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INTERVIEW/002: Kernfusion und Plasmaforschung - hoffen, forschen, wünschen ...    Prof. Dr. Thomas Klinger im Gespräch (2) (SB)


Pressereise zur Startvorbereitung für den Wendelstein 7-X & Plasmaphysik im All und auf der Haut

Teil 2 des Interviews mit Prof. Dr. Thomas Klinger, Leiter des Bereichs Stellarator-Dynamik und -Transport des Fusionsreaktors Wendelstein 7-X, am 17. August 2015 im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald


Im zweiten und abschließenden Teil des Interviews erläutert Prof. Klinger, warum ein Fusionsreaktor eine bestimmte Größe haben muß, mit kalter Fusion keine nennenswerte Wärme produziert werden kann und seiner Meinung nach die allgemeine Verfügbarkeit des Fusionsbrennstoffs politisch einiges in Bewegung setzen könnte. (Näheres zum historischen und technologischen Hintergrund des Forschungsreaktors Wendelstein 7-X sowie zu einer weiteren Station der Pressereise nach Greifswald: [1])


Prof. Klinger beim Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

"Das dumme ist eben, daß man partielle Differentialgleichungen mit 14 Freiheitsgraden und natürlich Maxwell-Gleichungen lösen muß. Da kommt viel zusammen."
(Prof. Klinger auf die Frage eines Pressevertreters nach der Berechnung der Magnetfelder für Wendelstein 7-X. Vortrag am 17. August 2015 im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Greifswald)
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Sprechen Sie bei der Fusion noch von Brand und Verbrennung oder müßte man dafür einen anderen Begriff verwenden?

Prof. Dr. Thomas Klinger (TK): Man kann von Verbrennen reden, die Analogie ist eigentlich gar nicht so schlecht. Denn die Energie, die im Inneren des Plasmas freigesetzt wird, teilt sich auf das Neutron und den Heliumkern auf. Letzterer ist positiv geladen, verbleibt im Käfig des Magnetfelds und gibt seine Energie an das Plasma weiter, das dadurch von innen heraus geheizt wird.

Wenn die Schwelle, ab der sich das Plasma von selber heizt, überschritten ist, ähnelt das einem Brennprozeß, denn das Gas brennt wie bei einer Kerzenflamme. Dabei handelt es sich allerdings um einen chemischen Gasbrennprozeß, im Plasma wäre das ein nuklearer Brennprozeß. Man kann aber gut von einem brennenden Plasma reden.

SB: Bei der Kerzenflamme entsteht unter anderem CO2. Gibt es auch beim Plasmabrand ein Endprodukt?

TK: Ja, wie gesagt, aus der Deuterium-Tritium-Fusion entsteht nicht mehr als ein Neutron und ein Heliumkern. Das Neutron fliegt raus, landet im Blanket bzw. dem Betonmantel, und der Heliumkern verbleibt zunächst im Plasma. Weil man ihn dort auf Dauer nicht haben will, wird er rausgefiltert. Helium ist völlig harmlos. Die Neutronen siedeln sich an den Kernen der verschiedenen Materialien an, auf die sie treffen, was dazu führt, daß der Beton dort, wo er besonders große Neutronenflüsse abbekommt, brüchig wird und alle zwei Jahre ausgetauscht werden muß. Manchmal bekommen wir zu hören: "Oh, der Beton wird brüchig! Das hört sich ja schlimm an!" Das ist aber kein Strukturelement oder nichts, was besondere abschirmende Wirkung hätte, sondern das ist der Wärmeumwandler. Der nutzt sich einfach ab wie ein Autoreifen, den man ebenfalls hin und wieder auswechseln muß.

Da hat man mindestens zwei Monate Down-Zeit, das heißt, das Kraftwerk muß runtergefahren werden. Dann müssen Sie mit Robotern arbeiten, weil die ganzen Stahlstrukturen durch die Neutronenflüsse aktiviert werden. Wie bei einem Kernkraftwerk. Dort muß man ebenfalls mit Kränen und Robotern arbeiten, weil man da aus Strahlenschutzgründen keine Menschen in den Reaktorraum hineinschicken kann. Das hört sich vielleicht exotisch an, aber das ist im Prinzip entwickelte Technologie und Standard. Autos werden auch mit Robotern zusammengebaut oder lackiert, weil man Menschen nicht mehr diese Lackdämpfe einatmen lassen will. Insofern ist es vernünftig, Roboter zu nehmen.


Detailaufnahme des Fusionsreaktors mit zahlreichen Rohren, Aggregaten und Gerüstteilen - Foto: © 2015 by Schattenblick

Für Wendelstein 7-X wurde Stahl mit möglichst geringem Gehalt an Kobalt verwendet, weil Kobalt durch Neutronen "aktiviert" werden kann.
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Durch die Presse geistert alle paar Jahre der Begriff der kalten Fusion. Was halten Sie von den bisherigen Vorschlägen oder Behauptungen mancher Physiker hierzu?

TK: Das hört sich natürlich sehr, sehr schön an. Den Effekt gibt es, das ist die myonenmoderierte Fusion. Der Vorgang geschieht allerdings so selten, daß man da keine Energie rausholen kann.

SB: Wäre kalte Fusion nicht wiederholbar?

TK: Sie wiederholt sich hin und wieder, aber viel zu selten. Das ist so, als wolle man die ganze Menschheit mit Kaviar sättigen. Was so selten ist, bringt einen in der Sache nicht weiter. Der Hauptwitz ist nicht, daß man Fusionsreaktionen an sich erzeugt - da gibt es verschiedene Wege, die alle wohlbekannt sind: Deuterium-Tritium-, Deuterium-Deuterium- oder myonenmoderierte Fusion. Diese kernphysikalischen Prozesse sind seit 50 Jahren gut verstanden. Der Witz ist also nicht, das überhaupt zu machen und zu sagen: "Guckt mal, da passiert eine Fusion, da sind 500 Neutronen rausgekommen." Die große Aufgabe besteht darin, Milliarden von Fusionsreaktionen pro Sekunde zu erzeugen. Deshalb gehen wir Plasmaphysiker den Weg über Wasserstoffisotopenplasmen, weil man da viele Teilchen beisammen hat, die man mittels des Plasmazustands in eine Situation bringen kann, daß die Fusionsreaktion häufig passiert. Eine einzelne bringt nicht viel Energie, und wenn man nur fünf oder sechs Ereignisse hat, dann interessiert das niemanden. Man braucht viele, viele Milliarden Fusionsvorgänge.

SB: Wieviel Energie entsteht bei einem einzelnen Fusionsvorgang?

TK: Wenn Sie beides, Heliumkern und Neutron, zusammennehmen, entstehen 17 Megaelektronenvolt. Wieviel das in Kilojoule ist, also "Schokoladentafel pro Fusionsreaktion" (lacht), kann ich Ihnen ausrechnen. (Klinger geht zu seinem Schreibtisch und rechnet den Wert aus) Eine Fusionsreaktion ist 3 x 10-12 Joule. Das ist nicht viel. Ein leichtes Mittagessen hat vielleicht 600 Kilojoule. Daran können Sie ablesen, daß man sehr, sehr viele dieser Reaktionen gleichzeitig bräuchte, damit etwas dabei herauskommt. Der entscheidende Punkt bei der kalten Fusion ist somit, daß das zwar ein nachweisbarer physikalischer Effekt ist, aber man damit niemals signifikante Mengen Energie erzeugen wird.


Prof. Klinger am Computer - Foto: © 2015 by Schattenblick Prof. Klinger tippt in Taschenrechner - Foto: © 2015 by Schattenblick

Schnell im Computer nachgelesen, dann mit dem Taschenrechner ausgerechnet, voilà: eine Fusion entspricht 0,000000000003 Joule. In die für Physiker offenbar gebräuchliche Einheit "Schokoladentafel" umgerechnet entspricht das ... nicht mal einer Geschmacksprobe.
Fotos: © 2015 by Schattenblick

SB: Mit der Entwicklung eines Fusionsreaktors von der Größe eines Automotors wäre dann aus physikalischen Gründen nicht zu rechnen?

TK: Genau. Und dagegen spricht noch ein zweites Argument. Wir werden gerne gefragt, warum das immer so große Anlagen sein müssen. Der springende Punkt ist dabei, daß wir es mit einem Volumenprozeß zu tun haben. Die Energie wird im Volumen erzeugt und es treten aufgrund mangelnder Isolation Energieverluste auf. Die gehen immer durch die Oberfläche. Wenn man die notwendige Temperatur erreichen will, damit überhaupt Fusionsreaktionen in ausreichender Häufigkeit entstehen, muß man eine vernünftige Balance zwischen der Energieerzeugung im Volumen und den Verlusten durch die Oberfläche herstellen.

Würde man die Anlagen kleiner und kleiner machen, dann würde sich das Verhältnis zwischen Volumen und Oberfläche immer mehr verschlechtern. Irgendwann kann man nicht mehr soviel Energie in das Volumen einbringen, daß dadurch die Verluste durch die Oberfläche ausgeglichen werden, und die entstehen einfach schon durch das Licht, das da rauskommt, denn Plasma leuchtet.

Der Wendelstein 7-X wäre bereits zu klein für ein Kraftwerk. Die Analogie, die ich dafür immer gern benutze, ist "Spitzmaus oder Polarbär". Der Polarbär ist ein großes Tier, das am Nordpol lebt, wo es verflixt kalt ist. Es war gut von der Evolution, die Bären größer zu machen im Volumen, weil der Wärmefluß immer durch das Fell, also durch die Oberfläche, geht. Das andere Extrem ist die Ertrusker-Spitzmaus, das kleinste Säugetier der Welt. Kleiner geht es nicht, denn sie ist an der Grenze zu einem kritischen Volumen-zu-Oberfläche-Verhältnis. Das heißt, sie strahlt im Verhältnis zur Oberfläche viel Wärme ab und führt sich ständig Energie zu. Die rennt dauernd herum und frißt und frißt und frißt. Das ist ein ganz hektisches Tier, das laufend nachschaufeln muß. Kleinere Warmblüter gibt es nicht. Da müßte man schon zu Insekten runter, die ein ganz anderes Konzept haben, oder zu Kaltblütern.

Das gleiche, simple Argument gilt auch für Fusionskraftwerke. Die brauchen eine bestimmte Größe. Aber ich muß sagen, wir haben Glück gehabt. Wir brauchen ein Großkraftwerk, aber das muß nicht pervers groß sein. Das ist nicht technologisch unumsetzbar oder völlig unwirtschaftlich.

Die Idee, Fusionsreaktoren in Autos einzubauen oder Blockheizkraftwerke für kleine Einheiten oder Stadtwerke damit auszurüsten, halte ich dagegen für Zukunftsmusik. Da müßte man diese Verluste, die durch die Oberfläche gehen, noch weiter verbessern, also sozusagen sich noch ein dickeres Fell wachsen lassen. Und das braucht seine Zeit, irgendwo muß man auch mal anfangen.

SB: Wasserstoff ist überall vorhanden, aber wenn man, wie Sie sagen, sehr viele Teilchen für einen Fusionsreaktor braucht, könnte es da zu einem Engpaß kommen?

TK: Auf "viele" kamen wir, als Sie die Frage nach der einzelnen Fusion stellten. Aber zehn hoch zwanzig Teilchen pro Kubikmeter ist immer noch nicht viel, wenn man das mit Festkörpern vergleicht, die 1026 Teilchen pro Kubikmeter haben. Wendelstein 7-X wird mit 0,1 Gramm Gas befeuert, und in einem zukünftigen Fusionskraftwerk würde sich zu jeder Zeit ein Gramm Gas befinden. Mit dem Deuterium, das in einer halben Badewanne Wasser enthalten ist, und dem Lithium eines Laptop-Akkus, aus dem das Tritium für die Fusion erbrütet wird, kann man einen durchschnittlichen Europäer vierzig Jahre lang mit elektrischer Energie versorgen.

Damit kann man sagen, daß der Ausgangsstoff kein Problem darstellt. Das können Sie als erledigt abhaken. Eine halbe Badewanne Wasser und einen Akku sollte für jeden beschaffbar sein. Das Reizvolle daran ist, daß es niemanden in der Welt gibt, der auf dem Brennstoff sitzt und ihn anderen verkaufen möchte, sondern den hat jeder. Das ist schon ein "game changer", wenn plötzlich der eigentliche Brennstoff für Energie für jeden verfügbar ist und man dafür auch nicht so große Mengen braucht.

Natürlich erhält man nie irgend etwas kostenlos, sondern man muß diese sehr komplexe Technologie meistern. Da sagen dann viele: "Na, das wird man doch in Afrika niemals können." Das finde ich immer ein bißchen fies, weil man unterstellt, die Leute dort seien zu doof dafür. Auch die Entwicklungsländer werden da hinkommen, aber natürlich muß man dafür einen hohen Ausbildungsgrad und einen technologischen Entwicklungsstand haben. Insofern ist das erstmal eine Technologie für die technologisch sehr entwickelten Länder. Das sieht man auch an den Partnerländern beim Forschungsreaktor ITER: Europa, Japan, USA, Rußland, Korea, China und Indien. Andere Länder sind noch nicht so gut aufgestellt, daß sie sich dafür interessieren. Aber wenn das läuft, dann wird es schon kommen.

SB: Herr Klinger, herzlichen Dank für das Gespräch.


Ertrusker-Spitzmaus auf Finger - Foto: Trebol-a, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons Eisbär auf Anhöhe - Foto: pixabay.com, freigegeben als Public Domain

Die Ertrusker-Spitzmaus muß wegen ihres Volumen-Oberfläche-Verhältnisses dauernd futtern, damit die abgegebene Wärmeenergie durch die Nahrungsenergie wieder reingeholt wird.
Der Eisbär hat nicht nur ein dickes Fell, sondern auch ein Volumen-Oberfläche-Verhältnis, das in seinem eisigen Lebensumfeld von großem Vorteil ist.
Foto: Trebol-a, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons
Foto: pixabay.com, freigegeben als Public Domain


Fußnoten:

[1] Zum Forschungsreaktor Wendelstein 7-X und der Pressereise nach Greifswald sind bisher, mit dem kategorischen Titel "Kernfusion und Plasmaforschung" versehen, im Pool
NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT erschienen:

BERICHT/001: Kernfusion und Plasmaforschung - Im Spannungsfeld der Vielversprechen ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrbe0001.html

BERICHT/002: Kernfusion und Plasmaforschung - Fortschritts- und Entwicklungsfragen ... (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrbe0002.html

INTERVIEW/001: Kernfusion und Plasmaforschung - hoffen, forschen, wünschen ... Prof. Dr. Thomas Klinger im Gespräch (1) (SB)
http://schattenblick.com/infopool/natur/report/nrin0001.html

27. August 2015


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