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BILDUNG/263: Gezielte Lese- und Schreibförderung (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel - Oktober 2009

Gezielte Lese- und Schreibförderung
Leuchtturmprojekt am Kerschensteiner Berufskolleg

Von Stefan Derschum


Sprachbegabte bedienen sich gewöhnlich gerne eines großen Fundus an Synonymen, um ihre Texte zu verschönern. Doch die Worte "Kassenbon" und "Kassenzettel", die eigentlich das Gleiche meinen, auf zwei Arbeitsblättern im Kerschensteiner Berufskolleg sorgen für Verständnisprobleme bei einer Auszubildenden. Sie hat erhebliche Schreib- und Leseschwierigkeiten. Das - unnötige - Problem für die Jugendliche lautet: Ist ein Kassenbon ein Kassenzettel oder vielleicht doch etwas anderes? Sie ist verunsichert.


"Das muss nicht sein", sagt Eva Steffens-Elsner, "wir müssen solchen Auszubildenden helfen, auch, indem wir die Unterrichtsmaterialen verständlicher gestalten." An diesem Ziel arbeitet die Sozialpädagogin am Berufskolleg in Bielefeld-Bethel seit nunmehr drei Jahren. Bundesweit vorbildlich sogar. So zählte Andreas Brinkmann vom Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung aus Anlass des Weltalphabetisierungstages am 8. September vor versammelter Presse das Kerschensteiner Berufskolleg zu den "fünf besten in Deutschland, was Alphabetisierung angeht". Hier sei ein Leuchtturmprojekt durch die Einrichtung einer Stelle zur Lese- und Schreibförderung entstanden.

Einige Tage später will Schulleiter Ulrich Schütte, angesprochen auf das Lob, ein Schmunzeln nicht unterdrücken: "Selbstverständlich fühlen wir uns geschmeichelt, aber", Ulrich Schüttes Miene wird deutlich ernster, "ehrlich gesagt, haben wir uns von der Zusammenarbeit mit dem Bundesverband erhofft, mehr Druck auf die Schulbuchverlage ausüben zu können. Das ist so nicht gelungen." Deshalb habe man sich am Kerschensteiner Berufskolleg auf eine sehr pragmatische Lösung geeinigt: die gezielte Lese- und Schreibförderung von Auszubildenden, die nicht ausreichende Kompetenzen in diesem Bereich haben, und die Optimierung des Unterrichtsmaterials.

Eva Steffens-Elsner fördert die Auszubildenden in enger Abstimmung mit dem Kollegium und parallel zu deren Unterricht. "Die Jugendlichen, die übrigens freiwillig zu mir kommen, bringen ihre Unterrichtsmaterialen mit, und wir arbeiten ganz zielgerichtet an den Problemen." Es sei dabei enorm wichtig, dass ein junger Mensch in der Unterstützung einen Bezug zu seinen Prüfungs- und Lebenszielen erkenne: "Es muss ihm klar sein, wenn er einen Job, eine Familie, ein Haus, ein Auto haben will, muss er die Prüfungen bestehen - und das geht nur mit Lesen und Schreiben."

Dem Berufskolleg ist mit der Förderung ein beachtenswerter Wurf gelungen. Schüler im Alter zwischen 16 und 27 Jahren rennen, wenn sie ihr Problem und die Chance auf Besserung mit Hilfe der Lehrer erkannt haben, Eva Steffens-Elsner die Türe ein, wie sie lächelnd feststellt. Eine Stunde pro Woche werden die Verständnisdefizite dann aufgearbeitet, "möglichst für die gesamte Zeit der Ausbildung". Eva Steffens-Elsner: "Es zeigt natürlich ein großes Vertrauen der Kollegen, dass sie mich in ihre Unterrichtsmethoden einblicken lassen. Auf der anderen Seite bekommen sie auch eine Rückkopplung, wie verständlich ihre Materialen sind, und können diese gegebenenfalls verbessern."

Mittlerweile bekomme sie sogar E-Mails aus dem Kollegium, in denen nach Tipps für den geplanten Unterricht gefragt werde: "Das hilft allen Beteiligten." Und so bleibt ein Kassenbon auch auf dem zweiten Arbeitsblatt ein Bon und wird nicht zum Zettel, der einer Auszubildenden mit Schreib- und Leseschwäche überflüssige Steine in den Weg zum Leben legt.


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Quelle:
DER RING, Oktober 2009, S. 5
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Anstalten Bethel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2009