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FRAGEN/165: "Blech- und Holzmedaille? Das finde ich sehr unpassend" (DOSB)


DOSB-Presse Nr. 42 / 19. Oktober 2010
Der Artikel- und Informationsdienst des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB)

Interview mit dem Behindertensportler und Fairplay-Preisträger Josef Giesen

"Blech- und Holzmedaille? Das finde ich sehr unpassend"


DOSB PRESSE: In der Hauptsache würdigte die Jury mit dem Preis Ihr sehr sportliches Verhalten nach einer äußerst knappen Niederlage bei den diesjährigen Paralympics. Wie erinnern Sie sich an diesen Wettkampf, bei dem Sie am Ende mit sieben Zehntel Sekunden an der Bronzemedaille vorbeischrammten?

JOSEF GIESEN: Dieser Fairplay-Preis des Bundesinnenministeriums ist für mich natürlich eine besonders schönes Würdigung so unmittelbar nach dem Ende meiner langen sportlichen Karriere. Ich bin etwa 15 Jahre international dabei gewesen, und es war immer mein Credo, nicht nur fair gegenüber den anderen, sondern zugleich auch 100 Prozent fair gegenüber sich selbst zu sein. Deswegen ist mir gar nicht bewusst gewesen, dass ich in diesem Moment ein besonderes Verhalten an den Tag gelegt haben soll. Für mich war es ganz normal, dem sportlichen Rivalen zu seiner Leistung zu gratulieren. Außerdem ist es für mich seit jeher selbstverständlich, einen vierten Platz nicht als Niederlage zu empfinden, sondern gerade bei einem so großen Ereignis wie den Paralympics als eine herausragende Platzierung. Viertbester auf der Welt in einer bestimmten Disziplin, das ist doch etwas Großartiges.

DOSB PRESSE: Im schnelllebigen und auf Sieger fokussierten Alltag gilt ja meist der Zweite schon erster Verlierer.

GIESEN: Vielleicht kann dieser Fairplay-Preis ja ein bisschen dazu beitragen, diese völlig verzerrte und überzogene Sichtweise zu relativieren und nach und nach in den Hintergrund zu drängen oder aus den Medien völlig verschwinden zu lassen. Über einen vierten Platz muss man sich doch nicht ärgern, auch wenn man die Bronzemedaille vielleicht nur ganz knapp verfehlt hat. Deswegen finde ich persönlich Bezeichnungen wie Blech- oder Holz-Medaille, mit denen die Viertplatzierten in den Medien oft genug qualifiziert werden, als sehr unpassend.

DOSB PRESSE: Aber Sie konnten ja im Unterschied zu Bronzegewinner Grygorii Vovchynskyi aus der Ukraine wegen ihrer Behinderung keine Stöcke einsetzen.

GIESEN: Das stimmt natürlich, aber das ist eben nicht die ganze Geschichte. Die meisten Leute sehen in einem Wettkampf eben nur, dass es diesen wesentlichen Unterschied gibt, obwohl da Athleten in derselben Schadensklasse starten. Der unterschiedliche Grad der Behinderung wird allerdings berücksichtigt, indem zum Beispiel von meinem Gesamtresultat am Ende 13 Prozent abgezogen werden und nur 87 Prozent davon in der Wertung kommen, während bei dem Ukrainer nur 4 Prozent abgezogen wurden. Das heißt, er musste 9 Prozent schneller laufen als ich, und das hat er geschafft und vor diesem Hintergrund respektiere ich seine Leistung natürlich umso mehr. Außerdem hat er sich anschließend bei mir für den knappen Ausgang entschuldigt. So ist das eben bei uns, da gehört Fairplay fast selbstverständlich dazu.

DOSB PRESSE: Das paralympische Rennen über 12,5 Kilometer, in dem Sie Dritter wurden, ist das letzte in Ihrer Karriere gewesen. Werden Sie dem Sport erhalten bleiben?

GIESEN: Mit 48 Jahren international weiter mit vorn dabei zu sein, das ist angesichts der rasanten Entwicklungen, die der paralympische Sport genommen hat, fast unmöglich. Das ist jetzt genau so ein Leistungssport wie bei den anders behinderten Sportlern und man muss da ehrlich gegenüber sich selbst sein. Ich erinnere mich noch gut, wie ich für die Leute aus der Nationalmannschaft anfangs immer der Exot war und der "Deichläufer aus dem Emsland". Das hat mich eher angespornt und diese Motivation möchte ich nun gern an Jüngere weitergeben. Ich möchte in Niedersachsen jetzt gern Behindertenwerkstätten gehen und vor allem junge Leute, 16- und 17-Jährige animieren, Sport zu treiben. Vielleicht nehmen sie irgendwann auch an den Paralympics teil und gewinnen dort sogar Medaillen. Das alles setzt voraus, den Nachwuchs zielstrebig zu sichten und das wird meine Aufgabe zuhause in Niedersachsen ein. Dem Sport nur passiv treu zu bleiben, das wäre mir allerdings etwas zu wenig. Ich brauche zugleich weiter die persönliche sportliche Herausforderung. Deswegen möchte ich im kommenden Jahr gern am berühmten Vasalauf in Schweden teilnehmen. Vielleicht finden sich bis dahin noch einige Gönner, die diese sportliche Leistung über 90 Kilometer mit einer Spende honorieren. Ich würde dieses Geld sehr gern dem früheren Nationaltorhüter Hans Tilkowski und sein soziales Engagement zur Verfügung stellen, der sich schon seit vielen Jahren für Kinder und Jugendliche aus internationalen Krisengebieten einsetzt und ihnen dringend gebrauchte medizinische Hilfe ermöglicht. Diese Heranwachsenden werden nach Deutschland eingeflogen, damit sie hier operiert werden und die notwendige ärztliche Betreuung bekommen können. Diese Art der Luftbrücke wird ausschließlich mit Hilfe von Spenden finanziert Dafür möchte ich unbedingt einen Beitrag leisten.

Interview: Andreas Müller


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Quelle:
DOSB-Presse Nr. 42 / 19. Oktober 2010, S. 28
Der Artikel- und Informationsdienst des
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2010