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ASTRO/149: Die Geburt der Sterne (Spektrum der Wissenschaft)


Spektrum der Wissenschaft 2/11 - Februar 2011

Astrophysik
Die Geburt der Sterne

Von Erick T. Young


Wenn interstellare Wolken kollabieren, erhitzen sie sich und lassen Sterne entstehen. Doch woher kommen die kosmischen Gasmassen überhaupt - und was löst ihren Kollaps aus?



Auf einen Blick

Kosmischer Kreissaal
1. Astronomen haben die Theorie der Sternentstehung zwar in den letzten Jahren immer weiter verfeinert. Doch nach wie vor tun sich große Lücken auf.
2. So behandelt die Standardtheorie Sterne als isolierte Gebilde; neue theoretische Ansätze berücksichtigen hingegen deren Wechselwirkungen untereinander sowie mit der sie umgebenden Wolke.
3. Mittlerweile wissen Astronomen auch, wie Sterne mit mehr als 20 Sonnenmassen entstehen können.


Wie Sterne entstehen, kann jeder Physikstudent seit vielen Jahrzehnten in diversen Lehrbüchern nachlesen. Alles eine klare Sache also? - Doch weit gefehlt! Die Geburt einer Sonne ist noch immer eines der umstrittensten Themen der Astrophysik.

Was wissen wir heute? Auf den ersten Blick geht es um den Sieg von Schwerkraft über Druck. Das Drama beginnt mit einer riesigen Wolke aus Gas und Staub, die im interstellaren Raum treibt. Ist sie - oder zumindest ein kompakter Teil von ihr, der so genannte Kern - genügend kalt und dicht, dann überwindet die Gravitation den Widerstand des Gasdrucks, und die Wolke beginnt unter ihrem eigenen Gewicht zu kollabieren. Sie wird dadurch schließlich so dicht und heiß, dass Atomkerne verschmelzen und gewaltige Mengen nuklearer Fusionsenergie freisetzen. Die so erzeugte Wärme erhöht den inneren Druck und bringt den Kollaps zum Stillstand. Der neue Stern erreicht ein dynamisches Gleichgewicht, das Millionen oder gar Milliarden Jahre andauern kann.

Diese Standardtheorie der Sternentstehung ist widerspruchsfrei und stimmt mit den Beobachtungen überein - doch vollständig ist sie keineswegs. Jeder Satz des vorigen Abschnitts schreit geradezu nach einer ausführlichen Erklärung. Insbesondere vier Fragen bleiben offen:

Wenn die dichten Kerne der Wolken gleichsam die Eier sind, aus denen später Sterne schlüpfen, wo sind dann die kosmischen Hühner? Schließlich müssen die Wolken selbst von irgendwoher kommen. Aber ihre Herkunft ist unklar.

Wodurch genau beginnt der Kern zu kollabieren? Diese Frage ist wichtig, entscheidet der Auslösemechanismus doch über die Geburtenrate und die endgültige Masse der entstehenden Sterne.

Wie beeinflussen Sternkeime einander? Die Standardtheorie beschreibt einzelne, isolierte Entstehungsprozesse; doch die meisten Sterne bilden sich in enger Nachbarschaft. Seit Kurzem vermuten Forscher, dass auch unsere eigene Sonne aus einem Sternhaufen hervorging, der sich seither zerstreut hat (siehe Spektrum der Wissenschaft 3/2010, S. 26).

Wie entstehen extrem massereiche Sterne? Die Standardtheorie funktioniert zwar ganz gut für Objekte bis zum 20fachen der Sonnenmasse, sie versagt aber bei größeren Gebilden. Und bekannt sind inzwischen Sterne von bis zu 200 Sonnenmassen.

Solche Mängel in ihrer Theorie lassen Astronomen keine Ruhe. Denn die Sternentstehung liegt fast allem zu Grunde, was sie interessiert - von der Bildung der Galaxien bis zur Entstehung der Planeten. Immerhin zeichnet sich eines ab: Die Theorie muss die Umwelt des Sternkeims einbeziehen. Der Endzustand des neuen Sterns hängt nicht nur von den Anfangsbedingungen im Kern ab, sondern auch von den Einflüssen seiner Umgebung und der benachbarten Sterne.

Ein Grundproblem bei der Neubildung von Sternen offenbart sich jedem, der nachts in gebührender Entfernung von den Lichtern einer Stadt zum Himmel aufschaut und dort die Milchstraße sieht: Ihr diffuser Lichtbogen ist unterbrochen von dunklen Flecken; dort blockieren die Staubpartikel interstellarer Wolken das Sternenlicht. Auf dasselbe Hindernis stößt jeder, der die Sternentstehung beobachten möchte. Anders ausgedrückt: Alle Sterne verhüllen ihre eigene Geburt! Das Rohmaterial ist dicht und dunkel; damit Kernfusion einsetzt, muss es sich erst noch weiter verdichten. Die Astronomen können zwar verfolgen, wie dieser Vorgang beginnt und wie er endet, aber die Zwischenphasen lassen sich schwer beobachten. Denn ein Großteil der entsprechenden Strahlung liegt im fernen Infrarot- und Submillimeterbereich - und dafür besitzen die Forscher nur relativ primitive Werkzeuge.

Vermutlich entstehen die sternträchtigen Wolken mit dem Kreislauf der interstellaren Materie, bei dem Gas und Staub sich in Sterne und wieder zurück verwandeln. Dieses »Medium« besteht vorwiegend aus Wasserstoff; Helium macht rund ein Viertel der Masse aus und alle anderen Elemente nur ein paar Prozent. Ein Teil davon hat sich seit den ersten drei Minuten nach dem Urknall kaum verändert; anderes wurde von Sternen im Lauf ihrer Existenz ausgestoßen oder besteht aus den Trümmern explodierter Sterne.

Die stellare Strahlung bricht alle Wasserstoffmoleküle in ihre atomaren Bestandteile auf (siehe Spektrum der Wissenschaft 3/2002, S. 30). Anfangs ist das Gas dünn, mit rund einem Wasserstoffatom pro Kubikzentimeter. Mit der Zeit kühlt es ab und formt Wolken, ganz ähnlich wie Wasserdampf in der Erdatmosphäre. Der Abkühlungsvorgang ist nicht unkompliziert, denn die Wärme kann nur auf wenige Arten entweichen. Am effizientesten ist die Strahlung, die bestimmte chemische Elemente im fernen Infrarotbereich aussenden, zum Beispiel ionisierter Kohlenstoff bei 158 Mikrometer (tausendstel Millimeter) Wellenlänge. Da die untere Erdatmosphäre diese Wellen nicht passieren lässt, müssen weltraumgestützte Teleskope eingesetzt werden, etwa das 2009 von der Europäischen Weltraumbehörde ESA gestartete Herschel Space Observatory, oder Teleskope in Flugzeugen wie das Stratospheric Observatory for Infrared Astronomy (SOFIA).

Mit der Abkühlung steigt die Dichte; bei rund 1000 Atomen pro Kubikzentimeter werden die Wolken so kompakt, dass sie die Ultraviolettstrahlung der umgebenden Galaxie blockieren. Nun können Wasserstoffatome durch chemische Reaktionen mit Hilfe von Staubteilchen Moleküle bilden. Wie Beobachtungen im Radiowellenbereich zeigen, enthalten die Molekülwolken zahlreiche chemische Verbindungen: von Wasserstoff (H2) bis hin zu komplexen organischen Molekülen, die vielleicht als Grundbausteine irdischen Lebens gedient haben (siehe Spektrum der Wissenschaft 10/1999, S. 26). Danach verliert sich die Spur: Die nächsten Schritte bei der Sternentstehung sind kaum erforscht. Infrarotbeobachtungen haben zwar tief in Staub verborgene Sternkeime enthüllt, doch wie sie sich aus der Molekülwolke bildeten, lässt sich nur schwer ausmachen.

Das Dunkel lichtete sich Mitte der 1990er Jahre, als das Midcourse Space Experiment und das Infrared Space Observatory Wolken entdeckten, die mit mehr als 10 000 Atomen pro Kubikzentimeter so dicht sind, dass sie sogar die thermische Infrarotstrahlung verschlucken, die normalerweise die staubigen Regionen durchdringt. Diese so genannten Infrarot-Dunkelwolken sind viel massereicher - 100 bis 100 000 Sonnenmassen - als die in sichtbarem Licht entdeckten Wolken. In den letzten Jahren haben zwei Teams mit dem Spitzer Space Telescope eine umfassende Bestandsaufnahme gemacht: der Galactic Legacy Infrared Midplane Survey Extraordinaire (GLIMPSE) unter Edward B. Churchwell von der University of Wisconsin-Madison sowie der MIPSGAL Survey unter Sean Carey vom Spitzer Science Center.

Dunkelwolken sind anscheinend das fehlende Glied zwischen Molekülwolken und Protosternen. Vielleicht entscheiden sie sogar über die Masse der Sterne. Kleine Wolken kommen häufiger vor als große. Diese Massenverteilung ähnelt derjenigen der Sterne - jedoch haben Wolken stets dreimal so viel Masse wie Sterne. Offenbar endet nur ein Drittel der Wolkenmasse im neuen Stern; der Rest geht im Raum »verloren«. Noch bleibt zu klären, ob die Übereinstimmung der Verteilungen nicht doch bloß zufällig ist.

Was auch immer die Masse eines Sterns festlegt, es bestimmt seine ganze Geschichte. Ein massereicher Stern hat ein relativ kurzes Leben, das mit einer gewaltigen Explosion, einer Supernova, endet; ein leichterer Stern lebt länger und verlischt unauffälliger.


Was löst den Kollaps der Wolke aus?

Auch bei dem zweiten ungelösten Problem - was verursacht den Kollaps? - machen die Astronomen peu à peu Fortschritte. Im Standardmodell der Sternbildung ist ein Kern zunächst im Gleichgewicht: Schwerkraft und Außendruck werden durch thermischen, magnetischen oder turbulenzbedingten Innendruck kompensiert. Der Kollaps beginnt, sobald die Gravitation diese Balance kippt. Aber was ist der Auslöser dafür? Mehrere Ursachen kommen in Frage: Eine äußere Kraft, etwa eine Supernova-Explosion, könnte die Wolke komprimieren, oder der Innendruck könnte nachlassen, weil Wärme oder Magnetfelder sich verflüchtigen.

Charles Lada vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) und João Alves vom European Southern Observatory (ESO) vermuten den Auslöser im langsamen Nachlassen des thermischen Innendrucks. Durch Beobachtung von Molekülwolken bei Millimeter- und Submillimeter-Wellenlängen im Radio-und Infrarotbereich konnten sie in nahen Wolken zahlreiche relativ ruhige, isolierte Kerne identifizieren. Einige scheinen sich langsam zusammenzuziehen und haben vielleicht gerade begonnen, Sterne zu bilden. Ein ausgezeichnetes Beispiel ist Barnard 335 im Sternbild Adler. Seine Dichte passt genau zu einer Wolke, deren thermischer Druck den Außendruck fast kompensiert. Eine Infrarotquelle im Zentrum könnte das frühe Stadium eines Protosterns darstellen, was bedeuten würde, dass die Balance vor relativ kurzer Zeit in Richtung Kollaps kippte.

Andere Untersuchungen finden Hinweise auf externe Auslöser. Wie Thomas Prebisch vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn zeigte, haben sich weit verstreute Sterne in der Assoziation Upper Scorpius (im Sternbild Skorpion) fast gleichzeitig gebildet. Es wäre ein unwahrscheinlicher Zufall, wenn der Innendruck unterschiedlicher Kerne just zu ein und derselben Zeit nachgelassen hätte. Plausibler wäre die Erklärung, dass die Stoßwelle einer Supernova durch das Gebiet fegte und die Kerne kollabieren ließ. Die Indizien sind freilich nicht eindeutig: Da massereiche Sterne den Ort ihrer Geburt durcheinanderbringen, ist es schwierig, die Entstehungsbedingungen zu rekonstruieren. Bei leichteren Sternen lässt sich wiederum wegen ihrer geringen Leuchtkraft schlecht ermitteln, ob sie wirklich simultan entstanden sind.

Das Spitzer-Weltraumteleskop hat diese Fragen einer Antwort näher gebracht. Lori Allen vom amerikanischen National Optical Astronomy Observatory und Xavier P. Koenig vom CfA entdeckten ein frappierendes Beispiel für externe Auslösung in einem Gebiet der Milchstraße namens W5 (siehe Kasten links unten; in der Printausgabe). Ihre Aufnahme zeigt junge Protosterne in dichten Gaswolken, die durch die Strahlung einer älteren Sterngeneration komprimiert wurden. Da Kompression rasch abläuft, müssen diese weit verstreuten Objekte fast gleichzeitig entstanden sein. Beim Auslösen der Sternbildung gibt es demnach kein Entweder-oder wie früher vermutet, sondern ein Sowohl-als-auch.

Trotz aller Mängel erklärt das Standardmodell die Entstehung isolierter Sterne recht gut. Doch die meisten bilden sich in Haufen, und das Modell unterschlägt den Einfluss einer dicht bevölkerten Umgebung. Um diese Lücke zu füllen, haben Forscher in den letzten Jahren zwei konkurrierende Theorien entwickelt, die beide von aufwändigen Computersimulationen gestützt werden.

Nach der einen Theorie spielt die Wechselwirkung zwischen benachbarten Wolkenkernen die Hauptrolle. In der extremen Version bilden sich viele kleine Protosterne, wandern schnell durch die Wolke und konkurrieren darum, das restliche Gas durch Akkretion an sich zu reißen. Einige wachsen viel stärker als andere; die Verlierer verlassen den Haufen oft ganz und werden zu Sternwinzlingen, die durch die Galaxis streunen. Vor allem Ian Bonnell von der University of St Andrews (Schottland) und Matthew Bate von der University of Exeter (England) favorisieren dieses Szenario, die so genannte kompetitive Akkretion.


Gedränge in der Kinderstube

Im Gegenmodell wirkt nicht die Wechselwirkung zwischen Kernen als dominierender Außenfaktor, sondern die Turbulenz im Gas. Sie löst den Kollaps aus, und für die Größenverteilung der Sterne ist darum nicht der Wettbewerb um Material verantwortlich, sondern die unterschiedliche Geschwindigkeit der turbulenten Gasströme. Dieses Turbulenzmodell haben insbesondere Christopher McKee von der University of California in Berkeley und Mark Krumholz von der University of California in Santa Cruz entwickelt.

Die Beobachtungen scheinen für das Turbulenzmodell zu sprechen (siehe Spektrum der Wissenschaft 5/2006, S. 42). Doch die Theorie der kompetitiven Akkretion könnte immerhin auf Gebiete besonders hoher Sternendichte zutreffen. Ein sehr interessanter Fall ist der Weihnachtsbaum-Sternhaufen NGC 2264 im Sternbild Einhorn. Im sichtbaren Licht offenbart diese Region die Existenz mehrerer Sterne und großer Mengen von Staub und Gas - Kennzeichen der Sternentstehung. Das Spitzer-Infrarotteleskop enthüllt darin einen dichten Cluster von Sternen in unterschiedlichen Entwicklungsphasen. Dieser Haufen liefert einen Schnappschuss genau derjenigen Stadien, in denen entweder Turbulenz oder Akkretionswettstreit ihre Spuren hinterlassen.


Gewichtsprobleme

Die jüngsten Sterne - erkennbar an dem besonders hohen Anteil langwelliger Strahlung - drängen sich zu einer engen Gruppe zusammen; ihr mittlerer Abstand beträgt nur 0,3 Lichtjahre. Dieses regelmäßige Muster ist zu erwarten, wenn dichte Kerne in der Molekülwolke unter ihrer Schwerkraft kollabieren. Demnach legen die Anfangsbedingungen in der Wolke den Weg zum Kollaps fest. Doch obgleich die Beobachtungen das Turbulenzmodell stützen, erscheinen auf den Aufnahmen auch vermeintliche Protosterne, die sich bei hoher Auflösung als dicht gepackte Gruppe entpuppen - in einem Fall zehn Quellen in einem Radius von nur 0,1 Lichtjahren. Wegen der dort herrschenden hohen Dichte muss zumindest in kleinem Maßstab kompetitive Akkretion stattfinden.

Somit gibt es wie beim Auslösemechanismus auch bei der Wirkung der Sternumgebung kein simples Entweder-oder. Je nach Lage der Dinge können sowohl Turbulenz als auch Akkretionswettstreit beteiligt sein. Die Natur scheint jede Möglichkeit zu nutzen, einen Stern zu erzeugen.

Massereiche Sterne sind zwar selten und kurzlebig, doch für die Entwicklung von Galaxien spielen sie eine wichtige Rolle. Durch Strahlung und ausgesandte Teilchen reichern sie das interstellare Medium mit Energie an, und falls sie am Ende als Supernovae explodieren, verstreuen sie schwere Elemente. Die Milchstraße ist übersät mit Blasen und Supernova-Resten, die von solchen Sternen stammen - aber die Standardtheorie vermag ihre Entstehung kaum zu erklären. Sobald ein Protostern eine Schwelle von rund 20 Sonnenmassen überschreitet, sollte der Druck seiner Strahlung eigentlich die Gravitation überwinden und verhindern, dass das Gebilde weiterwächst. Außerdem zerstreut der Sternwind - von einem derart massereichen Himmelskörper kontinuierlich ausgesandte Teilchen - die umgebende Wolke, beschränkt dadurch sein Wachstum noch mehr und stört obendrein die Bildung benachbarter Sterne.

Einen Ausweg aus dem Dilemma weisen dreidimensionale Simulationen, die Krumholz und seine Mitarbeiter kürzlich durchgeführt haben. Demnach verläuft das Sternwachstum überraschend kompliziert. Der einfallende Materiestrom erweist sich als äußerst ungleichmäßig: Dichte Regionen wechseln mit Blasen, durch welche die Strahlung bevorzugt nach außen dringen kann. Deshalb muss der Strahlungsdruck kein Hindernis für weiteres Wachstum sein. Das dichte einströmende Material bildet zudem gern Begleitsterne; das erklärt, warum massereiche Sterne selten allein zu beobachten sind. Astronomen suchen nun mit dem Spitzer-Teleskop nach einer Bestätigung des Modells. Das ist schwierig, denn diese seltenen und kurzlebigen Sterne lassen sich nur schwer im Entstehungsstadium entdecken.

Zum Glück stehen bald neue Instrumente für diese Suche zur Verfügung. Das Herschel-Weltraumteleskop sowie SOFIA, das an Bord einer Boeing 747 über immerhin 99 Prozent des atmosphärischen Wasserdampfs hinwegfliegt, werden im fernen Infrarot- und Submillimeterbereich operieren, wo Sterngeburten am besten zu sehen sind. Mit ihrem hohen räumlichen und spektralen Auflösungsvermögen können sie die Geschwindigkeitsmuster in interstellaren Wolken darstellen. Bei längeren Wellenlängen wird der in den chilenischen Anden in Bau befindliche Atacama Large Millimeter Array (ALMA) ab 2012 feine Details einzelner Protosterne erfassen.

Mit den neuen Observatorien lässt sich der komplette Lebenszyklus der interstellaren Materie verfolgen - von atomaren Wolken über Molekülansammlungen und prästellare Kerne bis zu Sternen und wieder zurück zu diffusem Gas. Die Forscher hoffen auch, sternbildende Akkretionsscheiben mit genügend hoher Winkelauflösung abzubilden, um den Einfall von Materie aus der Wolke zu verfolgen und die Wirkung unterschiedlicher Umgebungen auf Sterngeburten zu vergleichen.

Die Ergebnisse dürften weite Bereiche der Astrophysik befruchten. Alles, was wir am Himmel sehen - Galaxien, interstellare Wolken, Sterne und Planeten -, hängt aufs Engste mit der Sternentstehung zusammen. Unsere gegenwärtige Theorie ist nicht schlecht, aber lückenhaft. Mehr und mehr entdecken wir in den Lücken ungeahnt reichhaltige Prozesse.


INFORMATIONEN KOMPAKT:

Die vier größten Probleme der Sternentstehung:
Die Standardtheorie erklärt zwar recht gut, wie isolierte Sterne mit niedriger und mittlerer Masse entstehen, lässt aber noch viele Fragen offen.

Die Sternbildung beginnt mit einer riesigen Molekülwolke einer kalten, nebligen Masse aus Gas und Staub.

Erstes Problem: Woher stammt die Wolke?
Ein Materiegemisch, das beim Urknall entstand oder von Sternen ausgeworfen wurde, musste sich irgendwie zusammenballen.

In der Wolke kollabiert ein besonders dichter Teil - der so genannte Kern - unter seinem eigenen Gewicht.

Zweites Problem: Warum kollabiert der Kern?
Das Modell erklärt nicht, wodurch das Kräftegleichgewicht, das die Wolke stabilisiert, gestört wird.

Der Kern zerfällt in viele Sternkeime. In jedem bildet sich ein Protostern, der Gas und Staub anzieht.

Drittes Problem: Wie beeinflussen die Sternkeime einander?
Die Standardtheorie behandelt nur isolierte Sterne.

Der Protostern schrumpft, verdichtet sich und wird zum Stern, sobald Kernfusion einsetzt.

Viertes Problem: Wie entstehen massereiche Sterne?
Oberhalb von 20 Sonnenmassen wird die Leuchtkraft eines neuen Sterns so groß, dass sie eigentlich jede weitere Massenzunahme verhindern müsste.


[Anmerkung der Schattenblick-Redaktion: Die einzelnen Probleme werden in der Printausgabe an Hand zahlreicher Abbildungen erläutert. Im folgenden ist der erläuternde Text wiedergegeben:]

Erstes Problem: Der dunkle Ursprung interstellarer Wolken
Allmählich können die Astronomen nachvollziehen, wie aus diffusem interstellarem Gas immer dichtere Wolken entstehen: Im Stadium, das der Bildung von Protosternen unmittelbar vorangeht, formieren sich Wolken, die sogar für Infrarot undurchdringlich sind; sie erscheinen auf dieser Aufnahme des Spitzer-Weltraumteleskops als dunkle Streifen. Die Größe und Masse dieser Infrarot-Dunkelwolken macht sie zu idealen Kandidaten für die Sternentstehung.


Zweites Problem: Wie der Kollaps beginnt
Die Lehrbücher geben kaum Auskunft darüber, wodurch Wolken instabil werden und kollabieren. Neue Infrarotbilder des Spitzer-Teleskops enthüllen, dass in vielen Fällen benachbarte massereiche Sterne verantwortlich sind.

In der W5-Region der Galaxis hat die Bildung massereicher Sterne (bläulich) in einer Molekülwolke einen Hohlraum entstehen lassen. An seinem Rand liegen Protosterne (unsichtbar eingebettet in weißliches und rosa Gas), die alle ungefähr gleich alt sind. Offenbar wurde ihre Bildung durch die massereichen Sterne ausgelöst, denn andere Ursachen würden nicht so synchron wirken.

Im Sternhaufen NGC 2068 haben sich Protosterne wie Perlen auf einer Schnur aufgereiht. Obwohl sie weit verstreut liegen, sind sie fast gleichzeitig entstanden. Auch hier gilt eine Gruppe massereicher Sterne in der unmittelbaren kosmischen Nachbarschaft als wahrscheinlichster Auslöser.


Drittes Problem: Überfüllte Sternenkrippen
Im Gegensatz zu den Annahmen des Standardmodells können neue Sterne sich bei der Entstehung beeinflussen. Das Spitzer-Teleskop hat ein Beispiel im Weihnachtsbaum-Sternhaufen NGC 2264 gefunden. Hier gibt es eng benachbarte Sterne unterschiedlichen Alters. Bei hoher Auflösung erweisen sich einige der jüngsten »Einzelsterne« als dicht gepackte Protosterngruppen - bis zu zehn in einem Radius von 0,1 Lichtjahren -, die stark aufeinander einwirken müssen.


Viertes Problem: Überwindung der Massenschranke
Wie neue Computersimulationen zeigen, wächst ein massereicher Stern nicht gleichförmig und kann deshalb auch vermeintlich unmögliche Größen erreichen. Die vom Protostern emittierte Strahlung treibt Gas weg und erzeugt riesige Leerräume. Doch damit wird der Zustrom von Gas nicht völlig verhindert, da sich zwischen diesen Blasen Materie ansammeln kann.

17.500 Jahre nach Beginn des Kollapses:
Ein Protostern ist entstanden, in den fast gleichmäßig Gas fällt. Der Abstieg des Gases setzt Gravitation frei, die es zum Leuchten bringt.

25.000 Jahre:
Wenn der Protostern auf rund elf Sonnenmassen angewachsen ist, wird die umgebende Scheibe instabil und nimmt Spiralform an.

34.000 Jahre:
Sobald der Protostern 17 Sonnenmassen überschreitet, treibt die Strahlung Gas auswärts und erzeugt Blasen. Doch durch die Zwischenräume kann weiter Gas einströmen. Kleinere Protosterne bilden sich.

41.700 Jahre
Einer der kleinen Protosterne wächst schneller als der im Zentrum und erreicht bald fast dessen Größe. Die Akkretion verläuft nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich ungleichmäßig.

55.900 Jahre:
Die Simulation hört auf, wenn der zentrale Stern 42 Sonnenmassen erreicht und sein Begleiter 29. Rund 28 Sonnenmassen bleiben als Gas übrig und werden wahrscheinlich letzlich aufgesogen.


Der Autor
Erick T. Young ist Direktor der Science Missions Operation beim Stratospheric Observatory for Infrared Astronomy (SOFIA). Von 1978 bis 2009 war er Astronom am Steward Observatory der University of Arizona. Er wirkte bei fast jedem Infrarot-Weltraumteleskop als Forscher mit; dazu gehören der Infrared Astronomical Satellite, das Infrared Space Observatory, die NICMOS-Kamera und die Wide Field Camera 3 an Bord des Hubble-Weltraumteleskops sowie das in Bau befindliche James Webb Space Telescope.


Quellen
Krumholz, M.R. et al.:The Formation of Massive Star Systems by Accretion. In: Science 323, S. 754 - 757, 2009
Young, E.T. et al.: Spitzer and Magellan Observations of NGC 2264: A Remarkable Star-Forming Core near IRS-2. In: Astrophysical Journal 642, S. 972 - 978, 2006


Weblink
www.ucolick.org/~krumholz/movies/krumholz07a.mpg
Simulation der Entstehung eines massereichen Sterns durch den Astrophysiker Mark Krumholz von der University of California in Santa Cruz


Bildunterschrift zu einem im Schattenblick nicht veröffentlichten Foto der Orginalpublikation:

• Diese Region heftiger Sternbildung nahe dem Kern der Galaxie M 83 wurde von der neuen Wide Field Camera 3 des HubbleWeltraumteleskops im Jahr 2009 aufgenommen. Die Standardtheorie vermag weder die Entstehung der massereichen bläulichen Sterne zu erklären noch ihre Rückwirkung auf die rötlich leuchtenden Gaswolken, aus denen sie sich bilden. (S. 47 Printausgabe)


© Erick T. Young, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Spektrum der Wissenschaft 2/11 - Februar 2011, Seite 46 - 53
Herausgeber: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2011