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INTERVIEW/014: Die DPG stellt vor - unbekannten Emissionen auf der Spur ...    Dr. Stefan Schmitt im Gespräch (SB)


Zwischen den Banden

Frühjahrstagung der Sektion Materie und Kosmos (SMuK) der Deutschen Physikalischen Gesellschaft vom 13. - 17. März 2017 an der Universität Bremen

"Wenn man das Unmögliche ausgeschlossen hat, muß das, was übrig bleibt, die Wahrheit sein, so unwahrscheinlich sie auch klingen mag."
(Sherlock Holmes)


Schickt man Licht durch ein Prisma, wird es in seine verschiedenen Anteile zerlegt, die Spektralfarben. Dieser Effekt ist vom Regenbogen her bekannt, der unter bestimmten Wetterbedingungen entsteht. Wenn nun Licht durch die Atmosphäre gesandt wird, werden bestimmte Anteile der Spektralfarben von bestimmten Atmosphärenanteilen absorbiert. Dieser Effekt ist eindeutig zuzuordnen, er kann im Laborversuch nachgestellt und überprüft werden. Wenn man wissen will, welche Bestandteile die Atmosphäre enthält, durchleuchtet man sie auf einer bestimmten Strecke und schaut nach, welche Lichtanteile durchgekommen sind und welche unterwegs absorbiert wurden. Dadurch kann man beispielsweise auch herausfinden, welche Spurengase die Atmosphäre aufweist.

Mit dem heute häufig eingesetzten DOAS-Spektrometer (DOAS kommt von differenzielle optische Absorptionsspektroskopie) können Art und Menge von Spurenstoffen ganz genau ausgemessen werden, wobei diese Geräte nicht die gesamte Breite des Lichtspektrums erfassen, sondern auf einen bestimmten Bereich eingegrenzt werden, der dann allerdings sehr genau "unter die Lupe" genommen wird.

Am zweiten Tag der diesjährigen Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft in Bremen stellte der Atmosphärenphysiker Dr. Stefan Schmitt vom Institut für Umweltphysik der Universität Heidelberg bei einer sogenannten Postersession ein überraschendes Nebenprodukt von Untersuchungen eines Forschungsteams vor, an dem er beteiligt war. Im Hamburger Hafengebiet hatte die Gruppe sechs Wochen lang mittels eines sogenannten Langpfad-DOAS über einen Lichtweg von ca. sechs Kilometern Messungen zur Überwachung von Schiffsemissionen durchgeführt. Dabei zeigte sich, daß das Licht in einem Bereich absorbiert wurde, der überraschenderweise nicht zuzuordnen war. Handelte es sich um einen Spurenstoff unbekannter Herkunft? Stammte dieser aus einer künstlichen oder aus einer natürlichen Quelle? Oder wies das Meßgerät einen Fehler auf?

Mit solchen und weiteren Fragen befaßt sich Dr. Schmitt und stellte seine "kriminalistischen" Ermittlungen in Form eines Posters dar. Für den Schattenblick eine Gelegenheit, mit dem Wissenschaftler über die Entdeckung zu sprechen.


Schmitt steht neben seinem Poster - Foto: © 2017 by Schattenblick

Dr. Stefan Schmitt
Foto: © 2017 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Könnten Sie vielleicht einmal beschreiben, was das Besondere ist, das Sie festgestellt haben?

Dr. Stefan Schmitt (SSch): Die angewandte Meßtechnik nutzt ein Teleskop, welches wir am Yachthafen von Wedel aufgestellt haben. Von dort aus sendeten wir einen Lichtstrahl über die Elbe auf die andere Uferseite, wo er auf einen Retroflektor traf, der an einem Leuchtturm befestigt war. Der Lichtstrahl wurde zurückgesandt, von dem Instrument wieder aufgenommen und spektral analysiert. Durch die Absorptionen im Spektrum des reflektierten Lichts erhält man Rückschlüsse auf die Spurenstoffe wie Ozon, NO2, Formaldehyd und SO2. Wenn man diese ganzen Spurenstoffe in den spektralen Daten berücksichtigt, sollte eigentlich, wenn man alles richtig gemacht hat, nur noch ein Instrumentenrauschen übrigbleiben. Doch dieses Restspektrum sah in dem Fall ganz anders aus, es zeigte eine signifikant andere Struktur.

Die kam mir ein bißchen bekannt vor, weil sie den Wirkungsquerschnitten von Molekülen ähnelte, nur daß man nichts in diesem Spektralbereich erwartet. Das von uns verwendete Instrument ist sehr gut etabliert, das haben wir schon überall auf der Welt eingesetzt, aber was wir über der Elbe entdeckt haben, haben wir nirgendwo anders nachgewiesen. Zudem war es war das erste Mal, daß wir in einer urbanen Region gemessen haben, und speziell in einem Hafengebiet. Jetzt fragen wir uns natürlich, ob das ein unbekannter Spurenstoff ist, den wir da messen.

SB: Könnte es etwas mit dem nahegelegenen Hamburger Hafen zu tun haben?

SSch: Das dachte ich zunächst auch, hier sind ja im Sommer eine Menge Baggerschiffe vorbeigefahren, die die Sedimente aus dem Hafengebiet ausbaggern und wegbringen. Ich dachte auch, daß dies vielleicht mit unseren Messungen korreliert, was sich jedoch im Nachhinein nicht bestätigt hat. Dann fragte ich mich, ob es etwas mit dem Tidenhub zu tun haben könnte, der hier bis zu vier Meter hoch ist. Da fällt ja immer ein Uferbereich trocken. Ich habe also die Daten mit der Tide korreliert - leider überhaupt kein Zusammenhang.

SB: Würden Sie sagen, daß das so etwas wie ein Fingerabdruck von etwas Bestimmten ist?

SSch: Ganz genau, von etwas Bestimmten. Zunächst könnte man denken, daß da etwas mit dem Instrument nicht stimmt. Ich konnte jedoch immer mehr ausschließen. Beispielsweise dachte ich auch an eine Interferenz des Sonnenlichts, welches vom Leuchtturm selbst reflektiert wird. Das sieht das Instrument ja auch. Aber das Spektrum des Sonnenlichts nimmt bei der Wellenlänge, an der die Reststruktur die stärksten Signale hat, sehr stark ab. Grund dafür ist unter anderem die stratosphärische Ozonschicht. In dem betrachteten Spektralbereich kommt eigentlich gar kein Licht mehr an, was die Interferenz durch Sonneneinstrahlung ausschließt. Zum anderen haben wir einen sehr starken Tagesgang beobachtet. Nach Sonnenaufgang ist das Signal im Allgemeinen sehr kräftig und nimmt nach Sonnenuntergang wieder ab. Und wenn es ein instrumenteller Effekt wäre, müßte man ja auch nachts signifikante Werte sehen.

SB: Es sei denn, es handelte sich um einen Doppelfehler.

SSch: Richtig, nur sieht man es auch nicht an jedem Tag. Das Signal ist tagsüber sehr variabel, und ich habe die Vermutung, es korreliert sogar mit der Sonneneinstrahlung. Leider gibt es die Daten dazu noch nicht. Deswegen habe ich das auf dem Poster erstmal nur gegen die Uhrzeit aufgetragen.

Dadurch daß der mittlere Tagesgang unserer Meßwerte etwas M-förmig aussieht, das heißt, morgens steigt es an, zur Mittagszeit nimmt es etwas ab, und abends steigt es wieder an, lautet die Theorie, daß dieser vermeintliche Spurenstoff vielleicht ein Produkt aus der Photolyse ist. So würde der Vorläuferstoff durch das langwellige Sonnenlicht morgens und abends photolysiert und das neue vermeintliche Molekül selbst mittags, bei erhöhter UV-Strahlung, ebenfalls wieder photolysiert. Deswegen gäbe es mittags eine Abnahme, wenn die Sonne am höchsten steht. Aber, wie gesagt, das ist nur eine Theorie.

SB: Und in welchem Wellenlängenbereich bewegt sich das?

SSch: Wir haben ab knapp 280 bis 325 Nanometer gemessen.

SB: Sind alle Spurengase in dieser Spanne normalerweise verteilt enthalten?

SSch: Ja, wir haben Ozon, NO2, SO2 und Formaldehyd berücksichtigt. Es kann natürlich sein, daß es noch andere Absorber gibt, aber in unserer Community ist uns das noch nicht aufgefallen, vor allem nicht in dieser Stärke.

SB: Können Sie das Meßgerät auf einer bestimmten Temperatur halten, so daß man die äußeren Temperatureinflüsse auf das Gerät als Urheber der ungewöhnlichen Meßdaten ausschließen kann?

SSch: Ja, das Spektrometer ist temperaturstabilisiert, da diese Komponente sehr sensitiv ist. Und der Rest des Instruments ist eigentlich ganz simple Optik. Man hat hier einen sphärischen Spiegel, ein Faserbündel, eine Lichtquelle und den Retroreflektor.

SB: Hat man schon irgendeine Vermutung, was das sein könnte? Gibt es da Muster, die darauf passen oder zumindest Ähnlichkeiten aufweisen?

SSch: Ich habe gehofft, näheres mittels des Bandenabstands der spektralen Struktur herauszubekommen, und dazu auch schon diverse Datenbanken über Spektren gewälzt, aber nichts gefunden, das gepaßt hätte. Letztlich müßte man in die theoretische Chemie gehen, das ist jedoch nicht mein Fachgebiet.

SB: Wäre das der nächste Schritt, daß sich ein Chemiker das anschaut?

SSch: Ich wünschte mir, daß hier jemand am Poster vorbeikommt und sagt: "Aha, das Spektrum kenne ich doch!" Die nächsten Schritte bestehen jedenfalls darin, mit Leuten zu reden, die aus der Struktur etwas herauslesen können. Ein anderer Ansatz wäre, mit einem mobilen Meßinstrument noch einmal in die Gegend zu fahren und sie abzuscannen. Man könnte dann ein Raster erstellen und vielleicht fände man heraus, daß da etwas aus der Landwirtschaft kommt. Allerdings vermute ich eher, daß wir es hier mit einem ganz natürlichen Spurenstoff zu tun haben.

SB: Könnte die Industrie von Stade eine Quelle sein?

SSch: Stade liegt etwas weit weg. Ich dachte zunächst auch, daß dafür vielleicht der dortige Chemiepark verantwortlich ist, aber das kommt nicht hin.

SB: Liegt Ihrer Einschätzung nach die Quelle näher?

SSch: Um diese Frage zu beantworten, sollten wir vielleicht noch kurz auf die Korrelation mit der Meteorologie eingehen. Die ist eigentlich auch ganz spannend. Bei relativ niedrigen Windgeschwindigkeiten von rund einen Meter pro Sekunde traten die höchsten Werte auf. Was die Windrichtung betrifft, so verzeichneten wir die meisten Meßpunkte mit stärkster Absorption bei Wind aus südlicher bis südwestlicher Richtung. Zusammen mit der Korrelation zu der niedrigen Windgeschwindigkeit kann man davon ausgehen, daß die Quelle irgendwo in südlicher bis südwestlicher Richtung und sehr nahe liegt. Weil, sobald der Wind etwas stärker weht, kommen zum einen weiter entfernte Windmassen am Instrument an und zum anderen werden sie mehr verdünnt.

SB: Was spräche für die Landwirtschaft?

SSch: Dort liegt das Alte Land mit vielen Apfelplantagen.

SB: Wenn die Obstblüte eine Quelle wären, müßte man das an einem jahreszeitlichen Verlauf erkennen. Wurde das gemacht?

SSch: Leider nein, denn wir hatten ja etwas ganz anderes im Sinn. Eigentlich ging es um eine Machbarkeitsstudie zu Schiffsemissionen. Was ich hier zeige, ist ein Nebenprodukt, auf das ich durch Zufall gestoßen bin.

SB: Ich welcher Jahreszeit haben Sie Ihre Messungen durchgeführt?

SSch: Das war Juli, August. Es wäre natürlich toll, das Gerät dort stehen zu lassen und ein Jahr lang durchzumessen.

SB: Glauben Sie, daß das Phänomen genügend Potential hat, um darauf eine Doktorarbeit zu gründen?

SSch: Bachelor sicherlich, Master ebenfalls, aber Doktor? Kommt darauf an, wenn sich da jemand draufstürzt und da mal nachbohrt. Ich bin schon fertig mit dem Doktor und habe ein ganz anderes Projekt. Aber ich werde dran bleiben.

SB: Ist das publikationsfähig? Hatten Sie schon die Möglichkeit, das peer-reviewed zu veröffentlichen?

SSch: Nein, noch nicht. Das ist auch noch recht neu.

SB: Herzlichen Dank, Herr Schmitt, für das Gespräch.


Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT zur DPG-Frühjahrstagung in Bremen erschienen:

BERICHT/004: Die DPG stellt vor - Verantwortung der Wissenschaft ... (SB)
INTERVIEW/009: Die DPG stellt vor - unzureichend treibt voran ...    Prof. Dr. Claus Lämmerzahl im Gespräch (SB)
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INTERVIEW/012: Die DPG stellt vor - das Mögliche auch nutzen ...    Prof. Dr. Dr. Claus Beisbart im Gespräch (SB)
INTERVIEW/013: Die DPG stellt vor - die Maßstäbe prüfen ...    Martina Gebbe im Gespräch (SB)

28. März 2017


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