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BERICHT/380: Diagnose ungewiss - Wie ein Unfall das Leben aus den Angeln hob (Selbsthilfe)


Selbsthilfe - 1/2015

Wie ein Unfall das Leben von Sonja Böckmann aus den Angeln hob

Diagnose ungewiss


Syringomyelie. Eine Krankheit, die kaum jemand kennt. Selbst Ärzte kommen nicht ohne Weiteres auf diese Diagnose, weil sie einfach zu selten ist. Diese Erfahrung muss auch Sonja Böckmann machen, als sie nach einem Autounfall auf dem Weg zur Arbeit mit diffusen Beschwerden von einem Arzt zum anderen geschickt wird.


Niemand scheint zu wissen, was ihr) fehlt, und niemand scheint sie richtig ernst zu nehmen. Mehrfach wird sie von Ärzten als Simulantin bezeichnet und vor die Tür gesetzt. Doch die Beschwerden sind weiterhin deutlich: Gleichgewichtsstörungen, Missempfindungen, ständige Schmerzen. Längeres Stehen und selbst Sitzen sind ihr kaum möglich. Es dauert fast ein Jahr, bis erstmals die Diagnose Syringomyelie gestellt wird: Eine Höhlenbildung in der grauen Substanz des Rückenmarks, in der sich das Nervenwasser staut. Aussicht auf Heilung gibt es dafür bis zum heutigen Tag nicht. Nur Krankengymnastik und Schmerztherapie stehen auf dem Behandlungsplan. Parallel zu ihrer Odyssee quer durch die medizinischen Fachrichtungen muss sich Böckmann mit Ämtern, Berufsgenossenschaft und Versicherungen herumschlagen, die sich allesamt quer stellen. Auch ihr Arbeitgeber macht Druck. Ein Zusammenhang zwischen ihrem Autounfall und der Syringomyelie-Erkrankung sei nicht zwingend, heißt es. Anträge, Bescheide und rechtliche Auseinandersetzungen bestimmen ihr Leben. Doch Sonja Böckmann bleibt stark - trotz aller Rückschläge. Sie verliert nie den Glauben an sich selbst und die Fähigkeit, in das Gute, die Menschen und ihre Hilfsbereitschaft zu vertrauen. Mit ihrem Buch "Ungalahli Ithemba" möchte sie anderen Menschen Mut machen, bei Schicksalsschlägen nicht zu resignieren.


Kontakt

Sonja Böckmann
www.diagnose-ungewiss.de

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Auszug aus dem Buch

"Ungalahli Ithemba" - Gib die Hoffnung nicht auf!

(Redewendung in der Sprache der Zulu)

An einem verschneiten Samstagmorgen im Januar 2010 war ich auf dem Weg zu meiner Arbeitsstelle bei einem Winterdienst in Frankfurt am Main. Ich hatte Dienst. Der Streu- und Räumdienst musste raus, denn in der Nacht hatte es heftige Schneefälle gegeben.

Sturmtief "Daisy" wütete durch Hessen als ich an diesem Samstagmorgen auf der A 5 beim Spurwechsel ins Schleudern kam und mit meinem Opel Corsa nach einigen Pirouetten über mehrere Fahrspuren hinweg gegen eine Leitplanke prallte. Der Wagen war Schrottreif, doch wie es schien, war mir nichts Schlimmes passiert. Ich war zwar während des Autounfalles kurz bewusstlos, aber außer Schwindel und wackligen Knien fehlte mir erst mal nichts das offensichtlich war. Ich konnte die Polizei überzeugen, dass ich keinen RTW brauchte.

Die folgende Nacht war schlimm. Schmerzen bei jeder Bewegung, Schwindel, Erbrechen und Gleichgewichtsstörungen traten auf. Ich konnte meine Schuhe nicht mehr anziehen, auf keinem Kopfkissen mehr liegen und war sehr orientierungslos geworden. Nun wurde mir klar, dass etwas nicht stimmte. Selbst Gegenstände von geringem Gewicht konnte ich nicht richtig festhalten und ich hatte u.a. mit Schwank- und Drehschwindel zu kämpfen. Auch konnte ich mich kaum auf den Beinen halten...plumps da saß ich schon wieder auf dem Hinterteil. Montagmorgen fuhr mein Schwiegervater mit mir zum Orthopäden, der außer einem Schleudertrauma nichts finden konnte und mich krankschrieb. Zudem verschrieb er mir noch eine Halskrause, welche ich nach drei Tagen vor Schmerzen nicht mehr ertragen konnte. Von Woche zu Woche ging es mir immer schlechter. Hinzu kamen Kopf und Nackenschmerzen, Atemnot. Grelles Licht, Kerzenflackern und alles was vor den Augen sich bewegte löste Schwindel und Gleichgewichtstörungen aus. Es war zum verzweifeln. Nach 4 Wochen stimmte der Orthopäde einem MRT zu. Das Ergebnis war ohne Befund.

Schließlich schickte mich ein Krankengymnast, bei dem ich dann in der mittlerweile siebten Woche nach dem schicksalhaften Ereignis meinen ersten Behandlungstermin wahrnehmen konnte, ins Unfallkrankenhaus wo man mich stationär aufnahm. Es wurden viele Untersuchungen gemacht, die den Ärzten und Therapeuten zeigten das was nicht mit mir stimmte. Das konnten sie auch erkennen, kamen jedoch zu keiner eindeutigen Diagnose. Nach vier Wochen mit den verschiedensten Therapien die ohne messbare Erfolge blieb wurde mir mitgeteilt, dass ich wieder arbeiten gehen könne und solle. Als ich total verstört beim Arzt nachfragte bekam ich zur Antwort: "Wir kriegen nur Diagnosen bezahlt, nicht die Symptome."

Von jetzt auf gleich ist alles anders

Nun hatte ich einen "psychischen Stempel" weg. Ich war fassungslos! Ich wurde als hilfloses Schmerzbündel entlassen. Damit musste ich erst einmal klar kommen.

Da mein Zustand unverändert war folgte dann bis zur Diagnose der Syringomyelie eine Odyssee von Arzt zu Arzt. Parallel kämpfte ich mit der Berufsgenossenschaft bis hin zum Landessozialgericht um Anerkennung des Wegeunfalls. Egal ob Arzt oder Richter, keiner nahm meine körperlichen Beschwerden ernst. Selbst mit meinem Alltag war ich total überfordert. Meistens wurde mir unterstellt, dass ich zu faul zum arbeiten bin und ich mich endlich mit der psychischen Diagnose "Dissoziative Störung" zufrieden geben soll. Als dann auch noch mein Anwalt aufgab, war ich völlig am Ende. In meiner Verzweiflung arbeitete ich mich durch alle Arztberichte und entdeckte in einem der Arztbriefe die Diagnose Syringomyelie, das war ein Bericht eines Neurochirurgen.

Mein damaliger behandelnder Arzt tat dies als Verschleißerscheinungen ab und gab mir den Rat, den Befund des Kollegen nicht ernst zu nehmen. Nun recherchierte ich im Internet und merkte schnell dass diese Symptome auf mich zutrafen. Dann nahm ich Kontakt mit einer Selbsthilfe Gruppe im Saarland und mit dem DSCM auf. Auf diese Weise bekam ich Kontakt zu den Spezialisten für diese Erkrankung. Diese bestätigten die Diagnose. Endlich hatte das Kind einen Namen und ich war den psychischen Stempel los.

Im Laufe der Zeit kristallisierte sich heraus dass ich die Syringomyelie von Geburt an habe. Bis zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls im Januar 2010 war ich Symptom- und Beschwerdefrei, voll Berufstätig und privat in verschiedenen Bereichen sehr aktiv.

Ende 2011 habe ich auf anraten einer Freundin damit begonnen meine Geschichte, angefangen vom Autounfall bis zur Diagnose und den Prozess der Krankheitsbewältigung aufzuschreiben....."

Mit ihrem Buch möchte Sonja Böckmann so viele Patienten wie möglich erreichen um ihnen Hoffnung zu spenden und ihnen über ihre eigenen Erfahrungen zeigen, dass jeder sein Schicksal in die eigene Hand nehmen kann, um Einfluss auf die persönlichen Lebensumstände zu nehmen. Mancher wird sich darin in seiner ganz persönlichen Situation wiederfinden und Parallelen feststellen. Dadurch mag es auch gelingen, sich und seine persönlichen Wünsche und Möglichkeiten aus einer neuen Perspektive zu betrachten und wieder Hoffnung, wenn auch nicht auf Genesung, so doch auf Linderung oder Erträglichkeit zu schöpfen. Das wünscht sich Sonja Böckmann.


Informationen zu Syringomyelie

http://www.deutsche-syringomyelie.de
http://www.syrinx-saarland.de/

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Quelle:
Selbsthilfe 1/2015, S. 24 - 25
Zeitschrift der BAG SELBSTHILFE e.V.
Herausgeber: Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren
Angehörigen e.V.
BAG SELBSTHILFE
Kirchfeldstr. 149, 40215 Düsseldorf
Telefon: 0211/3 10 06-0, Fax: 0211/3 10 06-48
E-Mail: info@bag-selbsthilfe.de
Internet: www.bag-selbsthilfe.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2015

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