Schattenblick →INFOPOOL →PANNWITZBLICK → PRESSE

BILDUNG/325: Pflegeausbildung - Bethels Schulen und Brüssels Pläne (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Februar 2012

EU-Reformvorschlag für die Pflegeausbildung
Bethels Schulen und Brüssels Pläne

von Silja Harrsen


Zwölf Schuljahre für Pflegeberufe! - Kommt jetzt das Pflege-Abi? - Nachwuchsproblem in der Pflege verschärft - so und ähnlich lauteten Schlagzeilen in der Presse im Dezember. Die EU-Kommission in Brüssel hatte gerade angekündigt, die Zulassungsvoraussetzungen für die Ausbildung in der Pflege europaweit auf zwölf Jahre festzulegen. In Deutschland reichen zehn Schuljahre aus. In den Betheler Ausbildungsstätten für Pflegeberufe begrüßt man den Reformvorschlag zwar als richtigen Schritt, aber es wird auch Kritik geübt.


"Auszubildende mit Abitur - die hätten wir allzu gern", so Jens Schönfeld, Koordinator der Altenpflegeschule von Bethel im Norden in Hannover. "Aber wo sollen wir die herbekommen?", fragt er kritisch nach. Schon jetzt müsse man verstärkt auf Hauptschülerinnen und -schüler setzen, um dem Pflegekräftemangel in der Altenhilfe zu begegnen. Von den rund 160 Auszubildenden in der Altenpflegeschule im Bildungszentrum Birkenhof haben nicht einmal zehn Prozent Abitur. "Die Anforderungen in der Ausbildung werden immer komplexer. Wer von der Hauptschule kommt, muss in der Regel ganz schön strampeln, um mitzukommen", so Jens Schönfeld.

Ähnlich beurteilt Brigitte Poek, Leiterin der Krankenpflegeschule im Ev. Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge (KEH) in Berlin, die EU-Pläne. "Meine Kollegen und ich begrüßen die Reformvorschläge. Sie sind prima. Doch die Realität sieht anders aus. Die Krankenpflege ist für Abiturienten nicht attraktiv", betont Brigitte Poek. Grund dafür seien die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern. "Die Arbeitsverdichtung nimmt zu, und die Kolleginnen und Kollegen sind ausgebrannt. Darüber hinaus ist die Bezahlung nicht gut. Die Bedingungen müssen sich ändern, sonst sieht es für die Pflege in der Zukunft schlecht aus", warnt Brigitte Poek.

"Zwölf Jahre Allgemeinbildung als Zugangsvoraussetzung für die Pflege meint nicht unbedingt das Abitur", wirft Gertrud Leser, Leiterin der Gesundheitsschulen im Ev. Krankenhaus Bielefeld (EvKB), ein. Zwölf Jahre könnten sich beispielsweise aus zehn Jahren Schule und zwei Jahren Berufsausbildung zusammensetzen. "In anderen europäischen Ländern wird beispielsweise die Zeit in der Vorschule mitgerechnet." Die Europäische Kommission, die die Interessen aller 27 europäischen Länder der EU vertrete, diskutiere ja nicht nur über die Zugangsvoraussetzungen, sondern zeitgleich auch darüber, wie sich die zwölf Jahre zusammensetzten, so Gertrud Leser. "Abgesehen von den schulischen Voraussetzungen bin auch ich der Meinung: Ja, wir brauchen in der Pflege gut gebildete Menschen. Und ja, die Anforderungen sind gestiegen." Auch Politiker, Berufs- und Sozialverbände haben sich zu dem Vorschlag der EU-Kommission zu Wort gemeldet. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr stellt beispielsweise klar, dass er nichts von den Plänen hält. "Wir müssen auch Haupt- und Realschülern die Möglichkeit geben, einen Pflegeberuf zu ergreifen. Häufig kommt es viel mehr auf die soziale Kompetenz an statt auf die verbrachte Zeit in der Schule", so der Minister. Der VdK, nach eigenen Angaben größter Sozialverband Deutschlands, kritisiert das Vorhaben der EU-Kommission als einen falschen Weg, weil dadurch der Fachkräftemangel verschärft werde. Demgegenüber findet der Geschäftsführer des deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe die Pläne begrüßenswert, unter anderem auch, weil dadurch das Ansehen der Pflegeberufe steige.

"Ich stehe zwischen diesen Positionen", sagt Brigitte Poek. Denn alle hätten in dem einen oder anderen Punkt Recht. "Doch wer heutzutage anstrebt, mit Hauptschulabschluss Krankenschwester zu werden, wird die Ausbildung nicht schaffen. Die Ansprüche in Theorie und Praxis sind zu hoch. Aber sie kann eine gute Krankenpflegehelferin werden", betont die Schulleiterin in Berlin. Für Jens Schönfeld stellt sich die Frage nach dem Schulabschluss noch nicht. Die Pläne der EU-Kommission lassen die Ausbildung in der Altenpflege noch außen vor. "Hauptschüler sind der Nachwuchs, den wir bekommen. Das ist Fakt. Darüber können wir jammern, aber ändern können wir es nicht." Die Schule und die Praxiseinrichtungen in Hannover hätten sich längst auf die Gegebenheiten eingestellt. "Zum Beispiel müssen die Schülerinnen und Schüler lernen zu lernen. Das können die wenigsten, wenn sie bei uns anfangen. Auch Anforderungen wie Pünktlichkeit, Ordnung und Zuverlässigkeit sind keine Selbstverständlichkeit mehr."

Dass sich die Rahmenbedingungen in den Altenhilfeeinrichtungen und Krankenhäusern verbessern müssen, damit die Arbeit attraktiver wird, darin sind sich die Betheler Ausbildungsschulen einig. "Zur Attraktivität des Berufs trägt auch die Akademisierung bei", so Gertrud Leser. Zum Beispiel bietet die Fachhochschule der Diakonie in Bielefeld-Bethel Studiengänge in Pflegewissenschaft, -management und -pädagogik an. "Dass alle Gesundheits- und Pflegefachkräfte studieren müssen, sehe ich aber nicht. Wir brauchen zwar Häuptlinge, aber auch viele Indianer", veranschaulicht die Leiterin der Gesundheitsschulen im EvKB. Auch das KEH in Berlin ist in die Akademisierung der Pflege eingestiegen. Jährlich werden vier Plätze angeboten. "Die Einsatzmöglichkeiten für akademisch gebildete Krankenpfleger sind jedoch noch unklar", so Brigitte Poek. Sinnvoll sei ein Studium sicher für Führungsaufgaben wie im Qualitätsmanagement.

"Wir werden keine schulisch hochqualifizierten Kräfte bekommen, solange der Verdienst, die Aufstiegsmöglichkeiten, die Arbeitszeiten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sich nicht verbessern", ist Jens Schönfeld überzeugt. Hoffnung setzt er in die generalisierte Ausbildung, die in Deutschland im Gespräch ist. Die Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege würden dann in einer Ausbildung zusammengeführt. Nach dem Examen wären die Fachkräfte für alle drei Berufsfelder qualifiziert. "Sie lernen während der Ausbildung auch Einrichtungen der Altenhilfe kennen. Vielleicht entdeckt der eine oder andere auf diesem Weg das Arbeitsfeld für sich", hofft Jens Schönfeld.


*


Quelle:
DER RING, Februar 2012, S. 10-11
Monatszeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
Telefon: 0521/144-35 12, Fax: 0521/144-22 74
E-Mail: presse@bethel.de
Internet: www.bethel.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2012