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HILFSMITTEL/219: Unterstützte Kommunikation (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 4/2012

Helfer im Alltag
Unterstützte Kommunikation

Von Jürgen Barst



Unter Unterstützter Kommunikation (UK) werden alle einzeln und in Kombination durchgeführten Maßnahmen zur Erweiterung der kommunikativen Möglichkeiten von Menschen zusammengefasst, die über keine oder ungenügende bzw. unverständliche Lautsprache verfügen. Man unterscheidet zwischen nicht-technischen und technischen Hilfsmitteln. Nicht-technische Kommunikationshilfen sind Bild- oder Fotokarten, Symboltafeln und -mappen. Diese können mittels verschiedener Symbolsammlungen wie PRD-Bilder-CD, Metacom oder PCS gestaltet werden. Einfache elektronische Kommunikationshilfen mit natürlicher Sprachausgabe dienen der Kommunikationsanbahnung bei kleinen Kindern oder Menschen mit geringen Kommunikationserfahrungen. Diese Hilfsmittel ermöglichen Interaktionen zu initiieren und zu beeinflussen, das Erlernen dialogischen Verhaltens sowie den Aufbau einer Beziehung. Komplexe elektronische Hilfsmittel bieten weitreichende Ausdrucksmöglichkeiten bis hin zu freier Kommunikation.


Elektronische Hilfen von einfach bis komplex

Vorteil der einfachen elektronischen Hilfen ist die leichte Bedienbarkeit sowohl für den Benutzer als auch für das Umfeld. Kinder können mit ihnen schnelle Erfolge in der Kommunikation erzielen.

Komplexe Kommunikationsgeräte bieten einen größeren Wortschatz und ermöglichen eine umfassendere bis hin zur freien Kommunikation. Sie haben in den letzten 20 Jahren vielen Menschen mit schweren körperlichen Beeinträchtigungen geholfen, sich immer besser mitzuteilen und am sozialen Leben in der Gesellschaft teilzunehmen.

Voraussetzung für eine effektive Nutzung eines Hilfsmittels ist eine gute Ansteuerung. Diese kann auf vielfältige Weise geschehen und hängt in erster Linie von den motorischen Fähigkeiten des Benutzers ab. Neben direkter Selektion mit dem Finger einer Hand gibt es Scanningverfahren (1 oder mehrere Tasten), Joystick, Touchpads und andere maus-kompatible Eingabegeräte, Kopfsteuerung mittels Headmouse und seit einigen Jahren auch Pupillensteuerung (Augensteuerung), wobei das Hilfsmittel die Blickrichtung des Benutzers auswertet.


Von den Anfängen der Unterstützten Kommunikation

Erste Anfänge von UK gab es in Deutschland bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Systematisch wird sie in Deutschland erst seit etwas über 20 Jahren betrieben.

Durch Produkte wie Batterieunterbrecher und PowerLink (zum Adaptieren von batterie- und strombetriebenen Geräten) sowie sprechenden Tasten wie dem BIGmack erfuhr die UK ab Mitte der 90er Jahre auch Verbreitung in dem Bereich der Menschen mit mehrfach- und geistiger Behinderung. Seit einigen Jahren sind komplexe Kommunikationshilfen mit Sprachausgabe rein dynamisch aufgebaut (Displaygeräte). Seit kurzem werden auch Tabletcomputer (iPad, Android-Tablets) in der UK eingesetzt.

Bei Prentke Romich Deutschland beispielsweise arbeitet ein interdisziplinäres Team aus Sprachtherapeuten, Sonderpädagogen und Technikern. Neben Beratung und Versorgung mit einem geeigneten Hilfsmittel bietet der Hersteller zahlreiche didaktische Materialien an. Diese bieten Ideen und Hinweise für den Spracherwerb mit einem Hilfsmittel und sind auf die Bedürfnisse der Benutzer zugeschnitten.


Menschen mit Cerebralparese

Der Begriff Cerebralparese (CP) beschreibt eine Gruppe neurologischer Behinderungen, deren Ursache in der Schädigung von Bereichen im Gehirn liegt, die für die Steuerung unserer Bewegung zuständig sind. Je nach Ort und Ausprägung der Schädigung kommt es zu einem Verlust der Beherrschung der Bewegung einzelner Körperteile bis hin zum völligen Verlust der motorischen Kontrolle des Bewegungsapparates.

Eine besondere Bedeutung erhält hier die infantile Cerebralparese, da sie von Geburt an wirksam ist und die gesamte Kindesentwicklung gravierend beeinträchtigt. Der Spracherwerb des Kindes ist ein ganzheitlicher Prozess, zu dem die motorische, perzeptive, emotionale, kognitive und soziale Entwicklung gehören. Da sich die Kindesentwicklung im dialogischen Miteinander entwickelt, wird auch die vom Umfeld an das Kind gerichtete Sprache vor große Herausforderungen gestellt. Frühzeitige, interdisziplinär gestaltete Förderung ist unabdingbar und dient der Erarbeitung von Kompensationen, die einen möglichst umfassenden Spracherwerb ermöglichen.

Das gesamte Spektrum an Kommunikationshilfsmitteln ist einsetzbar, benötigt jedoch eine sorgfältige Anpassung an die motorischen Fähigkeiten des Benutzers. Die Auswahl der jeweiligen Hilfen ist davon abhängig, ob motorisch eine direkte oder eine indirekte Ansteuerung notwendig ist.


Einsatz der Unterstützen Kommunikation so früh wie möglich

Sobald bemerkt wird, dass sich ein Kind aufgrund einer Behinderung (z. B. Down-Syndrom, Rett-Syndrom, Schädel-Hirn-Trauma, Mehrfachbehinderung...) nicht ausreichend mit seiner Umwelt austauschen kann und die Lautsprachentwicklung dadurch nicht altersgemäß geschieht, sollte mit UK begonnen werden. Je früher mit der Förderung begonnen wird, umso schneller kann das Kind weitere Entwicklungsschritte machen.

Bereits wenn sich ein Kind noch auf der vorsprachlichen Entwicklungsstufe der Ursache-Wirkung befindet, kann ihm ermöglicht werden, selbst mit seiner Umwelt Kontakt aufzunehmen und zu erkennen, selbst etwas bewirken zu können sowie aktiv in Kommunikation zu treten. Mögliche Hilfsmittel hierfür sind Power Link, Step-by-Step, GoTalk.

Hat ein Kind ein gutes Sprachverständnis, kann sich selbst aber nicht (ausreichend) lautsprachlich äußern, benötigt es Kommunikation, die eine Weiterentwicklung der eigenen Lautsprache fördert und das Verstandenwerden ermöglicht, was wichtig für die Persönlichkeitsentwicklung eines jeden Kindes ist.

Hilfsmittel können hierbei je nach kognitiven und motorischen Fähigkeiten kleine Hilfen wie GoTalk, QuickTalker oder komplexe Hilfen wie Accent 1200, SmallTalker, LightTalker, EcoTalker sein.


Autismusspektrumstörung (ASS)

Autismus ist eine tief greifende Entwicklungsstörung, die unter anderem durch eine Beeinträchtigung der sozialen Interaktion und Kommunikation gekennzeichnet ist. Es gibt zahlreiche pädagogisch-therapeutische Förderansätze und Methoden der UK, die die Entwicklung positiv beeinflussen. Durch ihren möglichst frühen Einsatz kann die Entstehung sekundärer Verhaltensauffälligkeiten (zum Beispiel Autoaggressionen) verhindert oder reduziert werden.

Strukturierung und Visualisierung sind wesentliche Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen bei Menschen mit ASS. Sie verfügen häufig über gute visuell-räumliche Wahrnehmungsprozesse und eine ausgeprägte visuelle Merkfähigkeit. Gleichzeitig zeigen sie eine Abneigung gegen Veränderungen in ihrer Umwelt.

Minspeak-Anwendungsprogramme bieten deshalb ähnlich wie eine Computertastatur eine feste Oberfläche, d.h. eine konstante Anordnung der Bilder, und werden somit dem Drang nach Gleicherhaltung der Umwelt bei Menschen mit ASS gerecht.

Die feste Tastatur ermöglicht zudem motorisches Lernen und eine Automatisierung der Bewegungen. Durch diesen Automatisierungsprozess muss sich der UK-Nutzer nicht mehr auf die Bewegung konzentrieren, sondern kann sich anderen Aspekten der Aktivität widmen.


Aphasie

Aphasie ist eine erworbene Sprachstörung nach Abschluss des Spracherwerbs, die verschiedene Modalitäten des Sprechens (Sprachverständnis, Sprachproduktion, Lesen, Schreiben) in unterschiedlichem Ausmaß betrifft. Sie bedeutet in der Regel keinen kompletten Sprachverlust. Die häufigsten Ursachen einer Aphasie sind Schlaganfall, Schädel-Hirn-Trauma und neurologische Erkrankungen.

Das äußerst breite Spektrum der Symptome bei aphasischen Störungen erfordert unterschiedliche Interventionsmaßnahmen und eine individuelle Gestaltung der UK-Förderung. Idealerweise erfolgt die Therapie multimodal in einem interdisziplinären Team.

Für Menschen mit Aphasie sind verschiedene schrift- oder symbolbasierte Anwendungsprogramme verfügbar.


DER AUTOR
Jürgen Barst
PrentkeRomich GmbH
www.prentke-romich.de

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Quelle:
Selbsthilfe 4/2012, S. 28 - 29
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2013