für Betroffene, bei denen die ambulante Behandlung nicht ausreicht, eine geringere Hemmschwelle als die vollstationäre Aufnahme", erklärt Dr. Henriette Meyer. "Man geht nicht in die Psychiatrie. Der Tagesablauf im gewohnten sozialen Umfeld bleibt bestehen." In der Therapie Erlerntes kann im Alltag erprobt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass die Patienten den Alltag bewältigen und allein sein können sowie dass kein Suchtproblem im Vordergrund steht und keine Suizidgefahr besteht. "Unser Ziel und unsere Aufgabe aus kassenärztlicher Sicht ist es, den vollstationären Aufenthalt im Krankenhaus zu verkürzen. Der Zwischenschritt in der Tagesklinik soll den Übergang in den Alltag erleichtern und kann dabei in vielen Fällen Rückfälle vermeiden", so Dr. Meyer. Bei Patienten, die aus dem ambulanten Bereich kommen, kann die meist achtwöchige Behandlung in der Tagesklinik oft rechtzeitig eine weiteren Ausbruch der Krankheit mit notwendiger vollstationärer Einweisung verhindern.


Früherkennung

"Mit unserem Angebot zur Früherkennung von Psychosen gehen wir noch einen Schritt weiter", sagt Prof. Dr. Albert Diefenbacher. "Wir bieten eine Aufnahme von rund einer Woche in unserer Tagesklinik in Lichtenberg an, um schon im Vorläuferstadium der Erkrankung eine Verdachtsdiagnose stellen zu können." Aufgrund des zunehmenden Bedarfs gibt es Pläne für eine dritte Tagesklinik des KEH. "Wir denken über die Umwandlung von vollstationären in teilstationäre Plätze auf unserem Klinikgelände nach", so Diefenbacher. "Der Schwerpunkt soll dabei die Gerontopsychiatrie sein." Auch eine interdisziplinäre Schmerztagesklinik ist denkbar. "Wir könnten den Patienten, bei denen keine körperlichen Ursachen für ihre Schmerzen feststellbar sind, eine Behandlung mit Schmerztherapie und Psychotherapie anbieten."


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Quelle:
DER RING, April 2009, S. 10-11
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2009