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THEORIE/043: Jenseits des Ereignishorizonts (EINBLICKE - Uni Oldenburg)


EINBLICKE - Forschungsmagazin der Universität Oldenburg
Nr. 56/Herbst 2012

Jenseits des Ereignishorizonts

Von Jutta Kunz, Claus Lämmerzahl



Schwarze Löcher sind eine Herausforderung für die theoretische Physik: Mit ihrer extremen Gravitationskraft verzerren sie Raum und Zeit. Nichts, was ihr Sog erfasst, kann zurück nach außen gelangen. Um das Phänomen fassen zu können, bedarf es - so die Autoren - einer Theorie der Quantengravitation, die über die Einsteinsche Allgemeine Relativitätstheorie hinausgeht.

Sterne haben etwas Faszinierendes. Scheinbar unveränderlich stehen sie am Firmament, während die Erde ihre Bahn um die Sonne zieht. Doch auch Sterne sind endlich. Sie entstehen und durchlaufen eine Entwicklung bis hin zum Sternentod, wenn die Kernfusion in ihrem Zentrum erlischt. Je schwerer ein Stern ist, desto schneller ist er ausgebrannt und desto gewaltiger ist sein Ende. Bei den massereichsten Sternen führt die Gravitation zu einem Kollaps, der durch nichts mehr zu stoppen ist. Ein Schwarzes Loch entsteht.

Neben diesen so genannten stellaren Schwarzen Löchern, die etwa so schwer sind wie die Sterne, gibt es in den Zentren der Galaxien supermassereiche Schwarze Löcher. Ihre Masse ist um viele Größenordnungen größer als unsere Sonne. Im Zentrum der Milchstrasse im Sternbild Schütze befindet sich beispielsweise ein riesiges Schwarzes Loch, dessen Masse 4 Millionen Sonnenmassen beträgt. Es wurde in den 1990er Jahren anhand der Bewegung von Sternen um eine Röntgenquelle, Sagittarius A*, entdeckt. Diese Sterne bewegen sich um das zentrale Schwarze Loch ähnlich wie Planeten um die Sonne und geben so Aufschluss über die zentrale Masse, die sie anzieht. Man geht davon aus, dass in anderen Galaxien zentrale Schwarzen Löcher existieren, die viel schwerer sind und Milliarden Sonnenmassen in sich vereinen.

Aus den Einsteinschen Feldgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie lässt sich die Existenz Schwarzer Löcher herleiten. Die Schwarzen Löcher werden durch die Schwarzschild-Lösung und die Kerr-Lösung beschrieben. Bereits 1916 - im Publikationsjahr der Allgemeinen Relativitätstheorie - hatte der Astronom Karl Schwarzschild das theoretisch einfachste Schwarze Loch beschrieben. Es ist kugelsymmetrisch und hat - wie alle Schwarzen Löcher - einen Ereignishorizont, den nichts mehr verlassen kann. Man kann sich den Ereignishorizont als eine Membran vorstellen, die nur in eine Richtung durchlässig ist: Licht und Teilchen können durch diesen Grenzbereich in das Schwarze Loch hineinfallen, aber sie können nicht mehr zurück in den äußeren Teil des Universums, von wo sie gekommen sind. Damit bildet der Ereignishorizont zugleich eine Grenze jeglicher Kommunikation. Könnte ein Mensch den Horizont durchqueren, so wäre seine Kommunikation nach außen ein für allemal gekappt.

Sterne drehen sich. Der Drehimpuls ist eine physikalische Erhaltungsgröße, er bleibt unverändert. Daher sollten auch Schwarze Löcher sich drehen können. Dies ist allerdings mit der Schwarzschild-Lösung theoretisch nicht fassbar. Erst 1963 entwickelte der neuseeländische Mathematiker Roy Kerr eine Lösung der Einstein Gleichungen für rotierende Schwarze Löcher. Diese Lösung kann möglicherweise alle astrophysikalischen Schwarzen Löcher des Universums beschreiben. Neben dem Ereignishorizont haben sie weitere verblüffende Eigenschaften. Hierzu zählt die so genannte statische Grenze. Sie bildet eine Grenzfläche um das Schwarze Loch. Innerhalb der Grenzen ist alles - ob Licht, Teilchen oder gar ein Raumschiff - mit beliebig starkem Antrieb gezwungen, sich in Drehrichtung des Schwarzen Lochs mitzubewegen.

Im Zentrum eines Schwarzen Lochs - legt man nun die Schwarzschild oder Kerr Lösung zugrunde - sind die Gravitationspotenziale unendlich groß. Hier findet man eine so genannte Krümmungssingularität der Raumzeit. Um solche Singularitäten zu vermeiden und um die Gravitation mit der Theorie der Quantenmechanik zu vereinbaren, muss man nun über die Einsteinsche Allgemeine Relativitätstheorie hinausgehen und eine neue Theorie konstruieren: eine Theorie der Quantengravitation. Es gibt heute unterschiedliche Kandidatinnen für eine solche Theorie. Eine der vielversprechendsten ist die Stringtheorie, die mehr als drei Raumdimensionen für ihre mathematische Konsistenz benötigt.

Hier setzt das im Frühjahr 2012 gestartete Graduiertenkolleg "Models of Gravity" an. Das von der Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderte Kolleg der Universitäten Oldenburg und Bremen, an dem auch die Universitäten Bielefeld, Hannover und Kopenhagen (Dänemark) beteiligt sind, will ein tieferes Verständnis von Gravitationsphänomenen im Rahmen solcher erweiterter Gravitationstheorien erreichen. Die Untersuchung der Konsequenzen dieser Theorien für die Eigenschaften der Schwarzen Löcher ist ein zentrales Anliegen des Graduiertenkollegs. Hierzu konstruieren wir zum einen die neuartigen Raum-Zeiten als Lösungen der erweiterten Gleichungen. Zum anderen untersuchen wir die Bewegung von Teilchen und Licht in diesen Raum-Zeiten, denn nur diese lassen uns das Raum-Zeit-Kontinuum verstehen und mit den astrophysikalischen Beobachtungen vergleichen. Beispielsweise hat die Oldenburger Arbeitsgruppe unlängst gezeigt, dass Schwarze Löcher mit Korrekturen durch die Stringtheorie einen größeren Drehimpuls aufweisen können als Schwarze Löcher nach der Kerr-Lösung. Zudem konnten sie nachweisen, dass die Zeitdauer eines Umlaufs um ein solches Schwarzes Loch stark von der Umlaufdauer um ein Kerr-Loch abweichen kann.

Doch nicht nur astronomische Schwarze Löcher sind für das Graduiertenkolleg von Interesse. Durch hochenergetische Kollisionen im Teilchenbeschleuniger LHC des europäischen Forschungszentrums CERN können in der Zukunft möglicherweise mikroskopische Schwarze Löcher erzeugt werden, die Aufschluss über die Existenz weiterer räumlicher Dimensionen geben. Würden die Detektoren dort die charakteristischen Spuren der Schwarzen Löcher aufspüren, dann wäre unser Weltbild von Grund auf verändert. Die höheren Dimensionen bieten eine Vielfalt neuer Möglichkeiten für Schwarze Löcher: Die Ereignishorizonte können nicht nur rund sein, sie können ringförmig sein. Diese wiederum können Spiralen bilden, so dass sich eine Vielzahl neuartiger Schwarzer Löcher ergibt, die wir in unserem Graduiertenkolleg erkunden.

Ein weiterer Schwerpunkt unserer Untersuchungen geht von der hochaktuellen AdS/CFT-Korrespondenz (anti de Sitter/konforme Feldtheorie) aus. Der Begriff steht für die Äquivalenz zweier Theorien. Dabei entspricht die eine einer Gravitationstheorie für einen n-dimensionalen Raum. Die andere entspricht einer Feldtheorie für den Rand dieses Raums und ist daher von niedrigerer Dimension. Diese Korrespondenz bietet eine einzigartige Möglichkeit, physikalische Systeme zu studieren, für die näherungsweise (störungstheoretische) Berechnungen nicht möglich sind. In der Physik der kondensierten Materie gibt es diverse solcher Systeme, die auch technologisch von Interesse sind und über deren Eigenschaften wir etwas erfahren können, indem wir die entsprechenden "dualen" Schwarze Loch-Raum-Zeiten konstruieren und untersuchen.

So kann man im Rahmen der AdS/CFT-Korrespondenz Einsichten gewinnen, wie Wärme- und Ladungsströme in einer Quantenflüssigkeit von Elektronen fließen. Solche Quantenflüssigkeiten findet man oberhalb des Phasenübergangs zur Supraleitung, wenn Elektronen einen quantenkritischen Zustand bilden. Auch lassen sich mit Hilfe geladener Schwarzer Löcher diverse zuvor unerklärte Eigenschaften in Hochtemperatur-Supraleitern verstehen. Unsere Untersuchungen sollen weitere bislang unerklärliche Phänomene physikalischer Systeme besser verständlich machen, die für den Energietransport wichtig sind. Damit könnte die Erforschung Schwarzer Löcher Erkenntnisse erbringen, die auch für unseren Alltag von Bedeutung sein können.


Die Autoren

Prof. Dr. Jutta Kunz ist seit 1993 Hochschullehrerin für Feldtheorie in Oldenburg. Sie studierte Physik in Gießen und Seattle (USA). Nach ihrer Promotion in Gießen arbeitete sie am Los Alamons National Laboratory in New Mexico (USA). Anschließend lehrte sie an der Universität Gießen und forschte am Nationaal Instituut Voor Subatomaire Fysica in Amsterdam und an der Universität Utrecht (Niederlande). 1989 habilitierte sich Kunz in Oldenburg.

Prof. Dr. Claus Lämmerzahl, kommissarischer Leiter des Zentrums für angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) der Universität Bremen, studierte, promovierte und habilitierte sich in Konstanz. Der Physiker war Post-Doc in Paris (Frankreich) und leitet seit 2003 die Arbeitsgruppe "Fundamental Physics" am ZARM. Seit 2004 lehrt er am Institut für Physik der Universität Oldenburg. Lämmerzahl ist Vorsitzender des Verbands "Gravitation und Relativitätstheorie".


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Seite 24 und 25:
Bei massereichen Sternen führt die Gravitation zu einem Kollaps, der nicht zu stoppen ist - ein Schwarzes Loch entsteht.
- Seite 26:
Hochenergetische Kollisionen: Teilchenbeschleuniger am Forschungszentrum CERN.
- Seite 28:
Welche Geheimnisse birgt der Kosmos? Die Autoren des Artikels vor der Sternenwarte auf dem Campus Wechloy.
- Seite 29:
Es gibt kein Entrinnen: Nichts kann den Ereignishorizont verlassen.

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Quelle:
Einblicke Nr. 56, 27. Jahrgang, Herbst 2012, S. 24-29
Herausgeber: Das Präsidium der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg
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Das Forschungsmagazin EINBLICKE erscheint zweimal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2013