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BERICHT/339: Krankhafte Ängste müssen nicht hingenommen werden (Der Ring)


DER RING
Zeitschrift der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel - September 2010

Krankhafte Ängste müssen nicht hingenommen werden
EvKB-Station A 9 feiert zehnjähriges Jubiläum

Von Robert Burg


Große Höhen, Flugreisen, Spinnen - beinahe jeder Mensch hat vor irgendetwas Angst. Die meisten Menschen können mit ihren Ängsten umgehen. Aber es gibt auch krankhafte Angststörungen, die ohne professionelle Hilfe nicht zu bewältigen sind. Die Station A9 im Ev. Krankenhaus Bielefeld (EvKB), die in diesem Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum feiert, zeigt Menschen den Weg aus der Angst.


Grundsätzlich ist Angst nichts Schlechtes. Sie gehört zu den menschlichen Grundgefühlen, ebenso wie Freude, Liebe oder Hass. Oft ist Angst nützlich, manchmal sogar überlebenswichtig. Etwa dann, wenn sie ihren Ursprung in tatsächlichen erlebten Gefahren oder schlechten Erfahrungen hat. Andere Ausprägungen der Angst sind für die, die nicht davon betroffen sind, schwer nachvollziehbar. Viele Patienten der Station A9 haben sich in Ängste hineingesteigert, die sie ohne fremde Hilfe nicht durchbrechen können. Denn krankhafte Angst ist ein Teufelskreis: Wer sich etwa in der Straßenbahn unwohl fühlt, bemerkt, dass sein Herz schneller schlägt. Leitet sich daraus ein Angstgefühl ab, rast das Herz plötzlich, was wiederum die Angst weiter steigert.


Gut vernetzt

Die Station A 9 gehört zur psychiatrischen Klinik im EvKB und befindet sich im Haus Gilead III am Standort Bethel. Sie verfügt auf zwei Etagen über 16 Plätze in Ein- oder Zweibett-Zimmern. Hier arbeiten in einem multiprofessionellen Team Ärzte, Psychologen, Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Therapeuten und Seelsorger Hand in Hand. Während auf der Nachbarstation A 8 meist Depressionserkrankungen behandelt werden, stellen auf der A 9 Angst- und Zwangsstörungen sowie psychosomatische Erkrankungen einen Schwerpunkt dar. Das Therapieangebot in Gilead III ist stationsübergreifend: "Depressive Menschen mit Angststörungen kommen auch zu uns", so Oberärztin Dr. Stefanie Gerhards. Besonders gut vernetzt ist die Station mit der Sozialarbeit: "Ein Mensch, dessen Leben weitgehend von Ängsten bestimmt ist, hat meist auch soziale Probleme", so die Ärztin. Vielfach spielen auch Suchterkrankungen eine Rolle. Andere Kooperationspartner sind etwa die Schmerzambulanz im Ev. Krankenhaus Bielefeld, die Betheler Epilepsie-Klinik Mara oder die Psychiatrie-Klinik Pniel.

Die meisten Patienten kommen aus Bielefeld. Hier ist die A 9 die einzige Station, die sich diesem Aufgabenfeld widmet. Manch einer bleibt nur wenige Tage in der Klinik am Bethesda-Weg, für andere dauert die Zeit bis zur Gesundung mehrere Monate. Ein besonderes System der Patientenbegleitung zeichnet die Station aus: Ein "Tandem-Team", bestehend aus einem Arzt und einer Pflegekraft, begleitet einen Patienten von der Aufnahme bis zur Entlassung. Der Behandlung geht eine diagnostische Phase voraus, in der die Patienten eine oder zwei Wochen beobachtet werden. Für jeden wird ein individuelles Behandlungsprogramm aus Bestandteilen zweier Therapieansätze zusammengefügt: aus der Verhaltenstherapie und der Tiefenpsychologie. In der Verhaltenstherapie soll eine "Bewältigungsperspektive" entwickelt werden. Die Patienten lernen, mit ihren Problemen umzugehen. Die "Klärungsperspektive" ist Sache der tiefenpsychologischen Vorgehensweise. Hier wird nach den Ursachen der Angsterkrankung gefragt. Gemeinsam mit den Therapeuten versuchen die Patienten, möglichen Konflikten, etwa in der Familie, Partnerschaft oder im Berufsleben, auf die Spur zu kommen.

Wichtiger Bestandteil der Verhaltenstherapie ist die so genannte Expositionsbehandlung. "Wir versuchen, eine typische phobische Situation nachzustellen", erläutert die Medizinerin. Voraussetzung sei, dass der Patient verstanden habe, dass ihm die Maßnahme hilft. Wenn jemand glaubt, keinen Fahrstuhl betreten zu können, konfrontieren die Therapeuten ihn genau mit dieser Situation. Wer in großen Höhen Panikattacken erleidet, wird auf die Türme der Bielefelder Sparrenburg oder auf die Aussichtsplattform des "Eisernen Antons" im Teutoburger Wald begleitet. Zunächst erhält der Patient Unterstützung durch die Mitarbeitenden, dann muss er die Situation alleine meistern. Anschließend wird das Erlebte reflektiert. Die Patienten ordnen die Intensität ihrer Ängste auf einer Skala zwischen 0 und 10 ein, um einen Richtwert für weitere Trainingseinheiten zu erhalten.


Transfer in den Alltag

Nach der stationären Behandlung wird der Patient durch die "Transferphase" begleitet. Mitarbeitende unterstützen Schritt für Schritt die Wiedereingliederung. Es wird geprüft, ob das Erlernte zu Hause und im Alltagsleben umgesetzt wird. Bei den Imaginationsübungen lernen die Patienten, wie sie sich an einen inneren, sicheren Ort zurückziehen können, wenn sie ein Angstzustand überkommt. Neben Ergo-, Kunst- und Bewegungstherapie gehören Entspannungsübungen zum therapeutischen Programm.


Heilbare Ängste

"Jeder kann eine Angsterkrankung bekommen", unterstreicht Dr. Stefanie Gerhards. Es spiele keine Rolle, ob jemand ein ängstlicher Typ sei oder nicht. "Aber vielen ist nicht klar, das diese Erkrankung behandelt werden kann", so die Expertin. "Deshalb werden Ängste oft hingenommen, auch wenn sie heilbar sind."


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Quelle:
DER RING, September 2010, S. 14-15
Monatszeitschrift für Mitarbeiter, Bewohner, Freunde
und Förderer der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Herausgeber: Pastor Ulrich Pohl in Zusammenarbeit mit der
Gesamtmitarbeitervertretung der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel
Redaktion: Quellenhofweg 25, 33617 Bielefeld
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2010