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MEDIEN/219: 50 Jahre DER RING 1961-2011 - Fusionen, Fallpauschalen und ein Fleischskandal (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Oktober 2011

50 Jahre DER RING 1961-2011
Fusionen, Fallpauschalen und ein Fleischskandal

von Robert Burg


Auch wenn beim Jahrtausendwechsel sowohl Weltuntergang als auch "Millennium-Bug" ausblieben, bewegten einschneidende Großereignisse, wie die Euro-Einführung, die Gesundheits- und Sozialreformen und nicht zuletzt die Terroranschläge in den USA, die Menschen. Auch in Bethel markiert die erste Hälfte der "Nullerjahre" eine ereignisreiche Zeit.


In den ersten Jahren des neuen Jahrtausends wird rege gebaut, die Summe der Investitionen erreicht mit 67 Millionen Euro 2005 den bisherigen Höchststand. Viel Geld fließt in den Krankenhausbereich, etwa in den Neubau der Kinder-Epilepsieklinik Kidron. Aber auch der Stiftungsbereich proWerk benötigt neue Immobilien: In Bielefeld-Sieker wird eine Werkstatt für sieben Millionen Euro errichtet, in der 220 Menschen Arbeit finden. DER RING stellt das Projekt im August 2002 vor. Der Bau, der im Herbst 2003 fertiggestellt wird, ersetzt die vier Jahre zuvor abgebrannte Beckhof-Werkstatt. Ebenfalls dem Feuer zum Opfer fällt die Freistätter Festscheune im August 2003. 140 Feuerwehrleute kämpfen stundenlang gegen den Großbrand, der vermutlich auf Brandstiftung zurückgeht.

Vor allem im Ruhrgebiet schießen neue Einrichtungen aus dem Boden. Den Anfang als erster Neubau in Dortmund macht das Haus Am Lohbach, über das DER RING im Februar 2001 berichtet. Dort leben 26 Menschen mit geistigen und psychischen Behinderungen. Ebenfalls in Dortmund wird im Dezember 2003 ein Hospiz eingeweiht. Mit der Einrichtung schlägt sich baulich nieder, was in dieser Zeit in Bethel viele Menschen beschäftigt: Bereits seit 1998 gibt es das stationäre Hospiz Haus Zuversicht in Bielefeld, ein weiterer Hospiz-Standort mit Bethel-Beteiligung besteht seit 2002 mit dem Villa-Auguste-Hospiz in Leipzig. Aus Bethel wirken Dr. Hans-Jürgen Elender und Adelheid Rieffel in der Hospizentwicklung maßgeblich mit.

Auch in Berlin und Brandenburg nimmt das Engagement Bethels zu. Ab 2001 ist Bethel Hauptgesellschafter des Ev. Krankenhauses Königin Elisabeth Herzberge in Berlin-Lichtenberg, eines modernen Krankenhauses mit 607 Betten, zu dem auch zwei psychiatrische Tageskliniken gehören. Zwei Jahre später, im Oktober 2003, kann DER RING vermelden, dass in Bernau die Lobetaler Epilepsieklinik Tabor eröffnet wurde. Mit einer Gesamtinvestitionssumme von 8,5 Millionen Euro ist hier das modernste Fachangebot in den neuen Bundesländern entstanden. Ein Schwerpunkt der Klinik mit 50 stationären Betten ist die Diagnostik und Therapie schwer behandelbarer Epilepsien.

Nicht nur die ganz großen Bauprojekte hat DER RING im Blick: Als Bethel-Mitarbeiter Andreas Pollhans eines schönen Morgens in sein Büro kommt, muss er feststellen, dass eine Amsel auf dem Rahmen seines offenen Kippfensters ein Nest eingerichtet hat. Im Gegensatz zu den meisten Bethel-Neubauten ist dieses Bauwerk allerdings nicht von Dauer.

Einen wahren Sturm der Entrüstung entfacht eine Shinto-Zeremonie im Lindenhof, die DER RING in seiner Juli-Ausgabe 2001 thematisiert. Um den Ort für einen japanischen Garten vorzubereiten, haben vier Priester den Bauplatz rituell "gereinigt". Die Verfasserin eines Leserbriefs beklagt den "Kniefall vor anderen Gottheiten", andere Leser prangern "heidnischen Götzenkult" und "Vielgötterei" an. In der nächsten Ausgabe plädieren mehrere Leser für einen souveränen "Umgang mit dem Anderssein" und gegen "mittelalterliche Ängste". Der Eckardtsheimer Diakon Rainer Nußbicker rät zu pragmatischer Gelassenheit: Die im Rahmen der Zeremonie verstreuten Papierschnipsel würden ja im September ohnehin von der Gartengruppe des Berufsbildungswerks Bethel wieder aufgefegt. Spätestens dann sei das Thema erledigt.

Auch in anderen Zusammenhängen wendet sich Bethel internationalen Beziehungen zu. So bildet Nazareth Diakone in Ungarn aus, die Krankenanstalten Gilead behandeln britische Patienten, und der Stiftungsbereich proWerk unterstützt Menschen mit Behinderung in Minsk. Auch Menschen mit Behinderung knüpfen Kontakte über Ländergrenzen hinweg. Im Frühjahr 2003 treffen sich Menschen aus Holland, Österreich, Italien und England in der Neuen Schmiede; wenige Monate später treten Bethel-Delegationen den Gegenbesuch an.

Im selben Jahr wird eine Reise nach Dublin zu einem einmaligen Erlebnis für vier Mamre-Patmos-Schüler. Sie kämpfen auf dem Golfkurs um Medaillen bei den Special Olympics und treffen Promis wie Arnold Schwarzenegger, Nelson Mandela und Muhammed Ali. Nur in die Ferne träumen sich hingegen "Flinke Forelle" und die anderen Stammesmitglieder, die beim Indianerprojekt der Janusz-Korczak-Schule und der Reittherapie eine aufregende Zeit genießen. Trommeln basteln, Tipis errichten und Feuerholz sammeln - die Grundschüler erleben einen tollen Sommer in der Freistätter Prärie.


Osteuropa im Blick

Als bislang einzige diakonische Einrichtung leistet Bethel ab 2001 direkte finanzielle Unterstützung für ehemalige Zwangsarbeiter und NS-Opfer. Für zwei Jahre, so ist in der Februar-Ausgabe 2001 zu lesen, werden 70 ehemalige Zwangsarbeiter aus Weißrussland mit einem monatlichen Geldbetrag unterstützt. Weit hinaus über diesen symbolischen Ausgleich der Kriegsschuld werden Kontakte nach Osteuropa gepflegt. Als 2002 das im Ortsbild von Bethel hoch aufragende Gottfried-Bansi-Hochhaus und sein benachbarter "Zwilling" aufgrund von Schadstoffen im Boden abgerissen werden müssen, wird das komplette Inventar der als Wohnheim der Sarepta-Schwestern genutzten Gebäude ins ungarische Nagykörös geschickt, wo ein Diakonisches Zentrum entsteht.

Gesellschaftspolitische Themen werden im RING immer wieder aufgegriffen. So meldet sich Prof. Dr. Michael Seidel etwa im November 2003 zur kommenden Gesundheitsreform zu Wort, die er als "ersten Schritt zur Entsolidarisierung" bezeichnet. Der Geschäftsführer und leitende Arzt im Stiftungsbereich Behindertenhilfe warnt vor "erheblichen negativen Auswirkungen auf die Qualität und den Umfang der medizinischen Versorgung". Auch die Brisanz der ab dem 1. Januar 2005 gültigen Hartz-Vier-Gesetze ist ein RING-Thema. Viele Sozialhilfeempfänger leben in Bethel. Sie haben Bedenken, ob der Regelsatz von 345 Euro reicht, um den notwendigsten Lebensbedarf zu decken.

Als Reaktion auf die schrittweise Verkürzung des Zivildienstes wird ab 2000 über ein "Betheljahr" nachgedacht. Schon zwei Jahre später treten 25 junge Menschen diese neue Form des Freiwilligendiensts an.

Kurz nach der Jahrtausendwende verunsichert der BSE-Skandal viele Menschen in Bethel. "Die Großküchen in Bethel reagieren blitzschnell", kann DER RING im Februar 2001 die Mittagsgäste von Ophir und Co beruhigen. Die Bergküche verbannt vorübergehend Rindfleisch aus dem Speiseplan, die Fleischerei Bethel schließt eine Gefährdung ihrer Kunden aufgrund eines hohen Qualitätsbewusstseins - "nicht erst seit der Krise!" - aus. Einem "Bio-Boom" begegnet man in Bethel mit ostwestfälischer Zurückhaltung: "Das läuft eine Weile, dann kehren die Verbraucher zu ihren alten Gewohnheiten zurück", vermutet Quellenhof-Betriebsleiter Ralf Müller.

Ein großes, aber nicht unumstrittenes Thema ist das "Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung 2003". In einer Vielzahl von Beiträgen berichtet DER RING von tollen Aktionen, an denen sich Bethel beteiligt. Doch bei der Abschlussveranstaltung in Berlin kommt es zum Eklat. DER RING thematisiert im März 2004 die Veranstaltung, in der sich die Empörung über Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen entlädt, die zu allererst behinderte und chronisch kranke Menschen zu spüren bekommen. Vor allem Staatssekretär Franz Thönnes, der die angekündigte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt vertritt, wird von den Menschen mit Behinderung scharf kritisiert und ausgebuht. Seine Äußerung, die Demonstrierenden jammerten auf hohem Niveau, nimmt man ihm sehr übel. Hingegen durchweg positiv wahrgenommen wird der Auftritt von Volksmusikstar Heino in Bethel, der mit seinem Benefiz-Konzert im ausverkauften Assapheum für Begeisterung sorgt.

Im November 2004 präsentiert DER RING erste Ergebnisse der Mitarbeitendenbefragung "Bethel fragt Bethel": 73,4 Prozent der Mitarbeitenden haben die 190 Fragen beantwortet. In vielen wichtigen Bereichen erhält das Unternehmen gute Noten: 79 Prozent der Befragten würden Bethel wieder als Arbeitgeber wählen, lediglich 5 Prozent nicht. Als "Baustellen" können unter anderem die Gesundheitsförderung und die Belastung am Arbeitsplatz ausgemacht werden. DER RING wird als wichtige Informationsquelle genannt.

Im Bielefelder Krankenhauswesen werden 2001 neue Weichen gestellt, als Bethel und das Ev. Johanneswerk den "Verbund Evangelischer Krankenhäuser und Kliniken" gründen. Anfang 2005 fusionieren schließlich die Kliniken Gilead, Mara und Johanneskrankenhaus zum Ev. Krankenhaus Bielefeld. Von der Eröffnung berichtet DER RING in der März-Ausgabe. Auch in Duisburg arbeiten Bethel und das Ev. Johanneswerk ab 2002 bei der Planung und dem Bau einer Forensik-Klinik für suchtkranke Straftäter zusammen.

Mit dem Vergütungssystem der Fallpauschalen stehen den deutschen Krankenhäusern tief greifende Veränderungen bevor. Bis dato wurden tagesbezogene Pflegesätze abgerechnet, ab 2004 sind die "Diagnose bezogenen Fallpauschalen", so genannte DRGs, die Maßgabe. Die Krankenanstalten Gilead führen das System schon ab 2003 auf freiwilliger Basis ein. Dennoch schlägt das neue Vergütungssystem auch in Bethel hohe Wellen; vor allem die Kinderkrankenhäuser protestieren gegen die neuen Pauschalen, weil in den allermeisten Fallgruppen Kinder genauso wie erwachsene Menschen abgerechnet werden.


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Quelle:
DER RING, Oktober 2011, S. 14-16
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2011