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BILDUNG/301: Modulare Ausbildung im Lindenhof - Neue Chance auf dem "Dritten Weg" (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - Februar 2011

Modulare Ausbildung im Lindenhof
Neue Chance auf dem "Dritten Weg"

Von Robert Burg


Mit einem freundlichen Lächeln tritt Carmen Cramer an den Tisch. "Darf ich nachschenken?", fragt sie und lässt den Rotwein mit gekonntem Schwung ins Glas fließen. Der 24-Jährigen macht die Arbeit im Service Spaß, das merken auch die Gäste im Ausbildungshotel Lindenhof in Bielefeled-Bethel. Hier nimmt Carmen Cramer an einem Ausbildungsprogramm für Jugendliche mit schlechten Berufsperspektiven teil.

Bei dem "Dritten Weg", so der Name des Programms, kooperiert der Lindenhof mit dem Verein "Berufliche Ausbildung und Qualifizierung für Jugendliche und junge Erwachsene" (BAJ). Der Bielefelder Verein koordiniert die Ausbildung, stellt das Lehrangebot inklusive Förderunterricht und sorgt für die psychosoziale Betreuung. In dem Betheler Ausbildungshotel lernen die Jugendlichen zeitgleich die berufliche Praxis kennen. Der "Dritte Weg" besteht aus landesweit einheitlich gegliederten Bausteinen, die schrittweise absolviert werden. Die Förderung durch die Arbeitsagentur erstreckt sich über einen Zeitraum von zwei bis fünf Jahren. Wird die Ausbildung unterbrochen, pausiert zwar die Unterstützung, aber dank einer flexiblen Regelung der Ausbildungszeit kann sie trotzdem zu einem späteren Zeitpunkt abgeschlossen werden. Auch diejenigen, die keinen Abschluss machen, stehen nicht mit leeren Händen da. Die Handwerkskammern bestätigen ihnen die erworbenen Teilqualifikationen. Für Carmen Cramer und elf weitere Azubis im Lindenhof bedeutet das: Im Februar kann mit einem intern durchgeführten Test der nächste Baustein "abgehakt" werden.



Lernen lernen

Im Ausbildungshotel Lindenhof lernen insgesamt 40 Jugendliche. Die meisten sind aufgrund einer Epilepsie oder einer Lernbehinderung auf eine spezifische Begleitung und Unterstützung angewiesen. "Doch eine falsche Sozialisation kann ebenfalls ein Ausschlusskriterium sein", sagt Hotelleiter Jürgen Simon. Im Lindenhof startete das Programm im vergangenen September. "Der Dritte Weg passt gut zu uns, denn wir kennen das Klientel." Er ist überzeugt, dass Jugendliche mit höherem Förderbedarf vor allem mehr Zeit benötigen. "Aber die gibt's eben in der freien Wirtschaft nicht." Zunächst müssten die Teilnehmenden das Lernen wieder lernen, schließlich haben sie schon viele Jahre keinen Unterricht mehr besucht. Viele haben trotz ihres jugendlichen Alters bereits einen verschlungenen Lebensweg hinter sich.

Für den BAJ ist Brigitte Schulte im Einsatz. "Unsere Angebote richten sich an Jugendliche mit ganz unterschiedlichen Schwierigkeiten", sagt die Sozialarbeiterin. Einige Teilnehmende sind unter schlechten sozialen Bedingungen aufgewachsen, andere brachen die Schule früh ab oder waren lange krank. "Es geht bei dem Dritten Weg um junge Menschen, die unter normalen Umständen keine Chance auf dem Arbeitsmarkt hätten", fasst Brigitte Schulte zusammen. Die jüngsten der rund 400 Teilnehmenden sind 15, die ältesten Ende 20.

Im Lindenhof, betont Jürgen Simon, bekommt jeder eine neue Chance: "Die Vergangenheit interessiert uns nicht. Bei uns zählten das Jetzt - und die Zukunft." Doch ohne individuelle Unterstützung und Begleitung sei die Gefahr groß, dass die Ausbildung nicht erfolgreich abgeschlossen werde. "Die jungen Menschen, die zu uns kommen, haben schon viele Niederlagen hinnehmen müssen", weiß Jürgen Simon. Für viele ist der Dritte Weg die lang ersehnte Möglichkeit, den Einstieg in die Berufswelt doch noch zu meistern.

So wie für Carmen Cramer: Mit ihrem Zeugnis der Klasse 9 fand sie keine Lehrstelle in der Gastronomie oder im Hotelgewerbe. Direkt von der Schule schlitterte die junge Frau in eine siebenjährige, wenig zielführende "Maßnahmenkarriere". Jetzt wird sie als Fachkraft im Gastgewerbe ausgebildet. Bei ihrer zweijährigen Vollausbildung macht die Bielefelderin alles, was in dem Hotel anfällt, außer Rezeption und Büroarbeit. "Aber es ist keine zweijährige Helferausbildung", unterstreicht Jürgen Simon. Deshalb besucht Carmen Cramer auch die gleiche Berufsschulklasse wie die angehenden Hotelfachleute. Zusätzlich zur Ausbildung im eigenen Betrieb vermittelt der Lindenhof die Teilnehmer in ergänzende Berufspraktika. Deren Dauer ist offen: "Eine Azubi ist seit Monaten im Praktikum, weil es gut klappt. Eine andere kam nach zwei Tagen wieder zurück.


Voller Stundenplan

Ein vollgepackter Stundenplan erwartet die Auszubildenden. Jede Woche stehen mehrere Einheiten Förderunterricht, Praxis- und Berufsschultage auf dem Plan. Gearbeitet wird im Schichtdienst, auch am Wochenende. Zwei freie Tage pro Woche sind trotzdem garantiert. "Man gewöhnt sich dran", sagt Azubi Baris Saran fröhlich und zuckt mit den Schultern. Er will seine Ausbildung auf jeden Fall zu Ende bringen. Sein liebster Arbeitsbereich ist das "Bankett". Das heißt: Der 22-Jährige ist bei Tagungen im Einsatz, bereitet die Räume vor und versorgt die Teilnehmer während der Pausen. "Das klappt schon richtig gut", sagt Baris Saran nicht ohne Stolz. Solch eine Tätigkeit kann er sich auch für später vorstellen, vielleicht in einem Café oder einer Brasserie: "Service, das ist absolut mein Ding!"


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Quelle:
DER RING, Februar 2011, S. 8-9
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen
Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2011