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INTERVIEW/025: Die DPG stellt vor - Schwarze Löcher nachzuweisen ...    Dipl.-Phys. Thomas Reiber im Gespräch (SB)



Ein Schwarzes Loch von 10 Sonnenmassen vor Milchstraßenhintergrund aus 600 km Abstand gesehen (horizontaler Öffnungswinkel der Kamera: 90°) - Bild: Ute Kraus, Institut für Physik, Universität Hildesheim, Tempolimit Lichtgeschwindigkeit (http://www.tempolimit-lichtgeschwindigkeit.de/)

Es würde als Bestätigung reichen: Ein Photo vom Schwarzen Loch
Bild: Ute Kraus, Institut für Physik, Universität Hildesheim, Tempolimit Lichtgeschwindigkeit (http://www.tempolimit-lichtgeschwindigkeit.de/)

Schwarze Löcher kann man nicht sehen. Man kann sie auch nicht anfassen oder riechen. Man kann auch nicht zuschauen, was passiert, wenn ein Objekt in die Nähe eines Schwarzen Lochs kommt, unter den Einfluß seiner Gravitation gerät und hineinfällt. Denn würde sich ein Beobachter einem Schwarzen Loch nähern, um es genauer anzusehen, dann wird er auch in den Bann der ungeheuren Anziehungskraft geraten, die jede andere Masse mit einer Fluchtgeschwindigkeit verschluckt, die größer als die Lichtgeschwindigkeit (300.000 km/ Sekunde) ist - eine definitiv nicht zu überlebende Erfahrung.

All das läßt sich aus der Allgemeinen Relativitätstheorie Albert Einsteins ableiten, die dieses Phänomen vor mehr als 100 Jahren als logische Konsequenz vorausgesagt hat. Seither werden Bewegungen von Objekten gesucht, die sich entsprechend dieser Voraussagen verhalten, um als Hinweis auf mögliche Schwarze Löcher interpretiert zu werden. Denn viele Physiker halten die Existenz von Schwarzen Löchern nach wie vor für fraglich. Allen voran etwa Stephen Hawking, dessen Ansicht zufolge sich die Vorstellung eines "Ereignishorizonts", ab dem nichts und niemand mehr dem Schwerkraftgiganten entkommen kann, nicht mit der Quantentheorie vereinen läßt. [1] Dennoch geht der Mainstream von einer Vielzahl Schwarzer Löcher aus, die in der Milchstraße existieren.

Auch im Zentrum der Milchstraße befindet sich ein solches Objekt, das viele Wissenschaftler für ein Schwarzes Loch halten. Es wird von Astronomen als Sagitarius A* (kurz: Sgr A*) bezeichnet und soll etwa 26.000 Lichtjahre von der Erde entfernt sein. Den Experten zufolge soll diese Erscheinung allein vier Millionen Sonnenmassen auf engstem Raum konzentrieren und durch seine enorme Schwerkraft einen kleinen Haufen von 40 Sternen in ihren Umlaufbahnen beeinflussen. Allerdings ist eine photographische Aufnahme dieser Erscheinung, ein Starphoto vom Schwarzen Loch gewissermaßen, als unfehlbare Bestätigung der Theorie bislang noch nicht geglückt.

Da ein Schwarzes Loch per Definition bereits dadurch charakterisiert ist, überhaupt kein Licht herauszulassen - weder im sichtbaren, noch in einem anderen Wellenlängenbereich - scheint der direkte Nachweis im Grunde ebensowenig möglich. Doch kein Photo "hinzukriegen", was indirekt auch ein Hinweis auf das Schwerkraftmonster wäre, lassen die Wissenschaftler nicht gelten. Bei Sagitarius A* wird es bereits versucht, jedes Jahr.


Die Aufnahme einer Vielzahl von leuchtenden Objekten, die durch Röntgen- und Infrarot-Technik von Teleskopen eingefangen wurde. - Bild: X-Ray: by NASA/UMass/D.Wang et al., IR: by NASA/STScI

Sagitarius A*, ein mögliches Schwarzes Loch im Zentrum der Milchstraße, soll mit einer ganzen Phalanx von Teleskopen "photographiert" werden.
Bild: X-Ray: by NASA/UMass/D.Wang et al., IR: by NASA/STScI

Bei dem Bild, das sich Forscher von einem Schwarzen Loch im All erhoffen, wäre der Mittelpunkt eine schwarze Scheibe, mit einem feinen hellen Ring darum. Dieser besteht aus Gas und Staub, die von dem starken Gravitationsfeld des Schwarzen Lochs angezogen und gewissermaßen gerade dabei sind, aufgesaugt zu werden. Vor dem Verschlungenwerden, soll dieser Theorie zufolge die Materie durch die extrem starke Beschleunigung eine intensive Aufheizung erfahren. Man hat dafür Temperaturen von mehreren Millionen Grad Celsius ausgerechnet. Derart heiße Materie müßte aber Energie in Form von elektromagnetischen Wellen abstrahlen, die zumindest Teleskope wie das Very Large Telescope (VLT) der Europäischen Südsternwarte auf dem Cerro Paranal in Chile registrieren sollten. Seit fast zwei Jahrzehnten versucht nun eine Gruppe von Forschern einmal jährlich mit einem weltumspannenden Netzwerk aus Dutzenden Teleskopen, die u.a. in Europa, Nord- und Südamerika sowie am Südpol stationiert sind, das sogenannte Event-Horizon-Teleskop, eine solche Erscheinung im All ins Visier zu nehmen. Bislang ließen sich nur ein paar "nichtssagende Kleckse" abbilden, wie es 2016 das Fachmagazin "Science" beschrieb. Der nächste Versuch fand nur kurze Zeit nach den DPG-Frühjahrstagungen, in fünf Nächten zwischen dem 5. und 14. April 2017 statt. Die Auswertung wird allerdings noch bis Ende des Jahres auf sich warten lassen.

Eine hell begrenzte schwarze Scheibe vor dem Hintergrund der Milchstraße würde die Forschergemeinschaft schon glücklich machen. Bei einem Bild der Qualität, die der Diplomphysiker Thomas Reiber, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Hildesheim tätig ist, am vorletzten Tag der DPG-Frühahrstagung in Bremen (13.-17. März 2017) auf der Postersitzung des Fachverbandes Gravitation und Relativitätstheorie mit seiner Studie "Visualizing a Rotating Black Hole" vorführte, würde sie vermutlich völlig aus dem Häuschen geraten.

Seine "rotierenden Schwarzen Löcher" sind Sonderfälle, die auf eine spezielle mathematische Lösung der Einsteinschen Gleichungen zurückgehen, die sogenannte Kerr-Lösung. Der 1934 geborene neuseeländische Mathematiker Roy Patrick Kerr entdeckte 1963 eine Lösung für die Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein, das "Kerr-Vakuum". 2013 wurde ihm dafür die Albert-Einstein-Medaille verliehen. Sein Lösungsvorschlag der Einsteinschen Gleichungen geht mit einer Rotation des Schwarzen Loches einher.

Mit dieser Rechengrundlage sieht Thomas Reiber die Gravitationsriesen im wesentlichen auch als eine kreisrunde Fläche, die von einem hauchdünnen hellen Ring umgeben ist und in der weiteren Umgebung bogenförmig verzerrt scheint, worin sich, wie bei einem Rundspiegel, der Hintergrund spiegelt. Doch statt der erwarteten absolut tiefschwarzen Schweibe im Mittelpunkt scheint sich in seinen Schwarzen Löchern auch hier noch etwas abzubilden...

Während der Veranstaltung ergab sich mit dem Wissenschaftler das folgende Gespräch:


Der Wissenschaftler vor seinem Poster. - Foto: © 2017 by Schattenblick

Thomas Reiber versucht die 50 Jahre alte Theorie der "Kerr-Lösung" mit moderner Medientechnik verdaulich zu machen.
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sie stehen hier gewissermaßen vor einem, bzw. mehreren rotierenden Schwarzen Löchern, die Sie nachgebildet haben. Können Sie unseren Lesern ein wenig erläutern, was es damit auf sich hat?

Thomas Reiber (TR): Normalerweise wird das gesamte Licht an dieser Stelle, dem sogenannten Ereignishorizont, abgelenkt, darum sieht man die Bilder um ein Schwarzes Loch herum verzerrt. Da man gemeinhin davon ausgeht, daß aus einem Schwarzen Loch nichts mehr herauskommt, auch kein Licht, werden die Berechnungen an dieser Stelle meistens abgebrochen. Daraus ergibt sich eine schwarze Fläche im Zentrum des Schwarzen Lochs. Man kann aber rechnerisch die Form dieser Raumzeit analytisch fortsetzen und bekommt dann eine Vielzahl von Zusammenhängen in den Außenbereichen. Da kann innen durchaus auch Licht durchkommen und daraufhin sieht man im Prinzip von der Mitte heraus in andere Außenbereiche hinein, die ähnlich wie bei einem Wurmloch [2] zusammenhängen. Das wäre in etwa die Beschreibung für das Bild, das ich hier dargestellt habe. Und natürlich ist das auch für andere Bereiche möglich.

SB: Das heißt, wenn ein Beobachter in die Mitte eines rotierenden Schwarzen Lochs blicken würde, würde er in etwa so etwas wie einen Strudel im Badewannenausguß sehen und nicht nur eine schwarze Fläche?

TR: Ja genau.

SB: Im ersten Augenblick könnte man dabei auch an die Wirkung eines hochglänzenden Parabol- oder Hohlspiegels denken, der die Umgebung verzerrt darstellt. Ich hatte im ersten Augenblick sogar an spiegelnde Radkappen gedacht, denn man sieht ja in den Rändern und auch in der Mitte so etwas wie eine Häuserreihe oder eine ganze Straßenfront, die "rundgespiegelt" wird. Ließe sich auf diese Weise das gleiche abbilden?

TR: Das ist ein Computerprogramm, das den Verlauf von den Lichtstrahlen in diesem gekrümmten Raum nachrechnet, den das Schwarze Loch durch seine Masse erzeugt. Der liegt in dem Programm bereits vor, so daß man von einem gedachten Beobachter aus die Lichtstrahlen zurückrechnen kann, wo sie hergekommen sind. Daraus leitet man dann ab, was für ein Bild sich an dieser Stelle ergeben würde, je nachdem, welchen Hintergrund man wählt.

SB: Ich hatte gedacht, daß Sie Spiegel gebaut haben, die nach diesem Prinzip der Raumzeitgitter konstruiert wurden, die man häufiger sieht, wenn berechnete Schwarze Löcher grafisch dargestellt werden. [3]

TR: Wir haben tatsächlich auch zur Illustration einen Spezialspiegel, der genau diesen Effekt erzeugt. Man kann vergleichbare Bilder auch durchaus mit Spiegeln erzeugen, aber das hier haben wir mit einer Computeranimation hergestellt.

SB: Kann ich mir das in etwa wie einen Verfremdungseffekt bei einem Fotobearbeitungsprogramm vorstellen, bei dem man dann Schwarzes Loch von soundsoviel Sonnenmassen einprogrammiert und damit ein Schwarzes Loch zum Beispiel in den Hamburger Michel projiziert?

TR: Genau, im Prinzip auch wie bei einem Computerspiel, bei dem Bewegungen oder Bilder anhand definierter Regeln und Abläufe nachgerechnet werden. Oder es werden aus den vorgegebenen Daten eines Bildes abgeleitet, wo die Lichtstrahlen herkommen müssen, die man in einer bestimmten Richtung sieht, und daraus ergibt sich für ein Pixel eine entsprechende Farbe. Hier habe ich das gleiche Prinzip verwendet, nur daß man es unter den Bedingungen eines gekrümmten Raums nicht einfach mit geradlinig verlaufenden Lichtstrahlen zu tun hat, sondern mit solchen, die irgendwie auf Kurven verlaufen. Doch berechnen läßt sich das nach dem gleichen Prinzip. Dabei kann man auch ein Bild nachstellen, wie das dann aussehen würde.


Herr Reiber erklärt den Ereignishorizont an einem seiner Schwarzen Löcher - Foto: © 2017 by Schattenblick

"Normalerweise geht man davon aus, daß hier nichts mehr herauskommt", Thomas Reiber.
Foto: © 2017 by Schattenblick

SB: Warum haben Sie ein rotierendes Schwarzes Loch ausgesucht? Ist das für Ihre Darstellung wichtig?

TR: Nein, dafür muß es nicht rotieren. Es gibt auch Modelle dafür, wie nicht rotierende Schwarze Löcher aussehen würden, die ebenfalls auf diese Weise simuliert werden. Viele rotieren auch so wenig, daß man für ihre Berechnungen eine Modellgrundlage nimmt, die ein nicht rotierendes Schwarze Loch beschreibt. Ich habe mir hier nur einfach mal dieses Beispiel ausgesucht und es rotieren lassen.

SB: Was bedeutet es für ein solches Phänomen, wenn es rotiert? Die Rotation ist doch eine innere Eigenschaft einer Singularität. Kann die nach außen dringen?

TR: Davon, daß es rotierende Schwarze Löcher gibt, ist man eigentlich überzeugt. Auch bei dem Gravitationswellen-Signal, das man von zwei verschmelzenden Schwarzen Löchern gemessen hat, geht aus den Berechnungen hervor, daß es sich um ein rotierendes Ereignis gehandelt haben muß, das einen Drehimpuls hatte wie in etwa bei dem, das ich hier dargestellt habe. Sich das Ganze vorzustellen, ist ein bißchen schwieriger. Aber vermutlich wird der Raum außen herum durch das starke Gravitationsfeld ein bißchen mitgezogen. Dadurch würde auch die Gravitation etwas anders wirken und beschleunigen, als würde es nicht rotieren.

SB: Sie sprechen von verschmelzenden Schwarze Löchern, hat man denn überhaupt schon Schwarze Löcher beobachten können?

Reiber: Ja, es gibt sie in verschiedenen Größenordnungen. Und eines der größten und bekanntesten ist im Zentrum der Milchstrasse, Sagitarius A*. Momentan wird daran gearbeitet, daß man entsprechend große Teleskope baut, um diesen Bereich im Infrarot auflösen zu können, so daß man diese Erscheinung auch wirklich beobachten kann. Man kann vermutlich nichts direkt sehen, weil die Gravitation so stark ist, daß kein Licht herauskommt, aber den Einfluß auf die Umgebung, die Sterne, die außenrum kreisen, wird man mit großen Teleskopen sehen können. Es gibt auch schon viele andere bekannte Beispiele.


Das fertiggestellte Teleskop in seiner Fabrikationshalle. Ingenieure und Techniker in Reinraumschutzanzügen lassen seine gewaltigen Ausmaße deutlich werden. - Foto: by NASA/JWST/Desiree Stover als CC-BY-NC-ND 2.0

Das größte Weltraumteleskop, das je gebaut wurde, soll 2018 die Nachfolge des Hubble Teleskops antreten.
Foto: by NASA/JWST/Desiree Stover als CC-BY-NC-ND 2.0

SB: Und wird man dann bei diesem Versuch auch endlich die erwartete Hawking-Strahlung [4] über dem Schwarzen Loch sehen können?

TR: Ob man die Hawking Strahlung jemals experimentell messen wird, läßt sich heute noch nicht sagen. Was man bei Sagitarius A* versucht, ist, einen Hinweis darauf zu finden, daß nicht alles verschwinden kann, daß noch Strahlung im Infrarotbereich aus dem Rand des Schwarzen Lochs wahrgenommen werden kann.

SB: Ein Schwarzes Loch besteht aus unendlich viel Masse, in einem Poster dort drüben wird von dunkler Materie gesprochen. Ist das nicht eigentlich beides das gleiche?

TR: Nein. Schwarzes Loch heißt im Prinzip, daß die Materie sehr stark komprimiert ist. Die Gravitation wird dadurch so stark, daß selbst einfallendes Licht nicht mehr herauskommt. Das ist im Grunde unabhängig davon, um welche Art von Materie es sich handelt. Das heißt es könnte normale Materie sein, wie wir sie kennen, oder auch dunkle Materie. Der Begriff oder die Idee, von dunkler Materie zu sprechen, kommt daher, daß man aus der Planeten-Bewegung schließen kann, daß es irgend etwas geben muß, das sie sehr stark anzieht. Und da müßte viel mehr sein, als man beobachten kann. Das nennt man dann Dunkle Materie, weil man einfach nicht genau weiß, was das ist. Sie muß wiederum nicht so stark komprimiert sein. Beim Schwarzen Loch jedoch ist diese kompakte Masse für die hohe Gravitation entscheidend.

SB: War diese Bedingung auch das Entscheidende, warum man es "Schwarzes Loch" genannt hat? Die Vorstellung, daß es ein großes, dunkles Loch gibt, in das alles hineinstürzt, scheint zwar naheliegend, doch wieso sind eigentlich die Physiker, die das kreiert haben, gerade auf dieses Bild gekommen?

TR: Zunächst einmal ist es aus den Gleichungen entstanden, die sich Einstein mit der Allgemeinen Relativitätstheorie überlegt hat. Anfangs wurde die Vorstellung sehr kritisch hinterfragt. Man dachte, daß es so etwas eigentlich gar nicht geben kann, und zu glauben, daß es das wirklich gibt, war überhaupt nicht intuitiv. Intuitiv sträubte sich alles dagegen. Es hat lange gedauert, bis sich die Überzeugung verbreitet hat, daß es so etwas auch in Wirklichkeit gibt. Aber ursprünglich entsteht das Loch aus der Herleitung der Theorie. Es ist zwar ein anschauliches Bild, aber nichts, was man mit Alltagserfahrungen vergleichen oder irgendwie hier auf der Erde sehen kann.

SB: Noch einmal zurück zu den Animationen, die Sie auf Ihrem Poster zeigen. Man kann ja im Mittelpunkt des Schwarzen Lochs durchaus etwas sehen, was in anderen Darstellungen schwarz ist. Haben Sie mit Ihrer Technik auch schon versucht, durch ein Schwarzes Loch hindurchzufliegen, also sich selbst in dieses Gravitationsmonster hineinprojiziert und berechnet, was dann passieren würde, wenn man eine Reise durch die Singularität macht?

TR: Das ist im Prinzip mit diesem Programm möglich. Es ist allerdings noch nicht ganz ausgereift. Momentan habe ich nur Bilder an einzelnen Positionen eingefroren. Aber das Programm wird gerade daraufhin weiterentwickelt, so daß man damit dann auch ins Schwarze Loch stürzen kann.

Dr. Corwin Zahn (CZ)* : Man muß vielleicht noch dazu sagen, daß es sich hier keineswegs um ein realistisches Objekt handelt, sondern nur um ein mathematisches Modell mit einer ganz allgemeinen Lösung, aber das heißt nicht, daß es in der Natur so aussehen wird oder es überhaupt Bedingungen gibt, die zu diesem Modell hinführen. Es ist sogar extrem unwahrscheinlich. Denn schon per Definition können Schwarze Löcher nur dort entstehen, wo Materie kollabiert, wenn also ein Stern in sich zusammenstürzt oder etwas Vergleichbares passiert. Als Endstadium von einem Kollaps ist das, was sich aus der Lösung der Einsteinschen Gleichung ergibt, nicht möglich. Das heißt, das Schwarze Loch kann eigentlich nur auftreten, wenn es immer schon da gewesen wäre, wenn es also seit Beginn des Universums als ewiges Objekt bestehen würde. Aber das ist nicht etwas, was unserem Wissen nach auf natürlichem Weg entstehen kann. Es ist somit mehr ein theoretisches Problem. Und natürlich ist es interessant, sich anzusehen, was die Theorie verwirklicht hat. Aber das ist nichts, was man sich vorstellen kann und womit sich etwa - wie in einem Science-Fiction Film - Wurmlöcher oder dergleichen bauen ließen.

SB: Die Einführung in Ihr Poster, Herrn Reiber, bezieht sich auf den Film "Interstellar" von Christopher Nolan. Ist so ein Film dann doch anregender, sich mit dem Thema zu beschäftigen, als die nüchterne Rechenwirklichkeit?

TR: In dem Film wurden tatsächlich auch Animationen in dieser Art verwendet. Allerdings ist das, was dort dargestellt wurde, teilweise physikalisch richtig. Es sind nur einzelne Bilder dabei, die richtig physikalisch berechnet sind ...

CZ: ... dann aber so zusammengesetzt wurden, daß im Wesentlichen eine interessante Geschichte erzählt wird. Der Rest ist künstlerische Freiheit. Aber wissenschaftlich korrekt ist der Film sicher nicht.

SB: Gerade dieser Film wird auf dieser Tagung hier in Bremen häufiger als Beispiel oder zu Illustration herangezogen.

CZ: Das liegt möglicherweise daran, daß Interstellar als wissenschaftlichen Berater den bekannten Astrophysiker Kip S. Thorne gewinnen konnte, dessen Theorien in dem Film mit verarbeitet wurden. Und Kip Thorne war derjenige, der auch LIGO, das US-amerikanische Gravitationswellenobservatorium, mitbegründet hat. Er ist also einer der ganz großen Koryphäen der Theoretischen Physik. Er hat dann mit seinem Fachwissen den entsprechenden Input an den Regisseur und auch an das Team für die Special Effects weitergegeben, so daß wissenschaftstheoretisch fundierte Bilder herausgekommen sind. Aber wie sie in der Geschichte zusammengesetzt wurden, steht wieder auf einem anderen Blatt.

In einem kürzlich erschienen Buch, beschrieb Kip Thorne selbst, warum er sich auf den Spagat zwischen wissenschaftlicher Korrektheit und den Zugeständnissen an den Ehrgeiz des Regisseurs, seine Geschichte zu erzählen, eingelassen habe. Er war offensichtlich damit einverstanden, ich selbst würde das immer etwas strenger sehen. Ich finde, man muß mit solchen Vorstellungen aufpassen, sonst gehen manche vielleicht auf eigene Faust los und suchen überall nach dem nächsten Wurmloch (lacht).

SB: Wenn man die theoretisch-nüchternen Herleitung eines solchen Lochs in der Galaxie nicht kennen würde, in das alles stürzt, was in seinen Umkreis gerät, könnte man auch an etwas sehr Archaisches denken. Etwas, das aus uralten Mythologien zu stammen scheint, wie der alles verschlingende Kronos, der sich nicht kontrollieren oder beherrschen läßt.

TR: Es geht auf jeden Fall Faszination davon aus, deswegen beschäftigen wir uns auch damit. Die Berechnungen dazu sind eigentlich eher ein Hilfsmittel, um zu versuchen, damit umzugehen, sich dem anzunähern, obwohl es sehr schwer vorstellbar ist. Man möchte natürlich auch ein Gefühl für dieses exotische Phänomen gewinnen. Für mich ist es auf jeden Fall faszinierend. Gut, das Rechnen an sich ist eine nüchterne Angelegenheit, aber für mich liegt macht der Reiz darin, daß es sich um etwas so Extremes handelt.

SB: Vielen Dank für dieses aufschlußreiche Gespräch.


Die grafische Darstellung zeigt eine rotierende, leuchtende Fläche mit einer schwarzen Scheibe in der Mitte, von der ein transparenter Nebelstrahl ausgeht. Am Rand wird ein gerade eingefangener Stern gezeigt, der dem Schwerefeld nicht mehr entkommt. - Grafik: by NASA/CXC/M.Weis

"Ob man die Hawking Strahlung jemals experimentell messen wird, läßt sich heute noch nicht sagen", Thomas Reiber.
Eine künstlerische Darstellung des Schwarzen Lochs "Cygnus X-1" geht bereits davon aus.
Grafik: by NASA/CXC/M.Weis


* Am Gespräch beteiligte sich außerdem Dr. Corwin Zahn, ebenfalls von der Universität Hildesheim, der ein Projekt zur Lehrerfortbildung und Unterrichtsmaterialien gemeinsam mit Prof. Dr. Ute Kraus leitet [3], das die gleichen Animationstechniken wie Thomas Reiber nutzt.


Anmerkungen:

[1] http://www.nature.com/news/stephen-hawking-there-are-no-black-holes-1.14583

[2] Wurmlöcher ergeben sich mathematisch aus speziellen Lösungen (sogenannten Kruskal-Lösungen) der Feldgleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie. Sie sind - im Gegensatz zu schwarzen Löchern - schon von der Idee her als Durchgang, Tunnel oder Abkürzung durch zwei Seiten des selben Raumes definiert, wie die eines U-förmig gebogenen Universums. Der Begriff entstand in Anlehnung an den Tunnel, den sich ein Wurm durch einen Apfel frißt. Das Wurmloch verbindet zwei Seiten desselben Raumes (der Oberfläche) durch diesen Tunnel.

[3] Unter anderem eine Do-it-yourself Anleitung "Wir basteln ein Wurmloch" und weitere grafische Darstellungen finden Sie hier:
http://www.tempolimit-lichtgeschwindigkeit.de/

[4] Hawking-Strahlung: Der englische Astrophysiker Stephen W. Hawking hat in einer Rechnung 1974 Quanteneffekte in der Umgebung Schwarzer Löcher berücksichtigt und herausgefunden, daß dann am Ereignishorizont Teilchen entstehen müßten, die auch den Einflußbereich des Loches verließen. Diese Erscheinung wird unter dem Begriff Hawking-Strahlung oder Hawking-Emission subsumiert. Es handelt sich um eine rein theoretische Arbeit, die bislang nicht experimentell bestätigt werden konnte.


Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT zur DPG-Frühjahrstagung in Bremen erschienen:

BERICHT/004: Die DPG stellt vor - Verantwortung der Wissenschaft ... (SB)
BERICHT/005: Die DPG stellt vor - Endlichkeit nicht vorgesehen ... (SB)
BERICHT/006: Die DPG stellt vor - Weltraumgravitationsforschung in spe ... (SB)

INTERVIEW/009: Die DPG stellt vor - unzureichend treibt voran ...    Prof. Dr. Claus Lämmerzahl im Gespräch (SB)
INTERVIEW/010: Die DPG stellt vor - Schwingungen und Perspektiven ...    Prof. Dr. Klaus Fredenhagen im Gespräch (SB)
INTERVIEW/011: Die DPG stellt vor - fortschreitendes Verständnis (Teil 1) ...    Prof. Dr. Domenico Giulini im Gespräch (SB)
INTERVIEW/012: Die DPG stellt vor - das Mögliche auch nutzen ...    Prof. Dr. Dr. Claus Beisbart im Gespräch (SB)
INTERVIEW/013: Die DPG stellt vor - die Maßstäbe prüfen ...    Martina Gebbe im Gespräch (SB)
INTERVIEW/014: Die DPG stellt vor - unbekannten Emissionen auf der Spur ...    Dr. Stefan Schmitt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/015: Die DPG stellt vor - Zusammenschau ...    Dr. Irena Doicescu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/016: Die DPG stellt vor - Vermächtnis der Vergleiche ...    Dipl. Ing. Stefanie Bremer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/017: Die DPG stellt vor - fortschreitendes Verständnis (Teil 2) ...    Prof. Dr. Domenico Giulini im Gespräch (SB)
INTERVIEW/018: Die DPG stellt vor - die Sonne im Blick ...    Prof. Dr. Katja Matthes im Gespräch (SB)
INTERVIEW/019: Die DPG stellt vor - Wissenschafts- und Selbsterkenntnis ...    Prof. Dr. Hardi Peter im Gespräch (SB)
INTERVIEW/020: Die DPG stellt vor - Ursuppe der Forschung ...    Dr. Ralf König im Gespräch (SB)
INTERVIEW/021: Die DPG stellt vor - bis zum letzten Augenblick ...    Dr. Rolf König im Gespräch (SB)
INTERVIEW/022: Die DPG stellt vor - Ozon und sein doppeltes Gesicht ...    Prof. Dr. Markus Rex im Gespräch (SB)
INTERVIEW/023: Die DPG stellt vor - selbstredend ...    Prof. Dr.-Ing. Klaus Hofer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/024: Die DPG stellt vor - im Spiegel der Grenzen ...    Dr. Miriam Sinnhuber im Gespräch (SB)

9. Mai 2017


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