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FORSCHUNG/1313: Wie eine Spektrallinie entsteht (idw)


Max-Planck-Institut für Kernphysik - 10.11.2016

Wie eine Spektrallinie entsteht

Ultrakurze intensive Laserpulse schalten fundamentales Quantenphänomen


Zum ersten Mal konnten Physiker in Echtzeit beobachten, wie eine atomare Spektrallinie in der unglaublich kurzen Zeitspanne von einigen Femtosekunden entsteht, und damit eine theoretische Vorhersage bestätigen. Dazu verwendeten sie einen sehr schnellen zeitlichen Schalter: Ein intensiver Laserblitz unterbricht den natürlichen Zerfall kurz nach Anregung durch einen vorangehenden Laserblitz. Wie sich die asymmetrische Fano-Linienform von zwei quantenmechanisch interferierenden Elektronen im Heliumatom zeitlich aufbaut, verfolgten die Wissenschaftler, indem sie den Zeitversatz zwischen den beiden Laserpulsen variierten.


Grafik: © MPIK

Absorption in Helium in Abhängigkeit von der Photonenenergie des anregenden extrem-ultravioletten Lichtblitzes und dem Zeitversatz zum ionisierenden nah-infraroten Laserpuls, der als Schalter wirkt.
Grafik: © MPIK


Im klassischen Bild können die Elektronen in einem Atom nur auf bestimmten Bahnen ihren Kern umkreisen - oder quantenmechanisch gesprochen bestimmte Orbitale bzw. Energieniveaus besetzen. Licht kann ein Elektron auf eine höhere Bahn heben (anregen), wenn seine Energie (Farbe) der Energiedifferenz der Orbitale entspricht. Das Atom absorbiert also nur bestimmte Lichtfarben, sein Absorptions-Spektrum genannt. In den meisten Fällen haben die einzelnen Spektrallinien eine symmetrische Form; unter besonderen Bedingungen treten aber auch asymmetrische Linienformen auf, die als Fano-Profile bezeichnet werden.

Ein Beispiel dafür ist der Zerfall doppelt angeregten Heliums: Eines der beiden angeregten Elektronen fällt in den Grundzustand zurück, nachdem es mit dem anderen Elektron kollidiert ist, das dadurch aus dem Atom herausfliegt. Da das freie Elektron nicht mehr auf diskrete Energieniveaus beschränkt ist, sprechen die Physiker von der Kopplung eines diskreten Zustands an ein Kontinuum. Dieses Phänomen tritt bei vielen verschiedenen Vorgängen in der Natur auf, insbesondere an der Grenze zwischen Quanten- (diskrete Energien) und klassischer (kontinuierliche Energien) Mechanik. Theoretische Rechnungen sagen vorher, dass sich das zugehörige Fano-Profil nicht sofort, sondern nach und nach, wenn auch extrem schnell, aufbaut: Das Entfalten der Linienform dauert in Helium einige Femtosekunden - einige Millionstel einer Milliardstel Sekunde.

Kürzlich gelang es Experimentalphysikern vom MPI für Kernphysik (MPIK) in Zusammenarbeit mit theoretischen Physikern der Technischen Universität Wien und der Kansas State University in den USA, eine Art Zeitlupen-Film vom Entstehen einer solchen Fano-Linie aufzunehmen. Die extrem kurzen Zeiten erreichten sie mit zwei ultrakurzen laserkontrollierten Lichtblitzen. Der erste im extremen Ultraviolett regt beide Elektronen des Heliumatoms an. Einige Femtosekunden später löst der zweite, intensive Laserblitz im nahen Infrarot die Ionisation vorzeitig aus, d.h. er beschleunigt den natürlichen Zerfallsprozess stark. Alexander Blättermann, Postdoktorand in der Gruppe von Thomas Pfeifer am MPIK, veranschaulicht den Vorgang: "Man kann sich das angeregte Heliumatom als einen mit der Lichtfrequenz schwingenden Dipol (ein elektrisch geladenes Pendel) vorstellen, der die optische Absorptionslinie erzeugt. Der nachfolgende starke Infrarotpuls wirkt als ultraschneller Lichtschalter und stoppt die Schwingung, bevor sich die Linie vollständig aufgebaut hat." Durch Variation des Zeitversatzes zwischen den beiden Laserpulsen - dies erfolgte mit einer Genauigkeit von unter einer Femtosekunde - verfolgten die Wissenschaftler das Entstehen der Linienform in Echtzeit.

"Die experimentellen Ergebnisse zeigen schön, wie sich das Fano-Profil mit zunehmendem Zeitversatz nach und nach aufbaut", sagt Andreas Kaldun, der kürzlich vom MPIK zum SLAC in Stanford gewechselt ist. Bei sehr kurzen Zeitversätzen ist die Spektrallinie komplett zu einer breiten und flachen Bande verschmiert. Mit zunehmendem Zeitversatz bekommt der Dipol immer mehr Zeit zum Schwingen, wodurch die Linie schrittweise schmaler und steiler wird und sich schließlich dem ursprünglichen Fano-Profil annähert - in sehr guter Übereinstimmung mit der theoretischen Vorhersage.

"Unsere Ergebnisse bestätigen somit nicht nur die Vorhersage, sondern demonstrieren zugleich die Leistungsfähigkeit des verwendeten ultra-schnellen Lichtschalter-Prinzips für die Erforschung der Entstehung und des zeitlichen Ablaufs verschiedener fundamentaler Quantenprozesse, die bisher nur anhand ihrer statischen Absorptionsspektren untersucht werden konnten", resümiert Thomas Pfeifer.

Das Studium solch fundamentaler atomarer Vorgänge mit verschiedenen experimentellen Methoden hat schon immer die Grundlagen der Physik vorangebracht (z.B. die Entdeckung der Quantenmechanik) und bleibt auch in der weltweiten Forschungslandschaft bis heute aktuell: In derselben Ausgabe des Science-Magazins erscheint eine Arbeit von französischen und spanischen Forschern, welche die komplementäre Methode der zeitaufgelösten Photoelektronen-Spektroskopie eingesetzt haben, um einen Blick "von außen" auf die Fano-Resonanz des Atoms zu werfen (DOI: 10.1126/science.aah5188). Dies geschieht durch die zeitaufgelöste Rekonstruktion einer aus dem Atom herauslaufenden quantenmechanischen Elektronenwelle. Zusammen mit dem oben beschriebenen Blick "von innen" (DOI: 10.1126/science.aah6972) durch die zeitlich geschaltete Dipolschwingung, leistet die Atomphysik mit komplementären Methoden auch hier wieder einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Grundbausteine der Natur. Auf lange Sicht kann dies dann zu technologischen Anwendungen führen, z.B. der laserkontrollierten Chemie oder winzigen ultraschnellen Computern, wie in der Vergangenheit die Grundlagen der Quantenmechanik zu Lasern und Röntgenquellen führten.


Originalveröffentlichung:
Observing the ultrafast build-up of a Fano resonance in the time domain,
A. Kaldun, A. Blättermann, V. Stooß, S. Donsa, H. Wei, R. Pazourek, S. Nagele, C. Ott, C. D. Lin, J. Burgdörfer, T. Pfeifer,
Science, 11.11.2016,
DOI: 10.1126/science.aah6972


Weitere Informationen unter:

http://www.mpi-hd.mpg.de/mpi/de/pfeifer/pfeifer-division-home/
- Abteilung Pfeifer am MPIK

http://www.mpi-hd.mpg.de/mpi/de/aktuelles/meldung/detail/die-choreografie-eines-elektronenpaars/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution687

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Kernphysik, Dr. Bernold Feuerstein, 10.11.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2016

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