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MELDUNG/070: Mehr Selbstbestimmung behinderter Menschen in rechtlichen Angelegenheiten gefordert (DIMR)


Deutsches Institut für Menschenrechte - 19. August 2013

Monitoring-Stelle zur UN-BRK fordert mehr Selbstbestimmung behinderter Menschen in rechtlichen Angelegenheiten



Berlin - Die Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention hat den Gesetzgeber aufgefordert, die deutsche Rechtslage und die Rechtspraxis hinsichtlich der rechtlichen Handlungsfähigkeit von Menschen mit Behinderungen zu überprüfen. "Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet den Staat, Menschen mit Behinderungen auf ihren Wunsch hin beim Handeln und in der Vorbereitung der persönlichen Entscheidung zu unterstützen", erklärte Valentin Aichele, Leiter der Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention, anlässlich der Veröffentlichung des Sammelbandes zu "Gleichheit vor dem Recht". Der Gesetzgeber habe die Verpflichtung, die rechtliche Selbstbestimmung behinderter Menschen durch geeignete Maßnahmen zu stärken, insbesondere Unterstützungsansätze offensiv zu fördern, die gleichzeitig vor Fremdbestimmung schützten. Damit gebe die UN-Behindertenrechtskonvention ein Modell der assistierten Handlungsfähigkeit in rechtlichen Angelegenheiten vor, das Betreuung und Soziale Arbeit praktisch vor sehr große Herausforderungen stelle.

"Vor allem Menschen mit geistiger oder psychosozialer Behinderung erfahren mehr Einschränkungen im rechtlichen Handeln als nicht behinderte Menschen", sagte Aichele. Als Beispiel nannte er die Stellvertretung im Betreuungsrecht. Da in der Praxis auch nach 20 Jahren immer noch in spezifischen Situationen stellvertretend für Menschen mit Behinderungen gehandelt werde, wo dies nicht erforderlich sei, müsse die Frage aufgeworfen werden, ob die rechtlichen Vorgaben hinreichend entwickelt seien, so Aichele. "Eine unzulässige Einschränkung der Selbstbestimmung durch Stellvertretung stellt ein Überbleibsel der Vormundschaft dar, die dringend überwunden werden muss", so Aichele.

Ein zweites Beispiel sei das Wahlrecht etwa nach dem Bundeswahlgesetz. Das deutsche Recht schließe "Vollbetreute" und in der forensischen Psychiatrie untergebrachte Menschen von der Bundestagswahl aus, was als menschenrechtliche Diskriminierung zu werten sei. Die gesetzlichen Ausschlüsse verstießen nicht nur gegen das Grundgesetz, sondern auch gegen das Recht auf politische Partizipation und seien abzuschaffen.

Der vom Deutschen Institut für Menschenrechte herausgegebene Sammelband umfasst Autorenbeiträge, die das deutsche Recht, seine Begründungen und seine Praxis im Licht des Artikels 12 der UN-Behindertenrechtskonvention (Recht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht) prüfen. Die Expertinnen und Experten blicken dabei auf menschenrechtssensible Bereiche, in denen die deutsche Rechtsordnung Menschen mit Behinderungen anders behandelt als nicht behinderte, und zeigen Handlungsbedarfe für Politik und Gesetzgebung auf.


Die Monitoring-Stelle zur UN-Behindertenrechtskonvention, eingerichtet im unabhängigen Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin, hat gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention den Auftrag, die Rechte von Menschen mit Behinderungen im Sinne der Konvention zu fördern und zu schützen sowie die Umsetzung der Konvention in Deutschland zu überwachen.


Valentin Aichele (Hrsg.): Das Menschenrecht auf gleiche Anerkennung vor dem Recht. Artikel 12 der UN-Behindertenrechtskonvention:
Link: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/index.php?RDCT=f2e414d4cda0ee4224dd
Nomos Verlag 2013

Interview mit Valentin Aichele zu diesem Thema
Link: http://www.institut-fuer-menschenrechte.de/de/aktuell/news/meldung/article/die-un-brk-ist-ganz-entschieden-gegen-entmuendigung-und-fremdbestimmung.html

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Quelle:
Pressemitteilung vom 19. August 2013
Deutsches Institut für Menschenrechte e. V.
Zimmerstr. 26/27, 10969 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2013