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BERICHT/001: Kernfusion und Plasmaforschung - Im Spannungsfeld der Vielversprechen ... (SB)


Pressereise zur Startvorbereitung für den Wendelstein 7-X & Plasmaphysik im All und auf der Haut

Teil 1: Besuch des Fusionsreaktors Wendelstein 7-X am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald am 17.8.2015

Energie im Überfluß - dieser uralte Traum der Menschheit hat Autorinnen und Autoren bereits zu einer Zeit, als Science-fiction noch "Zukunftsroman" oder "utopischer Roman" genannt wurde, in ihrer Phantasie gewaltige Maschinen erfinden lassen. Diese vermochten fast magisch Dinge in Bewegung zu setzen und Menschen von dem Zwang zu befreien, mittels Arbeit ihre Existenz sichern zu müssen. So durften sich die Protagonisten ganz und gar den schönen Künsten und anderen Annehmlichkeiten des Lebens widmen - Fernreisen zu fremden Welten mittels planetengroßer Raumschiffe inbegriffen. Die Entdeckung des elektrischen Stroms und später der Spaltbarkeit des Atoms bildeten die reale wissenschaftliche Grundlage für solche technophilen Träumereien. Alles schien machbar zu werden. Der Philosoph Ernst Bloch wähnte in "Prinzip Hoffnung" gar die Menschheit auf dem Weg, mittels "einigen hundert Pfund Uranium und Thorium (...) die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen" und " Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln". [1]


Redner neben einer Büste von Max Planck - Foto: © 2015 by Schattenblick

Prof. Dr. Edward G. Krubasik (links), Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), und Prof. Dr. Thomas Klinger, Leiter des Bereichs Stellarator-Dynamik und -Transport beim IPP, begrüßen die Medienvertreter.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Das Vernichtungspotential der Atombombe, der 1945 schlagartig Zehntausende und in der Folge Hunderttausende Menschen zum Opfer gefallen waren, könnte, sofern für friedliche Zwecke eingesetzt, der Menschheit Wohlstand und damit auch Frieden bringen, lautete die Hoffnung nicht nur der Philosophen. Mit der Rede zu "Atoms for Peace" vor der UN-Vollversammlung griff US-Präsident Dwight D. Eisenhower 1953 diese Stimmung auf, während jedoch zeitgleich sowohl US-amerikanische Militärs als auch jene auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs das Zerstörungspotential der Kernspaltung nochmals übertrafen und die Wasserstoffbombe entwickelten. Die Drohung mit ihrem Einsatz bestimmt die Geopolitik bis heute maßgeblich.

In der Wasserstoffbombe liefert eine Atombombe die Energie für die Zündung der beiden Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium. Bei dieser Bombe werden die Atomkerne nicht gespalten (Fission), sondern miteinander verschmolzen (Fusion), wodurch ungeheuer viel mehr kinetische Energie der Reaktionsprodukte freigesetzt wird als bei der Spaltung. Deuterium und Tritium sind auch als Brennstoff für Fusionsreaktoren vorgesehen. Die darin gewonnene Energie kann theoretisch den gesamten zukünftigen Primärenergiebedarf der Menschheit decken. Ein Gramm Fusionsbrennstoff entspricht dem Energiegehalt von elf Tonnen Kohle bzw. 90.000 Kilowattstunden elektrischer Strom.

Die Verwirklichung der Utopien von einst schien mit der Aussicht, Fusionsenergie zu nutzen, zum Greifen nahe - die Schattenseiten solcher Großprojekte sah man nicht. Bereits während des geheimen US-amerikanischen Manhattan-Programms war laut Edward Teller, dem "Vater" der Wasserstoffbombe, über die Möglichkeit der kontrollierten Kernfusion theoretisiert worden. Der anfängliche Optimismus der Techniker und Ingenieure verflog angesichts der enormen Schwierigkeiten der Realisierung schnell, ohne daß deswegen die Fusionsforschung prinzipiell aufgegeben worden wäre. Doch wurde der Zeitpunkt, ab dem die beteiligten Experten mit der Fertigstellung des ersten stromliefernden Fusionsreaktors rechneten, wie eine Bugwelle vor dem "Forschungsfahrzeug" immer wieder um einige Jahrzehnte in die Zukunft verschoben. So hatte man das Ziel laufend vor sich, aber es behielt ständig den gleichen Abstand.


Gesamtansicht - Foto: © 2015 by Schattenblick

Fusionstestreaktor Wendelstein 7-X
Foto: © 2015 by Schattenblick

Seit 2005 wird am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald der Fusionsreaktor Wendelstein 7-X aufgebaut. Er soll jene Bugwelle zumindest ein wenig verkürzen. Der "W7-X", wie er kurzerhand genannt wird, ist als Versuchsreaktor geplant. Mit ihm soll der Nachweis des Kraftwerkspotentials und der sogenannten Dauerstrichfähigkeit - des Dauerbetriebs - dieses Reaktortyps erbracht werden. Er wird noch keine elektrische Energie liefern, da in ihm keine Fusion der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium stattfindet, sondern "nur" ein über 100 Millionen Grad heißes Plasma aus Wasserstoffatomen erzeugt wird. Aber man hat im Prinzip alle Komponenten eines Fusionsreaktors zusammengestellt und geht davon aus, daß sich die Ergebnisse der Testläufe, die zeitlich auf bis zu 30 Minuten begrenzt sind, auf eine "echte" Anwendung übertragen lassen. Die Beteiligten stellen sich vor, daß Fusionskraftwerke im Energiemix der Bundesrepublik Deutschland ab dem Jahr 2050 den Grundlaststrom liefern.

Im Rahmen einer von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) am 17., 18. August 2015 initiierten Pressereise zu drei Greifswalder Instituten, die auf unterschiedlichen Gebieten der Plasmaphysik forschen, wurde den Medienvertretern zunächst der W7-X vorgestellt. [2] Sein Vorläufermodell, Wendelstein 7-AS (AS steht für "Advanced Stellarator", z. Dt.: fortgeschrittener Stellarator), wurde noch bis 2002 vom Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Garching bei München betrieben. Beim W7-X wurden bis jetzt nur die einzelnen Bauteile getestet. Falls in einigen Monaten der Reaktor hochgefahren wird, beginnt die Phase, an der erstmals alle Systeme gleichzeitig überprüft werden.

Das wird für die beteiligten Physikerinnen und Physiker ein denkwürdiges Ereignis, das auch international mit großer Aufmerksamkeit verfolgt wird. Man hat hier am IPP ein Konzept verfolgt, das eigentlich als nicht zu verwirklichen galt, so Prof. Thomas Klinger, Leiter des Bereichs Stellarator-Dynamik und -Transport, bei seinem Vortrag vor der Besichtigung des W7-X. "Selbst Fachkollegen von uns haben Zweifel geäußert. Die haben gesagt: 'Na, das ist ja eine tolle Idee, die das Max-Planck-Institut hat, aber das kann ja keiner bauen'. Und inzwischen kommen die gleichen Fachkollegen und sagen: 'Ah, das ist eine tolle Idee, aber das können nur die Deutschen bauen'."

Aber der Bau des Fusionsreaktors sei kein deutscher Sonderweg, sondern werde intensiv international diskutiert, stellte Klinger klar. Der auffälligste Unterschied zum zweiten Fusionsreaktormodell, dem in Rußland entwickelten Tokamak, ist die Asymmetrie des Aufbaus. Das Plasma nimmt nicht die Form eines symmetrischen, sondern eines in sich verdrehten, turbulenten, teils chaotischen Rings an. Andere Stellaratormodelle wie der LHD in Nagoya, Japan, sind noch nach der Symmetrievorstellung aufgebaut, was Probleme mit dem Magnetfeld aufwirft.

Erst durch die Steigerung der Leistungsfähigkeit von Computern war es möglich geworden, die für die Plasmakontrolle optimale Form auszurechnen, und "mit der Idee, daß man die Form des Magnetfeldes durch die Form der Spulen bestimmen kann, ist der Durchbruch gelungen", berichtete Klinger und sagte schmunzelnd: Wir haben die Computer gefragt, welches Magnetfeld das Plasma haben will, "damit es sich wohlfühlt".


Foto: © 2015 by Schattenblick Foto: © 2015 by Schattenblick

Prof. Dr. Thomas Sunn Pedersen, Leiter des Bereichs Stellarator-Rand- und -Divertorphysik, erklärt Medienvertretern, wie das Magnetfeld ausgesteuert wird.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Neben fest, flüssig und gasförmig wird Plasma als der vierte Aggegratzustand bezeichnet. Veranschaulichen läßt sich das am Beispiel eines festen Eisblocks. Führt man ihm Wärme zu, wird er flüssig und zu Wasser. Erhitzt man das Wasser weiter, verdunstet es und wird zu einem Gas. Steigert man die Energiezufuhr, wandelt sich dieses in ein ionisiertes Gas, das Plasma. Der entscheidende Unterschied zum herkömmlichen Gas besteht darin, daß Atomkerne und Elektronen voneinander getrennt sind. Mit dem Plasma, das bei einem Blitzschlag entsteht, dem Schweißbrenner entströmt oder sich vom brennenden Kerzendocht löst, sollte man eine direkte Berührung tunlichst vermeiden, wohingegen man mit einer Leuchtstofflampe, in der sich ebenfalls Plasma befindet - hier spricht man in diesem Fall von Niederdruckplasma -, einen alltäglichen Umgang pflegen kann.

Der W7-X verfügt über 50 etwa 3,5 Meter hohe, quasi-symmetrische Magnetspulen, von denen es fünf Typen gibt, sowie um sie herum einen Satz aus 20 planaren Magnetspulen. Mit ihnen zusammen wird vom Kontrollraum aus das Magnetfeld gesteuert. Jede der 50 Spulen kostet rund eine Million Euro und wiegt sechs Tonnen. Alle Magnetspulen werden mit flüssigem Helium auf Supraleitungstemperatur von knapp -270 Grad heruntergekühlt.

Der Wendelstein 7-X mit seinen Myriaden Kabeln, Rohren, Sensoren und Aggregaten erweckt den Eindruck, als sei er der verdrehten Vorstellungskraft eines Romanschriftstellers entsprungen - als Requisite für eine Filmkulisse taugt der W7-X eher nicht, zu überladen wirkt die Konstruktion. Demgegenüber erscheinen selbst die Phantasieprodukte eines HR Giger noch überschaubar. Zur sicheren Orientierung selbst für die Forscherinnen und Forscher, die täglich mit dem Reaktor zu tun haben, sind die einzelnen Bauteile mit mehrstelligen Zahlen- und Buchstabencodes versehen.


Schild mit Hinweis 'Absperrventil' und Codenummer - Foto: © 2015 by Schattenblick

Alle Bauteile sind gekennzeichnet
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Unter Supraleitung versteht man die "verlustfreie" Leitung von elektrischem Strom. Streng genommen wird bei dieser Bezeichnung allerdings darüber hinweggesehen, daß sehr wohl Verluste auftreten, nur daß sie ins Vorfeld verlagert wurden. Um die extrem tiefen Temperaturen zu erreichen, die für den lokalen verlustfreien Transport von elektrischen Storm in Supraleitungen sorgen, wird selbstverständlich Energie verbraucht. Man kann es auch so sagen: Gäbe es tatsächlich Verlustfreiheit beim Stromtransport, würde niemand an Fusionsreaktoren forschen, weil dann das Stromproblem an sich behoben wäre.

In einem Fusionsreaktor werden Temperaturen von bis zu 200 Millionen Grad erzeugt. Das ist zwanzigmal so hoch, wie es als Fusionstemperatur in der Sonne angenommen wird. Kein Material kann einer solchen Hitze widerstehen, deshalb muß das Plasma von Magnetfeldern gebändigt werden. Jede Berührung beispielsweise mit der Reaktorwand würde zur Verunreinigung und Abkühlung des Plasmas beitragen und hätte womöglich dessen Zusammenbruch zur Folge.

Welche Schwierigkeiten zu überwinden waren, um ein geschlossenes Magnetfeld zu generieren, läßt sich am Beispiel eines kurzen Stücks Schlauch verdeutlichen. Biegt man es zu einem Ring, wird der innenliegende Bereich gestaucht und der äußere gedehnt. Bei zu starker Biegung können sogar Risse entstehen. Im Magnetfeld des Stellarators müssen solche "Dehnungslücken" geschlossen werden, weil sonst das von seiner Natur her unbändige Plasma, das gar nicht daran denkt, sich "freiwillig" in einen symmetrischen Ring zu legen, immer wieder entwischen würde.

Mit einfachen planaren Magnetspulen ist dieser Drift kaum Herr zu werden, da sie die Fläche nicht geschlossen abdecken. Das ist der Grund, warum die Magnetspulen beim W7-X so merkwürdig verdreht sind und auf den stets nach Symmetrie suchenden Blick irgendwie befremdlich wirken. "Es dreht sich bei uns alles um das richtig aufgebaute Magnetfeld", betonte Klinger. "In den Stellaratoren, wie wir sie hier in Greifswald bauen, kommt es darauf an, daß wir die richtigen, intelligenten Spulen bauen - das ist das schwierige."


Foto: © 2015 by Schattenblick

Verkleinertes Modell eines W7-X-Moduls mit fünf quasi-symmetrischen und zwei planaren Magnetspulen. Je zwei Module werden spiegelbildlich verbunden, fünf solcher Doppelmodule ergeben zusammen den Stellaratorring
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Das andere Konzept, der Tokamak, wird beim ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) im südfranzösischen Kernforschungszentrum Cadarache verfolgt. Hier ist neben den Magnetspulen auch der symmetrisch aufgebaute Plasmaring stromdurchflossen. Beides zusammen erzeugt dann das Magnetfeld, in dem das Plasma eingeschlossen ist. An dem Projekt beteiligen sich neben Frankreich und anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union auch die USA, Rußland, Japan, China, Südkorea und Indien. ITER ist ebenfalls ein Versuchsreaktor, aber er soll tatsächlich schon Fusionsenergie erzeugen, das heißt, es werden Deuterium- und Tritium-Atomkerne miteinander verschmolzen und energiereiche Neutronen freigesetzt.

Darauf hat man in Greifswald auch deshalb bewußt verzichtet, weil Tritium radioaktiv ist und die Neutronen in der ersten Wand und den sich dahinter anschließenden Blankets Atome aktivieren, so daß sie Strahlung abgeben. Tritium kommt in der Natur extrem selten vor und soll deshalb in solchen Fusionsreaktoren aus Lithium erbrütet werden.

Fusionsreaktoren werden zwar als harmlose Alternative zu Kernreaktoren gehandelt, bei deren Betrieb radioaktiver Abfall entsteht, der teilweise Jahrzehntausende sicher eingelagert werden muß, aber gänzlich ohne Radioaktivität bleiben auch sie nicht. Tritium hat eine Halbwertszeit von 12,3 Jahren. Nach zehn Zyklen ist die Strahlung weitgehend abgeklungen, aber während dieser Zeit müssen alle ausgetauschten Materialien, die verstrahlt sind, vor Mensch und Umwelt für immerhin noch drei bis vier Generationen (zu je 30 Jahren) sicher aufbewahrt werden.

Bei der Fusion von Deuterium- und Tritiumatomen werden Neutronen frei, die sich, wie der Name schon andeutet, elektrisch neutral verhalten. Sie fliegen an einer beliebigen Stelle durch das Magnetfeld hindurch und treffen auf die Abschirmung, das Blanket. Dort wird die kinetische Energie der Neutronen in Wärme umgewandelt und mittels eines Transportmediums abgeführt. Von da an ähneln Fusionsreaktoren prinzipiell Reaktoren, die mit Uran oder Kohle betrieben werden. Mittels Dampfturbinen wird die Energie der aufgeheizten Trägersubstanz zunächst in Bewegungs-, dann in elektrische Energie umgewandelt. Fusionskraftwerke werden alles in allem einen Wirkungsgrad von 30 Prozent haben.

Im Jahr 2019 soll laut Plan die volle Leistungsfähigkeit des W7-X erreicht sein. Eben weil der Reaktorraum strahlungsfrei bleibt, kann er schon kurz nach Abschalten der Magnetspulen ohne Strahlenschutzanzug betreten werden. Dadurch sind Wartungs- und Reparaturarbeiten, aber gegebenenfalls auch Anpassungen am Experimentaufbau schneller zu bewerkstelligen.

Kommt es in einem Kernkraftwerk zu einem Schaden, bei dem beispielsweise die Kühlung ausfällt, kann eine Katastrophe wie bei dem dreifachen GAU im Akw Fukushima Daiichi, das am 11. März 2011 zunächst von einem Erdbeben, dann einem Tsunami getroffen wurde, eintreten. In einem vergleichbaren Fall würde bei einem Fusionsreaktor das Magnetfeld zusammenbrechen und das Plasma erlöschen. Mehr nicht. Vielleicht würden die Spulen zerstört, aber es käme zu keiner Explosion. Deshalb gelten Fusionsreaktoren als inhärent sicher. Dennoch schreibt das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag in einem Gutachten aus dem Jahr 2002:

"Ein wesentlicher Unterschied zu Spaltungsreaktoren besteht darin, dass unkontrollierte nukleare Kettenreaktionen in Fusionskraftwerken naturgesetzlich ausgeschlossen sind. Katastrophale Unfallszenarien sind dennoch nicht auszuschließen. Welche Art von Unfällen mit welcher Wahrscheinlichkeit eintreten könnten und in welchem Umfang das radioaktive Inventar in diesem Fall freigesetzt werden könnte, ist umstritten, weil dabei Annahmen zum Reaktordesign gemacht werden müssen. Dass das Ziel der inhärenten Sicherheit erreicht werden kann, ist zurzeit weder eindeutig bewiesen noch klar widerlegt, sondern hängt von den Ergebnissen einer noch über Jahrzehnte zu leistenden Forschungs- und Entwicklungsarbeit ab." [3]

Unstrittig ist, daß im Falle kriegerischer Konflikte durch die Zerstörung eines Fusionsreaktors oder Lagers für die verbrauchten und verstrahlten Blankets Radionuklide in die Umwelt entlassen werden und die Bevölkerung evakuiert werden müßte.


Zahlreiche Mikrophone und Kameras auf den Sprecher gerichtet - Foto: © 2015 by Schattenblick

Prof. Dr. Robert Wolf, Leiter des IPP-Bereichs Stellarator-Heizung und -Optimierung, läßt keine Frage unbeantwortet
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Deuterium sei für jedes Land verfügbar, berichtete Prof. Robert Wolf, Leiter des IPP-Bereichs Stellarator-Heizung und -Optimierung, bei einem zweiten Vortrag. Die Lithiumreserven seien, wenn man die Ozeane als Quelle einbezieht, praktisch unbegrenzt verfügbar. Auf die Knappheit von Lithium angesprochen, das ja auch für die Elektromobilität gebraucht wird, antwortete er, daß der Rohstoffnachschub allein deshalb kein nennenswertes Problem sei, weil Lithium recycelt werden könne. Die Menge Lithium aus einem handelsüblichen Laptop-Akku und eine Badewanne voll Wasser genügten, um eine Familie 50 Jahre lang mit elektrischer Energie zu versorgen; und die Mengen an Deuterium und Lithium, die jährlich für den Betrieb eines 1000-MW-Fusionskraftwerks benötigt würden, könnten in einem einzigen Lastwagen angeliefert werden.

Obgleich von der Physik beschrieben, fehlt dem Laien das Gefühl dafür, womit er es beim Plasma und bei der Verbrennung in einem Fusionsreaktor zu tun hat. So verfügt die Brennkammer des W7-X, deren Luft abgesaugt wurde, über ein Volumen von 30 Kubikmeter. Als Brennstoff werden zur Zündung 0,1 Gramm Wasserstoffgas eingeführt. Das wird auf über 100 Mio. Grad Celsius erhitzt und drückt mit zwei bar, also nicht mehr als dem Druck eines Autoreifens, auf die Reaktorwand. Das Plasma ist zehn Millionen mal dünner als Luft.

Angaben wie, daß die Fusion von 1 Gramm Wasserstoffgas eine Minute lang aufrechterhalten werden kann oder daß in einem Fusionsreaktor von 1000 MW (entspricht der durchschnittlichen Akw-Größe) pro Stunde nur 35 Gramm eines Deuterium-Tritium-Gemischs verbrannt werden, wecken hohe Erwartungen an diese Technologie. Auch daß als Asche des abgebrannten Plasmas Helium entsteht, wird von den Betreibern des W7-X als Vorteil gegenüber Atomkraftwerken herausgestellt. Helium ist ein Edelgas, das man sogar als Abluft in die Umwelt entlassen könnte und nach heutigem Kenntnisstand zu keiner bedenkenswerten Steigerung des derzeitigen Volumenanteils von 0,004 ppm (parts per million) an der Atmosphäre beitragen würde. Sinniger wäre es natürlich, es abzufangen, um es als Kühlmittel für die Industrie zu verwenden.

Der Wendelstein 7-X hat von der Vorbereitungszeit 1996 an bis 2014 gut eine Milliarde Euro gekostet - und wird kein einziges Quentchen Strom erzeugen. Sollte der Versuchsreaktor ITER funktionieren, würde zwischen diesen beiden Systemen abgewogen, um anschließend einen Fusionsreaktor zu bauen, der DEMO (Demonstration Fusion Powerplant) genannt wird und ebenfalls noch nicht kommerziell Strom erzeugen, sondern zeigen soll, daß ein Fusionsreaktor dazu in der Lage ist.

Diese unvergleichlich lange Anlaufzeit ist ein Indiz für die enormen technischen Probleme und die zu ihrer Lösung erforderlichen Aufwände. Derzeit ist nicht absehbar, ob die nächste Generation eines Fusionsreaktors einfacher oder nicht doch in vielem noch komplizierter sein wird als ITER. Auf jeden Fall ist für den Bau des Fusionsreaktors mit einem hohen Rohstoffbedarf zu rechnen, so daß ein Teil der Energie, die später in ihm erzeugt würde, schon rechnerisch dafür verwendet werden muß, ihn zu bauen, zu betreiben und irgendwann wieder zurückzubauen. Abschätzungen zufolge wird die Gesamtmasse, die in einem Fusionskraftwerk verbaut wird, etwa doppelt so hoch sein wie in einem anderen Kraftwerk vergleichbarer Leistung.

Darüber hinaus muß auch die umfangreiche Zulieferindustrie, welche die Blankets, Turbinen, Supraleitungen, Magnetspulen, Isolierungen, Meßgeräte, Rohrleitungen und zahllosen weiteren Bauteile und Aggregate herstellt, mit Energie versorgt werden, damit an der Spitze der Pyramide ein Fusionsreaktor Strom erzeugen kann - sofern es überhaupt gelingt. Der Beweis dafür muß ja erst noch erbracht werden.

Die Geschichte der ursprünglich überaus verheißungsvoll gestarteten Kernenergieproduktion hat gezeigt, daß Sachzwänge geschaffen werden, die sich immer mehr auftürmen. Welche Sachzwänge Fusionsreaktoren erzeugen, weiß man naturgemäß vorher nicht, auch wenn die an Wendelstein 7-X beteiligten Forscherinnen und Forscher von ihrem Selbstverständnis her natürlich alles dafür tun werden, daß das Experiment gelingt und die nächsten Schritte eingeleitet werden können. Jene, die das Projekt leiten, seien "Idealisten" und glaubten an das Vorhaben, sagte Klinger. Edward G. Krubasik, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG), schwärmte gar, daß die Handhabung dieser sonnenheißen Plasmen "eine großartige Kunst" sei, und nahm in seiner Begeisterung das Ergebnis schon mit einem halben Satz vorweg. Diese Kunst "sei einfach nirgendwo so gelungen, wie das mit dem Stellarator vielleicht gelingen könnte".


Nachbau der Brennkammer mit Anleitungstafel - Foto: © 2015 by Schattenblick

In dieser Simulationskammer können die am Zusammenbau des W7-X beteiligten Fachkräfte unter den stark beengten Bedingungen der Brennkammer üben, wie bestimmte Bauteile eingefügt werden.
Foto: © 2015 by Schattenblick

Bei einer konsequenten Berechnung der Energiebilanz wäre sogar zu beachten, daß ein Fusionsreaktor nicht von heute auf morgen entwickelbar ist. Ohne die dahinterstehende Geschichte der technologischen Entwicklung sind Fusionsreaktoren nicht zu realisieren. Die historisch gewachsene Infrastruktur, die unverzichtbare Voraussetzung der heutigen Produktionsverhältnisse ist, bleibt üblicherweise in den Energiebilanzen, Lebenszyklusanalysen und Gütefaktorberechnungen unberücksichtigt. Mit der Aufstellung von Abschneidekriterien wird all das aus der Bilanz ausgenommen, was diese entufern lassen würde und als vernachlässigbar angesehen wird.

Warum es wichtig sein könnte, bei einer möglichst vollständigen Energiebilanz auch den historischen Vorlauf zu berücksichtigen, wird deutlich, wenn man so eine Bilanz auf die CO2-Emissionen anwendet, die ja eng an den Energieverbrauch gekoppelt sind, der zu einem erheblichen Maß aus fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdgas und Erdöl bestritten wurde und noch immer wird. Ähnlich wie Atomkraftwerke wegen ihres sich pyramidenartig verbreiternden infrastrukturellen Unterbaus, der weit in die Historie zurückreicht, entgegen den Behauptungen der Atomlobby nicht "CO2-neutral" sind, sind auch Fusionskraftwerke zwar nicht unmittelbar, aber über die Zulieferketten sowie die Historie mitverantwortlich für bereits geleistete CO2-Emissionen.

Im Verlauf der technologischen Entwicklung, an deren Spitze man nun die "Sonne auf Erden" holen will, wurden schon reichlich Kohlenstoffdioxidemissionen produziert, die in der Summe dazu beigetragen haben, daß sich das globale Klima wandelt - mit all seinen hinlänglich beschriebenen katastrophalen Folgen insbesondere für jene Staaten, die am wenigsten zu dieser Schadentwicklung beigetragen und ihr am wenigsten entgegenzusetzen haben. Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Das gilt selbstverständlich auch für andere Produkte der technologischen Entwicklung, zum Beispiel für die Systeme zur Erzeugung sogenannter regenerativer Energien. Ein Leonardo da Vinci wäre nicht in der Lage gewesen, eine Photovoltaikzelle, wie sie landauf, landab auf zahllosen Dächern installiert ist, zu bauen. Auch sie ist ein Ergebnis der technologischen Entwicklung.

Noch grundsätzlicher formuliert könnte man sagen, daß - in diesem Fall - Fusionsreaktoren Ausdruck einer Produktionsweise sind, durch die stets größere Aufwände geschaffen werden, um die zuvor produzierten Aufwände wiederum kompensieren zu können, nur um in der Folge die neuerlich geschaffenen Sachzwänge auszugleichen, und so weiter. Im Ergebnis nimmt der Brand und damit die Veraschung zu und nicht etwa ab.

Um eine Analogie aus dem westlichen Kulturkreis zu nehmen: Was auch immer Prometheus bewogen hat, den Menschen das Feuer zu bringen, wofür er dann von den Göttern an einen Felsen geschmiedet wurde, auf daß ein Adler sich an der stets nachwachsenden Leber des Unsterblichen nähre, er hat damit den Menschen nicht unbedingt einen Gefallen getan. Nach rund 1,7 Millionen Jahren des Feuergebrauchs ist es doch sehr die Frage, ob der Mensch das Feuer kontrolliert oder ob es nicht umgekehrt ihn kontrolliert. Und zwar dergestalt, daß er ohne Feuer - einschließlich der in mit Flammen gefertigten Nahrung, Kleidung, Behausungen, Fortbewegungsmittel, etc. - kaum überleben kann und er zudem einen beträchtlichen Teil seines befristeten Lebens nur darauf verwendet, das Feuer zu schüren bzw. zu arbeiten, damit andere das an seiner statt übernehmen, was aufs gleiche hinausläuft.

Fusionsreaktoren wären nicht die Abkehr von diesem einmal eingeschlagenen Weg, sondern eine weitere Variante bzw. eine Steigerung des Verbrauchs endlicher Potentiale. Und so, wie aus der Initiative "Atoms for Peace" das Gegenteil dessen entstand, was vorgeblich beabsichtigt war, nämlich mittels der Verbreitung der Atomenergie zum Frieden in der Welt beizutragen, würde voraussichtlich auch eine "Fusion für Frieden"-Initiative ähnliche Resultate zeitigen, allein schon aus dem Grund, weil die gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und damit die durch sie begünstigten Interessen der Vorteilswahrung und Vorherrschaft die gleichen sind. "Auch aus wirtschaftlicher Sicht und nicht nur aus wissenschaftlich-technischer ist Deutschland in der Plasmatechnologie unter den drei führenden Nationen", sagte DPG-Präsident Krubasik, der Deutschland gleichauf mit den USA und "kurz dahinter" Japan sieht. Die weit verbreitete Ansicht, daß Nationen miteinander konkurrieren, wirft an dieser Stelle die Frage auf, wer von der Fusionsforschung profitiert.

Ärmere Länder werden wohl kaum die Möglichkeit haben, solche Großprojekte zu verwirklichen, wo sie doch schon beim Bau von Kernreaktoren vor zu hohen technologischen und finanziellen Hürden stehen. Die noch kapitalintensiveren Fusionsreaktoren sind definitiv eine Hochtechnologie, die sich überhaupt nur die reichen Länder werden leisten können. Somit bieten sie die Perspektive, "Vorsprung durch Technologie" einer Handvoll Staaten auch noch im 21. Jahrhundert sicherstellen zu können.


Panoramaansicht des langgestreckten Gebäudes - Foto: © 2015 by Schattenblick

Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Greifswald
Foto: © 2015 by Schattenblick


Fußnoten:

[1] http://www.bloch-akademie.de/txt/t4_04.htm

[2] Näheres dazu unter:
NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT
BERICHT/002: Kernfusion und Plasmaforschung - Fortschritts- und Entwicklungsfragen ... (SB)

[3] Armin Grunwald, Reinhard Grünwald, Dagmar Oertel, Herbert Paschen: Kernfusion - Sachstandsbericht. Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag, Arbeitsbericht Nr. 75, März 2002, Seite 8/9.
http://www.tab-beim-bundestag.de/de/pdf/publikationen/berichte/TAB-Arbeitsbericht-ab075.pdf

23. August 2015


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