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BERICHT/010: Plattentektonik und Vulkane - zur Forschung angebohrt ... (SB)



Beim Vortrag - Foto: © 2018 by Schattenblick

PD Dr. Steffen Kutterolf
Foto: © 2018 by Schattenblick

Wir wissen nicht, ob sich die Forschungsreisenden von Professor Otto Lidenbrock inspirieren ließen, jenem berühmten Hamburger Mineralogen und Geologen, der es gewagt hat, in einen Stratovulkan auf Island hinabzusteigen. Aber als PD Dr. Steffen Kutterolf und die wissenschaftliche Crew auf der JOIDES RESOLUTION über ihre Expeditionen zur Tiefseebohrung berichteten, wehte ein Hauch jener umtriebigen Jules-Verneschen Romanfigur durch den Hörsaal des GEOMAR in Kiel.

Dort hielt der gebürtige Schwabe und GEOMAR-Forscher Kutterolf am 15. Mai einen öffentlichen Vortrag über Plattentektonik, die kurze Geschichte der Tiefseebohrungen, das heutige International Ocean Discovery Program (IODP) und seine eigene letzte Expedition, IODP 375. Die hatte ihn in neuseeländische Gewässer geführt, aus denen er erst eine Woche zuvor zurückgekehrt war.

Vor der Nordspitze der Nordinsel Neuseelands dümpelt zur Zeit auch das 150 Meter lange Forschungsschiff JOIDES RESOLUTION oberhalb des submarinen Bergrückens Brothers Seamount. Als Höhepunkt der Veranstaltung berichteten von Bord dieses Schiffes die beiden GEOMAR-Forschenden Dr. Philipp Brandl und Dr. Karen Strehlow per Livestream von ihrer Arbeit und beantworteten anschließend Fragen des interessierten Publikums.

An einer Expedition beteiligt zu sein, auf der erstmals ein aktiver, untermeerischer Vulkan angebohrt wird, weckt Assoziationen zu jenen phantastischen Abenteuern, die Lidenbrock bei seiner "Reise zum Mittelpunkt der Erde" erlebt hat. Man kann allerdings gewiß sein, daß abgesehen von der mühsamen Laborarbeit ein wesentlicher Teil der geologischen Tätigkeit darin bestehen dürfte, Daten in den Computer einzugeben, diese mit anderen Daten zu korrelieren, die Ergebnisse mit den gängigen Theorien abzugleichen und viele Dinge mehr, bei denen man vor dem Bildschirm sitzt und nicht inmitten der Kulisse einer von Urzeitwesen bewohnten phantastischen Höhlenwelt.

"Gesteine aus der Tiefsee. Mit Bohrschiffen die Zeugen von Erdbeben, Hangrutschungen und Vulkanismus untersuchen", hat Kutterolf seinen durchaus kurzweiligen Vortrag betitelt. Eine der wichtigen Aufgaben der Geologinnen und Geologen, die an der Tiefseebohrung beteiligt sind, besteht in der Identifikation von Ascheablagerungen in den erbohrten Sedimenten. Da die Asche räumlich und zeitlich meistens bestimmten Vulkanausbrüchen zugeordnet werden kann, verdichtet sich das Bild, das sich die Geologie von der Erdgeschichte macht, immer mehr.

So wie Zeichen durch ihre Deutung entstehen, werden Ascheablagerungen (sogenannte Tephras) und andere Sedimente erst dann zu jenen erdgeschichtlichen "Zeugen", wenn jemand eine entsprechende Frage an sie richtet. Geologinnen und Geologen tun genau das, unter anderem dafür wurden sie ausgebildet. Sie bohren in den Meeresgrund und ziehen von dort Bohrkerne herauf. Diese liefern eine Abfolge von Sedimentschichten, wie sie im Laufe der Zeit abgelagert, anschließend durch das aufliegende Gewicht entwässert und schließlich verfestigt wurden.


Höhenprofil des Vulkans von dunkelblau über grün, gelb bis rot - Bild: New Zealand American Submarine Ring of Fire 2007 Exploration, NOAA Vents Program; Institute of Geological & Nuclear Sciences and NOAA-OE

Brothers Vulkan
Da sich die submarinen Vulkane meist in völliger Lichtlosigkeit befinden, werden ihre Reliefs durch Farben gekennzeichnet.
Bild: New Zealand American Submarine Ring of Fire 2007 Exploration, NOAA Vents Program; Institute of Geological & Nuclear Sciences and NOAA-OE

Was unten liegt, muß älter sein als das Darüberliegende, lautet eine geologische Faustregel, von der es freilich viele Ausnahmen gibt. Denn die Erde befindet sich im permanenten Umbruch. Eine solche unruhige Bruchzone liegt im Pazifischen Ozean nördlich von Neuseeland, der Brothers Seamount. Es handelt sich um einen submarinen Vulkan, der Teil des zirkumpazifischen Feuerrings ist, jener von schweren Erdbeben und starkem Vulkanismus geprägten Störungszone am Rande dieses riesigen Ozeans. Hier tauchen die tektonischen Platten, aus denen sich der Meeresboden zusammensetzt, zumeist unter die jeweiligen Kontinentalränder ab. Sie "subduzieren" (von lat. "sub", z. Dt. "unter", und "ducere", z. Dt. "führen"), und die Gebiete, in denen dies stattfindet, werden "Subduktionszonen" genannt.

Die Wissenschaft stellt sich vor, daß in diesen Subduktionszonen Meerwasser mit nach unten gezogen wird und aufgrund des enormen Drucks seine chemisch-physikalischen Eigenschaften verändert. Es wird "überkritisch", was bedeutet, daß man nicht mehr unterscheiden kann, ob es sich im flüssigen oder gasförmigen Aggregatzustand befindet. Kutterolf berichtete, daß das Meerwasser den Schmelzpunkt senkt und dort vermehrt Gestein aufgeschmolzen wird. Erdbeben und schwere Vulkanausbrüche wie vom Mount St. Helens im US-Bundesstaat Washington 1980 und Pinatubo auf den Philippinen 1991 seien typisch für solche tektonische Störungszonen. Nebenbei bemerkt: Bei letzterem wurden besonders viele Schwefelpartikel ausgeworfen. Die vulkanischen Emissionen legten sich dann als dünne Schicht in der Stratosphäre um die gesamte Erde und sorgten mindestens zwei Jahre lang nachweislich zu einer globalen Abkühlung von 0,1 Grad Celsius.

Die Geschichte der Tiefseebohrung ist noch jung, sie geht auf die zweite Hälfte der 1960er Jahre zurück, als sich überhaupt erst die technische Möglichkeit eröffnete, von einem Forschungsschiff aus, das relativ ruhig im Wasser liegen und seine einmal eingenommene Position halten mußte, in den Meeresboden zu bohren. Damals wollte die Forschungsgemeinde wissen, ob die Theorie der Plattentektonik zutrifft, nach der die gesamte feste Erdoberfläche, die Erdkruste - ob von Meeren bedeckt oder nicht - mosaikartig zerbrochen ist und die einzelnen tektonischen Platten wandern. Dies konnte 1972 mit Hilfe von Tiefseebohrungen bestätigt werden, wie der Referent berichtete. Auch habe man erkannt, daß nicht nur der Meeresboden abtaucht, sondern daß es quasi als Gegenstück auch Spreizungszonen gibt, in denen Meeresboden neu entsteht. Dieser ist in der Regel nicht älter als ca. 200 Millionen Jahre, wohingegen die Kontinente bis zu 4,5 Mrd. Jahre alt sind.

Auf der 376. Expedition des IODP, die sich den Brothers Vulkan ausgesucht hat, wird vorwiegend Grundlagenforschung betrieben. Man will näheren Aufschluß darüber erhalten, wie submarine Vulkane entstehen, welche Prozesse stattfinden, wenn Meerwasser mit Magma in Berührung kommt, wovon die tektonischen Platten möglicherweise noch angetrieben werden (abgesehen von der Schwerkraftwirkung der abtauchenden Platte), wie Schwarze Raucher in ihrem Quellgebiet aufgebaut sind, ob sich die Schwarzen Raucher in Spreizungszonen von denen in Subduktionszonen unterscheiden, und viele, viele Fragen mehr.

Warum hierfür Forschungsgelder freigestellt werden, lautet eine naheliegende, über den Vortrag Kutterolfs hinausführende Frage. Die Antwort darauf hat sicherlich nicht nur mit der von vielen wissenschaftlichen Disziplinen bemühten "menschlichen Neugier" zu tun, sondern auch mit einem anderen Zweig der Geologie, der angewandten Forschung. So heißt es in einer vom Informationsdienst Wissenschaft - idw verbreiteten GEOMAR-Pressemitteilung zu dieser Veranstaltung: "Die bis zu 400 Grad Celsius heiße Lösung, die nahe der Spitze des Brothers Vulkan wieder aus dem Meeresboden austritt, ist aufgrund der hohen Metallgehalte oft tiefschwarz gefärbt. Daher hat diese Art von heißen Quellen in der Tiefsee auch den Spitznamen 'Schwarze Raucher'. (...) Schwarze Raucher bilden einerseits die Grundlage für sehr spezielle Ökosysteme. Gleichzeitig lagern sich um sie herum viele Metalle wie Kupfer, Zink, Gold und Silber ab." [1]

Jene Metalle wecken jedoch die Begehrlichkeiten der Industriegesellschaft, auch und besonders der Bundesrepublik Deutschland, die kaum über eigene Rohstofflagerstätten verfügt, aber einen hohen Verwertungsdruck und -umsatz von Rohstoffen hat. So sagte der Leiter der letztlich dem Wirtschaftsministerium zugeordneten Deutschen Rohstoffagentur (DERA), Dr. Peter Buchholz, gegenüber dem Schattenblick: "Sowohl an Land als auch im Meer müssen Umweltgutachten einer Bergbauaktivität immer vorausgehen. Davon hängt es unter anderem ab, ob Bergbau dann möglich ist oder nicht. Wenn alle Parameter wie Umweltverträglichkeit und Sozialverträglichkeit genauestens untersucht werden und die Rechtssituation eingehalten wird, ist Bergbau sowohl an Land als auch im marinen Bereich für eine sichere und nachhaltige Rohstoffversorgung wichtig." [2]

Zusammenfassend und abschließend läßt sich feststellen, daß die IODP376 nicht zum Ziel hat, Rohstofflagerstätten aufzuspüren, aber daß selbstverständlich jeder Suche nach abbauwürdigen Rohstoffen stets solche und ähnliche Grundlagenforschungen vorausgehen. Sollten die riesigen technischen Schwierigkeiten des Tiefseebergbaus, zu dem das GEOMAR mit seiner wissenschaftlichen Expertise beiträgt, jemals überwunden werden, stellt sich noch immer die Frage, welche Auswirkungen das Ernten von Manganknollen vom Tiefseeboden, der Abbau von Kobaltkrusten entlang submariner Bergrücken und das Abbrechen, Zerkleinern und Hinauffördern jener rohstoffreichen Schwarzen Raucher, wie sie unter anderem von IODP-Expeditionen erforscht werden, auf das hochempfindliche Tiefseeleben hätte. Das ist ein Thema, das sicherlich genügend Stoff für einen weiteren jener spannenden öffentlichen Vorträge in der Reihe "WissenSchaffen" des GEOMAR böte.


Aus einer bizarren untermeerischen Felslandschaft ragt ein stellenweise goldschimmernder Kamin empor, von dem eine schwarze Rauchsäule aufsteigt - Foto: New Zealand-American Submarine Ring of Fire 2005 Exploration; NOAA Vents Program, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]

Heißer, metallhaltiger schwarzer Raucher an der nordwestlichen Caldera des Brothers Vulkans, Neuseeland
Foto: New Zealand-American Submarine Ring of Fire 2005 Exploration; NOAA Vents Program, CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/]


Fußnoten:


[1] https://idw-online.de/de/news?print=1&id=694008

[2] http://schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0051.html


Ein Interview mit dem Referenten PD Dr. Steffen Kutterolf finden Sie unter:
NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT:
INTERVIEW/034: Plattentektonik und Vulkane - Ausbruchs- und Gefahrenvorhersage ...     Priv.-Doz. Dr. Steffen Kutterolf im Gespräch (SB)


22. Mai 2018


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