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GESCHICHTE/027: Bethel damals - Villa Augusta, ein Pflegehaus in Nizza (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Juli 2012

BETHEL DAMALS Villa Augusta - Ein Pflegehaus in Nizza

Von Gabriele Göckel



"Der hiesige Zweigverein des Vaterländischen Frauenvereins hat, gemäß seiner besonderen Lokalität, seine Aufgabe darin erkannt, daß er ein Pflegehaus gründete, in welchem weniger bemittelte kränkliche Landsleute, für die nach ärztlichem Urtheil ein Winteraufenthalt im milden Süden von wesentlichem Vortheil und darum sehr wünschenswerth wäre, zu einem verhältnismäßig recht billigem Preis Aufnahme und gute Verpflegung finden könnten"


Vor 125 Jahren, im Jahr 1887, übernahm die Westfälische Diakonissenanstalt Sarepta in Nizza ein Erholungsheim, die Villa Augusta. Das Haus gehörte dem Zweigverein des Vaterländischen Frauenvereins vom Roten Kreuz in Berlin. Es wurde bis zum Ersten Weltkrieg von Sarepta Schwestern geleitet, die ebenfalls dort Erholung finden konnten. Die Villa Augusta war für gebildete, wenig bemittelte deutsche Reichsangehörige aller Konfessionen gegründet worden. Sie hatte nicht den Charakter eines Krankenhauses, sondern den eines Pflegehauses. Gleich im ersten Winter fand dort eine Sarepta Schwester als Kranke Aufnahme, sie schlief mit den beiden anderen arbeitenden Schwestern in deren großem Schlafzimmer.


Im Winter im Süden

Kranke mit schwereren Erkrankungen wurden dort nicht aufgenommen, nur solche Leidende, für die ein Winteraufenthalt im Süden von Vorteil und für die Gesundheit förderlich war. Fast durchweg waren die Gäste des Pflegehauses mit ihrem Aufenthalt zufrieden, manche kehrten geheilt in die Heimat zurück, andere, deren Leiden noch nicht zu weit fortgeschritten war, profitierten wesentlich vom Aufenthalt in der Villa Augusta. Der größte Teil der Erholungssuchenden litt an Erkrankungen der oberen Atmungsorgane, aber auch Beschwerden wie Rheuma, Gicht, Anämie und Muskelatrophie kamen bei den "Pfleglingen" vor.


Günstiger Preis

Der tägliche Pensionspreis variierte zwischen zwei und fünf Francs. Er war für damalige Verhältnisse sehr günstig und hing von der Lage und Größe des Zimmers ab. In diesem Preis waren "Beköstigung, Wein, Heizung, Licht, Arzt, Medikamente und Pflege" enthalten. Das sehr gute und reichliche Essen wurde gemeinschaftlich eingenommen. Gesonderte Kost konnte allerdings nur vom Arzt verordnet werden. Jeder Kranke musste sich der Hausordnung fügen. Der gute Geist des Hauses war über viele Jahre die Hausmutter Schwester Charlotte Barkey, ihr zur Seite stand Schwester Dorette Pabst, die mit der Wirtschaft des Hauses betraut war. In der Regel arbeiteten drei Sarepta Schwestern im Haus.

Durchschnittlich besuchten 25 Gäste pro Saison die Villa, manche konnten nur kurze Zeit dort bleiben, anderen bekam das Klima nicht. Doch da während des ganzen Winters Aufnahmegesuche eingingen, konnten die Zimmer immer wieder besetzt werden. Obwohl die Leitung des Hauses genau darauf achtete, nur wenig bemittelte Kranke aufzunehmen, kam es doch immer wieder vor, dass sich wohlhabende ältere verwitwete Damen und unverheiratete Frauen mit erdichtetem, oft schwer nachzuweisendem Nervenleiden ins Haus einschmuggelten, um für wenig Geld beste Unterkunft und gute Verpflegung zu finden. Elegant angezogen gingen sie in den Straßen Nizzas spazieren und unternahmen Ausflüge nach Monaco und zu anderen Vergnüngsorten. Sehr zum Leidwesen der weniger finanzstarken Gäste!


Französisches Lazarett

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges 1914 wurde das Pflegeheim beschlagnahmt und als Lazarett genutzt. Das Vermögen ging an den französischen Staat über. Nach dem Krieg wurde die Villa von den nebenan wohnenden katholischen Schwestern übernommen und völlig umgebaut.

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Quelle:
DER RING, Juli 2012, S. 13
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2012